Dienstag, 19. April 2011

Epikur - BRIEF AN MENOIKEUS

"Gewöhne dich an den Gedanken, daß der Tod uns nichts angeht. Denn alles Gute und Schlimme beruht auf der Wahrnehmung. Der Tod aber ist der Verlust der Wahrnehmung. Darum macht die rechte Einsicht, daß der Tod uns nichts angeht, die Sterblichkeit des Lebens genußreich, indem sie uns nicht eine unbegrenzte Zeit dazugibt, sondern die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit wegnimmt. Denn im Leben gibt es für den nichts Schreckliches, der in echter Weise begriffen hat, daß es im Nichtleben nichts Schreckliches gibt. Darum ist jener einfältig, der sagt, er fürchte den Tod nicht, weil er schmerzen wird, wenn er da ist, sondern weil er jetzt schmerzt, wenn man ihn erwartet. Denn was uns nicht belästigt, wenn es wirklich da ist, kann nur einen nichtigen Schmerz bereiten, wenn man es bloß erwartet.
Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr. Er geht also weder die Lebenden an noch die Toten; denn die einen geht er nicht an, und die anderen existieren nicht mehr. Die Menge freilich flieht bald den Tod als das ärgste der Übel, bald sucht sie ihn als Erholung von den Übeln im Leben. Der Weise dagegen lehnt weder das Leben ab noch fürchtet er das Nichtleben. Denn weder belästigt ihn das Leben, noch meint er, das Nichtleben sei ein Übel. Wie er bei der Speise nicht einfach die größte Menge vorzieht, sondern das Wohlschmeckendste, so wird er auch nicht eine möglichst lange, sondern eine möglichst angenehme Zeit zu genießen trachten."

(überliefert in der Epikur-Biographie im 10. Buch der ca. 220 n. Chr. entstandenen antiken Philosophiegeschichte "Leben und Lehren berühmter Philosophen" von Diogenes Laertios; Ü: Olof Gigon)

Epikur * um 341 v. Chr. auf Samos; † 271 oder 270 v. Chr. in Athen

Am Eingang des Gartens Kepos wurden seine Gäste mit folgender Inschrift begrüßt: Tritt ein, Fremder! Ein freundlicher Gastgeber wartet dir auf mit Brot und mit Wasser im Überfluss, denn hier werden deine Begierden nicht gereizt, sondern gestillt.

8 Kommentare:

  1. Leben und Lehren berühmter Philosophen" von Diogenes Laertios? Mein Katechismus. Absolut. Das zweite Mal in meinem Leben, dass jemand dieses Buch erwaehnt: beim ersten Mal habe ich es mir besorgt, da war ich Mitte Zwanzig. Bei diesem, zweiten Mal, bin ich einfach nur sprachlos. Liebe Gruesse

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  2. Ötti schrieb:
    EPIKUR, was für ein schlauer Egozentriker! Das klingt so schlüssig. Aber es ist doch nur die Hälfte, die dann das Ganze wäre, würde Epikur/ jemand der einzige Mensch mit Bewusstsein und Gemüt auf der Welt sein. Solange mehrere Menschen leben, kann der Tod eines Exemplars andere verdammt heftig angehen. Hat Epikur geliebt? Wurde Epikur geliebt?
    CUMMINGS, was für ein verrückter Hund! Sterben ist Leben, und Tod ist eine Sünde am Leben. Endlich formuliert das mal jemand., und dabei so schön geradeaus und gleichzeitig um die Ecken. Leselust !
    UND:
    "Sterben. Das ist doch fürs ganze Leben." ( aus: Tschukowski, Kinder von 2 bis 5 )

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  3. Alexander Höchst19. April 2011 um 22:07

    Sterben ist Leben; Tod ist Nichts. Wie schön... Man könnte auch sagen, Fühlen ist Leben also Sterben. Wenn ich glücklich bin, fühle ich nichts. Erst danach weiß ich es und sage, ich bin glücklich und sollte doch sagen, ich war glücklich. Das Glück ist bereits gestorben und wird vielleicht von neuem Glück abgelöst oder etwas Anderem z.B. Unglück. Der Anlass des Unglücks ist vorbei, er ist bereits gestorben. Wenn das Glück oder Unglück länger dauern, ist es ein langes Sterben. Die Zeit steht nicht still. Tausende unserer menschlichen Zellen sterben während wir essen, trinken, lieben... wir erneuern uns täglich, so auch unser Denken... Wenn wir zugreifen wollen, ist es schon vorbei... es bleibt ein Gefühl. Wenn nun unser Körper stirbt, haben wir keine Zeit mehr zum Fühlen, da wir dann schon tot sind. Das ist echt komisch...

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  4. Ötti fragt Alexander Höchst:
    Lieber Alexander Höchst, hab ich da im letzten Satz was missverstanden? Beim Sterben, also einem Vorgang, bevor der Schalter ausgeknipst worden ist, wäre das Fühlen bereits erledigt ? Was ich bislang davon (natürlich mittelbar) mitbekommen habe, fand eine - wie sag ich, was ich meine - Verwesentlichung, Komprimierung, Intensivierung des Fühlens statt, auch ein emotionales Reflektieren. Und wenn es so kurz ist, wie das "wie schade", von Paula Modersohn- Becker. Herzlich, Ötti

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  5. Alexander Höchst20. April 2011 um 00:11

    Der Gedanke ist, dass wir dem Moment ausgeliefert sind und das Gefühl hinterher hingt. Der Moment ist also schon tot, wenn wir ihn fühlen. Spüren wir durch Krankheit oder ähnliches, dass wir sterben werden, haben wir vermutlich starke Gefühle. Die beziehen sich jedoch eher auf das gelebte Leben und der Ahnung zu streben, nicht aber auf den Moment, in dem der Tod eintritt. Den kennen wir ja noch nicht und wenn wir ihn kennen lernen sind wir tot...

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  6. Ötti antwortete:
    Sanfter Streit über den absoluten Moment.
    Aber aus dem Leben weiß ich sicher, ich empfinde unmittelbar. Fast zeitgleich löst die Empfindung das Gefühl aus. Das Denken ist es, was nach dem Moment reagiert.
    Und zum Moment des Todes: Ich habe Totenmasken gesehen, Bildnisse, die einen Ausdruck von Milde und Gelöstheit haben, der so im Leben kaum zu betrachten ist.

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  7. Alexander Höchst20. April 2011 um 14:12

    Lieber Ötti, meine Wahrnehmung und Erfahrung ist deiner sicher ähnlich. Ich denke auch, im Moment zu sein und zu empfinden... Es geht um den Bruchteil von Sekunden, vielleicht nicht mal messbar. Doch diese Zeit braucht der Körper, um zu sehen, zu hören, zu schmecken usw. das zu verarbeiten und zu reagieren auch emotional. Ich finde den Gedanken einfach komisch und faszinierend (S.P.O.C.K), den absoluten Moment nicht wirklich packen zu können. Du schreibst auch 'fast zeitgleich'... es ist nicht wahrnehmbar... Ähnlich der Laufenden Bilder; wir sehen flüssige Bewegungen, doch es sind viele einzelne Bilder, aus denen der Film zusammen gesetzt ist... Unser Gehirn kann manchmal ja auch einen Moment voraussehen aber sicher nur durch die Erfahrungen der Vergangenheit... Oder?

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  8. Ötti antwortet:
    Ich glaube, ich habe miterlebt, dass zwischen Sterben und leblos sein und tot sein etwas Besonderes geschieht, das ich mich scheue, in meine armen Wörter zu drücken.
    Das letzte oder?:
    Schwierig, weil so viel Eindrücke und Erfahrungen in unserem Speicher spuken, von denen wir aktiv nichts wissen, die uns wahrscheinlich stärker beeinflussen, als wir vermuten mögen. Dann stellt man verdutzt fest, dass man etwas ganz sicher weiß, was man gar nicht weiß.

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