Freitag, 9. Mai 2014

Lear & seine Narren


"Wie könnten Narren müde werden!" 
Franz Kafka
Aus Kinder auf der Landstraße

     Ich habe einen Narren am Narren gefressen! Im Lear gibt es viele. Erstmal den Profi,
     der in Narrenfreiheit so schonungs- wie hoffnungslos dem König die Wahrheit um die
     Ohren schleudert. Und Arm-Tom, verwöhnter Sohn, nun enttäuscht & gejagt, der sich
     in anarchisch zornige Narrheit flüchtet. Und Kent, der in verbissener Narrentreue dem 
     König in den Abgrund nachstolpert. Und der König selbst, der närrisch glaubt, dass er
     bleibt was er war, auch wenn er nicht mehr ist was er war, nämlich König. Und... Genau
     betrachtet, finde ich in jeder Figur des Stückes einen tiefen närrischen Kern. Sie wissen
     auf irgendeine Art um die Schreccklichkeit ihres Tuns und können oder wollen dieses 
     Wissen nicht zulassen. Die Gier ist zu groß, der Zorn, die Angst, die Eitelkeit. Lieber blind
     wütend in die Katastrophe, als sehen und ertragen. O Narr, ich werde wahnsinnig. sagt
     Lear bevor er in den Sturm hinausgeht. Wahnsinnig zu werden, ist seine größte Angst. 
     Sehen zu müssen ist seine größte Angst.


     EDGAR:
     Den Druck der trüben Zeit muss man nun tragen;
     Was man fühlt, sprechen, nicht, was man sollte, sagen.
     Was sagst du? Sprich.

     KENT:
     Nichts. Mylord.

    EDGAR:
    Nichts?

    KENT:
    Nichts.

  
Jan Matejko 1862
Der Narr Stańczyk, wie er während des Hofballs um den Verlust von Smolensk trauert


Nicht Narr, nicht Clown, nicht Trottel, nicht Idiot.
Ihr Zuschaukünstler habt für mich kein Wort.
Ich komm aus England. Daher kommt der Tod.
Ich bin der Sterbewitz. Ich bin der Mord-

Versuch, jaja, ich weiß. Auch der macht Spaß
Weil er sich reimt und ist nicht so gemeint,
denkt ihr. Ihr denkt? Sieh an, seit wann denkt Aas.
Ich bin mein eignes Volk. Ihr seid vereint.

In dem Verein, der richtet und der henkt.
Ich will, dass ihr euch hier zu Tode lacht,
voll faulem Mitgefühl das Herz verrenkt,
ersauft in Tränen mitten in der Nacht.

Ihr seid das Volk. Ich bins, der euch verhetzt.
Ich heiß: The Fool. Das wird nicht übersetzt.
 
Thomas Brasch 
aus Liebe Macht Tod

Nur Narr! Nur Dichter!

....
"Der Wahrheit Freier - du?" so höhnten sie -
"Nein! nur ein Dichter!
ein Tier, ein listiges, raubendes, schleichendes,
das lügen muss,
das wissentlich, willentlich lügen muss,
nach Beute lüstern,
bunt verlarvt,
sich selbst zur Larve,
sich selbst zur Beute,
das - der Wahrheit Freier?...
Nur Narr! nur Dichter!
Nur Buntes redend,
aus Narrenlarven bunt herausredend,
herumsteigend auf lügnerischen Wortbrücken,
auf Lügen-Regenbogen
zwischen falschen Himmeln
herumschweifend, herumschleichend -
nur Narr! nur Dichter!..
....
Friedrich Nietzsche


Donnerstag, 8. Mai 2014

LEAR und andere - Letzte Worte


GELIEBTER MÖRDER

Der Aussage seines Arztes zufolge soll Goethe sein langes Leben mit den Worten: "Mehr Licht!" beendet haben, leider war der Doktor zum entscheidenden Zeitpunkt nicht selbst anwesend, so dass wir nicht sicher sein können, ob das stimmt. Und so, oder ähnlich ist es mit fast allen letzten Äußerungen berühmter Leute, aber bei manchen dieser posthum bekannt gewordenen Sätze, wäre es schön, wenn sie gesagt worden wären.


PETRUS ABAELAEDUS:
Ich weiß es nicht. 
21. April 1142

BRENDAN BEHAN: 
Gott segne Sie, Schwester. Mögen alle Ihre Söhne Bischöfe werden. 
zu der Nonne, die ihn pflegte am 20. März 1964

FRANÇOISE RABELAIS:
Lasst den Vorhang herunter; die Farce ist zu Ende."  
9. April 1553

IMMANUEL KANT:
Es reicht.
12. Februar 1804

W.C. FIELDS (als Vorschlag für deine Grabstein-Inschrift): 
Alles in allem, wäre ich lieber in Philadelphia.

STEVE JOBS
Oh wow. Oh wow. Oh wow. 

05. Oktober 2011

ARTHUR CONAN DOYLE: 
Du bist wunderbar.
zu seiner Frau Jean, 7. Juli 1930

Im König Lear liegt der böse böse Bastard Edmund Gloucester, gut erkennbares Vorbild des Franz Mohr, erschlagen von seinem ehelichen Bruder Edgar noch einige Zeit auf der Bühne rum und stammelt?, haucht?, bellt? letzte Sätze hervor. Er kann nicht aufhören. Ein wenig Selbstlob, ein bisschen schlechtes Gewissen und dann eine Überraschung, nicht als allerletzte Worte, aber doch fast: Kent betritt die Bühne mit einem blutigen Messer, er teilt den wenigen anwesenden Überlebenden mit, dass Lears Töchter tot seien, Reagan vergiftet von der Schwester Goneril, die sich dann selbst mit eben diesem Messer den Tod gegeben hat. Die beiden Frauen sterben, nach Shakespeare, im Off, der Vater wird nur die dritte und jüngste Tochter betrauern.

KENT:
Mein Gott! Warum? 
EDMUND:
              Doch Edmund wurd geliebt:
Die eine gab der andern Gift um mich,
Und danach sich den Tod.

ALBANY:
Ganz so. Deckt die Gesichter.

Das ist wunderbar. 
Doch Edmund wurde geliebt! Man kann entscheiden, ob das "doch"  meint, alle anderen wären nicht geliebt worden, oder, dass er trotz seiner menschlichen Defizite, trotz des 'Makels' seiner Geburt, doch liebens-würdig gewesen ist. 
 


Tod einer Jungfrau 
Detail
1606
Michelangelo Merisi da Caravaggio
 
KENT:
Alack! why thus?
EDMUND:
              Yet Edmund was belov'd:
The one the other poison'd for my sake,
And after slew herself.
ALBANY:
Even so. Cover their faces.

Sonntag, 4. Mai 2014

WELTLACHTAG


     
     WELTLACHTAG - Wer kommt auf sowas?

     Das Privileg der Götter wie der Menschen ist das Lachen.
     Demokrit, griechischer Philosoph 460-370 v. Chr. 

     Die liebe Wiki gibt mir folgende Informationen:
     Der Weltlachtag ist ein Welttag, der jährlich am ersten Sonntag im
     Mai begangen wird. Die Idee stammt aus der Yoga-Lachbewegung,
     die weltweit in über 6.000 Lachclubs organisiert ist. Punkt 14:00 Uhr
     deutscher Zeit (12:00 GMT) wird dabei gemeinsam für drei Minuten 
     gelacht.

     Was für eine irre Vorstellung: 7.00 Uhr wecken, Zähneputzen & Waschen,
     9.00 Uhr Atemübungen, 11.00 vielleicht höhere Geometrie, 13.00 leichter
     veganer Lunch und ab 14.00 Uhr wird gelacht, und das weltweit. Ob der
     Globus vibrieren würde?
                                                                                         
     Dies in Verbindung mit dem Mörderischen Witz von Monty Python, in dem
     ein britischer Witz-Fabrikant den komischsten Witz aller Zeiten entwickelt
     und sich daran wortwörtlich tot lacht. Die britische Armee beschließt
     den Witz ins Deutsche zu übersetzen, um ihn, es ist die Zeit des Ersten
     Weltkrieges, als Überraschungswaffe an der Front einzusetzen. Der Witz
     muß nun, aus Sicherheitsgründen, Wort für Wort von unterschiedlichen
     Übersetzern bearbeitet  werden. Einer versucht zwei Worte des Witzes zu
     übertragen und verbringt daraufhin mehrere Wochen im Krankenhaus. 
     Dann sieht man, wie britische Soldaten den Witz in einzelnen Worten auf
     Pappbanner gemalt, in Richtung der deutschen Schützengräben hochhalten. 
     Die Deutschen lachen sich zu Tode. Der Versuch des deutschen
     Oberkommandos einen Gegenwitz zu entwickeln, scheitert schmählich.
     Die ganze Welt lacht. Würden wir uns zu Tode lachen oder alle gemeinsam
     entspannen? 
     Im Dreissigjährigen Krieg soll es eine Foltermethode gegeben haben, bei
     der gefesselten, frei hängenden Opfern, Salz auf die Fußsohlen gerieben
     wurde. Ziegen, die Salz lieben, leckten ihnen das Salz von den Füßen
     und kitzelten sie dabei so sehr, dass sie sich totlachten. 
     
Der junge Rembrandt als Democritus der Lachende Philosoph 
1628-1629

     "Fake it, until you make it" oder "Tu als ob, bis es echt ist" sagt man im
     Lach-Yoga, das macht sogar Sinn, z. B. wenn ich Auto fahre und zu müde
     werde, fange ich an breit zu grinsen, das Anspannen, der zum breiten
     Lächeln nötigen Muskeln, scheint automatisch noch vorhandene
     Rest-Endorphine in den Kreislauf zu pumpen, ich werde nicht fröhlicher,
     aber wacher.

     Die Gelotologie von griech. γέλως gélōs „Lachen“ ist die
Wissenschaft
     der Auswirkungen des Lachens.
    
     Wir lachen nicht, weil wir glücklich
sind -
     wir sind glücklich, weil wir lachen!
     Zitat Madan Kataria

     Beipackzettel zum Lachyoga laut Wiki:
     Von Lachyoga abgeraten wird unter anderem bei Angina Pectoris, 

     Zwerchfellbruch, nicht kontrolliertem Bluthochdruck, Harn- und 
     Stuhlinkontinenz, Bandscheibenvorfall, Aneurysma, Glaukom, 
     Rippenbrüchen, sowie bei schwerem Depressionsverlauf oder 
     Einnahme von Psychopharmaka. Ausgeschlossen ist die Teilnahme 
     am Lachyoga weiterhin bei akuten Atemwegs- und 
     Viruserkrankungen, Borderline-Störung, Bipolarer Störung und 
     Schizophrenie.

Kagao! Lachfalten Gesichtsgürtel
Kogao! Smile Lines Face Belt

     Ich fand auch, daß Lachen eine Krankheit ist, denn Philemon ist ja dran 
     gestorben, und Democritus ist bis an sein End damit infiziert gewesen. So 
     sagen auch noch auf den heutigen Tag unsere Weiber, sie möchten sich zu 
     Tod lachen! Man sagt, es habe seinen Ursprung von der Leber, aber ich 
     glaube ehender, es komme aus übriger Torheit her, sintemal viel Lachen 
     kein Anzeichen eines vernünftigen Manns ist. Es ist unvonnöten, eine Arznei 
     dawider zu verordnen,  weil es nicht allein eine lustige Krankheit ist,
     sondern auch manchem vergehet, ehe ers gern hat.
     Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Simplicius
      Simplicissimus - Kapitel 89
 

   http://www.spiegel.de/kultur/literatur/philosophie-des-humors-nachgedacht-und-mitgelacht-a-413791.html


Freitag, 2. Mai 2014

Musik, meine lotterhafte Liebe


Seit Jahren bastele ich mir für jede der vier Jahreszeiten eine eigene Musikliste zusammen, da ich viel durch die deutschen Lande fahre und die das Radio beherrschenden "besten Hits der 70er, 80er, 90er" und die drei bis vier Toptitel der augenblicklichen Verkaufslisten, mir nach kürzester Zeit ungeheuer auf die Nerven gehen, ganz zu schweigen von der mir völlig unverständlichen An- und Absicht der meisten Radiowerbungsmacher, dass ich, was auch immer, kaufen werde, wenn man es mir nur atemlos, angestrengt lustik und manisch schreiend anpreist. Und Radio Eins gibt halt 100 Kilometer von Berlin entfernt den Geist auf! Jedes Mal, wenn ich auf 99,1 wieder Musik höre, weiß ich, gleich bin ich zu Hause!

Meinen musikalischen Geschmack eklektisch zu nennen, wäre eine äußerst höfliche Umschreibung, außerdem ist er Wetter-, Launen-, Liebes- und Arbeitsinteressen abhängig, wankt zwischen wunderbaren Tonwerken und übelstem Kitsch und hat keinerlei Maß, Regel oder irgendjemanden außer mich selbst überzeugende Auswahlkriterien.

Wenn "Cyrano de Bergerac" nur Barockremixe (Ist Remixe überhaupt ein Wort?) braucht, tauchen halt solche in der entsprechenden Liste auf, umrahmt von Discomusik der Zeit der großen Schulterpolster, Alan-Lomax Entdeckungen aus den südlichen Staaten Amerikas, Liedern die sich mir in der Lebenszeit meines ersten Kassettenrekorders, also zwischen 1973 und 1983, ins Gehirn gebrannt haben und Zufallsfunden aller Art. 

Auf der aktuellen Frühjahrsliste 2014 finden sich zum Beispiel Herbie Hancock, The Band, Radical Face, Pharell Williams, Big Bill Bronzy und The Cat Empire in überraschter Gesellschaft. 

Autobahnfahrten sind langweilig, und die wilde Mischung, die mir mein iPod liefert, macht sie um Vieles unterhaltsamer. Aber trotzdem wüßte ich sehr gern, warum mein Ohr, mein Bauch, mein Körper, das eine Lied mag oder sogar liebt, das andere ablehnt und auf ein anderes gar nicht reagiert. Tonfolgen sind etwas zutiefst Persönliches, aber wie wählen wir die aus, die uns berühren, aufheitern, tanzen machen? Wann und wie findet diese hochindividuelle Prägung statt? 

 
Bei mir zu Hause wurde, außer instrumentaler Barockmusik, keinerlei klassische Musik gehört, dann gab es Freddy Quinn und Ernst Busch für meinen Vater und den das Hollywood der Dreissiger Jahre und die jeweils aktuelle Popmusik bevorzugenden Geschmack meiner Mutter. 
Meine erste eigene Platte war Let It Be von den Beatles, ein Geschenk meines Onkels und die biegsamen bunten Plastkscheiben aus der russischen Kinderzeitung Bunte Bilder aka "Wesjolyje kartinki". Frank Schöbel hatte 1971 einen Hit in der Schlagerparade des Westberliner Radiosenders RIAS II mit "Da war Gold in deinen Augen" und meine erste große Verliebtheit hat mir Jethro Tulls "Aqualung" vorgespielt. Er war um einiges älter! 
Ruth Berghaus war die Regisseurin meines ersten und überaus erfreulichen Opernerlebnisses in der Berliner Staatsoper mit ihrer Inszenierung des "Freischütz", und als die drei Brautjugfern "Wir winden dir den Jungfernkranz" im ironisch-seligen Tanztrio darboten, wogte um mich der größte Buh-Orkan meines Lebens auf. Ein Zuschauer hinter mir schrie schrill Buh, während sein künstliches Gebiss sich weigerte seinen Emotionen zu folgen und eisern zusammengebissen blieb. Das Bild vergesse ich nie!
 

Ihr kennt sicherlich dieses Gefühl, wenn sich der Flaum auf euren Unterarmen aufstellt, eine instinktive physische Reaktion, die man nicht wirklich beeinflussen kann, sie ist mein privater ultimater Gradmesser für die Qualität von Musik, aber leider keiner mit dem ich irgendwen beeindrucken könnte. Meine spärliche Körperbehaarung reagiert auf "Unsterbliche Opfer" , Billy Joels "Leningrad" und Teile von Mozarts "Requiem" nämlich in genau gleicher Weise.
Wiki schreibt:
Musik (μουσικὴ [τέχνη]: mousikē technē: „musische Kunst“) ist eine Kunstgattung, deren Werke aus organisierten Schallereignissen bestehen. Zu ihrer Erzeugung wird akustisches Material – Töne und Geräusche innerhalb des für den Menschen hörbaren Bereichs –, das einerseits physikalischen Eigengesetzlichkeiten, wie zum Beispiel der Obertonreihe oder Zahlenverhältnissen unterliegt, andererseits durch die Art seiner Erzeugung mit der menschlichen Stimme, mit Musikinstrumenten, elektrischen Tongeneratoren oder anderen Schallquellen gewisse Charakteristika aufweist, vom Menschen geordnet. Aus dem Vorrat eines Tonsystems werden Skalen gebildet. Deren Töne können in unterschiedlicher Lautstärke und Klangfarbe erscheinen und Melodien bilden. Aus der zeitlichen Folge der Töne und Geräusche verschieden langer Dauer entstehen Rhythmen. Aus dem Zusammenklang mehrerer Töne von jeweils anderer Tonhöhe erwächst Mehrstimmigkeit, aus den Beziehungen der Töne untereinander entsteht Harmonik. 

Um Georg Büchner völlig falsch zu zitieren: Was ist das, was in uns fühlt, weint, vibriert - wenn wir Musik hören???

Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin, 
Wir stehen und weinen, voll Schmerz, Herz und Sinn. 
Ihr kämpfet und starbet um kommendes Recht, 
Wir aber, wir trauern, der Zukunft Geschlecht.  

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Victor wurde in eine Rote-Armee-Stadt geschickt
Diente seine Zeit ab, wurde Zirkusclown
Das größte Glück das er jemals fand
War russische Kinder glücklich zu machen
Und Kinder lebten in Leningrad 


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So now I'm going back again
I got to get her somehow
All the people we used to know
They're an illusion to me now
Some are mathematicians
Some are carpenter's wives
Don't know how it all got started
I don't what they're doing with their lives
But me I'm still on the road
Heading for another joint
We always did feel the same
We just saw it from a different point of view
Tangled up in Blue.  


Was verbindet diese Lieder? Was lässt mich mitsummen, vor mich hin singen?

Ein extremes Beispiel: McAthur Park gesungen von Donna Summer, die Aufnahme dauert circa 17 Minuten und sie singt da: 

Someone left the cake out in the rain
I don't think that I can take it
'Cause it took so long to bake it
And I'll never have that recipe again, 
oh noooooo

Am Text kann es nicht liegen. 
Jemand hat den Kuchen im Regen liegen lassen
Ich glaube, ich kann es nicht aushalten
weil es hat so lange gebraucht, ihn zu backen,
und ich werde dieses Rezept nie wieder bekommen
oh neieieieiein

Donnerstag, 1. Mai 2014

Der Nacken


 
Der Nacken
Nach Grimm: im eigentlichen Sinne, der hintere Theil des Halses, 
das Hinterhaupt. 
 
Jean-Antoine Watteau
 
 
Ihr Haar im Nacken reizet mich
Zu hundert kleinen Torenspielen.
Fast nimmermüde läßt es sich
In diesen seidnen Locken wühlen.
Sie äugelt nach dem Spiegel hin,
Belauschet meine Neckereien;
Sie schilt, daß ich ein Tändler bin,
Und freut sich doch der Tändeleien.
 
Aus: Gottfried August Bürger Die beiden Liebenden


Wiki sagt: Die Redensarten „jemand hat den Schalk im Nacken“ bzw. „jemandem sitzt der Schalk im Nacken“ weisen dem Genannten die Eigenschaft eines Schalks zu, bedeuten aber eigentlich „jemandem sitzt ein schalkhafter Dämon im Nacken“. Die Nähe zum Kopf macht den Nacken zu einem begehrten Angriffsziel für Dämonen. So kann auch Angst im Nacken sitzen, den man beugt, wenn man sich dem Schicksal eribt, das manchmal Nackenschläge versetzt.  

Der Nacken einer Frau
Andre Derain 1928

Ich 
  bin
eine Koralle
im Meer der
Erinnerungen
und warte
auf den Wind
Prinzessin
fisch
mich auf
leg mich
um deinen Hals
Das wär
mein Glück

Image courtesy of: http://www.immortalgeisha.com/

denn ich weis, das du hart bist, und dein nack ist ein eisern ader. Jes. 48, 4 

Breite um Nacken und Hals mir die Arme,
Lege dein Haupt an die klopfende Bruſt.
Daß ich an deinem Herzen erwarme,
Breite um Nacken und Hals mir die Arme,
Siehſt du nicht, daß ich vergeh’ im Harme
Mächtiger Sehnſucht nach Liebe und Luſt.
Breite um Nacken und Hals mir die Arme,
Lege dein Haupt an die klopfende Bruſt.

Detlev von Liliencron
 

Mittwoch, 30. April 2014

Der HAMLET der Deutschen Dichter


Ach, armer Yorrick!


© Barbara St.

HAMLET

In diesem Korpus, träg und aufgeschwemmt 
Sagt sich Vernuft als böse Krankheit an 
Denn wehrlos unter strahlgeschientem Clan 
Steht der tiefsinnige Parasit im Hemd. 

Bis sie ihn dann die Trommel hören lassen 
Die Fortinbras den tausend Narren rührt 
Die er zum Krieg um jenes Ländchen führt 
“Zu klein, um ihre Leichen ganz zu fassen.”
Erst jetzt gelingt’s dem Dicken, rot zu sehn.

Es wird im klar, er hat genug geschwankt. 
Nun heißt’s, zu (blutigen) Taten übergehn.
So daß man finster nickt, wenn man erfährt 
“Er hätte sich, wär er hinaufgelangt 
Unbefehlbar noch höchst königlich bewährt.”

Bertolt Brecht


HAMLET

Aus "Ein Glaubensbekenntnis", 1844

    Deutschland ist Hamlet! Ernst und stumm
In seinen Toren jede Nacht
Geht die begrabne Freiheit um,
Und winkt den Männern auf der Wacht.
Da steht die Hohe, blank bewehrt,
Und sagt dem Zaudrer, der noch zweifelt:
»Sei mir ein Rächer, zieh dein Schwert!
Man hat mir Gift ins Ohr geträufelt!«
Er horcht mit zitterndem Gebein,
Bis ihm die Wahrheit schrecklich tagt;
Von Stund' an will er Rächer sein –
Ob er es wirklich endlich wagt?
Er sinnt und träumt und weiß nicht Rat;
Kein Mittel, das die Brust ihm stähle!
Zu einer frischen, mut'gen Tat
Fehlt ihm die frische, mut'ge Seele!

Das macht, er hat zuviel gehockt;
Er lag und las zuviel im Bett.
Er wurde, weil das Blut ihm stockt',
Zu kurz von Atem und zu fett.
Er spann zuviel gelehrten Werg,
Sein bestes Tun ist eben Denken;
Er stak zu lang in Wittenberg,
Im Hörsaal oder in den Schenken.

Drum fehlt ihm die Entschlossenheit;
Kommt Zeit, kommt Rat – er stellt sich toll,
Hält Monologe lang und breit,
Und bringt in Verse seinen Groll;
Stutzt ihn zur Pantomime zu,
Und fällt's ihm einmal ein, zu fechten:
So muß Polonius-Kotzebue
Den Stich empfangen – statt des Rechten.

So trägt er träumerisch sein Weh,
Verhöhnt sich selber insgeheim,
Läßt sich verschicken über See,
Und kehrt mit Stichelreden heim;
Verschießt ein Arsenal von Spott,
Spricht von geflickten Lumpenkön'gen –
Doch eine Tat? Behüte Gott!
Nie hatt' er eine zu beschönigen!

Bis endlich er die Klinge packt,
Ernst zu erfüllen seinen Schwur;
Doch ach – das ist im letzten Akt,
Und streckt ihn selbst zu Boden nur!
Bei den Erschlagnen, die sein Haß
Preisgab der Schmach und dem Verderben,
Liegt er entseelt, und Fortinbras
Rückt klirrend ein, das Reich zu erben. –

Gottlob! noch sind wir nicht soweit! –
Vier Akte sahn wir spielen erst!
Hab acht, Held, daß die Ähnlichkeit
Nicht auch im fünften du bewährst!
Wir hoffen früh, wir hoffen spät:
Oh, raff dich auf, und komm zu Streiche,
Und hilf entschlossen, weil es geht,
Zu ihrem Recht der flehnden Leiche!

Mach den Moment zunutze dir!
Noch ist es Zeit – drein mit dem Schwert,
Eh' mit französischem Rapier
Dich schnöd vergiftet ein Laert!
Eh' rasselnd naht ein nordisch Heer,
Daß es für sich die Erbschaft nehme!
Oh, sieh dich vor – ich zweifle sehr,
Ob diesmal es aus Norweg käme!

Nur ein Entschluß! Auf steht die Bahn –
Tritt in die Schranken kühn und dreist!
Denk an den Schwur, den du getan,
Und räche deines Vaters Geist!
Wozu dies Grübeln für und für?
Doch – darf ich schelten, alter Träumer?
Bin ich ja selbst ein Stück von dir,
Du ew'ger Zauderer und Säumer!


Ferdinand Freiligrath
St. Goar, April 1844
  

HAMLET

Es geht ein Königssohn im kalten Norden,
Dem man des Lebens Urquell dort erschlug,
Den Thron besitzen, die den Vater morden,
Die Mutter teilt des Mörders Lust und Trug.

Es muß Hyperion dem Satyr weichen,
Der Lumpenkönig ist zu schaden klug.
In all den angestammten weiten Reichen
Kaum noch ein Ort, der zum Asyl genug.

Und Rosenkranz und Güldenstern, Gervinus –
Polonius wollt ich sagen, wie ich muß –
Sie spreiten aus ihr langgedehntes Minus,
Die Zunge, steilrecht, bildet es zum Plus.

Auch an Ophelien wird es nimmer fehlen,
Das Herz, zumal bei Weibern, hat nicht Rast,
Im Sturme, wie der Schiffe, so der Seelen,
Mehrt selbst die reichste Ladung nur die Last.

Da mahnt denn alle Welt zum Wirken, Handeln!
Allein der Hebel braucht doch Ort und Statt,
Der stärkste Sinn muß sich in Mißmut wandeln,
Fehlt erst der Raum zum Anlauf und zur Tat.

Franz Grillparzer

HAMLET

Wir haben all' in Wittenberg studirt,
Wie jener fette Prinz aus Dänemark,
Daß jeder jetzt gelehrt philosophirt
Mit tiefer Denkkraft über jeden Quark.

Wir haben viel erfahren und geseh'n,
Und rufen, wenn uns was erstaunt mit Fug:
"Schreibtafel her! da soll's geschrieben steh'n!"
Und meinen, mit dem Schreiben sei's genug.

Wenn Höll' und Himmel spornt zu Männerthat,
Kloppfechten wir mit markdurchhöhltem Witz,
Und wenn zerknirschend Schamgefühl uns naht,
Dann schimpfen wir uns selbst: "Du feiger Spitz!"

Doch schau! den besten Zungendreschermuth
Lähmt uns mit eins ein fremd ehrwürdig Bild,
"Dort kommt es!" stammeln wir mit eis'gem Blut,
Und die modernen Nerven fiebern wild.

Der hohen Vorzeit kriegrische Gestalt Mit Harnisch,
Helm und Schwert, sie steht und winkt.
Daß es, wie Thatendrang, uns schon durchwallt —
Da kräht der Hahn und die Gestalt versinkt.

Einst warf'st du wohl den Feind im Kampfe hin,
Jetzt bist du nur ein dräuendes Gespenst.
Du kennst noch nicht der Bildung Hochgewinn,
Da du nur blut'ge That als Losung nennst.

In Bildung schwimmen wir zum Ueberdruß,
Zum Selbstmord trieb' uns Uebersattigtheit,
Wenn's nicht bequemer wär', in Worterguß
Schwatzen von Selbstmord und Zerrissenheit.

               Friedrich von Sallet
  

Sonntag, 27. April 2014

Deutsche Bahn & deutscher Shakespeare


     Nach den Berechnungen ernsthafter Historiker soll William Shakespeare am 
     23. April 1564 geboren worden sein. Sie gehen davon aus, dass der 
     Tauftermin meist ungefähr drei Tage nach dem der Geburt lag, und
     zumindest dieser liegt uns beurkundet vor.


 Parish register of Holy Trinity Chuch, Stratford-upon-Avon
"Gulielmus filius Johannes Shakspere' - William son of John Shakepeare 

Am 26. April 1616, 52 Jahre nach seiner Taufe ist er gestorben. Cervantes 
     übrigens auch, wenn auch ganz woanders und so wurde der 23. April zum 
     Tag des Buches.

     Die Deutsche Shakespeare Gesellschaft wiederum wird in diesem Jahr 150 
     Jahre alt und hat ihrem Dichter in Weimar ein Geburtstags- und Todesfest 
     ausgerichtet. Die DSG ist eine der ältesten literarischen Vereinigungen 
     Europas und hat ungefähr 2000 Mitglieder, Theaterwissenschaftler, 
     Anglizisten, Literaturhistoriker, Dramaturgen, Lehrer, noch mehr Lehrer und 
     glühende Enthusiasten verschiedenster Professionen. Viele ungewöhnlich alt, aber 
     beileibe nicht alle.  
     Sie atmen, zitieren, verehren Shakespeare, kennen jedes Stück, jedes 
     Gedicht, jedes noch so fragwürdige Textfragment. Sie gehen morgens um 
     4.00 Uhr in den Park um "Venus und Adonis" zu rezitieren, legen in einem 
     jährlichen Ritual Blumen am Weimarer Shakespeare-Denkmal nieder, 
     lauschen Vorträgen über die Beziehung von Bob Dylan und Shakespeare
     und Shakespeare in Australien. Sie haben, ich übrigens auch, die 
     Shakespeare App auf ihren Smartphones, damit sie deutsche 
     Übersetzungen synchron überprüfen können, das tue ich nicht. Sie sind 
     wunderbar und ein bisschen beängstigend, denn wenn man mit ihnen ins 
     Gespräch kommt, stellt man fest, dass viele von ihnen fast übersehen, dass 
     der Kerl für das Theater geschrieben hat und nicht für die Forschung und 
     auch nicht für den hehren Lesegenuß.
     Er muß gesprochen, geflüstert, geschrien werden, geschwitzt und gelaufen. 
     Mit Bässen und Höhen und Zwischentönen und Zittern und Gewalt und 
     Scheu. Er ist Theater, nicht die Ansichten darüber.

     Der Übersetzer Frank Günther in einem Interview der Südwest Presse:
     Shakespeare ist nicht vorhanden, er verschwindet hinter seinen Figuren. Es 
     wirkt, als hätten diese Texte keinen Autor, als habe die Welt sich selber 
     abgeschrieben. Ob er an Gott geglaubt, ob er seine Frau geliebt hat? Ich 
     habe keine Ahnung. Aber das ist gut so, denn mich interessiert nicht der 
     Autor, sondern das Werk.    


  Shakespeare Denkmal in Weimar
Bildhauer: Otto Lessing

     Ach ja, ich darf die Deutsche Bahn nicht vergessen! Also: am letzten Freitag 
     um die Mittagszeit versuchten wir, mehrere Schauspieler, ein Souffleuse, 
     eine Assisstentin und ich, auf einer Probebühne in Heilbronn, die 
     unaufwendigste und wirkungsvollste Art zu finden, mit der wir den Herzog 
     von Gloucester, Figur im "König Lear", seines Augenlichtes berauben 
     könnten, eine der ernsthaften Diskussionen, wie es sie zu solchem Thema 
     nur am Theater und möglicherweise unter professionellen Folterern gibt. 
     Das Auge mit einer Zigarette ausbrennen? Wie würde das entsprechende 
     Geräusch klingen? Es mit einem Regenschirm ausstechen? Müßte danach
     ein Auge auf der Spitze stecken? Wir haben uns schlußendlich für einfaches 
     Augen-in-den-Schädel-Hineindrücken entschieden. Knapp, direkt und 
     unangenehm zu betrachten.
     Zwei Stunden später saß ich im Zug in Richtung Weimar mit dreimaligem 
     Umsteigen in Würzburg, Fulda und Erfurt, berechnet man Hin- und
     Rückfahrt also sechs Umstiege! Und? Spannungspause. Und - es hat 
     geklappt! Tusch! Jeder Anschluß wurde erreicht, die Schaffner waren 
     freundlich, der Kaffee im Bistro trinkbar und auf dem letzten Abschnitt der 
     Rückreise haben vier Kinder im Abteil geturnt und niemand hat gemeckert! 
     So in etwa muß es auch im Paradies sein, oder?