Mittwoch, 30. April 2014

Der HAMLET der Deutschen Dichter


Ach, armer Yorrick!


© Barbara St.

HAMLET

In diesem Korpus, träg und aufgeschwemmt 
Sagt sich Vernuft als böse Krankheit an 
Denn wehrlos unter strahlgeschientem Clan 
Steht der tiefsinnige Parasit im Hemd. 

Bis sie ihn dann die Trommel hören lassen 
Die Fortinbras den tausend Narren rührt 
Die er zum Krieg um jenes Ländchen führt 
“Zu klein, um ihre Leichen ganz zu fassen.”
Erst jetzt gelingt’s dem Dicken, rot zu sehn.

Es wird im klar, er hat genug geschwankt. 
Nun heißt’s, zu (blutigen) Taten übergehn.
So daß man finster nickt, wenn man erfährt 
“Er hätte sich, wär er hinaufgelangt 
Unbefehlbar noch höchst königlich bewährt.”

Bertolt Brecht


HAMLET

Aus "Ein Glaubensbekenntnis", 1844

    Deutschland ist Hamlet! Ernst und stumm
In seinen Toren jede Nacht
Geht die begrabne Freiheit um,
Und winkt den Männern auf der Wacht.
Da steht die Hohe, blank bewehrt,
Und sagt dem Zaudrer, der noch zweifelt:
»Sei mir ein Rächer, zieh dein Schwert!
Man hat mir Gift ins Ohr geträufelt!«
Er horcht mit zitterndem Gebein,
Bis ihm die Wahrheit schrecklich tagt;
Von Stund' an will er Rächer sein –
Ob er es wirklich endlich wagt?
Er sinnt und träumt und weiß nicht Rat;
Kein Mittel, das die Brust ihm stähle!
Zu einer frischen, mut'gen Tat
Fehlt ihm die frische, mut'ge Seele!

Das macht, er hat zuviel gehockt;
Er lag und las zuviel im Bett.
Er wurde, weil das Blut ihm stockt',
Zu kurz von Atem und zu fett.
Er spann zuviel gelehrten Werg,
Sein bestes Tun ist eben Denken;
Er stak zu lang in Wittenberg,
Im Hörsaal oder in den Schenken.

Drum fehlt ihm die Entschlossenheit;
Kommt Zeit, kommt Rat – er stellt sich toll,
Hält Monologe lang und breit,
Und bringt in Verse seinen Groll;
Stutzt ihn zur Pantomime zu,
Und fällt's ihm einmal ein, zu fechten:
So muß Polonius-Kotzebue
Den Stich empfangen – statt des Rechten.

So trägt er träumerisch sein Weh,
Verhöhnt sich selber insgeheim,
Läßt sich verschicken über See,
Und kehrt mit Stichelreden heim;
Verschießt ein Arsenal von Spott,
Spricht von geflickten Lumpenkön'gen –
Doch eine Tat? Behüte Gott!
Nie hatt' er eine zu beschönigen!

Bis endlich er die Klinge packt,
Ernst zu erfüllen seinen Schwur;
Doch ach – das ist im letzten Akt,
Und streckt ihn selbst zu Boden nur!
Bei den Erschlagnen, die sein Haß
Preisgab der Schmach und dem Verderben,
Liegt er entseelt, und Fortinbras
Rückt klirrend ein, das Reich zu erben. –

Gottlob! noch sind wir nicht soweit! –
Vier Akte sahn wir spielen erst!
Hab acht, Held, daß die Ähnlichkeit
Nicht auch im fünften du bewährst!
Wir hoffen früh, wir hoffen spät:
Oh, raff dich auf, und komm zu Streiche,
Und hilf entschlossen, weil es geht,
Zu ihrem Recht der flehnden Leiche!

Mach den Moment zunutze dir!
Noch ist es Zeit – drein mit dem Schwert,
Eh' mit französischem Rapier
Dich schnöd vergiftet ein Laert!
Eh' rasselnd naht ein nordisch Heer,
Daß es für sich die Erbschaft nehme!
Oh, sieh dich vor – ich zweifle sehr,
Ob diesmal es aus Norweg käme!

Nur ein Entschluß! Auf steht die Bahn –
Tritt in die Schranken kühn und dreist!
Denk an den Schwur, den du getan,
Und räche deines Vaters Geist!
Wozu dies Grübeln für und für?
Doch – darf ich schelten, alter Träumer?
Bin ich ja selbst ein Stück von dir,
Du ew'ger Zauderer und Säumer!


Ferdinand Freiligrath
St. Goar, April 1844
  

HAMLET

Es geht ein Königssohn im kalten Norden,
Dem man des Lebens Urquell dort erschlug,
Den Thron besitzen, die den Vater morden,
Die Mutter teilt des Mörders Lust und Trug.

Es muß Hyperion dem Satyr weichen,
Der Lumpenkönig ist zu schaden klug.
In all den angestammten weiten Reichen
Kaum noch ein Ort, der zum Asyl genug.

Und Rosenkranz und Güldenstern, Gervinus –
Polonius wollt ich sagen, wie ich muß –
Sie spreiten aus ihr langgedehntes Minus,
Die Zunge, steilrecht, bildet es zum Plus.

Auch an Ophelien wird es nimmer fehlen,
Das Herz, zumal bei Weibern, hat nicht Rast,
Im Sturme, wie der Schiffe, so der Seelen,
Mehrt selbst die reichste Ladung nur die Last.

Da mahnt denn alle Welt zum Wirken, Handeln!
Allein der Hebel braucht doch Ort und Statt,
Der stärkste Sinn muß sich in Mißmut wandeln,
Fehlt erst der Raum zum Anlauf und zur Tat.

Franz Grillparzer

HAMLET

Wir haben all' in Wittenberg studirt,
Wie jener fette Prinz aus Dänemark,
Daß jeder jetzt gelehrt philosophirt
Mit tiefer Denkkraft über jeden Quark.

Wir haben viel erfahren und geseh'n,
Und rufen, wenn uns was erstaunt mit Fug:
"Schreibtafel her! da soll's geschrieben steh'n!"
Und meinen, mit dem Schreiben sei's genug.

Wenn Höll' und Himmel spornt zu Männerthat,
Kloppfechten wir mit markdurchhöhltem Witz,
Und wenn zerknirschend Schamgefühl uns naht,
Dann schimpfen wir uns selbst: "Du feiger Spitz!"

Doch schau! den besten Zungendreschermuth
Lähmt uns mit eins ein fremd ehrwürdig Bild,
"Dort kommt es!" stammeln wir mit eis'gem Blut,
Und die modernen Nerven fiebern wild.

Der hohen Vorzeit kriegrische Gestalt Mit Harnisch,
Helm und Schwert, sie steht und winkt.
Daß es, wie Thatendrang, uns schon durchwallt —
Da kräht der Hahn und die Gestalt versinkt.

Einst warf'st du wohl den Feind im Kampfe hin,
Jetzt bist du nur ein dräuendes Gespenst.
Du kennst noch nicht der Bildung Hochgewinn,
Da du nur blut'ge That als Losung nennst.

In Bildung schwimmen wir zum Ueberdruß,
Zum Selbstmord trieb' uns Uebersattigtheit,
Wenn's nicht bequemer wär', in Worterguß
Schwatzen von Selbstmord und Zerrissenheit.

               Friedrich von Sallet
  

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