Freitag, 2. Mai 2014

Musik, meine lotterhafte Liebe


Seit Jahren bastele ich mir für jede der vier Jahreszeiten eine eigene Musikliste zusammen, da ich viel durch die deutschen Lande fahre und die das Radio beherrschenden "besten Hits der 70er, 80er, 90er" und die drei bis vier Toptitel der augenblicklichen Verkaufslisten, mir nach kürzester Zeit ungeheuer auf die Nerven gehen, ganz zu schweigen von der mir völlig unverständlichen An- und Absicht der meisten Radiowerbungsmacher, dass ich, was auch immer, kaufen werde, wenn man es mir nur atemlos, angestrengt lustik und manisch schreiend anpreist. Und Radio Eins gibt halt 100 Kilometer von Berlin entfernt den Geist auf! Jedes Mal, wenn ich auf 99,1 wieder Musik höre, weiß ich, gleich bin ich zu Hause!

Meinen musikalischen Geschmack eklektisch zu nennen, wäre eine äußerst höfliche Umschreibung, außerdem ist er Wetter-, Launen-, Liebes- und Arbeitsinteressen abhängig, wankt zwischen wunderbaren Tonwerken und übelstem Kitsch und hat keinerlei Maß, Regel oder irgendjemanden außer mich selbst überzeugende Auswahlkriterien.

Wenn "Cyrano de Bergerac" nur Barockremixe (Ist Remixe überhaupt ein Wort?) braucht, tauchen halt solche in der entsprechenden Liste auf, umrahmt von Discomusik der Zeit der großen Schulterpolster, Alan-Lomax Entdeckungen aus den südlichen Staaten Amerikas, Liedern die sich mir in der Lebenszeit meines ersten Kassettenrekorders, also zwischen 1973 und 1983, ins Gehirn gebrannt haben und Zufallsfunden aller Art. 

Auf der aktuellen Frühjahrsliste 2014 finden sich zum Beispiel Herbie Hancock, The Band, Radical Face, Pharell Williams, Big Bill Bronzy und The Cat Empire in überraschter Gesellschaft. 

Autobahnfahrten sind langweilig, und die wilde Mischung, die mir mein iPod liefert, macht sie um Vieles unterhaltsamer. Aber trotzdem wüßte ich sehr gern, warum mein Ohr, mein Bauch, mein Körper, das eine Lied mag oder sogar liebt, das andere ablehnt und auf ein anderes gar nicht reagiert. Tonfolgen sind etwas zutiefst Persönliches, aber wie wählen wir die aus, die uns berühren, aufheitern, tanzen machen? Wann und wie findet diese hochindividuelle Prägung statt? 

 
Bei mir zu Hause wurde, außer instrumentaler Barockmusik, keinerlei klassische Musik gehört, dann gab es Freddy Quinn und Ernst Busch für meinen Vater und den das Hollywood der Dreissiger Jahre und die jeweils aktuelle Popmusik bevorzugenden Geschmack meiner Mutter. 
Meine erste eigene Platte war Let It Be von den Beatles, ein Geschenk meines Onkels und die biegsamen bunten Plastkscheiben aus der russischen Kinderzeitung Bunte Bilder aka "Wesjolyje kartinki". Frank Schöbel hatte 1971 einen Hit in der Schlagerparade des Westberliner Radiosenders RIAS II mit "Da war Gold in deinen Augen" und meine erste große Verliebtheit hat mir Jethro Tulls "Aqualung" vorgespielt. Er war um einiges älter! 
Ruth Berghaus war die Regisseurin meines ersten und überaus erfreulichen Opernerlebnisses in der Berliner Staatsoper mit ihrer Inszenierung des "Freischütz", und als die drei Brautjugfern "Wir winden dir den Jungfernkranz" im ironisch-seligen Tanztrio darboten, wogte um mich der größte Buh-Orkan meines Lebens auf. Ein Zuschauer hinter mir schrie schrill Buh, während sein künstliches Gebiss sich weigerte seinen Emotionen zu folgen und eisern zusammengebissen blieb. Das Bild vergesse ich nie!
 

Ihr kennt sicherlich dieses Gefühl, wenn sich der Flaum auf euren Unterarmen aufstellt, eine instinktive physische Reaktion, die man nicht wirklich beeinflussen kann, sie ist mein privater ultimater Gradmesser für die Qualität von Musik, aber leider keiner mit dem ich irgendwen beeindrucken könnte. Meine spärliche Körperbehaarung reagiert auf "Unsterbliche Opfer" , Billy Joels "Leningrad" und Teile von Mozarts "Requiem" nämlich in genau gleicher Weise.
Wiki schreibt:
Musik (μουσικὴ [τέχνη]: mousikē technē: „musische Kunst“) ist eine Kunstgattung, deren Werke aus organisierten Schallereignissen bestehen. Zu ihrer Erzeugung wird akustisches Material – Töne und Geräusche innerhalb des für den Menschen hörbaren Bereichs –, das einerseits physikalischen Eigengesetzlichkeiten, wie zum Beispiel der Obertonreihe oder Zahlenverhältnissen unterliegt, andererseits durch die Art seiner Erzeugung mit der menschlichen Stimme, mit Musikinstrumenten, elektrischen Tongeneratoren oder anderen Schallquellen gewisse Charakteristika aufweist, vom Menschen geordnet. Aus dem Vorrat eines Tonsystems werden Skalen gebildet. Deren Töne können in unterschiedlicher Lautstärke und Klangfarbe erscheinen und Melodien bilden. Aus der zeitlichen Folge der Töne und Geräusche verschieden langer Dauer entstehen Rhythmen. Aus dem Zusammenklang mehrerer Töne von jeweils anderer Tonhöhe erwächst Mehrstimmigkeit, aus den Beziehungen der Töne untereinander entsteht Harmonik. 

Um Georg Büchner völlig falsch zu zitieren: Was ist das, was in uns fühlt, weint, vibriert - wenn wir Musik hören???

Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin, 
Wir stehen und weinen, voll Schmerz, Herz und Sinn. 
Ihr kämpfet und starbet um kommendes Recht, 
Wir aber, wir trauern, der Zukunft Geschlecht.  

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Victor wurde in eine Rote-Armee-Stadt geschickt
Diente seine Zeit ab, wurde Zirkusclown
Das größte Glück das er jemals fand
War russische Kinder glücklich zu machen
Und Kinder lebten in Leningrad 


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So now I'm going back again
I got to get her somehow
All the people we used to know
They're an illusion to me now
Some are mathematicians
Some are carpenter's wives
Don't know how it all got started
I don't what they're doing with their lives
But me I'm still on the road
Heading for another joint
We always did feel the same
We just saw it from a different point of view
Tangled up in Blue.  


Was verbindet diese Lieder? Was lässt mich mitsummen, vor mich hin singen?

Ein extremes Beispiel: McAthur Park gesungen von Donna Summer, die Aufnahme dauert circa 17 Minuten und sie singt da: 

Someone left the cake out in the rain
I don't think that I can take it
'Cause it took so long to bake it
And I'll never have that recipe again, 
oh noooooo

Am Text kann es nicht liegen. 
Jemand hat den Kuchen im Regen liegen lassen
Ich glaube, ich kann es nicht aushalten
weil es hat so lange gebraucht, ihn zu backen,
und ich werde dieses Rezept nie wieder bekommen
oh neieieieiein

2 Kommentare:

  1. Der Trauermarsch "Unsterbliche Opfer" - Verknüpfung in meinem Kopf mit einer bizarren Erinnerung :
    Schwerin, Ende 50er/ Anfang 60er Jahre. Wir Kinder, die am "Platz der Opfer des Faschismus" wohnten, rannten sofort los, wenn dieser Marsch schallte.
    Russenbeerdigung war angesagt. Endlich mal was los !
    Wir nannten es : Tote Russen gucken.
    Gruselstaunend standen wir hinter dem Zaun, wenn Uniformierte mit dem Leichnam im offenen Sarg auf den Schultern schritten und wir kicherten, wenn die folgenden Träger den Sargdeckel genauso würdevoll transportierten. Auf dem Deckel lagen die Uniformmütze und Kissen voller Orden.
    Ein eigenartiger Widerspruch zu dem wächsernen Menschengesicht davor. Eine Abtrennung. Als würden zweierlei beerdigt.
    .

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  2. Diesen Schauer habe ich gerade wieder erlebt bei Beethovens 7. Symphonie, 2. Satz! Das ist vollkommenes Glücksgefühl oder auch ein unerklärbares Gefühl, wenn plötzlich alle Sinne reagieren.

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