Mittwoch, 29. Juli 2015

Edna St. Vincent Millay


Ich bin mir bei ihr nie sicher, ob das Poesiealbumsverse sind oder Poesie.

Epitaph

Heap not on this mound
Roses that she loved so well:
Why bewilder her with roses,
That she cannot see or smell?

She is happy where she lies
With the dust upon her eyes.
Das kann ich nicht übersetzen. Nur in Prosa also:
 
Nachruf
 
Überschütte diesen Hügel nicht mit Rosen, 
Die sie so geliebt hat. 
Warum sie mit Rosen verwirren, 
Die sie nicht sehen oder riechen kann. 
 
Sie ist glücklich wo sie liegt, 
Mit dem Staub auf ihren Augen.

Time does not bring relief
 
Time does not bring relief; you all have lied
Who told me time would ease me of my pain!
I miss him in the weeping of the rain;
I want him at the shrinking of the tide;

The old snows melt from every mountain-side,
And last year's leaves are smoke in every lane;
But last year's bitter loving must remain
Heaped on my heart, and my old thoughts abide!

There are a hundred places where I fear
To go, ... so with his memory they brim!

And entering with relief some quiet place
Where never fell his foot or shone his face.
I say, "There is no memory of him here!"
And so stand stricken, so remembering him!

 
Die Zeit bringt keine Erleichterung
 
Die Zeit bringt keine Erleichterung; ihr habt alle gelogen,
Die mihr sagtet: Zeit würde meinen Schmerz lindern!
Ich vermisse ihn beim Weinen des Regens;
Mich verlangt es nach ihm beim Zurückweichen der Flut;

Der alte Schnee schmilzt von allen Bergseiten,
Und die Blätter des
letzten Jahres sind Rauch in allen Gassen;
Doch letzten Jahres bitteres Lieben muß bleiben
Geschüttet auf mein Herz, und meine alten Gedanken gehorchen.

Es gibt hunderte Orte die ich fürchte aufzusuchen...
So randvoll sind sie mit Erinnerungen an ihn!

Und wenn ich mit Erleichterung ein ruhiges Plätzchen betrete,
Wo er nie seinen Fuß setzte und sein Gesicht niemals schien...
Sage ich: Hier gibt's keine Erinnerung an ihn!
Und so stehe ich schmerzerfüllt, so an ihn denkend!

First Fig

My candle burns at both ends; 
It will not last the night;

But ah, my foes, and oh, my friends-- 
It gives a lovely light!

Erste Feige

Meine Kerze brennt an beiden Enden; 
Sie überdauert nicht die Nacht;

Doch ah, meine Feinde und oh, meine Freunde -- 
ein schönes Licht hat sie gemacht!

Second Fig

Safe upon the solid rock the ugly houses stand: 
Come and see my shining palace built upon the sand! 
 
Zweite Feige
 
 Sicher auf festem Stein stehn die häßlichen Häuser - Wand an Wand:
Komm und sieh mein leuchtendes Schloß gebaut auf Sand!
 


Montag, 27. Juli 2015

Schnipsel aus Amsterdam

Niemand, der nicht schreibt, weiß, wie fein es ist, zu schreiben. Früher habe ich immer bedauert, nicht gut zeichnen zu können, aber nun bin ich überglücklich, daß ich wenigstens schreiben kann. Und wenn ich nicht genug Talent habe, um Zeitungsartikel oder Bücher zu schreiben, gut, dann kann ich es immer noch für mich selbst tun."
Anne Frank Tagebucheintrag, 4. April 1944
 
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Meine Schwester, die Lieblingsnichte und ich fahren sechs Stunden Zug, unsere Sitznachbarn, vier ziemlich nette junge Männer, ein Bankkaufmann, ein Krankenpfleger, keine Ahnung, was die anderen machen, fahren auch fürs Wochenende nach Amsterdam, für "ein bisschen Kultur zwischendurch, und um zu feiern". Ihre Rucksäcke sind fett gefüllt mit Bierdosen, Mixgetränken und Wodka. Bei der Ankunft am Mittag sind sie leicht und leer. Merkwürdiges Detail: mit Hilfe einer Kleinkamera mit Gurt, die sie an der Flasche befestigen, filmen sie ihre Gesichter während sie trinken. Alkoholselfies. Zum Erinnern bei Filmriß? 



Schiefe, noch schiefere, vorgebeugte, abgewinkelte, eingeklemmte, schmale, überbreite, jugendstilige, barocke, mittelalterliche, glasundstahlmoderne Häuser in grün, rot, gelb, beige, blau und jeder anderen denkbaren Farbe säumen die Grachten. Wunderschön. Das Wetter ist fies. Wir laufen trotzdem, stundenlang, gucken, essen, gucken, essen. Sehr gut.
Rembrandthaus, natürlich, und ein toller Vortrag über Pigmente und Farbherstellung von einer Malerin, die ihre Verachtung für Leute, die ihre Farben im Laden fix und fertig kaufen, kaum verbergen kann.

 Rembrandt Harmenszoon van Rijn Selbstporträt Radierung 1630

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Das Anne-Frank-Haus - anderthalb Stunden angestanden, in einer Schlange mit zumeist sehr jungen Menschen von überall her, die trotz stürmischem Wind und Niesel entspannt geduldig ausharren. Der langsame Gang durch die Gedenk-Stätte und obwohl ich schon hier war, erwischt es mich doch wieder. Welche hasserfüllte Vernichtung von Leben und Hoffnungen und Möglichkeiten auf der einen, welche Kraft und Sehnsucht und Schönheit auf der anderen Seite. Die Lieblingsnichte ist sehr still und schreibt, in Englisch, ihren Dank ins Gästebuch, unaufgefordert, wir sind nicht mal in der Nähe.
 

Es ist ein Wunder, dass ich nicht alle Hoffnungen aufgegeben habe, denn sie scheinen absurd und unausführbar. Trotzdem halte ich an ihnen fest, trotz allem, weil ich noch immer an das Gute im Menschen glaube."
Anne Frank Tagebuch, Samstag 15. Juli 1944

Kurz vor dem Rausgehen, in einem Video mit Kommentaren verschiedenster Menschen - ein amerikanischer Jude in meinem Alter, erinnert sich mit seiner Schwester gelegentlich ein kleines Gedankenexperiment durchgespielt zu haben - "Wer würde uns verstecken, wenn es doch mal wieder so weit kommen sollte?" 
Wer?

Anne Frank starb wahrscheinlich im Februar 1945 im KZ Bergen-Belsen an Flecktyphus. Nur zwei Monate später, am 15. April 1945, wurde das Lager von britischen Soldaten befreit.

Überlebende singen ein jüdisches Lied, Ha-Tikwa, die Hoffnung.
https://www.youtube.com/watch?v=es4YLI2mFnQ 
Originalaufnahme der BBC von 1945

Solange noch im Herzen

eine jüdische Seele wohnt
und nach Osten hin, vorwärts,
ein Auge nach Zion blickt,

solange ist unsere Hoffnung nicht verloren,
die Hoffnung, zweitausend Jahre alt,
zu sein ein freies Volk, in unserem Land,
im Lande Zion und in Jerusalem!


Heute ist dies die Nationalhymne des Staates Israel. Ein schönes trauriges Lied. Welches Lied singen Palästinenser?

Sonntag, 26. Juli 2015

Der Tag der toten Regenschirme



Gestern war ein schlechter Tag für Regenschirme in Amsterdam,  
Zeljko, der Sommersturm, hat sie massenhaft dahin gemordet, 
ein Regenschirmmassaker. 
Auch Bäume wurden niedergerafft, aber, 
Gott sei Dank, nicht genauso viele.
Eine Gedenkfeier.

THE RAIN

The rain it raineth every day,
Upon the just and unjust fellow
But more upon the just, because
The Unjust has the just´s umbrella. 

ANONYM

 Der Regen regnet Tag für Tag
 Auf Mensch und Unmensch nieder.
Doch naß wird immer nur der Mensch,
Denn der Unmensch gibt ihm seinen Schirm nicht wieder.
Übersetzung Reinhard Kaiser


Dekonstruktion Total


Frau in Rot, einst Schönheitskönigin-der Absturz


Relikt

Wer unterm Schirm des Höchsten sitzt,
Der ist sehr wohl bedecket,
Wenn alles donnert, kracht und blitzt,
Bleibt sein Herz ungeschrecket;
Er spricht zum Herrn: Du bist mein Licht,
Mein Hoffnung, meine Zuversicht,
Mein Turm und starke Feste,
Du rettest mich vons Jägers Strick
Und treibst des Todes Netz zurück
Und schützest mich aufs beste
...

Paul Gerhardt

Ein letztes Aufbäumen

Abgestürzt

DER FLIEGENDE ROBERT

Wenn der Regen niederbraust,
Wenn der Sturm das Feld durchsaust,
Bleiben Mädchen oder Buben
Hübsch daheim in Ihren Stuben. -
Robert aber dachte: Nein!
Das muss draußen herrlich sein! -
Und im Felde patschet er
Mit dem Regenschirm umher.

Hui wie pfeift der Sturm und keucht,
Dass der Baum sich niederbeugt!

Seht! Den Schirm erfasst der Wind,
Und der Robert fliegt geschwind
Durch die Luft so hoch, so weit;
Niemand hört ihn, wenn er schreit.
An die Wolken stößt er schon,
Und der Hut fliegt auch davon.

Schirm und Robert fliegen dort
Durch die Wolken immer fort.
Und der Hut fliegt weit voran,
Stößt zuletzt am Himmel an.
Wo der Wind sie hingetragen,
Ja, das weiß kein Mensch zu sagen.

Heinrich Hoffmann (1809-1894)

Schönheit im Vergehen


Vereint im Tod

Eigentlich war ich heute am Hin ... am Kommen verhindert, und das war so: es war übergestern, vorheute, da saß ich hier drüben in dem Café, ich bestellte mir zwei Goetheglatzen - nee, zwei Schillerlocken - eigentlich wollte ich 'nen Sturmsack essen - Windbeutel - aber auf dem saß schon einer. Ich sitze, unten sitz' ich, oben eß' ich - oder umgekehrt, mit einmal guck' ich da zur Tür, und was seh ich da? - Gar nichts, die Tür war auf der Seite - stürzt, wie von der Tante Ella gestochen - Tarantella gestochen, ein Vollbart auf mich los, mit 'nem Herrn dran. Der hat so'n Schirm, der Knirps, und nimmt den, haut immer auf meinen Kopf, das machte mich stutzig. Nachdem ich ein- bis viermal gestutzt hatte, sprach ich zu mir: "Also". "Herr Erhardt", sprach ich - nee: "Heinz", sag ich, Heinz - ich sag ja DU zu mir. "Heinz", sage ich, "was soll das da oben bloß sein?" Und nachher, viel nachherer, da kam ich dahinter: der hatte mich verwechselt! Das gönn' ich dem.

Heinz Erhardt


Himmelblau hingestreckt


Photos © Jenny Schall

Freitag, 24. Juli 2015

"HEIL" - eine deutsche antifaschistische Komödie

"HEIL"

Die ersten 30 Minuten einer deutschen Komödie über Neonazis haben mich nicht amüsiert, nicht geschockt, nicht erfreut, nicht empört. Dann bin ich gegangen, mein Leben ist sehr kurz, und ich war danach extrem unfroh.
Ich wünsche, mit heftiger Leidenschaft, dass wir, 'wir' meint ein deutscher Film, mit wildem, anarchischem, montypythongeschultem Witz, diese gräßliche Peinlichkeit angehen. Unsere verkrampfte Existenz zwischen verschwurbelten Erbschuldgefühlen und aktuellen, heftigst verleugneten oder in absurdester Weise ausgestellten Ressentiments.
Vor Jahren saß ich in einem Cafe, am Nachbartisch ein älteres Ehepaar, dass sich über die Vorzüge des Dritten Reiches hinsichtlich der Verbundenheit innerhalb der Familie unterhielt. Mein Mund fragte, bevor mein zynisches Gehirn ihn daran hindern konnte, ob der Tod von mehreren Millionen Menschen diese wärmende Nähe innerhalb der deutschen Familie nicht fragwürdig mache. Und. Und die Antwort, ausgesprochen in einem Cafe, in der DDR, von einer nettaussehenden weißhaarigen Dame war: "Die wären doch irgendwann sowieso gestorben."
Besser geht nicht. Oder doch, das folgende Interview mit Ursula Haverbeck ist noch schlimmer.  https://www.youtube.com/watch?v=RwbGGLX30ew
Wo finden wir hier den Raum für befreiende Witze? Wo die Möglichkeit für Scham und Abschluß mit Anstand? Oder ist es einn völlig irrationaler Wunsch?
https://www.youtube.com/watch?v=VpwAwdbhx6Q
Keine Möglichkeit zur Verharmlosung. Schachmatt. Wenn wir die mit Lachen niedermachen können, dann wären wir, glaube ich, gesundet. Ohne falschen Druck, ohne trägen Schnitt, ohne versimpelnde Verarsche. Wir müßten ertragen, dass Menschen solchen Dreck glauben, ganz ernsthaft, ohne Zweifel. Hitler war ein netter Mann, sagen sie. Er wollte nur unser Bestes. Die Juden hatten alle Geld. Oder?
Erst wenn wir unsere Feinde so ernst nehmen, wie unsere Freunde. Wenn wir entspannt und abgrundtief hassen können, wo es angebracht ist. Wenn wir ertragen, dass die "Idioten", die Abartigen, die Ewiggestrigen, die Nazis, die Leugner, die Recht(s)haber wirklich glauben, dass der Dreck den sie verbreiten, Wahrheit ist. Wenn wir die ganze Untiefe der menschlichen Verwirrtheit ertragen, erst dann werden wir gute Komödien über unsere Erzfeinde machen können. Ohne imaginäre Lacheinspieler, ohne angestrengte Blödheit.
NEIN ist ein großartiges Wort, aber es bedarf eines JAs. Ja zum Lieben, Ja zum Trauern.


Donnerstag, 23. Juli 2015

Volksbüne - Castorf weg


Mein Bauch, ein immer sehr eigenwilliges Körperteil, hat, als der Hausherrenwechsel an der Volksbühne verkündet wurde, mit Grummeln reagiert. Mein Kopf bemühte sich, entspannt und "offen" zu bleiben. Jetzt hat ein Herr Guillaume Paoli formuliert, was mein Bauch grummelte.

http://berlinergazette.de/wegkuratierung-des-widerspenstigen/#.Va9sBDC00AQ.facebook

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http://www.berliner-kurier.de/leute/volksbuehnen-star-frank-castorf-trauerspiel-um-das-geschaeft-seines-vaters-------------------------------------,7169134,11619686.html 

K.I.Z. - Hurra, die Welt geht unter! - Ich erinnere mich.


Und wir singen im Atomschutzbunker:
Hurra, diese Welt geht unter!
Hurra, diese Welt geht unter!
Auf den Trümmern das Paradies


Eine orientalisch angehauchte Intro, es folgt eine postapokalyptische Hippie-Utopie in ungelenken, aber amüsanten Reimen. Der Text ein bisschen rührend ob seiner Naivität, aber Zynismus ist öder. Tja, naja, aber diese Stimme, die den Refrain singt.


Ich habe mir eine Hip Hop Platte gekauft, eine Platte mit deutschem Hip Hop, meine erste und wahrscheinlich einzige. Deutscher Hip Hop? Alle beteiligten Musiker könnten meine Kinder oder Enkel sein und sie sind alle sehr weiß. Aber die Melodien sind "catchy", sie fangen mein Ohr ein.

K.I.Z. ist eine deutsche Hip-Hop-Formation aus Berlin. Sie besteht aus den Rappern Tarek, Maxim, Nico und ihrem Diskjockey DJ Craft.... Der vermeintlichen Abkürzung K.I.Z. werden von der Band selbst oft unterschiedlichste Bedeutungen zugewiesen. Am häufigsten ist die Bezeichnung Kannibalen in Zivil. Weitere bekannte Namen sind Künstler in Zwangsjacken, Kriegsverbrecher im Zuchthaus, Karotten Ingwer und Zwiebel oder Kreuzritter in Zentralasien; unter anderem wird in den Liedern Rosenbusch feat. Rhymin Simon und Selbstjustiz von Klosterschüler im Zölibat gesprochen. Auf ihrer Myspace-Seite nennen sie sich zurzeit Kapitalismus ist Zauberhaft, sagt Wiki.

Henning May, der Sänger des Refrains, hat eine Stimme, die nicht zum Kindergesicht und schlenkrigen Jungskörper zu passen scheint. Ist es nur die Zufallswirkung verquerer Stimmbandkonstellation oder kennt der sehr junge Junge Qual? Im Video sieht es aus, als ob seine Stimme eigenständig aus ihm heraus singt.

Hurra, die Welt geht unter
https://www.youtube.com/watch?v=XTPGpBBwt1w

Und ich sitz schon wieder Barfuß am Klavier 

Ich träume Liebeslieder und sing dabei von Dir 
Und du und ich wir waren wunderlich 
Nicht für mich 
für die die es störte 
wenn man uns Nachts hörte

Barfuß am Klavier
https://www.youtube.com/watch?v=tERRFWuYG48

Man ist nie wieder so großartig und großartig einsam, wie man es mit Anfang Zwanzig ist. Ich wußte alles, fühlte alles. Eine tolle Zeit, ich mag sie nicht wieder haben, aber gebe Acht, dass ich sie nicht vergesse, weil diese goldene Selbstgewissheit, nur bei starkem Wind und nur für Sekunden, den Blick auf die darunter bebende Panik freigibt.
So beginne ich, voll unerhörter Erwartungen, phantastisch-mäandernder Pläne, mit unerschöpflicher Energie, maßloser Selbstverliebtheit und der Verachtung jedweden Kompromisses. Natürlich folgen die zu erwartenden Kopfnüsse, Nackenschläge und Magentreffer, auch die aus dem toten Winkel, die ohne Ankündigung kommen und mich beinah in die Knie zwingen. Was macht’s, aufstehen, weiter laufen. 

Und wenn ich dich dann frage, was du werden willst
Dann sagst du immer nur "Ich weiß nicht. Hauptsache nicht Mitte 30"
Hauptsache nicht Mitte 30


https://www.youtube.com/watch?v=35XR9H8bGqQ 

Montag, 20. Juli 2015

Mein erstes Mal Bayreuth

Weia! Waga!
Woge, du Welle,
walle zur Wiege!
Wagala weia!
Wallala, weiala weia! 


Ein Tagesausflug

Freitagmorgen, sieben Uhr mit der S-Bahn zum ZOB, Zentralen Busbahnhof, natürlich mit Unterbrechung, nach Halensee geht es nur alle 20 Minuten, gut so, sonst würde ich gar nicht glauben können, dass ich mit der Berliner S-Bahn unterwegs bin. Dann meine erste Reise mit einem Überlandbus in Deutschland. Deutsche Bahn, du hast Konkurrenz, die ist genauso unzuverlässig wie du, nur billiger. Der Bus ist voll, der Bus ist heiß, das Wlan funktioniert nicht, aber der Bus kommt, zumindest auf der Hinreise, pünktlich in der Goethestrasse in Bayreuth an. 
Bayreuth ist voll, Bayreuth ist heiß, Bayreuth ist außerordentlich häßlich, und im Besitz von ungewöhnlich vielen Eisdielen. Die westdeutsche Provinz ist der ostdeutschen in einigen augenfälligen Dingen erstaunlich ähnlich, da die Bauwut der 50er, 60er und 70er Jahre, hie wie da, eine große Menge abgrundtief unansehnlicher Gebäude hervorgebracht hat, die, auch hellgelb oder grasgrün verputzt, ihre lieblose, pragmatische und betonvernarrte Herkunft nicht verleugnen können. Fahrt mal nach Senftenberg oder Schwedt!
Aber nun Bayreuth. Noch haben die WAGNERFESTSPIELE nicht begonnen und die Stadt wirkt relativ normal. Hie und da ein lila WAGNERFIGÜRCHEN mit dem Bild eines berühmten WAGNERSÄNGERS und selbstverständlich eine Häufung WAGNERAFFINER Strassennamen, nicht anders als es Weimar mit GOETHE/SCHILLER treibt. 
Um 17.00 Uhr bewege ich mich auf den heiligen Hügel zu, oben das Festspielhaus, hinauf führt eine begärtnerte Allee, direkt davor ein riesiges Blumenbeet, dass, wie ein Freund sagt, irritierend einem blumigen Davidstern ähnelt. Abbitte oder Fehlinterpretation? Das Publikum ist multinational und, da heute ja "nur" die Generalprobe des ersten Teiles der Tetralogie stattfinden wird, verwirrend bekleidet, zwischen Jeans und Abendrobe. Wobei die Roben, in Knallgelb, Glitzerblau und halterlosem Grasgrün mich ein bisschen an die Fensterdekorationen der zahlreichen Hochzeitsausstatter in Neukölln erinnert.
Das Haus selbst ist gerade im Zustand der Restauration, die Außenfassade ist eingekleidet, innen wirkt es verblüffend karg, viel Holz, griechische Säulen, minimale Ornamente. Es wurde in den Jahren 1872–75 von Otto Brückwald nach Entwürfen von Richard WAGNER im Stil der hellenistischen Romantik errichtet, sagt Wiki. Die Sitze sind das Unbequemste, was ich je die Ehre hatte zu besitzen. Ob WAGNER damit eine pädagogische Absicht verfolgte? Wenn mein Hintern schmerzt, bleibe ich wach und muß zuhören? Wer weiß. Auf jeden Fall mag ich es nicht. Aber die Akustik soll einmalig sein. 
Aber, ein aber ohne wenn und aber: Der Herr war begeisterter Antisemit, ein wesentliches Detail, dass ich nicht in der Lage und nicht willens bin zu ignorieren. In seiner Broschüre Das Judenthum in der Musik (1869) schrieb Richard WAGNER vom „natürlichen Widerwillen gegen jüdisches Wesen“ und „Der Jude ist nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge dieser Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht, und wird solange herrschen, als das Geld die Macht bleibt, vor welcher alles unser Thun und Treiben seine Kraft verliert“. An die Juden gerichtet, schloss er mit den Worten: „Aber bedenkt, dass nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers, – der  Untergang!" 

"Rheingold" ist kurz, nur zwei und eine halbe Stunde ohne Pause, genug für mich als Neuling. Die Musik ist herrlich, aber, aber was? Aber, nichts als ABER. Frank Castorf unterläuft das Pathos oder vermeidet den Konflikt, je nach Sichtperspektive, durch die konsequente Inszenierung seines eigenen Filmes - True Detektive, David Lynch, The Walking Dead und Whateverthefuck I have seen on tv or in the movies in den letzten zehn Jahren, konglomerieren zu einem Sittengemälde (was für eine archaische Bezeichnung) unserer gewinnorientierten, emotional und erotisch gestörten Zeit. Und parallel, zeitgleich dirigiert Kirill Petrenko ganz wunderbar die Partitur, Er ist Jude, was deutsche Zeitungen auffällig häufig bemerken, und wird, so höre ich, durch den, auf mich, deutschnational und sehr konservativ wirkenden Herrn Christian Thielemann allzubald von diesem Pult entfernt werden.


Ich höre/sehe eine Geschichte über Geschäfte. Walhalla wird gebaut ohne die notwendige finanzielle Sicherung und ob es nun Rheingold heißt oder Raubgold, es, das Gold, muß herbeigeschafft werden. Castorfs Methode des Unterlaufens von verlogenen übergroßen Emotionen war mir beim Zugucken/Zuhören sehr hilfreich. Heißt der Kerl Lehmann Brothers oder Wotan, was macht den Unterschied?
Nun ist es Nacht in Bayreuth, mein Bus fährt, laut Fahrplan, um 1.30 Uhr, und wird sich um 35 Minuten verspäten, sagt die freundliche Email von Flixbus. Ich sitze um 2.00 Uhr allein in der Goethestrasse, kein Bus, keine Auskunft, da überlastet, mein Ipad zeigt eine englische Krimiserie, es ist dunkel, es ist sehr einsam. Es ist eine Stunde nach der erwarteten Ankunftszeit - nichts - eine viertel Stunde später, noch bin ich nicht hysterisch - der Bus kommt - ich steige ein. Eine Stunde später wird eine sehr höfliche deutsche Polizei elf Passagiere aus dem Bus entfernen, sie haben keinen Pass, sie sind Flüchtlinge, sie sind verboten. Wird die Polizei so höflich bleiben, wenn keine Zuhörer da sind? Vier aus Syrien und die anderen aus Eritrea. Was für Not muß mich erdrücken, bevor ich mich und meine Kinder auf solch eine Reise begebe? 
 Wagner war verstörend, aber der Anblick von sehr müden Kindern um 3 Uhr nachts auf einer deutschen Tankstelle, die nicht wissen, wo sie schlafen werden, war verstörender. Ich hatte danach zwei freie Sitze zum Schlafen.

 

Mittwoch, 15. Juli 2015

Der Tod, Der Eine, und Die Kunst des Theaters - Howard Barker

Das Theater befindet sich am Ufer des Styx (auf der Seite der Lebenden). Die wirklich Toten auf der gegenüberliegenden Seite, flehend wiedererkannt zu werden. Ihre Münder klaffen ... Auf dem Fluß, zwischen den Lebenden und den Toten ist ein Boot. Auf diesem Boot sind die Figuren eines Stücks. Die Figuren sprechen die Worte der Toten zu den Lebenden.

Theatre is situated on the bank of the Styx (the side of the living). The actually dead cluster at the opposite side, begging to be recognized. What is it they have to tell? Their mouths gape ... On the river, in between the living and the dead, there is a boat. On this boat, there are the characters of a play. These characters are speaking the words of the dead to the living.

Howard Barker “Death, the One, and the Art of the Theatre”


Ein eigenartiger Text, nur ein Auszug, nicht immer meine Meinung, aber er hat eine! Eine starke, eine unerbittliche. Hat mich sehr an Jan Fabre und Mount Olympus denken lassen.

Tod, Der Eine, und Die Kunst des Theaters

Death, The One, and The Art of Theatre


excerpt
by Howard Barker


Nichts,
was über den Tod gesagt wird
von den Lebenden, kann vom Tod so erzählen,
wie er erfahren wird indem man stirbt. Nichts
was die Toten über den Tod wissen,
kann den Lebenden mitgeteilt werden.
Über diesen entsetzlichen Abgrund wirft die Tragödie eine zerbrechliche
Brücke der Vorstellungskraft.

Als das Theater aufgehört hat, den Tod zu seinem Subjekt zu machen, hat es seine Autorität über die menschliche Seele aufgegeben. Als es sich erlaubt hat, in weltliche Projekte von politischer Indoktrination und Sozialtherapie hineingezogen zu werden, hat es seine Macht abgegeben. Theater wird immer verleitet vom Idealismus seiner Macher. Immer verleumdet von den Sentimentalen. In der Theaterkunst bemitleiden wir den Idealisten, wie wir einen Mann mit einer tödlichen Krankheit bemitleiden würden. Dieses Mitleid ist sehr begrenzt. Während viele versucht haben Theater in Hospitäler umzubauen, halten wir unsere Bühne infektionsfrei.

Wir werden nicht voll Sünde geboren, wir werden voll vom Appetit darauf geboren.

Der Tod ist die Hauptbeschäftigung großer Kunst, auch dann, wenn er nicht ihr Thema ist.

Als die Nützlichkeitsdenker das Theater an sich gerissen haben, stand der Tod einfach im Foyer, geduldig wie ein Chauffeur.

Welche Aufgabe hat das Lachen in der Tragödie? Können wir von einer Aufgabe in der Tragödie sprechen. Lasst es uns anders sagen. Wie dient das Lachen der Erfahrung der Tragödie. Indem es uns in seinen verführerischen Akt einbezieht. Es ist das fallengelassene Taschentuch.

 
An den Schauspieler - versuche nicht trotz deiner Figur geliebt zu werden. Werde beneidet wegen deiner Rolle (die unerklärliche Anziehungskraft der Fakten . . .).


Die tragische Figur - die Verzweiflung der Psychoanalytiker . . . nichts wird unterdrückt . . . 

Das Problem ist nicht die Zuschauer kritisch zu machen (Kollektiver Seufzer inszenierter Empörung . . .) sondern gefährlich.

Zu sterben . . . tin die Dunkelheit zu gehen . . . wenn es Dunkelheit ist . . . zum Fluß zu gehen ... wenn es ein Fluß ist ... aber allein und ohne die Illusion der Liebe . . . nackt und schrecklich frei . . . das ist die Beschaffenheit des tragischen Helden . . .  

Nothing
said
about death by the living can possibly relate to death as it will
be experienced by the dying. Nothing
known
about death by the dead can be
communicated to the living. Over this appalling chasm tragedy throws a frail
bridge of imagination

Since theatre ceased to make death its subject it surrendered its authority
over the human soul. Since it allowed itself to be incorporated into mundane
projects of political indoctrination and social therapy it abdicated its power.
Always theatre is suborned by the idealism of its makers. Always it is traduced by the sentimental. In the art of theatre
we pity the idealist as one pities the
man with a fatal disease. This pity is strictly circumscribed. Whilst many have tried to make hospitals from theatres we keep our stage infection-free.

We are not born full of sin, we are born full of the appetite for it.

Death is the preoccupation of great art even where it is not the
subject of it.
When the utilitarians seized the theatre Death simply stood in the foyer, as patient as a chauffeur

What is the function of laughter in tragedy? Can we talk of a function in
tragedy? Let us put it another way. How does laughter serve the experience
of tragedy? By implicating us in its seductive process. It is a dropped
handkerchief.
To the actor – do not try to be loved despite your character. Be envied because of your character (the inexplicable attraction of the facts . . .). 
The tragic character – the despair of the psychoanalysts . . . nothing is repressed . . .
 
The problem is not to make the audience critical (the collective sigh of orchestrated dismay . . .) but hazardous . . .  
 
To die . . . to go into the darkness . . . if it is darkness . . . to go to the river...if it is a river...but alone and without the illusion of love . . . naked and disastrously free . . . this is the condition of the tragic character . . .

Dienstag, 14. Juli 2015

Kontraste - 36 Stunden Kultur

Die ganze Kunst zu gefallen, besteht darin, nie von sich selbst zu reden, und die anderen von sich selbst reden zu machen. Jeder weiß das, und alle Welt vergisst es.
Idées et sensations, 1866, mit Jules de Goncourt

Die schöne Helena: Operette in der Komischen Oper

Terminator: Genisys im Sonycenter: 3D im iMax

Richard III: inszeniert von Ostermeier auf Arte

Vielleicht, möglicherweise, unter Umständen, vermutlich habe ich wirklich einen Dachschaden. Ich habe Ferien, und tue was - gehe und gucke Theater.  "Jedes Thierchen will sein Pläsirchen." Und mein Pläsir, nicht mein einziges, Gott sei Dank, aber ein zeitaufwendiges, ist nun einmal das Theater. Diesesmal gab es ein besonders heftiges Kontrastprogramm, und zwischendurch war ich auch noch bei der Zahnprophylaxe.

Offenbach flirrte, hetzte, girrte und traf doch nicht. Zu viel. Zu viele Gags, zu viel lustiger Tanz, zu viel derbe Ironie, zu viel von Vielem. Barrie Kosky hat Kopf und Bauch voll phantastischer musikliebender Kreativität, aber diesesmal hat er zu wenige seiner Lieblinge gekillt, überbordend mag ich, aber dafür muß es halt ein Bord, eine Grenze geben, die übertreten wird.
Wenn die Liebe einbricht in eine Gesellschaft, in der, wie die Brüder Goncourt es beschrieben, man nur glücklich ist, wenn man schläft oder wenn man tanzt (Zitat aus der Kritik der Berliner Zeitung), dann muß sich an dem Punkt, wo wirkliche Leidenschaft auftaucht, doch etwas verändern, der irrlichternde Rausch bedroht durch das anarchistische Gefühl, warum sonst der Trojanische Krieg als Ergebnis dieser banalen "Affaire"? 10 Jahre Schlachten, weil zwei Leute sich verlieben.
Hier war vom ersten Moment an alles und alle so überdreht, dass kein Unterschied zu finden war zwischen vorher und nachher, zwischen ungehemmter Verdrängung und überraschender Liebe. Tolle Bilder, ein paar gute Witze, drei Ohrwürmer und doch blieb ein schaler Geschmack. Nichtsdetotrotz denke ich, dass Kosky momentan der wagemutigste Intendant der Stadt ist.

Terminator: Genisys - zwei Stunden Film als Folie für Schwarzeneggers One-liner. Das erste und für einige Zeit auch letzte Mal 3D im iMax: eine 19 Meter breite Leinwand und das Kino ist zu klein. Diese Technik muß noch besser werden. Unschärfen, angestrengte Augen und sobald die Schnitte schnell wurden, habe ich nur noch Lichter gesehen. Das Mädchen aus Game of Thrones, Emilia Clarke, sieht viel schöner aus mit dunklen Haaren. Im nächsten Terminator wird Matt Smith, der letzthin noch Doktor Who war, sicher der Hauptbösewicht. Es war Quark. Wenn man mit Zeitreisen spielt, muß man es schon ein bisschen intelligenter tun.

Richard III - Ian Mckellen ist immer noch der beste. Robert Beyer als Königin Margaret und Mörder war großartig. Lars Eidinger ist ein faszinierendes Phänomen, schlau, wach, talentiert, alles was man nur wünschen kann, und ich vergesse keine Minute lang, dass er das auch weiß und weiß, dass ich es weiß. Der Bösewicht ist ein ehrlicher Bösewicht, ok, aber, was er will, ist die Krone, und besiegt wird er von mittelmäßigen Politikern. Manche große Schauspieler können nicht verlieren, auch wenn der Text es verlangt, eine Crux.

Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns, vor uns liegen die Mühen der Ebenen. Bertolt Brecht


In der Provinz ist schon Regen eine Zerstreuung.
Idées et sensations, 1866, mit Edmond de Goncourt

Sonntag, 12. Juli 2015

Friedhöfe in Berlin - Liesenstrasse - Berlin Mitte


Die Friedhöfe an der Liesenstraße entstanden in den 1830er und 1840er Jahren, zu einem Zeitpunkt, als das Gelände am nördlichen Stadtrand Berlins lag. Als ältester Friedhof wurde ab 1830 der Domfriedhof I der Oberpfarr- und Domkirche genutzt. 1834 folgte der alte Domfriedhof der St.-Hedwigs-Gemeinde und ein Jahr später wurde der Friedhof der Französisch-Reformierten Gemeinde eingeweiht. Diese drei Friedhöfe liegen nebeneinander an der Südseite der Liesenstraße im Bezirk Mitte. WIKI

Ich bin in Berlin-Mitte aufgewachsen und habe nichts von diesem Ort gewusst. 
Man geht die Chausseestrasse Richtung Schwartzkopfstrasse entlang am monströsen BND Gelände vorbei, in die Wöhlertstrasse rechts abbiegen und durch einen balkonbehangenen Wohnblock mit Gartenanlagen gelangt man zum Hintereingang des Geländes - der ist nach 16.00 Uhr verschlossen, weil die Anwohner angeblich nächtens Parties zwischen den Gräbern gefeiert haben.

Drei Friedhöfe, ein evangelischer, ein katholischer und einer für Hugenotten, ineinander übergehend, auf einem riesigen parkähnlichen Gelände, durch das 1961 schnell und hart ein Teil der Mauer gebaut wurde, auf alten Gräbern, neue Gräber schaffend. Zwischen Mauerbau und Mauerfall kein neues Grab, der Friedhof durfte, da Grenzgebiet, nur mit Passierschein besucht werden.

Grabkarte für Angehörige zum Besuch vo Gräbern auf Friedhöfen im Grenzgebiet
Dieses Dokument wurde nur für Bewohner der DDR ausgestellt, die Verstorbene auf einem entsprechenden Friedhof hatten. Der Besuch eines Friedhofs im sowjetsektoralen Grenzgebiet (Ostberlin), aus touristischen, historischen oder sonstigen Gründen war untersagt.
 
Berlin im Jahre 1962 an der Berliner Mauer im Wedding
Friedhof Liesenstraße, auch er wurde einfach mit Planierraupen
platt gemacht. Neben dem Lichtmast ist die Hundelaufanlage. Dort wurden Hunde zum Überwachen angebunden. Sie konnten dann 150 Meter weit laufen.
 ©  Gerd Henschel  

Eine blassrote Stoffrose in der Hand, ein gläsernes Herz an der Brust, 
Kopf und Flügel aufgerissen, das Kleid grünspanfarben 
könnte Dali sie da hingestellt haben.


Viele französische Namen natürlich, auf dem katholischen Teil der Friedhofsanlage schlesische, russische (niederschlesische wie Barthel oder Hahnel und oberschlesische wie Grzeszkiewicz, Wosnik oder Kolodziejski) und hier und da ein einsamer Italiener. Der Domfriedhof bietet viele Krauses, und auch Anna Bier, ein schöner Name. 

 Fontanes Grab - ich wusste gar nicht, dass der Hugenotte war.

Theodor Fontane 

Prolog zur Feier des zweihundertjährigen Bestehens der Französischen Kolonie
 
Zweihundert Jahre, daß wir hier zu Land
Ein Obdach fanden, Freistatt für den Glauben,
Und Zuflucht vor Bedrängnis der Gewissen.
Ein hochmuther Fürst, so frei wie fromm,
Empfing uns hier, und wie der Fürst des Landes
Empfing uns auch sein Volk. Kein Neid ward wach,
Nicht Eifersucht, - man öffnete die Thür
Und hieß als Glaubensbrüder uns willkommen.
Land-Fremde waren wir, nicht Herzens-Fremde.
So ward die Freistatt bald zur Heimathstätte,
Drin schlugen Wurzel wir und was seitdem
Durch Gottes Rathschluß dieses Land erfahren,
Wir lebten's mit, sein Leid war unser Leid
Und was es freute war auch unsre Freude.
Wohl pflegten wir das Eigne, der Gemeinde
Gedeihn und Wachsthum blieb uns Herzenssache,
Doch nie vergaßen wir der Pflicht und Sorge,
Daß, was nur Theil war auch dem Ganzen diene.
Mit fleiß'ger Hand, in Allem wohlerfahren,
Was älterer Kultur und wärmrer Sonne
Daheim entsproß und einem reichren Lande -
So wirken wir. Und Gottes Segen krönte
Der Hugenotten redlich Mühn, daß reich
Und glücklich manch Geschlecht dahier erblühte
Als eine Zierde unsrer neuen Heimath.
Sy, Godet, Humbert, Mathieu, Bourgignon,
Roux, Jordan, Erman, Rousset, Michelet,
Sarre, Révir, Reclam, Naudé, Cabanis,
d'Heureuse, Plantier, Charton, Lancizolle -
Und hundert Andre, die ich nennen könnte
Gleich guten Klanges, ja berühmtere noch.
Verschieden all, in Einem aber einig:
Von Herzen treu dem Land, dem Fürstenhause,
Das, treu des Ahnherrn edelstem Vermächtnis,
Von Fürst zu Fürst uns gnädiglich beschütze -
Dem hocherhabenen Haus der Hohenzollern.
Doch nicht zu rühmen ist, was heut uns ziehmt,
Heut ziemt uns nur zu huldigen, zu danken,
Und dieser Dank, was lieh' ihm größ're Kraft
Und Inbrunst, als ein Rückblick auf das Leid, 
das unsre Väter aus der Heimath trieb. -
Erklinge denn Musik und führ' herauf,
Im Widerspiel zu dieser Stunde Glück,
Uns Bilder aus der Zeit der Hugenotten.


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