Weia! Waga!
Woge, du Welle,
walle zur Wiege!
Wagala weia!
Wallala, weiala weia!
Woge, du Welle,
walle zur Wiege!
Wagala weia!
Wallala, weiala weia!
Ein Tagesausflug
Freitagmorgen, sieben Uhr mit der S-Bahn zum ZOB, Zentralen Busbahnhof, natürlich mit Unterbrechung, nach Halensee geht es nur alle 20 Minuten, gut so, sonst würde ich gar nicht glauben können, dass ich mit der Berliner S-Bahn unterwegs bin. Dann meine erste Reise mit einem Überlandbus in Deutschland. Deutsche Bahn, du hast Konkurrenz, die ist genauso unzuverlässig wie du, nur billiger. Der Bus ist voll, der Bus ist heiß, das Wlan funktioniert nicht, aber der Bus kommt, zumindest auf der Hinreise, pünktlich in der Goethestrasse in Bayreuth an.
Bayreuth ist voll, Bayreuth ist heiß, Bayreuth ist außerordentlich häßlich, und im Besitz von ungewöhnlich vielen Eisdielen. Die westdeutsche Provinz ist der ostdeutschen in einigen augenfälligen Dingen erstaunlich ähnlich, da die Bauwut der 50er, 60er und 70er Jahre, hie wie da, eine große Menge abgrundtief unansehnlicher Gebäude hervorgebracht hat, die, auch hellgelb oder grasgrün verputzt, ihre lieblose, pragmatische und betonvernarrte Herkunft nicht verleugnen können. Fahrt mal nach Senftenberg oder Schwedt!
Aber nun Bayreuth. Noch haben die WAGNERFESTSPIELE nicht begonnen und die Stadt wirkt relativ normal. Hie und da ein lila WAGNERFIGÜRCHEN mit dem Bild eines berühmten WAGNERSÄNGERS und selbstverständlich eine Häufung WAGNERAFFINER Strassennamen, nicht anders als es Weimar mit GOETHE/SCHILLER treibt.
Um 17.00 Uhr bewege ich mich auf den heiligen Hügel zu, oben das Festspielhaus, hinauf führt eine begärtnerte Allee, direkt davor ein riesiges Blumenbeet, dass, wie ein Freund sagt, irritierend einem blumigen Davidstern ähnelt. Abbitte oder Fehlinterpretation? Das Publikum ist multinational und, da heute ja "nur" die Generalprobe des ersten Teiles der Tetralogie stattfinden wird, verwirrend bekleidet, zwischen Jeans und Abendrobe. Wobei die Roben, in Knallgelb, Glitzerblau und halterlosem Grasgrün mich ein bisschen an die Fensterdekorationen der zahlreichen Hochzeitsausstatter in Neukölln erinnert.
Das Haus selbst ist gerade im Zustand der Restauration, die Außenfassade ist eingekleidet, innen wirkt es verblüffend karg, viel Holz, griechische Säulen, minimale Ornamente. Es wurde in den Jahren 1872–75 von Otto Brückwald nach Entwürfen von Richard WAGNER im Stil der hellenistischen Romantik errichtet, sagt Wiki. Die Sitze sind das Unbequemste, was ich je die Ehre hatte zu besitzen. Ob WAGNER damit eine pädagogische Absicht verfolgte? Wenn mein Hintern schmerzt, bleibe ich wach und muß zuhören? Wer weiß. Auf jeden Fall mag ich es nicht. Aber die Akustik soll einmalig sein.
Aber, ein aber ohne wenn und aber: Der Herr war begeisterter Antisemit, ein wesentliches Detail, dass ich nicht in der Lage und nicht willens bin zu ignorieren. In seiner Broschüre Das Judenthum in der Musik
(1869) schrieb Richard WAGNER vom „natürlichen Widerwillen gegen jüdisches
Wesen“ und „Der Jude ist nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge dieser
Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht, und wird
solange herrschen, als das Geld die Macht bleibt, vor welcher alles
unser Thun und Treiben seine Kraft verliert“. An die Juden gerichtet,
schloss er mit den Worten: „Aber bedenkt, dass nur Eines eure Erlösung
von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers, – der Untergang!"
"Rheingold" ist kurz, nur zwei und eine halbe Stunde ohne Pause, genug für mich als Neuling. Die Musik ist herrlich, aber, aber was? Aber, nichts als ABER. Frank Castorf unterläuft das Pathos oder vermeidet den Konflikt, je nach Sichtperspektive, durch die konsequente Inszenierung seines eigenen Filmes - True Detektive, David Lynch, The Walking Dead und Whateverthefuck I have seen on tv or in the movies in den letzten zehn Jahren, konglomerieren zu einem Sittengemälde (was für eine archaische Bezeichnung) unserer gewinnorientierten, emotional und erotisch gestörten Zeit. Und parallel, zeitgleich dirigiert Kirill Petrenko ganz wunderbar die Partitur, Er ist Jude, was deutsche Zeitungen auffällig häufig bemerken, und wird, so höre ich, durch den, auf mich, deutschnational und sehr konservativ wirkenden Herrn Christian Thielemann allzubald von diesem Pult entfernt werden.
Ich höre/sehe eine Geschichte über Geschäfte. Walhalla wird gebaut ohne die notwendige finanzielle Sicherung und ob es nun Rheingold heißt oder Raubgold, es, das Gold, muß herbeigeschafft werden. Castorfs Methode des Unterlaufens von verlogenen übergroßen Emotionen war mir beim Zugucken/Zuhören sehr hilfreich. Heißt der Kerl Lehmann Brothers oder Wotan, was macht den Unterschied?
Nun ist es Nacht in Bayreuth, mein Bus fährt, laut Fahrplan, um 1.30 Uhr, und wird sich um 35 Minuten verspäten, sagt die freundliche Email von Flixbus. Ich sitze um 2.00 Uhr allein in der Goethestrasse, kein Bus, keine Auskunft, da überlastet, mein Ipad zeigt eine englische Krimiserie, es ist dunkel, es ist sehr einsam. Es ist eine Stunde nach der erwarteten Ankunftszeit - nichts - eine viertel Stunde später, noch bin ich nicht hysterisch - der Bus kommt - ich steige ein. Eine Stunde später wird eine sehr höfliche deutsche Polizei elf Passagiere aus dem Bus entfernen, sie haben keinen Pass, sie sind Flüchtlinge, sie sind verboten. Wird die Polizei so höflich bleiben, wenn keine Zuhörer da sind? Vier aus Syrien und die anderen aus Eritrea. Was für Not muß mich erdrücken, bevor ich mich und meine Kinder auf solch eine Reise begebe?
Wagner war verstörend, aber der Anblick von sehr müden Kindern um 3 Uhr nachts auf einer deutschen Tankstelle, die nicht wissen, wo sie schlafen werden, war verstörender. Ich hatte danach zwei freie Sitze zum Schlafen.
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