Mittwoch, 16. Juli 2014

Schwäbisch Hall - Holbeins Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen

 
Die Madonna 
des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen
oder prosaischer, die Darmstädter Madonna, 
da das Bild bis 2011 in Darmstadt beheimatet war.




Das Bild ist 1526 von Hans Holbein in Basel, als Auftragswerk des Basler 
Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen, gemalt worden. Es zeigt ihn, sowohl 
mit seiner bereits verstorbenen als auch seiner lebenden Frau sowie mit seiner 
Tochter, alle um Maria mit dem Kind gruppiert. Die Identität des jüngeren Mannes 
links ist ungeklärt. Ich glaube Jakob hat gern getrunken, solch rote Bäckchen 
und auch die Nase hat man nicht umsonst.





AN DIE MADONNA

Viel hab’ ich dein
Und deines Sohnes wegen
Gelitten, o Madonna,
Seit ich gehöret von ihm
  In süßer Jugend;
Denn nicht der Seher allein,
Es stehen unter einem Schiksaal
Die Dienenden auch. Denn weil ich
Und manchen Gesang, den ich
Dem höchsten zu singen, dem Vater
Gesonnen war, den hat
Mir weggezehret die Schwermuth.

Doch Himmlische, doch will ich
Dich feiern und nicht soll einer
Der Rede Schönheit mir
Die heimatliche, vorwerfen,
Dieweil ich allein
Zum Felde gehe, wo wild
Die Lilie wächst, furchtlos,
Zum unzugänglichen,
Uralten Gewölbe
Des Waldes,
das Abendland,

und gewaltet über
Den Menschen hat, statt anderer Gottheit sie
Die allvergessende Liebe. 

Friedrich Hölderlin
(Entwurf zu einer Hymne)




Sonntag, 13. Juli 2014

HAMLET 4 - Viele Monologe


Warum werden Monologe gehalten? 
Wieso gehalten
Sie werden weggegeben, oder?
Warum werden Monologe weggegeben?

Aus der Position des Monologisierenden gesehen:
Um sich beim Zuschauenden einzuschmeicheln. Um sich ihm verständlich zu machen. Um sich selbst zu verstehen indem man noch unverstandene Gedanken ausformuliert. Um etwas sagen zu können, das man sonst niemandem sagen kann, sei es, weil es unzumutbar und gefährlich wäre. Oder weil man selbst noch nicht versteht, was da in einem denkt, oder weil man den Überdruck der eigenen rasenden Gedanken nicht länger aushält. 

Im Musical, in der Oper wird in diesem Moment begonnen zu singen. Im Drama, in der Tragödie wird geredet. 
Schöne Worte, viele Worte. Manche sind wahr, andere übertünchen die Wahrheit, andere fuhrwerken in der Wahrheit herum und enden dann, unerwartet beim Eigentlichen. Lüge, Selbstbetrug, Irrtum - alles kommt vor.

HAMLET.
Unser Held, tut wenig und redet viel, meist über den Tod. Über die Angst vor dem Tod, die Verführungskraft des Todes, den Tod des Vaters, den erträumten Tod des Mörders des Vaters. 
Und dann tötet er selbst, im Affekt, und eine der irrwitzigsten & glaubhaftesten Szenen der dramatischen Literatur folgt auf diesen Mord.

Hamlets Onkel, der Vatermörder betet, gesteht seine Tat und, und das ist warum Shakespeare der Größte ist, und er sagt, dass er nicht bereuen kann, weil er all das, was er durch das Verbrechen gewonnen hat, nicht verlieren will.
 
Zu sehn, was Reue kann. Was kann sie nicht?
Was aber kann sie, kann man nicht bereun?
 


Gewöhnlicherweise betet der König allein und Hamlet belauscht ihn, aber als ich in Heiner Müllers Hamlet, die beiden nebeneinander sitzen sah, machte Claudius Beichte plötzlich viel mehr Sinn. Da erleichterte nicht nur ein Täter seine Seele, sondern es war Kalkül dahinter, "preemptive strike" nennen es die Amerikaner, wir würden Präventivattacke dazu sagen.

Wir leben in einer Welt, in der wir fast alles wissen. Wer wen umbringt. Was er dafür an Gründen vorbringt. Was das Opfer, oder zumindest seine Verwandten, dazu sagen. Pro. Contra. Wir wissen. Aber macht uns das stärker, hilfreicher, entschiedener?
Nein.

Claudius denkt politisch. Hamlet moralisch. Das eine funktioniert. Das andrer mag sympathischer sein, aber es hilft nicht. Fortinbras gewinnt.

Facebook, Twitter, Blogs - ein Unzahl von Monologen, die auf uns einstürmen. Was tuen wir? Wir monologisieren.

Wiki schreibt:
Hilfe im Sinne der Hilfsbereitschaft ist ein Teil der Kooperation in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie dient dazu, einen erkannten Mangel oder eine änderungswürdige Situation zu verbessern. Der Hilfe geht entweder eine Bitte des Hilfebedürftigen oder eine von ihm unabhängige Entscheidung durch Hilfsbereite voraus.



MONOLOG DES VERRÜCKTEN MASTODONS

Zépke! Zépke!
Mekkimápsi – muschibróps.
Okosôni! Mamimûne …….
Epakróllu róndima sêka, inti …. windi …. nakki; pakki salône hepperéppe – hepperéppe!!
Lakku – Zakku – Wakku – Quakku — muschibróps.
Mamimûne – lesebesebîmbera – roxróx – roxróx!!!
———————————————-
Quilliwaûke?
Lesebesebîmbera – surû – huhû

Paul Scheerbart 1902

Freitag, 11. Juli 2014

Kühl bis ans Herz hinan



Kühl. 
Kühl oft verstanden als nüchtern, unbeteiligt, distanziert,
selten als vorsichtig, zurückhaltend oder sogar erquickend
Kühl, ein schöner Klang und in mancher Situation eine hilfreiche Haltung.

KÜHL BIS ANS HERZ HINAN 
DER FISCHER

 Liebermann Der Fischer 1926

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Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
»Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Tau?«

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn;
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.
HALB ZOG SIE IHN, HALB SANK ER HIN
Johann Wolfgang von Goethe 1779  



Durchs hohe Laubdach der Schatten, das streifende Lüfte bewegen,
worunter ein sichtbares Kühl in grünen Wogen sich wälzet.  

Heinrich von Kleist

Mittwoch, 9. Juli 2014

Krakeleien in der Heiligen Messe



   Eine Heilige Messe irgendwann im Zwölften Jahrhundert - 
   es dauert, lang, sehr lang.
   Der Besitzer des Messbuches, also ein reicher Mann, 
   langweilt sich und krakelt herum.

Messbuch, 12. Jahrhundert
Paris, Bibliothèque Sainte-Geneviève, MS 95 


Der Aufbau der sonntäglichen Messfeier

Eröffnung
    Einzug − Gesang
    Kreuzzeichen
    Liturgischer Gruß, ggf. Einführung
    Allgemeines Schuldbekenntnis oder Taufgedächtnis
    Kyrie
    Gloria
    Tagesgebet


Wortgottesdienst („Liturgie des Wortes“)
    Erste Lesung
    Antwortpsalm
    Zweite Lesung
    Ruf vor dem Evangelium
    Evangelium
    Homilie (Predigt)
    Glaubensbekenntnis
    Fürbitten

 
Eucharistiefeier („Eucharistische Liturgie“)
Gabenbereitung
     Bereitung des Altares
     Gabenprozession
     Gabengebet
Eucharistisches Hochgebet, darin
     Präfation mit Sanctus
     Anamnese mit Einsetzungsbericht, Wandlung und Akklamation
     Epiklese und Doxologie
Kommunion
     Gebet des Herrn (Vaterunser)
     Friedensgruß
     Brechung des Brotes mit Agnus dei
     Kommunionspendung
     Stille und Dankgesang
     Schlussgebet
Abschluss
     ggf. Mitteilungen
     Segen
     Entlassungsruf
     Auszug 


     Quelle: Wikipedia
  
     Wiki sagt auch: 
     Messe leitet sich von der Entlassung der lateinischen Liturgie Ite, missa est!,
     Gehet hin in Frieden, wörtlich Geht hin, es ist die Aussendung! ab.


Herr Neuer ist ein großartiger Torwart und ich nicht.

Fußball ist eine Ballsportart, bei der zwei Mannschaften mit dem Ziel gegeneinander antreten, mehr Tore als der Gegner zu erzielen und so das Spiel zu gewinnen. (Wiki)
Konkreter kann man es nicht formulieren.

Mein Heimweg von der Probe durch Schwäbisch Hall, heute zwischen 22.20 und 22.45, im Abstand von ungefähr 5 Minuten Schreie, als hätte ganz Schwaben multiple Orgasmen.

Aber nein, es handelt sich leider nicht um erotisch motiviertes Freudenstöhnen, bzw. viele beglückt und schweratmend ausgestoßene "Jetztele!", vermutlich kommt es heute Abend sogar zu weit weniger sexuellen Zusammentreffen als gewöhnlich, da ein überwiegender Teil der Bewohner vor den überall altarartig aufgebauten Fernsehern sitzt, mit angespanntem Oberkörper, verkrampften Fäusten und nun, nach dem 7:0 beseligt, fassungslosem Gesicht. "WIR" haben gesiegt. WIR. Wer ist WIR? Um Otto Wallkes zu zitieren: ist es das WIR aus WIRtschaft? Oder das WIR aus VerWIRrrt? Oder das aus WIRtuell? Welchen Anteil, haben WIR am hochgezüchteten Können von 11 überbezahlten Profi- Sportlern? WIR haben gewonnen? WIR? 
Ich nicht.
WIR ist Deutschland? Als Ganzes? WIR über alles? WIR alle über alles?
Nö.

Wenn ein deutscher Chirurg ein Herz verpflanzt, haben nicht WIR einen Menschen gerettet. Wenn Heinrich von Kleist die deutsche  Sprache verzaubert, haben nicht WIR Wörter neu gedacht. Wenn Herr Neuer großartig Bälle hält, sollten WIR ihm gratulieren, aber nicht denken, dass WIR dadurch Anteil hatten. WIR. Wer ist dieses WIR? Ich will mein WIR sehr genau und eigenwillig definieren. Ich bin nicht jedermanns WIR.

Zugegebenermaßen interessiert mich Fußball nicht die Bohne, Zugegebenermaßen erwecken ganz andere Dinge in mir solch archaische Gefühle, Sex, Theater. 
Zugegebenermaßen gönne ich Leuten Vergnügen, auch wenn ich sie nicht teilen kann. Meine Nichte reitet gerne, ich fürchte mich vor Pferden. Eine Freundin hat jede Madonnaveröffentlichung verschlungen, ich höre nur deren dünne Stimme. Mein Ex konnte sich hochkonzentriert 12 Stunden das Empire State Building als Stummfilm in schwarz/weiß aufgenommen von Andy Warhol ansehen, ich schlief nach zehn Minuten tief und fest. Was macht's, ich selbst liebe Serienmörderthriller. To each his own, was doch besser klingt, als das historisch versaute: Jedem das Seine. 
Aber. Aber ich bin heute Abend nicht gerannt, habe nicht geschwitzt, kein Tor geschossen. Das ist Fakt. Ich habe nicht gewonnen.

Jetzt ist Autocorso in Schwäbisch Hall. Nach dem Viertelfinale dauerte es eine Stunde. Aber heute ist es schon spät, alle wollen nach Hause. Sie hupen auf eiliger Heimfahrt.

Ines Geipel im DeutschlandRadio Kultur am 8.7.2014

Regel 12: Verbotenes Spiel

Fußball-Weltmeisterschaften in Brasilien mit dem ersehnten Halbfinale der Deutschen heute gegen die Selecao. Und ganz Deutschland spielt mit. Auch wenn mittlerweile allen klar ist: Wir sind in einem völlig neuen Spiel. Der Gegner – und das ist neu – wird nicht mehr einfach gestoppt, sondern wenn möglich vorsätzlich ausgeschaltet. Eine angefressene Schulter, ein gebrochener Rücken, Schläge gegen die Halsschlagader, vor allem Tritte gegen den Fuß, zu Matsch geschlagene Köpfe. Ein Knie von hinten und dann mit voller Wucht rein in den Körper des Gegners. Das ist nicht nur Männlichkeitssymbolik - der brasilianische Superstar Neymar hätte im Viertelfinale gegen Kolumbien genauso gut gelähmt sein können. Sein Trainer sagte gegenüber der spanischen Zeitung Marca: „Marcelo hat sich nach dem Foul neben Neymar auf den Boden gekniet und ihn gefragt, wie es ihm geht. Daraufhin hat Neymar gesagt: „Ich kann meine Beine nicht fühlen.““ Ex-Profi Mehmet Scholl brachte es nach diesem groben Foul auf den Punkt und schimpfte unmittelbar nach dem Spiel in der ARD: „Spielertypen wie Mesut Özil und Neymar werden bei der WM gejagt, verfolgt und gedemütigt.“

Regel 12 im Fußball legt fest: „Ein Spieler, der im Kampf um den Ball von vorne, von der Seite oder von hinten mit einem oder beiden Beinen in einen Gegenspieler hineinspringt und durch übertriebene Härte die Gesundheit des Gegners gefährdet, begeht ein grobes Foul. Grobe Fouls werden mit einem Platzverweis geahndet.“ Platzverweis gegen Juan Zuniga, den kolumbianischen Brutalo, aber gab es keinen, nicht mal eine gelbe Karte. Der Schiedsrichter wollte Vorteil gesehen haben. Neymar wurde auf der Trage vom Feld getragen. Das Spiel lief weiter.

Und das soll es, der globale Hype soll weiterlaufen, auf keinen Fall innehalten, das Geschäft hat zu stimmen. Wozu sonst schließt die FIFA Versicherungen ab, die die Betroffenen und deren Arbeitgeber in Unfällen wie diesen auszahlt? Wozu sonst pfeifen die Referees so brüsk wider die Regel? Bei 54 Fouls im Spiel Brasilien gegen Kolumbien wurden lediglich vier geahndet. Ein WM-Rekord. Wobei 31 Fouls – das ist im Vorfeld des heutigen Halbfinales, das der mexikanische Schiedsrichter Rodriguez pfeift, derselbe, der den Schulterbiss von Suarez übersehen hatte, doch noch einmal festzuhalten - auf die Kappe von Brasilien gingen. Und zum Dritten: Wozu sonst finden die Dopingkontrollen während des Turniers unter der alleinigen Hoheit der FIFA, genauer des FIFA-Arztes Jiri Dvorak, statt? Sie lässt die Proben veranlassen, durchführen, untersuchen und behält sich zu guter Letzt vor, die Ergebnisse zu veröffentlichen. Fußball sei autonom, heißt es in solchen Fragen dann immer. Was nötig ist, würde intern geregelt. Das ist so, als wenn der Spieler sich selbst auf die Hand pinkeln würde, um mal ein deutlicheres Bild zu bemühen.

Die Weltmeisterschaft in Brasilien weist sich bislang vor allem als eine permanente Übertretung des Reglements aus. Eine neue Kultur des Fouls oder laut Regel 12 auch des Verbotenen Spiels. Fußballer aber sind Meister der Körperbeherrschung, Jongleure, Tänzer mit dem Ball. „Das erste Gesetz des guten Tons ist: Schone fremde Freiheit“, heißt es bei Schiller über den Tanz. Von der geschonten Freiheit des anderen aber ist in diesem brutalisierten Turnier kaum noch was zu sehen. Wer schont, muss um sein Rückgrat bangen. Brutalos gehen vor Stilisten, HGH-Gesichter – oder auch Spieler, bei denen Wachstumshormone alles Fett aus dem Körper gezogen haben - vor Wadenlose. Die neue Kultur des Fouls wird insofern von einer neuen Physis auf dem Platz gespielt, von fettlosen Modellathleten, merkwürdigen Kampfmaschinen, die ab der 60. Minute immer schneller werden, so schnell, dass man dem Ball kaum mehr folgen kann. Das war mal deutlich anders. Modellathleten waren frühere Fußballer eher selten. Sie hatten immer die sympathischeren Körper. Diesen Typus gibt es praktisch nicht mehr. Jetzt dominieren die markant Fettlosen mit stieren Blicken, die Entfesselten, die das Spiel so ungemein gefährlich machen.

Keine Regeln im Spiel, keine in Sachen Doping, keine bei den Ticketverkäufen, keine, was Arbeits- oder Menschenrechte in Brasilien selber angeht. Der Megakonzern FIFA hat ein globales Superspiel entwickelt, das etwas Gespenstisches hat. Zuallererst auf dem Feld, aber auch in seiner kalkulierten und gesteuerten Entgrenzung. Nicht weniger gespenstisch ist, dass immer mehr Fans zu diesem gigantischen Foul-Spiel gehören wollen und dabei so unheimlich glücklich wirken.

Samstag, 5. Juli 2014

Theater hat auch einen magischen Tanz


Hasenfuss und Hühnerei. 
Zaubergeister, fliegt herbei!

           Vor vielen Jahren, noch am Deutschen Theater, filmte eine Fernseh-Crew Teile 
           einer Hauptprobe für einen Vorbericht, der Redakteur bemerkte meine Art der 
           Teilnahme am Bühnengeschehen und lenkte die Kamera, von mir unbemerkt, weg
           von der Bühne in Richtung Regietisch - so habe ich in der Berliner Abendschau   
           das erste Mal sehen dürfen, was ich, ohne mir dessen bewußt zu sein, mit Körper,   
           Mimik und Atmung veranstalte, während die Schauspieler die eigentliche Arbeit tun. 
           Es war kein schöner Anblick.


           Auf dem Bild ist die Spitting Image -Version von Margaret Thatcher
           zu sehen, aber bis auf die Frisur, gibt es doch leider eine gewisse Ähnlichkeit
           mit mir während einer gewöhnlichen Probe.

Donnawetta!
Uff de Bretta looft 'n Kata - is Theata.
Kommt 'ne Maus - Spiel is aus.

           Bei einer meiner ersten Produktionen versuchte mein Zwerchfell, für fünf
           Personen, also alle auf der Bühne agierenden Spieler, mitzuatmen, ihre
           Atemipulse sozusagen durch Telekinesis zu beeinflussen, was nach kurzer Zeit zur
           Fastohnmacht durch Hyperventilation führte. Kopf schlägt auf Vordersitz,
           Beule bildet sich auf Stirn, Würde des Jungregisseurs erleidet Einbuße.
           Ein anderes Mal habe ich einer Regieassistentin, die hilfreich und unschuldig mit 
           Papier und Stift neben mir saß, so oft in den Oberschenkel gekniffen, dass ein
           gigantischer blauer Fleck entstand. Sie hat es mit Größe ertragen. Warum mein 
           Körper meinte, dass die Mißhandlung meiner Mitarbeiterin dem Bühnengeschehen
           zuträglich wäre, weiß ich nicht. 
           Ich hechle, stöhne, rucke, zucke, springe auf, wechsle den Sitz, grimassiere,
           murmele Texte und Untertexte mit und verhalte mich alles in allem, wie jemand 
           mit einer schweren Form von Theater-Tourette. Leider macht dies mir auch
           unmöglich, die eigenen Premieren anzuschauen.
           Mittlerweile bin ich weniger gewalttätig oder ich setze mich zumindest weiter 
           weg, aber mein Unterbewußtsein, oder der innere Spielteufel oder das was in 
           mir die Theatergötter beschwört, zwingt mich noch immer zum Hexentanz. 
           Etwas archaisches in mir versucht Kraft, Hitze, Liebe, Wut gen Bühne zu schicken,
           um zu helfen oder um nicht ausgeschlossen zu sein vom Spiel. Regisseur
           ist ein einsames Handwerk und vielleicht sucht mein Körper die wärmende
           Gemeinschaft des Spiels, oder er will die Kontrolle, wenn es auch nur eine 
           eingebildete ist, nicht abgeben. Wer weiß. 
           Ich weiß nur: nach Durchläufen verlasse ich die Probe durchgeschwitzt und 
           wie durchgeschüttelt, obwohl ich doch nur zugeschaut habe.
           Utzt, der großartige ehemalige Chefmaskenbildner des DT hat mich oft gewarnt,
           dass übermäßiges Grimassieren zu früher heftiger Faltenbildung führt, recht
           hatte er, aber der Tag, an dem ich einem Schauspiel in entspannter, cooler
           Distanz folgen kann, ist der Tag, an dem ich mir einen anderen Beruf suchen werde.
          
Hokuspokus Fidibus,
drei Mal schwarzer Kater!


Mittwoch, 2. Juli 2014

Die Anatomische Venus



CLEMENTE SUSINI & Werkstatt


Anatomische Venus 1782
© Saulo Bambi



Man beachte das winzige Embryo!

Clemente Susinis "Anatomische Venus" wurde um das Jahr 1790 herum erschaffen. Sie war für den Gebrauch im Anatomieunterricht gedacht, den Studierenden das Blut, Fleisch und andrer Flüssigfeste einer realen Sektion ersparend und etwaige moralische Einwände gegen solchen Gebrauch eines menschlichen Körpers umgehend und sie war, ohne zu verwesen, wieder und wieder gebrauchbar.
Heute liegt sie mit Glasaugen, Schmuck und Naturhaarperrücke in elegischer, hingebungvoller Pose in ihrem originalen Behältnis aus Rosenholz und venezianischem Glas im Museum für Zoologie & Naturgeschichte La Specola in Florenz. 
Es gibt solche "Auseinandernehmbaren Venusse" natürlich auch in anderen europäischen Museen.

http://morbidanatomy.blogspot.de/2013/01/ode-to-anatomical-venus-womens-studies.html 

Leider habe ich keine Informationen zu diesem Kopf gefunden, aber ist so schön, 
dass ich ihn denoch nicht weglassen wollte.

Orpheus. Eurydike. Hermes
 ...

Sie aber ging an jenes Gottes Hand,
den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
unsicher, sanft und ohne Ungeduld.
Sie war in sich, wie Eine hoher Hoffnung,
und dachte nicht des Mannes, der voranging,
und nicht des Weges, der ins Leben aufstieg.

Sie war in sich. Und ihr Gestorbensein
erfüllte sie wie Fülle.
Wie eine Frucht von Süßigkeit und Dunkel,
so war sie voll von ihrem großen Tode,
der also neu war, daß sie nichts begriff.

Sie war in einem neuen Mädchentum
und unberührbar; ihr Geschlecht war zu
wie eine junge Blume gegen Abend,
und ihre Hände waren der Vermählung
so sehr entwöhnt, daß selbst des leichten Gottes
unendlich leise, leitende Berührung
sie kränkte wie zu sehr Vertraulichkeit.

Sie war schon nicht mehr diese blonde Frau,
die in des Dichters Liedern manchmal anklang,
nicht mehr des breiten Bettes Duft und Eiland
und jenes Mannes Eigentum nicht mehr.
Sie war schon aufgelöst wie langes Haar
und hingegeben wie gefallner Regen
und ausgeteilt wie hundertfacher Vorrat.

Sie war schon Wurzel.
Und als plötzlich jäh
der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf
die Worte sprach: Er hat sich umgewendet -,
begriff sie nichts und sagte leise: Wer?

Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang,
stand irgend jemand, dessen Angesicht
nicht zu erkennen war. Er stand und sah,
wie auf dem Streifen eines Wiesenpfades
mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft
sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,
die schon zurückging dieses selben Weges,
den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
unsicher, sanft und ohne Ungeduld. 
Rainer Maria Rilke 
Neue Gedichte 1907

"Die Zerschnittene oder Zerfetzte Schönheit"
wahrscheinlich auch aus der Wrkstatt des C. Susini


"... anatomischen Darstellungen von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert... waren nicht nur Lehrvorlagen für Ärzte, sondern Aussagen über die Natur des von Gott erschaffenen Menschen innerhalb der gesamten Schöpfung... Sie sprechen über die Natur von Leben und Tod..."  

Martin Kemp and Marina Wallace,
Spectacular Bodies

Montag, 30. Juni 2014

HAMLET 3 - Ein Rausch

    
    Hamlet, schon bloße Aussprechen des Titels flößt eine gewisse lähmende Ehrfurcht aus,
    bei mir allerdings eine von der nörgeligen Art.

    Hamlet & Faust, das waren lange Zeit für mich hauptsächlich Selbstdarstellungs-
    gelegenheiten für midlife-Krisen geschüttelte deutsche Groß- und Mittelregisseure. 
    Die Konzepte ähnelten sich trotz unterschiedlichster Ästhetik: Hamlet oder Faust, das 
    waren sie selbst, verkannt, einsam, unverstanden, weit tiefer/größer/verzweifelter
    als es ihre Umwelt begreifen und ertragen konnte. So waren die Abende meist zu lang, 
    zu gemächlich, Ophelia bzw. Gretchen erotisch dekorative Traummädchen mit nur 
    unwesentlicher Bedeutung für das Schicksal des Protagonisten, und der Blick auf ihn 
    von tiefem Einverständnis geprägt. Wenn wir für den Hamlet noch die ganz und gar 
    deutsche Romantisierung und Entpolitisierung durch August Wilhelm Schlegels 
    wunderbare Übersetzung addieren...
    Also Hamlet, vor einigen Jahren in Rostock noch die Geschichte einer ehrgeizigen, und 
    doch ziellosen Generation, die ungeduldig und ohnmächtig auf das Abtreten der Alten 
    wartet, nun auf einer riesigen grauen Treppe, bemoost und uneben, 52 Stufen, die zu 
    einem Mischmasch-Dom von harscher Schönheit führen. Und, ja, und dies in 
    viereinhalb Wochen, zerhackt von anderen Verpflichtungen der Darsteller und den 
    Unwägbarkeiten des mitteleuropäischen Sommers.



Sankt Michael im Sonnenschein

   Hybris? Ja.
   Ein Abenteuer? Ja.
   Machbar? Keine Ahnung.
   Aber. Aber ich habe eine Fassung, die schlank und hart an der Geschichte bleibt, die 
   spröde Übersetzung des Vormärzdichters Georg Herwegh und eine Gruppe Spieler von 
   geradezu unglaublicher Bereitschaft und dem nötigen fröhlichen Übermut, sich auf ein 
   so waghalsiges Unternehmen einzulassen. Es ist ein Rausch. Acht, zehn oder mehr 
   Stunden täglich, wer weiß noch, welcher Wochentag es sein mag. 
   Aber. Aber wir erzählen eine Geschichte über die Nähe von persönlichster Verletzung 
   und politischer Ambition,  darüber, wie sich wundes Gefühl und kalte Berechnung  
   überlagern und vermischen, so dass sie nahezu ununterscheidbar werden und über die 
   brutale Gewalt, die solche Hybride hervorbringen können. 
   Ein Rausch.

Samstag, 28. Juni 2014

Roger Mayne - Eine Strasse in London 1957



St. Stephens Gardens, London W2
1957

 Roger Mayne

Mädchen auf den Stufen
1957

Es war einmal ein arm Kind und hat kei Vater und kein Mutter war Alles tot und war Niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es ist hingangen und hat gerrt Tag und Nacht. Und wie auf der Erd Niemand mehr war, wollt’s in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an und wie’s endlich zum Mond kam, war’s ein Stück faul Holz und da ist es zur Sonn gangen und wie’s zur Sonn kam, war’s ein verwelkt Sonneblum und wie’s zu den Sterne kam, warn’s klei golde Mücke, die warn angesteckt wie der Neuntöter sie auf die Schlehe steckt und wie’s wieder auf die Erd wollt, war die Erd ein umgestürzter Hafen und war ganz allein und da hat sich’s hingesetzt und gerrt und da sitzt’ es noch und ist ganz allein.

Aus: Georg Büchner, Woyzeck, Fragment, 1836/37


 Mädchen auf den Stufen
1957

Nun ging es immerzu, weit weit, bis an der Welt Ende. Da kam es zur Sonne, aber die war zu heiss und fürchterlich, und frass die kleinen Kinder. Eilig lief es weg und lief hin zu dem Mond, aber der war gar zu kalt und auch grausig und bös, und als er das Kind merkte, sprach er: "Ich rieche Menschenfleisch".

Aus: Gebrüder Grimm, Die Sieben Raben


 Schwertkämpfer
1957

Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, dass es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr hatte, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte.

Aus: Gebrüder Grimm, Sterntaler

Rauchende Jungs
1956


Mädchen, dass gerade einen Handstand machen will
1957

There was a little girl,
Who had a little curl,
Right in the middle of her forehead.
When she was good,
She was very good indeed,
But when she was bad she was horrid.
 
Henry Wadsworth Longfellow


Alle Photographien © Roger Mayne


Mittwoch, 25. Juni 2014

Schwäbisch Hall, wie es lacht.


Der Tod lächelt uns alle an, 
das Einzige was man machen kann, ist zurücklächeln!
Marc Aurel





Schaufensterpuppen, gesehen in einem Sportgeschäft in Schwäbisch Hall, 
photographiert von mir.