1787 Johann Heinrich Wilhelm Tischbein Goethe in der Campagna |
Sonntag, 16. Oktober 2011
Goethes zwei linke Füsse
Vaterlandsverräter
Gratzik, Paul * 30.11.1935
Biographie Angaben aus „Wer war wer in der DDR?“ (Christoph Links Verlag):Geboren in Lindenhof (Krs. Lötzen, Ostpr./Lipowy Dwor, Polen); Vater Landarbeiter; Volksschule; 1952 – 54 Ausbildung zum Tischler; arbeitete als Bauarbeiter im Ruhrgebiet, in Berlin u. Weimar; danach im Braunkohletagebau in Schlabendorf; 1962 Funktionär der FDJ-Kreisleitung Weimar, Sektorenleiter im Jugenklubhaus »Walter Ulbricht«; 1962 – 81 als IM »Peter« für das MfS erfaßt, 82 Beendigung der IM-Tätigkeit durch Verweigerung weiterer Zusammenarbeit; 1963 – 68 Studium am IfL in Weimar; 1968 Aufnahme zum Studium am Literatur-Institut »Johannes R. Becher« in Leipzig, wurde jedoch nach kurzer Zeit relegiert; Arbeit als Erzieher; ab 1971 freischaffend; Mitglied des Schriftsteller Verbandes; seit 1974 neben schriftsteller. Arbeit auch Teilzeitarbeit im VEB Transformatoren- u. Röntgenwerk in Dresden; seit 1977 in Berlin; Autor am Berliner Ensemble; 1980 Heinrich-Heine-Preis; 1984 – 89 in der OPK (Operative Personenkontrolle) »Kutte« vom MfS erfaßt
Debütierte als Dramatiker (»Umwege. Bilder aus dem Leben des jungen Motorenschlossers Michael Runna« UA 1970); Grundlage seiner literarischen Arbeiten ist eigenes Erleben der realsozialistischen Arbeitswelt; kam mit seinem ungeschminkten Realismus – auch mit Berichten aus gesellschaftlihen Tabuzonen (Jugendwerkhof) – in Konflikte mit der Zensur.
1997 Uraufführung von G.s Bühnenbearbeitung der »Litauschen Claviere« (Johannes Bobrowski) in Berlin.
itworksmedien ("Flake", "Die Fotografin Sybille Bergemann") hatte heute offizielle Berlin-Premiere, mit ihrem schon bei den Berliner Filmfestspielen gezeigten Dokumentar-Film "Landesverräter", in Anwesenheit des Teams und des Mannes, um den es sich handelt, Paul Gratzik.
Harter Tobak. Ich habe vor Unwohlsein geschwitzt, nicht wegen des Filmes, aber ob der abrupt wechselnden Selbstsicht und Selbstdarstellung des Titel-"Helden". Dieses körperliche Gefühl, schwankend zwischen Fassungslosigkeit, Abwehr, Zorn und Trauer wurde dann ganz und gar beherrschend, als Gratzik anschließend zu dem Film sprach und scheinbar alle empfundenen Zweifel und alle Selbstverdammung bei Seite schob, einen gedanklichen Salto vollzog und, wie er sagte, "angesichts der uns bevorstehenden viel schlimmeren Katastrophen", die Notwendigkeit der Stasi-Arbeit lobpreiste. Grauenhaft. Da wurde Unrecht gegeneinander aufgewogen und das eigene plötzlich als leicht empfunden. Da wurde der gute alte Imperialismus zur Selbstentschuldigung benutzt. Und sogar der eigentlich erstaunliche Punkt, dass er nämlich 1982 bei der Stasi "gekündigt" und sich den bespitzelten Freunden offenbart hatte, um dann selbst zum observierten Objekt zu werden, wieder in Frage gestellt.
Ein nötiger Film über das Land in dem ich aufgewachsen bin, und das sich im medialen Durcheinander und der revisionistischen Sentimentalität vieler seiner ehemaligen Bewohner immer mehr zu verharmlosen scheint.
Es wäre noch viel zu sagen, aber dazu brauche ich Denkzeit.
Der Film läuft jetzt in mehreren Berliner Kinos an.
http://itworksmedien.com/films/vaterlandsverrater/
Oscar Wilde geboren am 16. Oktober 1854
Joan Miro The Nightingale's Song at Midnight and the Morning Rain
Oscar Wilde: Die Nachtigall und die Rose
"Sie sagte, sie würde mit mir tanzen, wenn ich ihr rote Rosen brächte", rief der junge Student, "aber in meinem ganzen Garten ist keine rote Rose." In ihrem Nest auf dem Eichbaum hörte ihn die Nachtigall, guckte durch das Laub und wunderte sich.
"Keine rote Rose in meinem ganzen Garten!" rief er, und seine schönen Augen waren voll Tränen. "Ach, an was für kleinen Dingen das Glück hängt. Alles habe ich gelesen, was weise Männer geschrieben haben, alle Geheimnisse der Philosophie sind mein, und wegen einer roten Rose ist mein Leben unglücklich und elend."
"Das ist endlich einmal ein treuer Liebhaber," sagte die Nachtigall. "Nacht für Nacht habe ich von ihm gesungen, obgleich ich ihn nicht kannte. Nacht für Nacht habe ich seine Geschichte den Sternen erzählt, und nun seh ich ihn. Sein Haar ist dunkel wie die Hyazinthe, und sein Mund ist rot wie die Rose seiner Sehnsucht. Aber Leidenschaft hat sein Gesicht bleich wie Elfenbein gemacht, und der Kummer hat ihm sein Siegel auf die Stirn gedrückt."
"Der Prinz gibt morgen nacht einen Ball", sprach der junge Student leise, "und meine Geliebte wird da sein. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie mit mir tanzen bis zum Morgen. Wenn ich ihr eine rote Rose bringe, wird sie ihren Kopf an meine Schulter lehnen, und ihre Hand wird in der meinen liegen. Aber in meinem Garten ist keine rote Rose, so werde ich einsam sitzen, und sie wird an mir vorübergehen. Sie wird meiner nicht achten, und mir wird das Herz brechen."
"Das ist wirklich der treue Liebhaber", sagte die Nachtigall. "Was ich singe, um das leidet er. Was mir Freude ist, das ist ihm Schmerz. Wahrhaftig, die Liebe ist etwas Wundervolles! Kostbarer ist sie als Smaragde und teurer als feine Opale. Perlen und Granaten können sie nicht kaufen, und auf den Märkten wird sie nicht feilgeboten. Sie kann von den Kaufleuten nicht gehandelt werden und kann nicht für Gold aufgewogen werden auf der Waage."
"Die Musikanten werden auf ihrer Galerie sitzen", sagte der junge Student, "und auf ihren Instrumenten spielen, und meine Geliebte wird zum Klang der Harfe und der Geige tanzen. So leicht wird sie tanzen, daß ihre Füße den Boden kaum berühren, und die Höflinge in ihren prächtigen Gewändern werden sich um sie scharen. Aber mit mir wird sie nicht tanzen, denn ich habe keine rote Rose für sie". Und er warf sich ins Gras, barg sein Gesicht in den Händen und weinte.
"Weshalb weint er?" fragte eine grüne Eidechse, während sie mit dem Schwänzchen in der Luft an ihm vorbeilief. "Ja warum?" fragte ein Schmetterling, der einem Sonnenstrahl nachjagte. "Er weint um eine rote Rose", sagte die Nachtigall. "Um eine rote Rose?" riefen alle, "wie lächerlich!". Und die kleine Eidechse, die so etwas wie ein Zyniker war, lachte überlaut.
Aber die Nachtigall wußte um des Studenten Kummer und saß schweigend in der Eiche und sann über das Geheimnis der Liebe. Plötzlich breitete sie ihre braunen Flügel aus und flog auf. Wie ein Schatten huschte sie durch das Gehölz, und wie ein Schatten flog sie über den Garten.
Da stand mitten auf dem Rasen ein wundervoller Rosenstock, und als sie ihn sah, flog sie auf ihn zu und setzte sich auf einen Zweig. "Gib mir eine rote Rose", rief sie, "und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen." Aber der Strauch schüttelte seinen Kopf. "Meine Rosen sind weiß", antwortete er, "so weiß wie der Meerschaum und weißer als der Schnee auf den Bergen. Aber geh zu meinem Bruder, der sich um die alte Sonnenuhr rankt, der gibt dir vielleicht, was du verlangst."
So flog die Nachtigall hinüber zu dem Rosenstrauch bei der alten Sonnenuhr. "Gib mir eine rote Rose", rief sie, "und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen." Aber der Strauch schüttelte seinen Kopf. "Meine Rosen sind gelb", antwortete er, "so gelb wie das Haar der Seejungfrau, die auf einem Bernsteinthron sitzt, und gelber als die gelbe Narzisse, die auf der Wiese blüht, ehe der Schnitter mit seiner Sense kommt. Aber geh zu meinem Bruder, der unter des Studenten Fenster blüht, und vielleicht gibt der dir, was du verlangst."
So flog die Nachtigall zum Rosenstrauch unter des Studenten Fenster. "Gib mir eine rote Rose", rief sie, "und ich will dir dafür mein süßestes Lied singen." Aber der Rosenstrauch schüttelte den Kopf. "Meine Rosen sind rot", antwortete er, "so rot wie die Füße der Taube und röter als die Korallenfächer, die in der Meergrotte fächeln. Aber der Winter ließ meine Adern erstarren, der Frost hat meine Knospen zerbissen und der Sturm meine Zweige gebrochen, und so habe ich keine Rosen dies ganze Jahr."
"Nur eine einzige rote Rose brauche ich", rief die Nachtigall, "nur eine rote Rose! Gibt es denn nichts, daß ich eine rote Rose bekomme?" "Ein Mittel gibt es", antwortete der Baum, "aber es ist so schrecklich, daß ich mir es dir nicht zu sagen traue." "Sag es mir", sprach die Nachtigall ohne zu zögern, "ich fürchte mich nicht."
"Wenn du eine rote Rose haben willst", sagte der Baum, "dann mußt du sie beim Mondlicht aus Liedern machen und sie färben mit deinem eigenen Herzblut. Du mußt für mich singen und deine Brust an einen Dorn pressen. Die ganze Nacht mußt du singen, und der Dorn muß dein Herz durchbohren, und dein Lebensblut muß in meine Adern fließen und mein werden."
"Der Tod ist ein hoher Preis für eine rote Rose", sagte die Nachtigall, "und das Leben ist allen sehr teuer. Es ist lustig, im grünen Wald zu sitzen und die Sonne in ihrem goldenen Wagen zu sehen und den Mond in seinem Perlenwagen. Süß ist der Duft des Weißdorns, und süß sind die Glockenblumen im Tal und das Heidekraut auf den Hügeln. Aber die Liebe ist besser als das Leben, und was ist ein Vogelherz gegen ein Menschenherz?"
So breitete sie ihre braunen Flügel und flog auf. Wie ein Schatten schwebte sie über den Gatten, und wie ein Schatten huschte sie durch das Gehölz. Da lag noch der junge Student im Gras, wie sie ihn verlassen hatte, und die Tränen in seinen schönen Augen waren noch nicht getrocknet.
"Freu dich", rief die Nachtigall, "freu dich. Du sollst deine rote Rose haben. Ich will sie beim Mondlicht bilden aus Liedern und färben mit meinem eigenen Herzblut. Alles, was ich von dir dafür verlange, ist, daß du deiner Liebe treu bleiben sollst. Denn die Liebe ist weiser als die Philosophie, wenn die auch weise ist, und mächtiger als die Gewalt, wenn die auch mächtig ist. Flammfarben sind ihre Flügel, und flammfarben ist ihr Leib. Ihre Lippen sind süß wie Honig, und ihr Atem ist Weihrauch."
Der Student blickte aus dem Gras auf und horchte. Aber er konnte nicht verstehen, was die Nachtigall zu ihm sprach, denn er verstand nur die Bücher. Aber die Eiche verstand und wurde traurig, denn sie liebte die kleine Nachtigall sehr, die ihr Nest in ihren Zweigen gebaut hatte. "Sing mir noch ein letztes Lied", flüsterte sie, "ich werd mich sehr einsam fühlen, wenn du fort bist." Und die Nachtigall sang für die Eiche, und ihre Stimme war wie Wasser, das aus einem silbernen Krug springt.
Als sie ihr Lied beendet hatte, stand der Student auf und nahm ein Notizbuch und eine Bleistift aus der Tasche. Sinnend schaute er vor sich hin. "Sie hat Form", sagte er zu sich, als er aus dem Gehölz schritt, "Sie hat ein Formtalent, das kann ihr nicht abgesprochen werden. Aber ob sie auch Gefühl hat? Ich fürchte, nein. Sie wird wohl sein wie die meisten Künstler: alles nur Stil und keine echte Innerlichkeit. Sie würde sich kaum für andere opfern. Sie denkt vor allem an die Musik, und man weiß ja, wie egoistisch die Künste sind. Aber zugeben muß man, sie hat einige schöne Töne in ihrer Stimme. Schade, daß sie gar keinen Sinn haben, nichts ausdrücken und ohne praktischen Wert sind."
Und er ging auf sein Zimmer und legte sich auf sein schmales Feldbett und fing an, an seine Liebe zu denken. Bald war er eingeschlafen. Und als der Mond in den Himmel schien, flog die Nachtigall zu dem Rosenstrauch und preßte ihre Brust gegen den Dorn. Die ganze Nacht sang sie, die Brust gegen den Dorn gepreßt, und der kalte kristallene Mond neigte sich herab und lauschte. Die ganze Nacht sang sie, und der Dorn drang tiefer und tiefer in ihre Brust, und ihr Lebensblut sickerte weg.
Zuerst sang sie von dem Werden der Liebe in dem Herzen eines Knaben und eines Mädchens. Und an der Spitze des Rosenstrauchs erblühte eine herrliche Rose, Blatt reihte sich an Blatt, wie Lied auf Lied. Erst war sie bleich wie der Nebel, der über dem Fluß hängt, bleich wie die Füße des Morgens und silbern wie die Flügel des Dämmers. Wie das Schattenbild einer Rose in einem Silberspiegel, wie das Schattenbild einer Rose im Teich, so war die Rose, die aufblühte an der Spitze des Rosenstocks.
Der aber rief der Nachtigall zu, daß sie sich fester noch gegen den Dorn presse. "Drück fester, kleine Nachtigall", rief er, "sonst bricht der Tag an, bevor die Rose vollendet ist." Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn, und lauter und lauter wurde ihr Lied, denn sie sang nun von dem Erwachen der Leidenschaft in der Seele von Mann und Weib. Und ein zartes Rot kam auf die Blätter der Rose, wie das Erröten auf das Antlitz des Bräutigams, wenn er die Lippen seiner Braut küßt.
Aber der Dorn hatte ihr Herz noch nicht getroffen, und so blieb das Herz der Rose weiß, denn bloß einer Nachtigall Herzblut kann das Herz einer Rose färben. Und der Baum rief der Nachtigall zu, daß sie sich fester noch gegen den Dorn drücke. "Drück fester, kleine Nachtigall", rief er, "sonst ist es Tag, bevor die Rose vollendet ist." Und so drückte die Nachtigall sich fester gegen den Dorn, und der Dorn berührte ihr Herz, und ein heftiger Schmerz durchzuckte sie. Bitter, bitter war der Schmerz, und wilder, wilder wurde das Lied, denn sie sang nun von der Liebe, die der Tod verklärt, von der Liebe, die auch im Grab nicht stirbt. Und die wundervolle Rose färbte sich rot wie die Rose des östlichen Himmels. Rot war der Gürtel ihrere Blätter, und rot wie ein Rubin war ihr Herz. Aber die Stimme der Nachtigall wurde schwächer, und ihre kleinen Flügel begannen zu flattern, und ein leichter Schleier kam über ihre Augen. Schwächer und schwächer wurde ihr Lied, und sie fühlte etwas in der Kehle.
Dann schluchzte sie noch einmal auf in letzten Tönen. Der weiße Mond hörte es, und er vergaß unterzugehen und verweilte am Himmel. Die rote Rose hörte es und zitterte ganz vor Wonne und öffnete ihre Blätter dem kühlen Morgenwind. Das Echo trug es in seine Purpur- höhle in den Bergen und weckte Schläfer aus ihren Träumen. Es schwebte über das Schilf am Fluß, und der trug die Botschaft dem Meere zu. "Sieh, sieh!" rief der Rosenstrauch, "nun ist die Rose fertig". Aber die Nachtigall gab keine Antwort, denn sie lag tot im hohen Gras, mit dem Dorn im Herzen.
Um Mittag öffnete der Student sein Fenster und blickte hinaus. "Was für ein Wunder und Glück!" rief er, "da ist eine rote Rose! Nie in meinem Leben habe ich eine solche Rose gesehen. Sie ist so schön, ich bin sicher, sie hat einen langen lateinischen Namen". Und er lehnte sich hinaus und pflückte sie. Dann setzte er seinen Hut auf und lief ins Haus seines Professors, mit der Rose in der Hand.
Die Tochter des Professors saß in der Einfahrt und wand blaue Seide auf eine Spule, und ihr Hündchen lag ihr zu Füßen. "Ihr sagtet, Ihr würdet mit mir tanzen, wenn ich Euch eine rote Rose brächte", sagte der Student. "Hier ist die röteste Rose der Welt. Tragt sie heut abend an Eurem Herzen, und wenn wir zusammen tanzen, wird sie Euch erzählen, wie ich Euch liebe."
Aber das Mädchen verzog den Mund. "Ich fürchte, sie paßt nicht zu meinem Kleid", sprach sie, "und dann hat mir auch der Neffe des Kammerherrn echte Juwelen geschickt, und das weiß doch jeder, daß Juwelen mehr wert sind als Blumen."
"Wahrhaftig, Ihr seid sehr undankbar", rief der Student gereizt. Und er warf die Rose auf die Straße, wo sie in die Gosse fiel, und ein Wagenrad fuhr darüber. "Undankbar?" sagte das Mädchen, "ich will Euch was sagen: Ihr seid sehr ungezogen - und dann: wer seid Ihr eigentlich? Ein Student, nichts weiter. Ich glaube, Ihr habt nicht einmal Silberschnallen an den Schuhen, wie des Kammerherrn Neffe." Und sie stand auf und ging ins Haus.
"Wie dumm ist doch die Liebe", sagte sich der Student, als er fortging, "sie ist nicht halb so nützlich wie die Logik, denn sie beweist gar nichts und spricht einem immer von Dingen, die nicht geschehen werden, und läßt einen Dinge glauben, die nicht wahr sind. Sie ist wirklich etwas ganz Unpraktisches, und da in unserer Zeit das Praktische alles ist, so gehe ich wieder zur Philosophie und studiere Metaphysik." So ging er wieder auf sein Zimmer und holte ein großes, staubiges Buch hervor und begann zu lesen.
Rocco Deluca
William Eggleston 2 - MENSCHEN IN FARBE
Samstag, 15. Oktober 2011
William Eggleston 1 - FARBE !!!
Ein Südstaatler, genauer aus Memphis/Tennessee, er hatte später den gleichen Arzt wie Elvis, 1939 geboren und aufgewachsen auf einer Baumwollplantage in Mississippi. Auch er begann mit einer Leica zu photographieren, und füllte damit seine vieljährige Studienzeit, die zu keinerlei Abschluß führte. Er liest Cartier-Bressons "Der entscheidende Moment" und arbeitet, davon stark beeindruckt, zunächst in Schwarz-Weiß. Aber Ende der 60er Jahre beginnt er "bunt" zu photographieren und das in einer Zeit, in der Schwarz-Weiß als die einzig mögliche Form für künstlerische Photographie angesehen wurde. Farbe war den Amateuren und der Werbung vorbehalten. Ein Kurator des MoMA, John Szarkowski, sieht 1969 einige seiner Arbeiten und überredet das Museum eine davon zu kaufen.
Soundtrack: http://www.youtube.com/watch?v=xPoOzfzYrR8
Greenwood, Mississippi, 1973, Dye transfer print © William Eggleston1973/74 findet er im Katalog eines Chicagoer Photolabors ein Angebot für das Dye-Transfer-Verfahren (Siehe unten) und beginnt seine Bilder von nun an so zu bearbeiten."Die Rote Decke ist so kraftvoll, dass ich sie faktisch noch nie so auf Papier reproduziert gesehen habe, dass ich befriedigt gewesen wäre. Wenn du die Farbe (dye=Farbstoff) anschaust, ist sie wie rotes Blut, nass an der Wand .... Ein bisschen rot ist meistens genug, aber mit einer vollständig roten Fläche zu arbeiten, war eine Herausforderung.""The Red Ceiling is so powerful, that in fact I've never seen it reproduced on the page to my satisfaction. When you look at the dye it is like red blood that's wet on the wall.... A little red is usually enough, but to work with an entire red surface was a challenge."Aus William Eggleston's Guide MoMA 1976 © William Eggleston1976 veranstaltet das MoMA eine Einzelausstellung seiner Arbeiten, die erste Solo-Ausstellung von Farbphotographien in der Geschichte dieser Institution. Die Reaktionen sind außerordentlich gemischt. "Völlig banal, völlig langweilig..." "Fahrig und wackelig..." " Eine Schweinerei...." |
Ohne Titel aus der Serie "Los Alamos", 1966-74 © Eggleston Artistic Trust, 2003 |
Ohne Titel Memphis, Dye Transfer Print © William Eggleston |
Ohne Titel Memphis 1970, Dye transfer print © Eggleston Artistic Trust |
Ohne Titel aus der Serie Los Alamos 1966-74 Dye transfer print © Eggleston Artistic Trust |
Ohne Titel aus der Serie Los Alamos, 1966-74 Dye Transfer Print © Eggleston Artistic Trust |
Ohne Titel aus der Serie Troubled Waters 1980 © William Eggleston |
Spiegel - Interview mit William Eggleston
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,608500,00.html
Das artnet Fotoglossar
Eric Aichinger
Dye Transfer-Abzug bzw. Dye Transfer®-Verfahren (1947 bis heute)
Bei diesem von der Firma Kodak entwickelten farbfotografischen Druckverfahren werden von einem Farbnegativ oder farbigen Diapositiv zunächst drei schwarzweiße Auszugsnegative hergestellt, die wiederum auf einen so genannten Pan-Matrix-Film umzukopieren sind. Nach der Entwicklung und Fixierung werden die Negative heiß gewässert, bis die ungehärtete Gelatine ausgewaschen ist. Die so entstandenen drei Matrizen entsprechen im anschließenden Farbumdruck je einem Rot-, Grün- und Blauauszug des Motivs. Sie werden mit ihrer jeweiligen Komplementärfarbe (engl.: dye – „Färbung“, „Farbstoff“) in Gelb, Purpur und Blaugrün (Yellow, Magenta, Cyan) eingefärbt und passgenau auf das gelatinebeschichtete, barytierte Übertragungspapier übereinander gedruckt. Kennzeichnend für diese hochwertigen Farbbilder sind leuchtende Farben ohne Korn. Auch und gerade wegen ihrer Lichtbeständigkeit (Archivfestigkeit) werden sie von Sammlern sehr geschätzt.
Etiketten töten Sex
Ich gehe mir ein T-Shirt kaufen. Sagen wir, es ist blau. Es ist schön. Sitzt gut. Fühlt sich angenehm an auf der Haut.
Es hat ein, oder mehrere eingenähte Etiketten. Die sind aus Polyester, Nylon oder ähnlichen kratzigen, juckenden, nervenden Materialien. Sie hängen aus dem Halsausschnitt. Sie sind besser und fester genäht als das verdammte T-Shirt. Schneide ich sie vollständig ab, riffelt sich augenblicklich das gesamte Shirt auf, schneide ich nur bis zur Naht wird das Kratzen vollends unerträglich. Und dieser ganze Mist, damit ich weiß, das ich etwas trage, dass von Minderjährigen in Taiwan, China, Indien oder einem anderen bevölkerungsreichen und jugendschutzarmen Land, wahrscheinlich unter ausbeuterischen und empörenden Bedingungen, genäht wurde, und, dass ich zarte Baumwolle besser nicht in kochend heißes Wasser schmeiße?
Ich habe einen wagemutigen Tag und entschließe mich, meine Unterwäsche aus dem Stand der Praktikabilität und Bequemlichkeit, auf das Niveau von verführerischer Zartheit zu erheben. Das Teil hat circa 2mm zum Quadrat Stofffläche (drei f!!!) und 10 Quadratmeter Etikett. Konterproduktiv nenne ich das! Wie soll eine erotische Stimmung entstehen, wenn ich, durch mein Unterhöschen, nicht feminine bekleidete Nacktheit, sondern Informationen über Waschvorschriften, Produktionsbedingungen und Markenzugehörigkeit versende? Wenn die Etiketten die Maße meines Hinterns überschreiten?
Bin ich Etikettträger (drei t!!!)? Links- und Rechtsträger? Wiki sagt: Als Verantwortungsdiffusion wird ein Zustand bezeichnet, bei dem die Zuordnung der Verantwortlichkeit auf einen Verantwortungsträger vermieden wird, indem alle dafür in Frage kommenden der Verantwortung ausweichen.
In einem Welt-online Artikel habe ich folgende Erklärung gefunden: "Das ist ein Komplott der Chinesen, die uns attackieren werden, während wir uns kratzen", mutmaßt der Macher der französischen Facebook-Gruppe "Contre les étiquettes qui grattent" ("gegen juckende Etiketten").
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Freitag, 14. Oktober 2011
Goya - Die nackte und die bekleidete Maja
Zwei um 1797–1800 gemalte Bilder einer nicht sicher zu benennenden Frau, vielleicht der Maria del Pilar Teresa Cayetana de Silva y Alvarez de Toledo, 13. Herzogin von Alba, vielleicht auch von Pepita Tudó, der Geliebten von Manuel de Godoy, des damaligen spanischen Premierministers und Favoriten der Königin Maria Louisa.
Manuel de Godoy war höchstwahrscheinlich der Auftraggeber und sicher der erste Besitzer beider Bilder. Die bekleidete Schöne war sichtbar und konnte, wenn erwünscht durch das Umlegen eines Hebels weggeschoben werden, um den Blick auf die nackte Frau freizugeben. 1813 fiel Godoy in Ungnade und seine Kunstsammlung wurde von der Inquisition konfisziert. 1815 wurde dann Goya wegen Obszönität vor die Inquisition zitiert, es ist keine Aufzeichnung von Goyas Aussage überliefert. Folge des Prozesses war allerdings, dass ihm der Titel des königlichen Hofmalers aberkannt wurde.
Erst 1836, also nach Goyas Tod, wurden sie von der Inquisition an die Akademie der Schönen Künste in San Fernando übergeben und dort aufgehängt.
Maja wird mit "die Schöne" übersetzt und ist kein Eigenname. Die "Nackte Schöne" nannte der Kunstkritiker Robert Hughes "die erste Darstellung von Schambehaarung in der westlichen Kunst".
Ich finde, die beiden sehen sich nicht wirklich ähnlich, zumindest was die Gesichter betrifft.
Als spanische Briefmarke, 1930 |
Stefano Grondona plays Enrique Granados (1867-1916): La Maja de Goya
Und hier in Pink. |
Edward Estlin Cummings geboren am 14. Oktober 1894
Gestorben am 3. September 1962.
ich danke dir Gott für diesen höchst erstaunlichen
tag:für die hüpfenden grünlichen geister der bäume
und einen wirklich blauen traum von himmel; und für alles
was natürlich ist was unendlich ist ja
(ich der gestorben ist bin wieder lebendig heute,
und dies ist der geburtstag der sonne;dies ist der geburts
tag von leben und liebe und flügeln: und der heiteren
wunderbar geschehenden unbegrenzbaren erde)
wie sollte schmecken tasten hören sehen
atmen etwas--erhoben aus dem nein
allen nichts--mensch einfach seiend
anzweifeln unvorstellbares Du?
(nun sind die ohren meiner ohren erwacht und
nun sind die augen meiner augen geöffnet)
i thank You God for most this amazing
day:for the leaping greenly spirits of trees
and a blue true dream of sky;and for everything
wich is natural which is infinite which is yes
(i who have died am alive again today,
and this is the sun's birthday;this is the birth
day of life and love and wings:and of the gay
great happening illimitably earth)
how should tasting touching hearing seeing
breathing any--lifted from the no
of all nothing--human merely being
doubt unimaginable You?
(now the ears of my ears awake and
now the eyes of my eyes are opened)
Donnerstag, 13. Oktober 2011
René Pollesch - Schmeiss Dein Ego weg! in der Volksbühne
Wie der Schmetterling sich in eine Raupe verwandelte - Ein Oratorium für Sprecher und Popmusik.
Komponiert bis in die 24. Wiederholung. Ein Spaß! Wenn die Philosophen aus Monty Python "Philosophen Fussball" reden würden, das wäre ihr Text!
http://www.google.de/search?source=ig&hl=de&rlz=&q=monty+python+philosophers+football&oq=monty+python+philosopher&aq=0&aqi=g2&aql=&gs_sm=c&gs_upl=1151l10010l0l13417l17l17l0l13l13l0l439l1205l0.1.1.1.1l4l0
Wiki: Die vierte Wand ist die zum Publikum hin offene Seite einer Zimmerdekoration auf einer Guckkastenbühne. Sie wurde zum zentralen Begriff in der Theorie des naturalistischen Theaters gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Hier wurde die vierte Wand einmal ernst genommen. Ein Schauspieler aus der Gegenwart wurde unvermutet eingefroren und erwacht, um festzustellen, dass nun, zwei-, oder drei-, oder sechshundert Jahre in der Zukunft, die behauptete vierte Wand zu einer gegenständlichen geworden ist. Die Bühne ist endlich zu, erst wurden die Spieler verstummt, dann aus der Sicht genommen. Es kann verinnerlicht werden. Es entbrennt ein zum Nichtverständigen verdammtes Streitgespräch. Martin Wuttke, Margit Carstensen und ein Chor mißverstehen sich, gebären Sprachungebilde, rauchen unablässig oder weinen mit Hilfe von öffentlich aufgetragenenem Teebaumöl oder ähnlichem. Der Chor in reinweißen Trikots erinnert an die Spermienversammlung in Woody Allens "Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten" und der Abend könnte auch "Was Sie schon immer über Theater wissen wollten und froh waren nicht erzählt zu bekommen, obwohl es lehrreich für Sie wäre," heißen.
Zitat Pollesch:
"Carstensen: Ein Knabe fing/ einen Schmetterling / und als er am Abend nach Hause ging /
da sprach er zu sich: / Wie verhalte ich mich / und helfe den anderen Menschen? / Der Schmetterling aber hatte lautlos gehandelt / sich nach und nach in eine Raupe verwandelt / mit allerletzter Kraft.
Gross: Es hat Tiefe!
Carstensen: Gefällt es Dir wirklich?
Gross: Ja. Bis auf eine Kleinigkeit. Sie verwandeln sich nämlich vom Stadium der Raupe in das Stadium des Schmetterlings. Nicht umgekehrt.
Carstensen: Bist du sicher? Bist du ganz sicher? Verdammt! So ein Mist! Immer mach ich was falsch! Scheiße!"
Ich saß ganz vorn in der zweiten Reihe und zum ersten und, hoffentlich, einzigen Mal in meinem Leben, hatte ich mein Telephon nicht abgestellt und wurde prompt angerufen. Ich möchte mich hier noch einmal in aller Öffentlichkeit dafür entschuldigen.
Komponiert bis in die 24. Wiederholung. Ein Spaß! Wenn die Philosophen aus Monty Python "Philosophen Fussball" reden würden, das wäre ihr Text!
http://www.google.de/search?source=ig&hl=de&rlz=&q=monty+python+philosophers+football&oq=monty+python+philosopher&aq=0&aqi=g2&aql=&gs_sm=c&gs_upl=1151l10010l0l13417l17l17l0l13l13l0l439l1205l0.1.1.1.1l4l0
Wiki: Die vierte Wand ist die zum Publikum hin offene Seite einer Zimmerdekoration auf einer Guckkastenbühne. Sie wurde zum zentralen Begriff in der Theorie des naturalistischen Theaters gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Hier wurde die vierte Wand einmal ernst genommen. Ein Schauspieler aus der Gegenwart wurde unvermutet eingefroren und erwacht, um festzustellen, dass nun, zwei-, oder drei-, oder sechshundert Jahre in der Zukunft, die behauptete vierte Wand zu einer gegenständlichen geworden ist. Die Bühne ist endlich zu, erst wurden die Spieler verstummt, dann aus der Sicht genommen. Es kann verinnerlicht werden. Es entbrennt ein zum Nichtverständigen verdammtes Streitgespräch. Martin Wuttke, Margit Carstensen und ein Chor mißverstehen sich, gebären Sprachungebilde, rauchen unablässig oder weinen mit Hilfe von öffentlich aufgetragenenem Teebaumöl oder ähnlichem. Der Chor in reinweißen Trikots erinnert an die Spermienversammlung in Woody Allens "Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten" und der Abend könnte auch "Was Sie schon immer über Theater wissen wollten und froh waren nicht erzählt zu bekommen, obwohl es lehrreich für Sie wäre," heißen.
Zitat Pollesch:
"Carstensen: Ein Knabe fing/ einen Schmetterling / und als er am Abend nach Hause ging /
da sprach er zu sich: / Wie verhalte ich mich / und helfe den anderen Menschen? / Der Schmetterling aber hatte lautlos gehandelt / sich nach und nach in eine Raupe verwandelt / mit allerletzter Kraft.
Gross: Es hat Tiefe!
Carstensen: Gefällt es Dir wirklich?
Gross: Ja. Bis auf eine Kleinigkeit. Sie verwandeln sich nämlich vom Stadium der Raupe in das Stadium des Schmetterlings. Nicht umgekehrt.
Carstensen: Bist du sicher? Bist du ganz sicher? Verdammt! So ein Mist! Immer mach ich was falsch! Scheiße!"
Ich saß ganz vorn in der zweiten Reihe und zum ersten und, hoffentlich, einzigen Mal in meinem Leben, hatte ich mein Telephon nicht abgestellt und wurde prompt angerufen. Ich möchte mich hier noch einmal in aller Öffentlichkeit dafür entschuldigen.
Mittwoch, 12. Oktober 2011
Melancholia oder ich bin trauriger als ihr
Heute abend habe ich "Melancholia" von Lars von Trier gesehen ... bis zur Hälfte der möglichen 130 Minuten. Ich schwöre, ich war besten Willens, nach mehrfacher vorheriger positivster Einstimmung, einen hingerissenen Kinoabend zu verbringen. Ich schwöre!
Die ersten 7 Minuten sind grandios. Die Wucht der Bilder haut einen in den Kinosessel und läßt den Atem stocken - vielleicht vergleichbar mit der Eröffnungssequenz von Kubricks "2001". Und dann bekommen wir die Erklärung für die Visionen nachgeliefert. Wie sehr schade.
Im Prolog ist Pieter Breughels Winterbild eines der parabelhaften Zitate. Ein wunderbares Gemälde, das ich nie "zu Ende" betrachten werde. Aus der Fülle der angebotenen Details, wählt Breughel die Vogelfalle zum Titel. Warum? Ein strahlendheller Wintertag, Menschen vergnügen sich auf dem Eis. Wird es halten? Ganz nebenbei wird den Vögeln die Freiheit geraubt, sie werden getötet. Ganz nebenbei. Die lubricitas vitae, die Unsicherheit des Daseins, in scheinbar zufälligem und dadurch herzzerreissendem Nebeneinander von Tod und ausgelassenem Leben.
Bei Lars von Trier ist nichts nebenbei. Ich darf nichts entdecken. Es wird mir "aufs Auge gedrückt", in den Hals geschrien und in die Ohren gepresst. (Der erbarmungslose Wagner - Soundtrack hat mich regelrecht gelähmt.) Hier wird beabsichtigt! Justine (Kirsten Dunst) ist traurig, die Welt geht zu Ende und niemand, außer ihr, begreift.
Depression ist eine furchtbare Krankheit und ich verneige mich vor jedem, der es fertigbringt ihr ein Leben abzuzwingen. Aber sie ist kein elitärer Berechtigungsschein für Empfindsamkeit. Ich weiß, das klingt zynisch, ich meine es aber ernst. Der Zynismus liegt, so meine ich, auf der Seite des Regisseurs, der die Selbsterfahrungsreise einer mittelmäßigen Schauspielerin zu eigenen, selbstrechtfertigenden Zwecken benutzt.
Als ich vor vielen Jahren "Breaking the Waves" gesehen habe, war das für mich wie, wenn man mir die Augen geöffnet hätte. Bedingungslosigkeit der Hingabe in Liebe, Rettung durch Selbstaufgabe - und alle Zweifel waren eingeschlossen. In "Melancholia" wird nicht mehr gezweifelt. Es wird, von unten herauf belehrt.
Die ersten 7 Minuten sind grandios. Die Wucht der Bilder haut einen in den Kinosessel und läßt den Atem stocken - vielleicht vergleichbar mit der Eröffnungssequenz von Kubricks "2001". Und dann bekommen wir die Erklärung für die Visionen nachgeliefert. Wie sehr schade.
Im Prolog ist Pieter Breughels Winterbild eines der parabelhaften Zitate. Ein wunderbares Gemälde, das ich nie "zu Ende" betrachten werde. Aus der Fülle der angebotenen Details, wählt Breughel die Vogelfalle zum Titel. Warum? Ein strahlendheller Wintertag, Menschen vergnügen sich auf dem Eis. Wird es halten? Ganz nebenbei wird den Vögeln die Freiheit geraubt, sie werden getötet. Ganz nebenbei. Die lubricitas vitae, die Unsicherheit des Daseins, in scheinbar zufälligem und dadurch herzzerreissendem Nebeneinander von Tod und ausgelassenem Leben.
Pieter Breughel der Ältere oder Jüngere - Winterlandschaft mit Vogelfalle |
Bei Lars von Trier ist nichts nebenbei. Ich darf nichts entdecken. Es wird mir "aufs Auge gedrückt", in den Hals geschrien und in die Ohren gepresst. (Der erbarmungslose Wagner - Soundtrack hat mich regelrecht gelähmt.) Hier wird beabsichtigt! Justine (Kirsten Dunst) ist traurig, die Welt geht zu Ende und niemand, außer ihr, begreift.
Depression ist eine furchtbare Krankheit und ich verneige mich vor jedem, der es fertigbringt ihr ein Leben abzuzwingen. Aber sie ist kein elitärer Berechtigungsschein für Empfindsamkeit. Ich weiß, das klingt zynisch, ich meine es aber ernst. Der Zynismus liegt, so meine ich, auf der Seite des Regisseurs, der die Selbsterfahrungsreise einer mittelmäßigen Schauspielerin zu eigenen, selbstrechtfertigenden Zwecken benutzt.
Als ich vor vielen Jahren "Breaking the Waves" gesehen habe, war das für mich wie, wenn man mir die Augen geöffnet hätte. Bedingungslosigkeit der Hingabe in Liebe, Rettung durch Selbstaufgabe - und alle Zweifel waren eingeschlossen. In "Melancholia" wird nicht mehr gezweifelt. Es wird, von unten herauf belehrt.
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