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Freitag, 7. Juni 2013

Theater hat auch einen Trinker



Heute hat mir ein Freund in einem Cafe, mit lachenden Augen und einem Kichern in der Stimme, ein Gedicht vorgetragen. Wir hatten begonnen, uns leicht sentimental verklärte Anekdoten aus der Frühzeit unseres Arbeitslebens zu erzählen und während dieses Gespräches war die Rede auch auf die "Verordentlichung" des Theaterbetriebes gekommen. Omama und Opapa erzählen sich vom Krieg!

Und doch ist was Wahres daran. Der soziale Druck ist größer, die Angst eine andere und wir alle benehmen uns besser. Ich weiss wirklich nicht zu sagen, ob das der vielfach eingeforderten Political Correctness oder der allgemeinen Verbürgerlichung der Sitten, zuzurechnen ist, aber braver sind wir allemal. Oder vernünftiger, das kommt auf die Perspektive an. 
Ein Theater wie das DT (Das Deutsche Theater in Berlin) hatte in seinen Hochzeiten, mehrere hochbegabte Trinker, ein oder zwei wahrhafte Diven, mindestens einen Casanova und dann noch diesen und jenen mittelbegabten Irren. Feindschaften, ob ästhetisch, politisch oder sexuell begründet, wurden öffentlich ausgelebt, Theaterkräche waren die scharfe Würze der Proben und der promillebezogene Zustand eines Kollegen konnte im Guten wie im Katastrophalen über die Qualität der abendlichen Vorstellung entscheiden. 
R. L. nüchtern war ein missgelaunter und doch hervorragender Spieler, angetrunken neigte er zu Wiederholungen erfolgreicher Pointen und das mit großem Erfolg, im Vollsuff kam er dann auch mal viel zu spät und verlangte herrisch vom heimwärts strömenden Publikum die sofortige Rückkehr in den Saal. Ein anderer Kollege, R. Sch., hat sich tiefbeschämt für eine im Trunk verpasste Vorstellung entschuldigt, die er gespielt hatte, ohne am nächsten Morgen davon noch irgendeine Erinnerung zu haben. Ich spreche hier nicht dem Alkoholismus das Wort, aber diese Ansammlung von sozial ungelenken, ja sogar unfähigen Menschen, die auf der Bühne zu ganz unglaublicher Sensibilität und zirzensischer Verspieltheit fähig waren, hat oftmals ganz wunderbares Theater gezaubert.

HAMLETS GEIST

Gustav Renner war bestimmt
die beste Kraft am Toggenburger Stadttheater.
Alle kannten seine weiße Weste,
alle kannten ihn als Heldenvater

Alle lobten ihn, sogar die Kenner,
und die Damen fanden ihn sogar noch schlank.
Schade war nur, dass sich Gustav Renner,
wenn er Geld besaß, enorm betrank.

Eines Abends, als man Hamlet gab,
spielte er den Geist von Hamlets Vater,
und was man nur Dummes tun kann, tat er.
Hamlet war aufs äußerste bestürzt,
denn der Geist fiel gänzlich aus der Rolle,
und die Szene wurde abgekürzt.

Renner fragte, was man von ihm wolle?
Man versuchte hinter den Kulissen
ihn von seinem Rausche zu befreien,
legte ihn lang hin und gab ihm Kissen,
und dabei schlief Gustav Renner ein.

Die Kollegen spielten nun exakt,
weil er schlief und sie nicht länger störte.
Doch er kam! Und Zwar im nächsten Akt,
wo er absolut nicht hingehörte.

Seiner Gattin trat er auf den Fuß,
seinem Sohn zerbrach er das Florett,
und er tanzte mit Ophelia Blues,
und den König schmiss er ins Parkett.

Alle zitterten und rissen aus,
doch dem Publikum war das egal;
so etwas von donnerndem Applaus
gab’s in Toggenburg zum ersten Mal.
Und die meisten Toggenburger fanden:
Endlich hätten sie das Stück verstanden.
 
Erich Kästner

Dieter Franke und Klaus Piontek zwei so wundersame Verrückte

„An Dieter Franke muss erinnert werden, wo und wann immer sich die Gelegenheit bietet.“
Kurt Böwe (noch so einer)
 
Wenn wir in den Himmel kommen,
hat die Plag’ ein End’ genommen. Hopsasa! 
 

Donnerstag, 30. Mai 2013

Ich bin ein Klugscheißer


K.S.C.H.

Meine Großmutter ging mit uns Kindern stets äußerst respektvoll um und hat deshalb, wenn ich in Gesellschaft anderer meiner Leidenschaft für redseliges Mitteilen meines Wissens und meiner Meinungen mal wieder zu heftig nachging, nur diese vier Buchstaben in mein Ohr geflüstert, um mich durch eine öffentliche Zurechtweisung nicht zu beschämen. Zauberhaft.
Dies beweist aber auch, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit schon als Klugscheißer geboren wurde und ich muß gestehen, ich bin es sogar gern.
Wobei es mir aber notwendig scheint, den Begriff Klugscheißer genau zu definieren.

Da gibt es nämlich zuerst mal den Rechthaber, dessen, meist uneingestandener, Hauptgenuß es ist, daß andere Unrecht haben. Er befindet sich in einem ständigen, als existentiell empfundenden Wettkampf. Widerspruch bereitet ihm schmerzhafte Lust, Zweifel müssen mit machtvoller Selbstgewissheit niedergemetzelt werden. Es genügt ihm auch nicht einfach Recht zu haben, nein, die Niederlage der opponierenden Partei muß von dieser unbedingt öffentlich eingestanden werden. Für das Erreichen dieses Ziels ist er zu hohem Aufwand bereit - Nachschlagewerke werden gewälzt, Zeugen werden befragt, wenn es nötig erscheint, auch manipuliert. Seine Argumentation kann sehr, sehr langwierig sein, dreht sich wie ein Strudel immer wieder um einen, den entscheidenden, nämlich seinen Punkt und der Stimmlautstärkenregler wird dabei in den obersten Bereich hochgedreht.
Und wenn er das Recht dann hat, dann geht er auf die Suche nach dem Nächsten, der es ihm vielleicht (hoffentlich) streitig machen könnte.

Rechthaber
 
Seine Meinung ist die rechte,
Wenn er spricht, müßt ihr verstummen,
Sonst erklärt er euch für Schlechte
Oder nennt euch gar die Dummen.

Leider sind dergleichen Strolche
Keine seltene Erscheinung.
Wer nicht taub, der meidet solche
Ritter von der eignen Meinung.

Wilhelm Busch

Der gemeine Besserwisser ist hierzu eine Unterkategorie, sozusagen ein kleinteiligerer Rechthaber. Das "ABER" ist sein Lieblingswort, mitleidiges Hochziehen der Augenbrauen, mildes Kopfschütteln, müdes Schulterzucken und ein gequältes Lächeln die Waffen seiner Wahl. Meine Schnuckelnichte kann zum Beispiel das weltlängste "doooooooch" gaaaaanz oft wiederholen, wenn sie etwas besser weiß. 

Der Erbsenzähler, der Korinthenkacker und der Haarspalter sind leicht individualisierte Formen des Pedanten. Ihm geht es nicht um Recht, Wahrheit oder überhaupt ein Ergebnis, ihm geht es um die Details, die Einzelheiten, die Minutiae. 
Sein ganzer Stolz ist seine Genauigkeit, und sollte jemand bei einem Brand die falsche Hausnummer angeben, dann wird halt nebenan gelöscht. 
Er ist ein naher Verwandter des Verhinderers.

Und jetzt erst kommen wir zum Klugscheißer. Er verteilt sein Wissen gern unter der Bevölkerung. Dass heißt erstmal, er redet gern, erzählt gern, das kann bis zur Schwatzhaftigkeit gehen, bis zur verbalen Diarrhoe, womit sich wahrscheinlich die Bezeichnung Klug-scheißer erklärt.
Er ist neugierig und wißbegierig, will aber dann das Erfahrene auch unbedingt weitergeben. Er hat gerne Meinungen und viele davon. 
Ich, zum Beispiel, kann einen Teil meines Lasters in diesem Blog ausleben und wenigstens ist hier niemand gezwungen, zuzuhören. Schadensbegrenzung könnte man das nennen.
Ein Beispiel - Wiki sagt: Das Adjektiv und das zugehörige Substantiv Naseweis, für einen vorlauten Menschen, haben nichts mit der Farbe Weiß zu tun. Naseweis leitet sich aus dem mittelhochdeutschen nasewise = scharf witternd (wis = weise, wissend) ab, es ist eine Eigenschaft, die man früher Jagdhunden zugeschrieben hat.
Das muß keiner wissen, aber...  
Leider hat der Klugscheißer aber halt auch Anteile von Rechthaber, Besserwisser und Pedant in sich und da kann es dann schwierig werden. 
Nobody is perfect?!


Samstag, 25. Mai 2013

Theater hat seltsame Probengespräche


Probe von "Cyrano de Bergerac", erster Akt, die erste Begegnung zwischen Cyrano und Christian, zwischen dem Titelhelden und dem romantischen Helden, beide lieben ein und dieselbe Frau, wenn auch auf höchst unterschiedliche Weise. Zwei Liebes-Weisen stossen aufeinander. 

Der eine hält sich für häßlich, der andere sich für dumm. Selbstverachtung im Doppelpack, da liegt ihre Ähnlichkeit. Sie teilen die Hoffnung, dass, wenn nur dies Eine anders wäre, ihr Leben ins rechte Lot käme. 'Wäre ich jünger, schöner, stärker, hätte ich dies, hätte ich das - dann wäre ich glücklich.'  Stoßseufzer, Illusion, aber auch verzweifelte Ausrede oder Entschuldigung, das Änderbare zu verändern.

Der eine ist ein Meister der defensiven Abwehr, der schützenden Ironie, immer ein Bonmot im Anschlag und wenn das nicht reicht, dann eben eins in die Fresse.
Der andere sagt von sich selbst: "Ich bin so dumm dass es schon weh tun müßte." und " Ich liebe.". Keine Ornamente, kein aber, keine Einschränkungen, keine Selbstironie. Er ist ohne Arg und eben halt nicht dumm.
Das ist arg schwer.
Wenn uns ein Mensch begegnet, dessen Worte mit seinen Absichten übereinstimmen, der arglos ist, ohne Arg, ohne Böses, ohne Verstelltes, macht uns das fassungslos. Es heißt auch nicht, dass dies ein besonders angenehmer Mensch sein muß, aber er ist uns fremd.
Wie ein anderer "guter Tor", Siegfried, der sich arglos das Zeichen seiner Schwäche anzeichnen läßt, wird Christian an einem Betrug teilnehmen und schlußendlich getötet werden.
Das Wort arglos hat sich in seiner Gebrauchszeit verändert, beschrieb es einst jemanden, der nichts Böses will, wird es heute zu "er ahnt nichts Böses" verkleinert. Einst eine aktive Haltung, ist nun die Unfähigkeit das Böse, das doch gewiss kommt, zu sehen. Einst stark, nun blind oder blöde.

Max Slevogt Siegfrieds Tod 1924

Wiki schreibt:
Arglosigkeit ist ein Zustand, in dem der Betroffene nichts Böses ahnt, eine bevorstehende Gefahr nicht als solche zu erkennen vermag.
Das Wort Arglosigkeit leitet sich von arg in der Bedeutung von böse ab. Es wird in der Regel synonym mit nichts Böses ahnend, treuherzig oder vertrauensvoll gebraucht, bedeutet in einer veraltenden Bedeutung jedoch auch aktiv nichts Böses wollend.

argwohnlos
argwillig, malevolus, böswillig, übelwollend, als Verb argwilligen
Der Argwohn, des -es, plur. doch nur selten, die -e, die nachtheilige, mit Ungewißheit verbundene Meinung von den Gesinnungen einer Person, besonders so fern diese Meinung ungegründet ist, wodurch sie sich von dem Verdachte unterscheidet.  Grammatisch-Kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart 


Argwohn Josephs


Und der Engel sprach und gab sich Müh
an dem Mann, der seine Fäuste ballte:
Aber siehst du nicht an jeder Falte,
daß sie kühl ist wie die Gottesfrüh.
Doch der andre sah ihn finster an,
murmelnd nur: Was hat sie so verwandelt?
Doch da schrie der Engel: Zimmermann,
merkst du´s noch nicht, daß der Herrgott handelt?
Weil du Bretter machst, in deinem Stolze,
willst du wirklich den zu Rede stelln,
der bescheiden aus dem gleichen Holze
Blätter treiben macht und Knospen schwelln?
Er begriff. Und wie er jetzt die Blicke,
recht erschrocken, zu dem Engel hob,
war der fort. Da schob er seine dicke
Mütze langsam ab. Dann sang er Lob.

Rainer Maria Rilke


Freitag, 17. Mai 2013

Theater hat auch einen Schlaf


Auch Schlafen ist eine Form der Kritik,
vor allem im Theater.

George Bernard Shaw

Ich kann mich noch gut erinnern, im Frühjahr 1990 in Paris in der Comédie-Française. Der Name des Stückes ist allerdings dem Vergessen anheimgefallen, irgendein französischer Klassiker wohl: 
Zweiter Akt. Wieder steht jemand an der Rampe, elegant, nahezu reglos, in barocker Pose und er rezitiert mit klarer, melodiöser, auf-und abschwellender Stimme einen sehr langen Monolog - Schwarzbild - mein Kopf schlägt hart auf die am Balkonrand angebrachte Metallstange. Ich werde mit einem "Schlag" wach und empfinde tiefe Scham ob meines Mangels an Ehrfurcht. 

Gegenbeispiel: nach zwei Nächten ohne Schlaf sitze ich in Franfurt/Main in einem Strassenbahndepot und sehe die "Mahabarata" von Peter Brook und seiner Truppe, acht Stunden lang, ebenfalls in französisch und ich starre und fiebere und lache und staune und bin hellwach und glücklich.

Also an der Sprache lag es demnach nicht.

Vorletzte Woche in Berlin, ich, ein mittlerweile geübter und trickreicher Theaterschläfer, verlasse betrübt, nach dreifacher Schlafattacke im ersten Teil noch in der Pause das Theater.
Dieses vom Schlaf-Überwältigt-Werden ist wie der Angriff einer Kraft gegen die ich machtlos bin, selbst harte kleine Bisse in die Mundschleimhaut, Augenaufreissen, Fingernagel in die Handfläche pieksen, hilft nicht. Auch wenn die Musik auf der Bühne laut, die Aktion heftig, die Stimmen laut ist, ob Nebel wallt oder Weißlicht gleißt - sobald mein Kopf, Bauch über längere Zeit nicht beteiligt wird, schaltet mein Körper auf Ruhezustand, die Augäpfel verdrehen sich in Clownsmanier nach innen, die Augenlider werden ungeheuer schwer. Da heißt es schnell und unbemerkt, eine gute Tarnungs-Sitzhaltung einzunehmen, so dass der Kopf nicht nach hinten oder vorn fällt, der Nachbar, der sich ja möglicherweise blendend amüsiert, nicht gestört wird und, zur Schnarchvermeidung, die Kehle nicht eingeklemmt wird. Den Kopf in die Hand gestützt, die Finger leicht über den Brauen gespreizt, hat sich als die bequemste und unauffälligste Haltung bewiesen. Selbst Leute in den Sitzen links und rechts haben nichts bemerkt.

Trotzdem - Schade, denn wenn Theater mich reißt, fasziniert, unterhält, bedrückt, dann werde ich immer wacher, der Körper locker gespannt, die Atmung mit dem auf der Bühne synchronisiert. Und wenn es ganz toll wird, dann macht mein Gesicht manchmal mit, sieht ziemlich albern aus, macht mich aber glücklich.

 


Marionetten-Theater
(Furnes, Kermes)

Hinter Stäben, wie Tiere,
türmen sie ihr Getu;
die Stimme ist nicht die ihre,
aber sie ziehn dazu
ihre Arme und Schwerter
ungemein und weit,
(findige Verwerter
dessen was grade schreit.)

Sie haben keine Gelenke
und hängen ein wenig quer
und hölzern im Gehenke,
aber sie können sehr
töten oder tanzen
oder auch im Ganzen
sich verneigen und noch mehr.

Auch pflegen sie kein Erinnern;
Sie machen sich nichts bewusst,
und von ihrem Innern
gebrauchen sie nur die Brust,
um manchmal darauf zu schlagen
als schlügen sie sie ein.
(Sie wissen, dieses Betragen
ist deutlich und allgemein.)

Ihre großen Gesichter
sind ein für alle Mal;
nicht wie die unsern: schlichter,
dringend und ideal;
offen wie beim Erwachen
mitten aus einem Traum.
Das giebt natürlich Lachen
draußen in dem Raum,
aus dem die von den Bänken
sehn
wie sich die Puppen kränken
und schrecken und an Schwänken
in Bündeln zu Grunde gehen.

Wenn einer es anders verstände
und säße und lachte nicht:
Ihr einziges Stück verschwände
und sie spielten ihr jüngstes Gericht.
Sie rissen an ihren Schnüren
herein vor die kleinen Coulissen
die Hände von oben, die Hände,
die immer versteckten, entdeckten
häßlichen Hände in Rot:
und stürzten aus allen Türen
und stiegen über die Wände
und schlügen die Hände tot.


Rainer Maria Rilke Aus: Die  Gedichte 1906 bis 1910 (Paris, 20. Juli 1907) 

 

Dienstag, 14. Mai 2013

Muttertag - Teil 2


Und die Mutter blicket stumm
Auf dem ganzen Tisch herum. 

Struwelpeter Heinrich Hoffmann

Irgendetwas an diesen unzähligen Muttertagsgruß-Postings auf Facebook und anderswo hat mich ganz wuschig gemacht. Sie reichten von farbigen Blümchenbildern, gestellten Mama-Kind-Portraits bis zu pflichtgemäß von Herzen kommenden Aussagen wie "Hast du gut gemacht!", "Der besten Mama der Welt!" und was es noch an formelhaften, unpersönlichen Liebeserklärungen gibt.

Ich mag meine Mutter, sehr sogar, also warum reagiere ich so genervt? Sicher, der pompöse Ton der meisten Grüße ist lahm. Sicher, ich schätze, außer Weihnachten überhaupt keine organisierten Festtage, sicher, die Wurzeln des Muttertages sind suppig und unfeierlich. * 

Aber dies alles ist es nicht allein. Da klingt so ein komischer Ton mit in den Grüßen, als wäre die Leistung, so etwas Herrliches wie das jeweilige Kind erzeugt und erzogen zu haben, der einzige für dieses Kind greifbare Identifikationspunkt an bzw. in der Mutter. Es klingt also wie verbrämtes Selbstlob. Ich bin toll, also muß Mama ja was richtig gemacht haben.


MEINE MUTTER
Ach weh, meine Mutter reißt mich ein.
Da hab ich Stein auf Stein gelegt
und stand schon wie ein kleines Haus,
um das sich groß der Tag bewegt;
sogar allein.

Nun kommt die Mutter, kommt und reißt mich ein.
Sie reißt mich ein, indem sie kommt und schaut.
Sie sieht nicht, dass da einer baut.
Sie geht mir mitten durch die Wand von Stein.
Ach wehe, meine Mutter reißt mich ein.

Die Vögel fliegen leichter um mich her;
die fremden Hunde wissen: der ist der.
Nur einzig meine Mutter kennt es nicht,
mein langsam mehr gewordenes Gesicht.

Von ihr zu mir war nie ein warmer Wind;
sie lebt nicht dorten, wo die Lüfte sind.
Sie liegt in einem hohen Herzverschlag,
und Christus kommt und wäscht sie jeden Tag

Rainer Maria Rilke



Das liebe Wiki sagt:
* In Deutschland wurde der Muttertag 1922/23 vom Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber mit Plakaten „Ehret die Mutter“ in den Schaufenstern etabliert und – betont unpolitisch – als Tag der Blumenwünsche gefeiert. Mit Plakaten in Schaufenstern, kleineren Werbekampagnen und Veranstaltungen bis hin zu Muttertagspoesie wurde dem ersten deutschen Muttertag am 13. Mai 1923 durch den Vorsitzenden des Verbandes, Rudolf Knauer, der Weg bereitet. Ab 1926 wurde die Propagierung des Muttertages an die Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung übertragen, um „Kirche und Schule zu gewinnen und die Regierung dahin zu bringen, den Muttertag am zweiten Sonntag im Mai als offiziellen Feiertag festzulegen“.

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Feier des Muttertags mit der Idee der „germanischen Herrenrasse“ verknüpft. Besonders kinderreiche Mütter wurden als Heldinnen des Volkes zelebriert, da sie den „arischen Nachwuchs“ fördern sollten. 1933 wurde der Muttertag zum öffentlichen Feiertag erklärt und erstmals am 3. Maisonntag 1934 als „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“ mit der Einführung des Reichsmütterdienstes in der Reichsfrauenführung begangen. 


Montag, 13. Mai 2013

Muttertag - Teil 1


"Die Jungen denken, die Zukunft wäre für sie erfunden worden." Kate Atkinson

Etwa 1940 geschrieben - ein Text von Bertolt Brecht über seine Tochter Barbara, meine Mutter, den ich gestern, am "Tag der Mütter" bei einer Lesung vorgelesen habe, während sie, nunmehr einige Jahre älter, genauso klein und immer noch mit den "lustigen blauen Augen", im Publikum saß.

BARBARA

Barbara - zehn Jahre alt - ist dünn wie ein Spatz im März. Sie hat ein kleines Gesicht mit lustigen blauen Augen. Sie ist ein merkwürdiges Geschöpf, wild wie ein kleiner Hurrikan und zart wie Brüsseler Spitze. Sie quält einen bis aufs Blut mit ihren Fragen und ist äusserst freigiebig mit ihren Meinungen. Sie ist brennend interessiert an allem, was sie etwas angeht und ebenso brennend an allem, was sie nichts angeht. Sie ist kein stilles Kind und hat absolut keine Hemmungen.
Barbara schnappt unentwegt neue Wörter und Sätze auf, die sie dann bei der ersten Gelegenheit an den Mann zu bringen sucht. Sie probiert die neuen Wörter mit grösster Kühnheit aus, wirft sie wie beiläufig in das Gespräch ein und wenn sie Erfolg haben (aber auch, wenn sie gar nicht auffallen, weil sie selbstverständlich sind) werden sie in den Sprachschatz aufgenommen. Lacht man darüber, werden sie einfach fallen gelassen. Barbara hat genug Gelegenheit gehabt, viele Ausdrücke aufzuschnappen, denn sie ist ein Emigrantenkind, und da wohnt man mal da, mal dort, trifft in immer neuen Ländern immer neue Leute, ganz verschiedene. Im allgemeinen sind die Leute freundlich zu ihr. Aber sie hat doch schon eine ganze Menge Widerwärtigkeit gesehen.
Sie meint selber, sie ist nicht klüger als andere Kinder. Sie sei eben viel herumgekommen, erklärt sie entschuldigend, wenn sie mehr weiss als die andern.
Ausserdem ist sie eine Leseratte. Sie liest wahllos, was ihr in die Hände kommt, von Märchen über "Das Wochenblatt der Dame" bis zu Selma Lagerlöf. Die neuen Ideen und Ausdrücke werden zum Glück meistens eben so rasch vergessen wie aufgenommen.
Als wir uns neulich bei Tisch über eine Scheidung unterhielten, warf sie plötzlich mit einem Augenaufschlag, den sie vor nicht langer Zeit im Kino gesehen haben muss, ein: "Hat er wirklich seine Gattin verstossen?". Wir brachen in schallendes Gelächter aus und Barbara? Lachte einfach ungeniert mit. Wann man sie fragt, ob sie noch ein Glas Milch haben will, kann sie antworten: "Darüber muss ich erst mit mir zu Rate gehen, es dürfte aber zweckmässig sein."
Ihre liebsten Puppen sind die ganz kleinen, höchstens 9 Zentimeter langen, denen sie sehr moderne Kleider näht und winzigkleine Tellerchen Gläschen kauft, auch wirkliches Essen vorsetzt.
Jetzt ist sie seit einem halben Jahr in einer neuen Schule. Die Lehrer und Kinder scheinen sie gern zu haben, sie geht gern hin. Viele Sachen aus der Schule berichtet sie zu Hause, aber was ich nun erzählen will, habe ich nicht von ihr selbst gehört.
Ich trank mit einer Bekannten das, was man heutzutage Kaffee nennt, in einem kleinen überfüllten Kaffeehaus. Und während wir von allen Seiten geschubst wurden und diejenigen, die keinen Platz hatten, uns missmutig ansahen, ob wir nicht bald gehen würden, erzählte meine Bekannte, dass sie Barbaras Lehrerin getroffen habe. Und die habe ihr eine so merkwürdige Geschichte erzählt, man könne sie einem zehnjährigen Kind kaum zutrauen. Barbara konnte man es, dessen war ich sicher.
Nach der Stunde hatten die Kinder ihre Zeichnungen abgeliefert, Barbara gab eine Zeichnung ab, worauf halb entlaubte Bäume, einige Sträucher entschieden grüner, aber doch nicht mehr in sommerlicher Pracht, und massenhaft Pilze zu sehen waren. warum es Barbara für notwendig hielt, ihre Zeichnung auch noch vor der ganzen Klasse mit einer lauten Bemerkung zu versehen, ist unklar, aber jedenfalls sagte sie: "Es ist halt Herbst. Da fallen die Blätter von den Bäumen. An die Sträucher kommt der Wind nicht so leicht ran, aber doch. Und Pilze gibt's eben massenhaft im Herbst."
Vielleicht war sie auch dann mit der Aufnahme, die ihre Zeichnung gefunden hatte, nicht völlig zufrieden und wollte den Eindruck etwas verstärken; vielleicht war sie einfach redselig: sie hatte einen Schnupfen und sprach gern, weil es "so schön durch die Nase klingt". Sie vertraute in der Pause der Lehrerin an: " Das war es gar nicht, was ich mit dem Bild meinte. Ich meinte: die Bäume sollen die Erwachsenen sein, die alten Menschen also. Die hat der Wind durchgeweht und da ist nur ein ganz klein bisschen Herz übrig geblieben - das sind die Bätter hier. Und sie haben traurige Farben. So sind sie. Die Sträucher sollen die jungen Menschen sein. Die glauben noch, dass schon alles gut gehen wird, darum habe ich die vielen grünen Blätter gemacht. Und die Pilze, das sind die Kinder, die sind bunt und lustig, weil sie gar nicht wissen, was noch alles kommt."
Die Lehrerin war darüber sehr betroffen und zeigte es wohl auch. Barbara aber meinte, dass auch diese Erklärung der Lehrerin nicht gefallen habe und sprach schnell und heiter über Pilze im allgemeinen weiter und wie man sie kochen und einlegen muss. Sie ist nie um ein Gesprächsthema verlegen.
Ich war nicht ganz so gerührt wie die Lehrerin und meine Bekannte. Aber doch, ich muss sagen: ich spreche gern mit Barbara. Als sie neulich wie durch ein Wunder von einem Freund ein Stückchen Schokolade geschenkt bekam, wollte sie es erst in gleiche Teile für alle teilen. Aber alle bestanden darauf, dass sie als die Kleinste ihr kleines Stückchen allein isst. Da ging sie weg.
Eine Stunde später sagte sie zu mir: "Schokolade ist wunderbar. Findest du nicht, das beste wäre, wenn alle immer Kinder blieben? Dann gäbe es keinen Krieg mehr, denn Kinder können keinen machen."

Vater und Tochter

Donnerstag, 9. Mai 2013

Vatertag Herrentag Männertag


Historisch könnte die Tradition des Herrentages, unter anderem, auf die traditionellen Flurumgänge am Himmelfahrtstag zurückgehen. Nach germanischem Recht mußte jeder Grundeigentümer einmal im Jahr seinen Besitz umschreiten, um seinen Besitzanspruch zu wahren. Und es wurden auf diese Weise, die noch nicht schriftlich fixierten Flur-und Gemeindegrenzen, erinnert und bestätigt.



Eine Erinnerung
Herrentag in Mecklenburg-Vorpommern: Gegen sieben Uhr morgens werde ich von einer derb fröhlichen Männerstimme geweckt, die ein Lied davon singt, wie man auf mexikanische Art Mittagspause macht. Sie scheint direkt innerhalb meines Kopfes zu singen. Es stellt sich aber Gott sei Dank heraus, dass dieser Eindruck nur durch die Lautstärke entsteht, mit der das Lied aus zwei Lautsprechern erschallt, die in einer Gartenkneipe, nur lächerliche 500 Meter entfernt, angebracht wurden. Und dort sitzen tatsächlich Herren, Männer, möglicherweise Väter, die um diese morgendliche Stunde Bier trinken, um den ihnen gewidmeten Tag einzufeiern.
Die Menge der deutschen Schlager, die das Liebe und Feiern an exotischen Orten besingen, ist erstaunlich, allerdings klingen alle diese Orte dann doch irgendwie wie Hoyrerswerder oder Detmold.
Zeitsprung: gegen 20.00 Uhr auf dem jetzt stillen Platz vor meinem Haus stehen, fein ordentlich verteilt auf die vier Himmelsrichtungen, sozusagen im Rechteck, vier Männer, die das zuvor getrunkene Bier in den mild wehenden Wind verteilen. Ein Flurumgang der ganz eigenen Art. Ein Skinhead mit Kampfhund schwankt vorbei, ich weiche automatisch auf die andere Strassenseite aus, und höre wie er seinen Hund mit den Worten: "Jaqueline, dat reicht jetze!" zurechtweist. Ungelogen.

Unser HERR Jesus Christus ist am MÄNNERTAG zu seinem VATER in den Himmel gefahren.

Seit dem vierten Jahrhundert feiern Christen 40 Tage nach Ostern das Fest Christi Himmelfahrt.
In manchen Kirchen ist es Brauch, an diesem Tag in der Kirche eine Christusstatue zur Decke hinaufzuziehen. Im Umfeld des Himmelfahrtstages finden an vielen Orten Prozessionen durch Felder oder Weinberge statt, in denen die Gläubigen um ein gutes Erntejahr beten.
Eine Erklärung bringt die Tradition des Umzugs mit dem Gang der elf Jünger zu einem Berg in Galiläa in Zusammenhang - "Apostelprozession", wo sie von Jesus den "Missionsbefehl" erhielten (Siehe: Matthäus-Evangelium 28, 16f).

Allerdings sollen die Umzüge bereits im Mittelalter ihren religiösen Sinn oftmals verloren und der Alkohol eine zunehmende Rolle gespielt haben. Aus diesen von der protestantischen wie katholischen Kirche bekämpften alkoholträchtigen Umzügen entwickelten sich im 19. Jahrhundert "Herrenpartien" oder sogenannte Schinkentouren. Diese wurden nach der Einführung des Muttertages Anfang des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Staaten zum Gegenstück, dem "Vatertag".
Aus der Berliner Morgenpost vom 9.5.2013

LUKAS 24

Da sie aber davon redeten, trat er selbst, Jesus, mitten unter sie und sprach: Friede sei mit euch! Sie erschraken aber und fürchteten sich, meinten, sie sähen einen Geist. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? Sehet meine Hände und meine Füße: ich bin's selber. Fühlet mich an und sehet; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe. Und da er das sagte, zeigte er ihnen Hände und Füße. Da sie aber noch nicht glaubten, vor Freuden und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr etwas zu essen? Und sie legten ihm vor ein Stück von gebratenem Fisch und Honigseim. Und er nahm's und aß vor ihnen. ...

Er führte sie aber hinaus bis gen Bethanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, da er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten wieder gen Jerusalem mit großer Freude und waren allewege im Tempel, priesen und lobten Gott. 



 Himmelfahrt Salvador Dali 1958

Wiki sagt:
Aufgrund des erhöhten Alkoholkonsums und den häufig durchgeführten Massenveranstaltungen gibt es, wenn man die Statistik betrachtet, am Vatertag erheblich mehr Schlägereien als an gewöhnlichen anderen Tagen. Laut dem Statistischen Bundesamt steigt die Zahl der durch Alkohol bedingten Verkehrsunfälle an Christi Himmelfahrt auf das Dreifache des Durchschnitts der sonstigen Tage an und erreicht einen Jahreshöhepunkt. 
Da muß man wohl Gute Himmelfahrt wünschen? Wahnsinn!

Dienstag, 30. April 2013

Die Eintausendunderste Post - Macht Kunst



Auch wenn es mir sehr unangenehm ist, das zu sagen, die Deutsche Bank hat etwas unternommen, das mir gefallen hat. Sehr peinlich, aber notwendig ehrlich. Die Bank, als Finanz-Institution mag ich dennoch nicht.



Hier der ursprüngliche Aufruf:
 
Ob Profi, Student, Newcomer oder Autodidakt: Am 8. April hat jeder die Gelegenheit, für 24 Stunden eine ausgewählte Arbeit in den Räumen der neuen Deutsche Bank KunstHalle auszustellen. Gemälde, Zeichnung, Collage oder Fotografie – erlaubt ist alles, was man hängen kann. Die Einlieferung der Kunstwerke erfolgt vom 5. bis 7. April, 10 bis 19 Uhr in der Charlottenstraße 37/38.
Besucher können für ihr Lieblingswerk abstimmen, und dabei eines von 100 Jahrestickets für die KunstHalle gewinnen. Der Künstler mit den meisten Stimmen erhält ein einjähriges, mit 500 Euro im Monat dotiertes Atelier-Stipendium.
Eine Fachjury zeichnet drei Künstler aus, die mit einer zweiwöchigen Einzelausstellung im Studio der KunstHalle vorgestellt werden.



April 2013: Die Menschenschlangen streckten sich bis zur Staatsoper, erst die der Beliefernden, dann die der Sehenwollenden. Die Menge der Bilder konnte nicht untergebracht werden, trotz "Petersburger Hängung". Die kenne ich aus Florenz, wo ich mit Schwindelgefühl und Atemnot aus den Uffizien schwankte, weil bemalte Decken, drei Reihen hoch Bilder und dann noch Mosaike auf dem Fußboden, die Aufnahmefähigkeit meines armen Hirns einfach überforderten. Damals habe ich angefangen, Museumsbesuch zu üben: nicht Alles sehen wollen, das Auge über Vieles nur hinweggleiten lassen und sich eine gute Zeit mit einigen wenigen Bildern, Skulpturen, Installationen machen. Nachdem ich mich von dem verflixten "viel hilft viel", "das muß man kennen" Bürgerbildungsdruck befreit hatte, bin ich viel lieber in Museen gegangen. 
Man muß ja auch nicht Alles essen, was auf dem Teller ist, oder? Ich kann mitlerweile auch Bücher weglegen, die mir nicht gefallen, und wenn noch so viele andere Leute meinen, sie seien großartig. Klingt blödsinnig, war für mich aber ein Befreiungsschlag. So, wie, als ich das erste Mal in der Pause einer außerordentlich langweiligen Inszenierung einer allseits verehrten Inszenierung, zu meiner eigenen Überraschung merkte, dass ich bereits auf dem Weg nach Hause war.



Gestern Nacht also bei "Macht Kunst" Teil zwei in der Alten Münze am Molkenmarkt: Wir treffen eine Bekannte, sie hat eines ihrer Bild hier hängen, ist aufgeregt, scheu und lüstern zugleich, es uns zu zeigen. Sie hat noch nie eines ihrer Bilder öffentlich ausgestellt.



Was mir gefallen hat, war der Mangel an Vorauswahl, ich mußte selber hingucken, niemand hat im Voraus für mich entschieden, dies sei Kunst. Wo Rembrandt draufsteht, ist Rembrandt drin, aber hier...?

Zum "Mann mit dem Goldhelm":
„Es gibt Rembrandt-Bilder, die sind rembrandtischer als Rembrandt selbst – wie der „Mann mit dem Goldhelm“ in Berlin. Sein dickes Impasto, das potenzierten Glanz produziert, treibt ein rembrandtsches Prinzip über sich selbst hinaus. Eben deswegen konnte das Bild so berühmt werden, es war für eine bestimmte Zeit der Inbegriff von Rembrandt, ohne von Rembrandt zu sein.“

Werner Busch: Wirklich Rembrandt?
In: Tagesspiegel-Beilage der Freien Universität Berlin, 24. Juni 2006. Abgerufen am 15. August 2010
Hier gab es scheinbar keine Bewertung im Vorfeld, die Bilder wurden angenommen in der Reihenfolge des Erscheinens, gehängt nach Zufall und wo gerade noch ein entsprechende Lücke war. Ein Freund sagte: "Kapitalismus pur", recht hat er, oder vielleicht Darwinismus pur?





Die Stimmung in den Räumen der Alten Münze, sonst eine Ort für Veranstaltungen aller Art, mit einer Bar, die auf den schönen Namen "Penis" hört, war entspannt und gesprächig. Das war auch gut. Wir sind morgens um halb Zwei gegangen, wie der Rest der Nacht verlief, weiß ich nicht, aber sicher interessant, wenn dann die Nachtschwärmer und übernächtigten Partybesucher vorbeischauten.



Sehr guter Artikel eines Malers, der dort ausgestellt hat über seine Eindrücke.
http://www.steffen-blunk.de/index.php/aktuelles/items/deutsche-bank-macht-kunst-oder-was.html






Freitag, 26. April 2013

Zornmanagement



Singe, Muse, vom Zorn des Helden Achill, 
der unendliches Leid den Achäern brachte...

Illias 1. Gesang, erste Zeile


Was macht man mit Zorn auf jemanden, den man einmal für einen Freund hielt?   
Man ist verletzt, gekränkt, beleidigt, verachtet, ungerecht behandelt worden und nun steht man da.  
Man ist wütend. Nein, nicht ärgerlich, nicht verstimmt, sondern wütend, zornig, abgrundtief traurig auch übrigens.  
Man grübelt, grummelt, versucht zu verstehen warum, untersucht die Situation  unter möglichen und unmöglichen Gesichtspunkten, redet mit Freunden darüber. Danach ist man aber immer noch zornig.
Das Schlimmste ist die Hilflosigkeit. Wenn der Kränkende wenigstens begreifen würde, begreifen müßte, was er, und warum er es, getan hat. Aber nichts da. Der Erzürnende verweigert die Einsicht, oder er schiebt, als übelster Teil der Kränkung, die Verantwortung hochmütig, lässig und kalt von sich weg. 
Was kann man dagegen tun? RACHE! würde Krimhild sagen. Aber welche Rache ist wirklich süß? Rache verwandelte den Täter in ein Opfer. Schlechte Lösung. Genugtuung - was wäre das? Dass es dem Beleidiger so mies geht, wie man sich selbst fühlt? Entschuldigung? Nebbig! Kriegt man überall für einen Pfennig. Verständnis würde helfen, ist aber nicht vorrätig.
Was macht man mit Zorn?  
Das Zweitschlimmste ist das Nicht-Begreifen-Können. Warum? Welcher Mangel in einem selbst, welcher noch-nicht-erkannte Zug oder Fehler hat dies herausgefordert? Ist man eigentlich selber der Schuldige? Verdient man so behandelt zu werden?
Was macht man mit Zorn? 
"Nimm das Gefühl an" ist ein beliebter Ratschlag. Annehmen heißt, sagt der Duden u.a.: etwas entgegennehmen, nicht zurückweisen, mit etwas einverstanden sein, mit etwas übereinstimmen, es übernehmen.   
Warum sollte man mit diesem Zorn einverstanden sein? Wer ist gerne zornig. Und dann? Angenommen man nähme den Zorn an, Handlungsunfähigkeit und Wehrlosigkeit werden dadurch nicht angenehmer.
Wie kann es sein, dass der Missetäter ruhig schläft, unberührt grinst, oder sogar selbstgerecht "mitfühlt" und man selbst verkrampft sich in gelähmter Wut?
Nein, das Allerschlimmste ist, dass Zorn an einem selbst mehr Schaden anrichtet als beim Verursacher. Zorn kostet Kraft, raubt Lebensfreude. Der Mistkerl oder die böse Kuh erringen so einen Doppelsieg.
Was macht man mit Zorn? 
Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Leider glaube ich nicht an Gott und bin immer noch zornig.




"Mit Gelassenheit pflegt man ein mittleres Verhalten da zu bezeichnen, wo es sich um zornige Erregung handelt, und zwar teilt man, weil es für die rechte Mitte und eigentlich auch für die beiden Extreme keinen eigenen Ausdruck gibt, die Bedeutung der rechten Mitte, die unbenannt ist, der Gelassenheit zu, während letztere eigentlich nach der Seite des Zuwenig hinneigt. Das Zuviel darf man als Hang zu zorniger Erregung bezeichnen. Der innere Zustand ist der Zorn; die Ursachen, die ihn erregen, sind zahlreich und von der verschiedensten Art. Wer da zürnt, wo der Anlaß und die Personen den Zorn rechtfertigen, wer in der rechten Weise, zur rechten Zeit und die rechte Zeitdauer hindurch zürnt, dessen Verhalten findet Billigung; man kann einen solchen gelassen nennen, vorausgesetzt, daß Gelassenheit das billigenswerte Verhalten bedeutet. Gelassen, das bedeutet, daß man sich nicht aufregen, von der Leidenschaft sich nicht hinreißen läßt, sondern in der Weise seinem Zorn Raum gibt, wie rechte Vernunft es gebietet, bei dem gegebenen Anlaß und die rechte Zeitdauer hin durch. Wo der Gelassene sich dagegen vergeht, da möchte es eher in der Richtung auf das Zuwenig geschehen. Denn dem Gelassenen liegt vermöge seiner Neigung nicht die Vergeltung, sondern mehr die Nachgiebigkeit nahe. Das Zurückbleiben hinter der rechten Mitte aber, sei es aus einer Art von Temperamentlosigkeit, sei es aus irgendeinem anderen Grunde, ist Gegenstand der Mißbilligung. Leute, die da nicht in zornige Aufwallung geraten, wo es geboten wäre, erscheinen als verkehrte Menschen, gerade wie diejenigen, die nicht in der rechten Weise, nicht zur rechten Zeit, noch aus dem rechten Anlaß zürnen. Jener macht den Eindruck, als habe er keine Empfindung und mache es ihm keinen Schmerz, und da er nicht zürnt, als sei er auch nicht imstande sich zu wehren, während es doch Sklavensinn verrät, still zu halten, wenn man beschimpft wird, oder seine Angehörigen preiszugeben. Dagegen, daß man zu weit geht, das kommt in allen Beziehungen vor; man zürnt den Personen und aus Anlässen, wo es nicht recht ist; man zürnt heftiger, schneller und längere Zeit hindurch, als recht ist."

aus: Nikomachische Ethik Über Gelassenheit
Aristoteles



Der Zorn des Achilles
Léon Benouville 1847

"Die Geschichte aller bisherigen europäischen Gesellschaft ist ihm die Geschichte von Zornmanagement." 
aus einem Artikel in der "Zeit" über Sloterdijks Zorn und Zeit

Freitag, 19. April 2013

Wo rohe Kräfte sinnlos walten?


"...man wird es Terrorismus nennen. Man wird ihm einen tönenden Spitznamen geben. Nunwohl, es ist uns gleichgültig. Wir scheren uns nicht um ihre Meinung." 
Michail Bakunin, "Prinzipien der Revolution. Worte an die Jugend in Genf", 1869

Die Schrecken des Krieges "Das wilde Ungeheuer"
Goya 1810/1820

"Den oder die könnte ich umbringen!", denkt man manchmal, sagt man manchmal. Tut man meist dann doch nicht, es ist aber im Bereich des Fühlbaren, Vorstellbaren. Im Affekt, unter gewaltigem Druck, in großer Not. Den Faden verliere ich, wenn ich versuche nachzuvollziehen, warum man unbekannte, zufällige Menschen töten will, um für oder gegen Was-es-auch-immer-sei zu kämpfen. Sind Kinder darunter? Pech gehabt. Geht mein Nachbar gerade vorbei? Schade. Jemand, der genauso denkt wie ich? Jemand, der gerne lebt? Jemand, der einen Mann liebt? Jemand, der geliebt wird? Irgendjemand, so wichtig oder unwichtig, wie ich? Kollateralschaden ist eines der ekelhaftesten Wörter, die ich je gehört habe. Ich weiß, ich lebe in friedlicher Zeit im wohlhabenden Teil Europas und mein Erfahrungshorizont ist dementsprechend schmal. Aber, aber wird auch nur ein Leben besser durch die ungezielte Tötung Anderer? Zu naiv? Ich will das nicht glauben.

Wiki schreibt:
Der Terror (lat. terror „Schrecken“) ist die systematische und oftmals willkürlich erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt, um Menschen gefügig zu machen. Das Ausüben von Terror zur Erreichung politischer, wirtschaftlicher oder religiöser Ziele nennt man Terrorismus. 

Es gibt keine allgemein akzeptierte wissenschaftliche Definition von Terrorismus. Schwierigkeiten bereitet insbesondere die Abgrenzung von Terrorismus und politischem Widerstand - typischerweise werden Personen und Bewegungen, die von einer Seite als gewalttätige, aber legitime Untergrund- oder Widerstandskämpfer angesehen werden, aus einem anderen Blickwinkel als Terroristen bezeichnet, und umgekehrt.

...
Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hat's erfüllt,
Das sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelung'nen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt!
Wenn die Glock' soll auferstehen,
Muß die Form in Stücke gehen.
Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit;
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glüh'nde Erz sich selbst befreit!
Blindwütend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborst'ne Haus,
Und wie aus offnen Höllenrachen
Speit es Verderben zündend aus.
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten;
Wenn sich die Völker selbst befrei'n,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
Der Aufruhr, daß sie heulend schallt,
Und, nur geweiht zu Friedensklängen,
Die Losung anstimmt zur Gewalt.
Freiheit und Gleichheit! Hört man schallen;
Der ruhige Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher.
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz;
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu;
Der Gute räumt den Platz beim Bösen,
Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist's den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leih'n!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
Und äschert Städt' und Länder ein.
...

Friedrich Schiller aus "Die Glocke" 1799


Ich les, daß Feuer eine Wohltat ist
Solang der Mensch es zähmet und bewacht
Daß es ihn aber, ungezügelt, frißt.
Ich frage mich: an was hat der gedacht?

Was ist es, das er euch zu zähmen bittet?
Dies Element, das er so nützlich nennt
Gesittung fördernd, selber nicht gesittet –
Was für ein Element ist wohl dies Element?

Dies Feuer, diese Tochter der Natur
Die, ihrer Zügel los, durch eure Gassen wandelt
Mit roter Mütze auf, wer ist das nur?

Das ist nicht mehr die gute alte Magd!
Ihr habt wohl die Person zu mild behandelt?
Ich seh, sie hat euch nach dem Lohn gefragt.


Bertolt Brecht 
1938 geschrieben, 1951 veröffentlicht

Die Schrecken des Krieges "Begrabt sie und seid still."
Goya 1810/1820

Wenn sie mit Fleischermessern durch eure Schlafzimmer geht, 
werdet ihr die Wahrheit wissen.
Heiner Müller aus: Hamletmaschine 

ALLEIN MIT DIESEN LEIBERN
Staaten Utopien
Gras wächst Auf den Gleisen 
Die Wörter verfaulen Auf dem Papier 
Die Augen der Frauen 
Werden kälter Abschied von morgen 
STATUS QUO

Heiner Müller
© Suhrkamp Verlag
Aus: Werke 1. Die Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1998

Die Schrecken des Krieges "Die Verwüstungen des Krieges"
Goya 1810/1820