Mittwoch, 28. Dezember 2011

Schüttle Dich oder ich freß Dich


Der Schüttelreim ist eine Reimform, bei der die Anfangskonsonanten der letzten beiden betonten Silben miteinander vertauscht werden. Er stellt eine Sonderform des Doppelreims dar.

Er klapperten die Klapperschlangen, 
Bis ihre Klappern schlapper klangen.

Wenn im Theater Recken schrein, 
dann geh' ich nur mit Schrecken rein!

Sprach der Leibesriese auf der Liebesreise:
'Reib es, liebe Liese - und sie rieb es leise.

Das Kind schlief in der Krippe ein, 
ihr werft da keine Kippen rein

Leg niemals deine weiße Hand
auf eines Ofens heiße Wand!

Nicht selten sich Talente recken, 
wenn sie das Blut der Rente lecken.
 
Die Boxer in der Meisterklasse
schlagen sich zu Kleistermasse.
Und aus dem ganzen Massenkleister
steigt empor der Klassenmeister. 

Wer andern eine Zange leiht,
vermißt sie dann für lange Zeit.

Hans Sachs, als er beim Streiten sang,
verletzte sich den Seitenstrang.

Zum raschen Trocknen in die Heckenrosen
hängt Kunigunde ihres Recken Hosen.
Als sie sich wollt' nach trocknen Hosen recken,
zerstachen gräßlich sie die Rosenhecken.

Die Aktien nach dem Kriege sanken
Man kann halt auch am Siege kranken.

Am Waldrand, dem schönen, bei den nickenden Fichten, 
dort hört man das Stöhnen der fickenden Nichten.

Heut essen wir den Suppenhahn,
den gestern wir noch huppen sahn

Alle obigen sind traditionell, also von talentierten, aber anonymen Poeten erfunden.

Erich Mühsam:
1878 in Lübeck geboren, 1934 im KZ Oranienburg ermordet.

Da sitz ich nun und webe Leinen. 
Im Traume kann ich Fleisch im Leibe wähnen,
im Traum kann ich an einem Weibe lehnen.
Doch wach muß ich, solang ich lebe, weinen

aus Der arme Weber 1913

Man wollte sie zu zwanzig Dingen
in einem Haus in Danzig zwingen. 

Höxter: So lebten wir (1929), S. 11

Sie würden mir eine große Freude bereiten,
wenn Sie meinen Hund von der Räude befreiten.
Viktor Mann: Wir waren fünf (1949), S. 427

Juchhe!" rief Karl, "juchhe, der Falter!
Er sitzt auf meinem Federhalter.

Fröhliche Kunst, 1 (1) Juni 1902, S. 83

Mein kleines Mädchen reibt sich leise
Das Aug', wenn ich nach Leipzig reise.
Fröhliche Kunst, 1 (2) Juli 1902, S. 180

Futuristischer Schleifenschüttelreim:
Der Nitter splackt.
Das Splatter nickt,
wenn splitternackt
die Natter splickt.
Postkarte an Erich Ebstein, 19. Mai 1913 

Wenn mein Hund zu bellen droht
geb ich ihm Sardellenbrot.
Postkarte an Erich Ebstein, 15. November 1915

Eisenbahnroman:
Sie brauchten nirgends umzusteigen.
Drum gab sie sich ihm stumm zu eigen.
Doch weil verkehrt die Weichen lagen,
fuhr man sie heim im Leichenwagen.
Postkarte an Erich Ebstein, 2. Juli 1913 

Mühsam's Geschütteltes - Schüttelreime und Schüttelgedichte von Erich Mühsam. Zusammengestellt und mit einem Reimregister versehen von Reiner Scholz. Mit einem Vorwort von Alfred Estermann.


Nicht ganz, aber schön:

Wie hilflos der Spatz auf der Straße liegt.
Er hat soeben was abgekriegt.
Da hebt das den Kopf, was erledigt erschien.
Könnten Spatzen schreien, der hätte geschrien.
Der hätte gebettelt: Erlöse mich.
Der Erlöser wäre im Zweifelsfall ich.
Ist sonst niemand da, die Straße ist leer,
der Wind weht leicht und der Spatz macht's mir schwer.
Wen leiden zu sehn, ist nicht angenehm.
Wenn er sterben will, ist das sein Problem.
So red ich mir zu und geh rasch voran.
Ein Glück, dass ein Spatz nicht schreien kann.

Robert Gernhardt

 

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