Montag, 11. Juli 2011

Theater hat auch ein Freilicht

Wandertheater am Flussufer Johann Christian Vollert 1708-1769
Meyers Lexikon schreibt: "Freilichtbühne, Freilichttheater, Theater unter freiem Himmel, das in Anknüpfung an das antike Theater oder das höfische Naturtheater des 17. und 18. Jahrhunderts einem gegebenen Gelände angepasst ist, wie in Epidauros, Syrakus, Verona u. a., oder das als Hintergrund historische Bauwerke, Kirchen und Burgruinen o.ä. hat."

Wenn das Theater das Theater verlässt, verändert sich alles: Sauerstoff anstatt Theaterluft,
nicht dimmbares Tageslicht, echte Dunkelheiten und unzuverlässige Lichtwechsel durch Wolken und das zeitlich unperfekte Untergehen der Sonne. Vögel singen ungebeten, Insekten machen sowieso was sie wollen, unregulierbare Nebengeräusche aller Art und überhaupt und völlig unbeherrschbar: DAS WETTER.
Inspizienten von Freilichtaufführungen entwickeln sich zu Meteorologie-Spezialisten, alle unken, hoffen, starren in den Himmel und auch vor magischen Ritualen wird nicht zurückgeschreckt.
"Singing in the rain" Donald O'Connor, Debbie Reynolds, Gene Kelly
Wenn vor der Pause abgebrochen wird, muss das Eintrittsgeld zurückgegeben werden und so sitzt man als Zuschauer nur notdürftig geschützt durch die mitgebrachten Decken, ohne Sicht, weil der Vordermann seinen aus dem Hotel gestohlenen Schirm mit Werbeslogan aufgespannt hat, ohne Ton, weil das Prasseln von Milliarden Regentropfen jede menschliche Stimme übertönt oder die winzigen Mikrophone, die wie zarte Warzen, die Gesichter der Spieler verunstalten, außer Betrieb setzt, und starrt gebannt, wie eine ehemals in unschuldiges Weiss gekleidete Julia im Schlamm der sich auflösenden Bühne, um ihre Liebe kämpft, Romeo im Duell zweimal auf den Arsch fällt und dann Tybalt nur unter größten Mühen doch noch töten kann - er hätte ihn ertränken sollen. Aber irgendwie haben alle ihren Spass, die auf den Tribünen, Bänken, Podesten, Rasenflächen und die auf den Brettern, festgestampften Erdböden oder sonstwelchen Spielflächenuntergründen.
Es ist live. Es fehlt die manchen einschüchternde Seriösität des Theaters. Nicht, dass hier nicht auch ernsthaft gearbeitet und gespielt wird, aber es schwingt doch eine Erinnerung an Jahrmarkt, an reisende Truppen, an Jahrmarkts-Gaukler mit, bei den Schauenden und den Spielenden.

Und immerhin sind ja auch oft viele der Zuschauer in Bussen herangefahren worden, drei Stunden Busfahrt, Kaffee und Kuchen, Theater und dan wieder heimwärts im Bus. Ein Ausflug all inclusive, ein Reisebüroabenteuer.
Ober-/Mittelrhein. Maler des 17. Jhd.
Fahrendes Volk
Und die Spieler? Treffen sich zu vier oder sechs Wochen Proben und die anschließenden Vorstellungen in kleinen und kleinsten Städten, ganztägig aufeinander geschubst, in meist gräslichen Unterkünften hausend, mit keiner Gesellschaft, als dieser temporären Pseudofamilie. Es wird gearbeitet und gegrillt, sich kurz verliebt und viel getrunken und wieder gearbeitet. Und trotz der manchmal harten Bedingungen ist da irgendwie auch ein Gefühl wie Ferienlager oder, im schlimmsten Fall, Trainingscamp.

Bei der Stadttheater-Sommerbespielung fehlt das oft, hier sind alle von einer langen Spielzeit erschöpft und müssen jetzt noch Freilicht schrubben, oft Kinderstücke morgens um 9 vor hunderten (im Idealfall) urlaubenden, ausgeschlafenen Kindern. Aber doch, auch hier...

Und vergessen wir nicht den Zauber des Ortes, ob an der See, oder vor Bergen, in Kirchenruinen oder uralten Amphitheatern und die Sterne und der Mond, wenn dann die Dunkelheit kommt und wie wunderbar Shilouetten vor Nachthimmel wirken und wenn es dann noch Feuer oder sogar ein Feuerwerk gibt!

Die Gaukler

Am Strande des Gelobten Lands
Im glühen Stich des Sonnenbrands
Kämpft Ludowig der Fromme;
Er trägt in sich des Todes Keim,
Ihm ahnt es, dass er nimmer heim
Ins schöne Frankreich komme.

Scheu lauscht in Zeltes Dämmerschein

Ein junger Edelknecht herein
Und hinter ihm die andern:
"Herr König, es sind Gaukler da,
Drei Brüder aus Armenia,
Die nach dem Grabe wandern.

Es heisst, sie spielen wunderschön!

Erlaubt ein frisches Horngetön
Uns allen anzuhören!"
Der König seufzt: "Betrug der Welt!
Bringt mir die Gaukler in das Zelt,
Dass sie euch nicht betören!"

Jetzt heben an den
Mund die drei
Das Horn und spielen frank und frei,
Als ging es aus zum Jagen.
Dann wie ein Quell im Walde quillt,
So rieselt sanft und wächst und schwillt
Ein Jubeln und ein Klagen.

Gemach vertönt der Hörner Schall,

Laut ruft Renaud von Reineval:
"Du Herzenstrost der Minne!
Lucinden, die sich um mich kränkt,
In Treuen ihres Pilgers denkt,
Sah ich auf stiller Zinne!"

"Ich schaute", fällt Jung Walter ein,

"In meinem Teich den Widerschein
Von Eichen kühl und düster,
Ich sah mein Boot, der Ruder bar,
Das halb ans Land gezogen war,
Umneigt von Schilfgeflüster!"

Ein jeder hat im Horneslaut

Sein Herz belauscht, sein Lieb geschaut,
Sein Minnen und sein Sehnen.
- "Herr König, sagt, was sinnet Ihr?
Was sehnet Ihr? Was minnet Ihr?
Was rinnen Euch die Tränen?"

Herr Ludwig
flüstert: "Selger Traum!
Mich hoben durch den Himmelsraum
Angelische Gestalten.
`Getreuer Knecht willkomm!’ erscholl
Ein Ruf - ich konnte wonnevoll
Die Tränen nicht verhalten."

Conrad Ferdinand Meyer

Jacques Callot: Burlesque violinist from Varie Figure Gobbi, 1616

7 Kommentare:

  1. Dauergrinsen beim Lesen. Erinnern. Wiedererkennen. Alles ganz genauso. Schrecklich und liebenswert. Ja!

    Kindertheater im Park. 12 Grad. Die Intendantin kontrollierte, ob ihre Schauspieler warme Unterwäsche drunter haben.

    Konzert im Schlüterhof. Duell Cellistin gegen kreisenden Hubschrauber. Heftigster Körpereinsatz. Runder Rücken. Stiernacken. Grimmige Blicke unter schwarzem Schleuderpony gegen den Himmel.Immer wütenderes Toben über die Saiten. Als die dritte Saite wegknallte, stieß sie mit dem zerfransten Bogen eine Drohung nach oben und stürmte ab.

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  2. Oh ja, so ist das.

    Mitunter ist die Bühne so gebaut, daß sie noch Platz gibt für die atemberaubende Schönheit der Natur dahinter,die ihr eigenes Schauspiel gibt. Dann werden die grottigsten Inszenierungen bezaubernd schön. Und gute, einzigartige der Hammer. Seltsamerweise konkurriert das selten sondern bereichert.
    Theater 89 auf dem Flugplatz in Jüterbog auf dem ehemaligen Gelände erst der Nazis und dann der Sowjetarmee. Mit auseinander-und zusammenschiebbarem Amphittheater, geschoben von allen Akteuren und etlichen Kindern, der freiwilligen Feuerwehr, zum Schluss bei den Vorstellungen von ganz Niedergörsdorf, weils einfach eine Riesengaudi und sehr besonders war. Mit Flugzeug, Tanks, Traktoren und sämtlichen verfügbaren Chören der Region. Und dazu jeden Abend ein anderer Himmel, und dann meistens Sterne. Vottgoll. Äh. Gottvoll.

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  3. Ich mag Freilicht... da gibt es Indianer. :)
    Als Kind kannte ich nur Bad Seegeberg, Naturbühne Blauer See Ratingen und Elspe... und überall hatte es Indianer. Das war toll. Und Freilicht erlaubt Kawumm, Explosionen, die man im Stadttheater lieber nicht versuchen sollte. Und Feuerwerk und Feuer überhaupt und Pferde, massenweise Pferde. Dolle Sache. In Ratingen sitzen die Zuschauer überdacht, die Bühne ist natürlich dem Regen ausgesetzt. Die Indianer ritten in ihren farbenfrohen Kostümen natürlich ohne Sattel auf den Pintos. Einmal regnete es grauenvoll - und wenn sie vom Pferd sprangen, dann sah man die farbigen Abdrücke ihrer Hosen auf den Pferden. Ich fand das urkomisch. Naja, ich hatte noch nicht beschlossen Schauspielerin zu werden. Aber ich habe mich später oft an die tapferen "Indianer" erinnert, wenn mein Kostüm sich so langsam klebrig auf meiner Haut durchfeuchtete und Kälte die Aussprache komplizierte. Aber Feuer und Kawumm mag ich immer noch am Freilicht. Und die Verwandlung von Orten durch das Theater. Aber auch, das hat Sonja schon beschrieben, die Kulissen, die man bekommt. Wenn man in einem griechischen Gewand in einem ehemaligen Tagebau steht, in einem Lichtkegel, hinter einem diese gigantischen Bagger, Wind auf der Haut und dann ist auch noch Vollmond... das ist wie eine Reise auf den Mars, das ist fremdartig genial. Zugegeben, vorher habe ich vor Kälte gezittert, dass ich kaum den Teebecher festhalten konnte, aber beim Auftritt war das so egal.

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  4. Theater, Konzerte, besonders auch Oper,draußen,Naturkulisse, milde Sommerluft - größter Genuß.

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  5. Gerade heute abend erkenne ich, auch das Ignorieren von Regeln gehört zum Reiz.
    Unter meinem Fenster sehe ich statt der üblichen Reisebusse mitten auf der Fahrbahn viele Wolldecken, gedeckt wie Tafeln, Kinderwagen kreuz und quer, eine stillende Frau, Grauköpfe in Campingmöbeln, Kinder, die sich heute auf die Fahrbahn legen dürfen oder zwischen Rollstühlen und Luftmatratzen herumtoben, und viele junge Leute mit Rucksäcken am Bordstein sitzend, sich umarmend, träumend, mitsingend. Manche klatschen über ihren Köpfen den Takt.
    Sie können nur hören, aber das reicht für einen tollen Sommerabend. Ich sehe von oben, wie der Ober-Scorpion im Ausfallschritt sich die Seele aus dem Leib singt, auch für die Leute hinter den Absperrwänden auf dem Asphalt und die in den Fenstern. Schön!

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  6. Daniel Anderson12. Juli 2011 um 00:06

    Senftenberger Naherholungsgebiet 1987: eine kleine Truppe des "Theaters der Bergarbeiter" fährt mit einem Planwagen als Bühne, von einem alterschwachen Traktor gezogen, 14 Tage lang über die Zeltplätze. Wir spielen Hans Sachs' "Der Teufel mit dem alten Weib", derbes Fastnachtspiel, unendlich viele, sexuelle Anspielungen, Phantasiekostüme, Musik von einer zerkratzten Schallplatte auf einem Rubin-Plattenspieler, die Illusion von freiem (Künstler-)Leben.
    Immer so um die 100 Zuschauer, wir spielen gegen die Geräusche vom See her ("Mandy, du kommst jetzt sofort aus dem Wasser oder es setzt was") und gegen die Flüche derer, die gerade Zelte auf oder abbauen an ("Verflucht noche mal, wer hatt'n den Scheißhering hier nich eingepackt!).
    Bei einer Vorstellung an einem FKK-Strand (ein bizarres Bild von der Bühne: etwa 80 Menschen stehen nackt vor unserem Wagen und für jeden gelungene Pointe gibt es Szenenapplaus - die menschliche Anatomie ist ja so beschaffen, dass alles miteinander zusammenhängt - wenn Bewegung im Körper entsteht, bewegt sich vieles mit) plötzliches Donnergrollen. Innerhalb von vielleicht fünf Minuten zieht der Himmel zu und Regentropfen so groß wie Kinderköpfe prasseln auf die Menge und die Schauspieler. Die Zuschauer ergreifen die Flucht in ihre Campingburgen und wir stehen in nassen Kostümen auf unserem Wagen. Wir lachen und heulen uns schief (Bei denen, die im Regen stehen...etc.), als eine seltsame Prozession unseren Wagen erreicht: vier immer noch nackte Männer und eine Frau als 'Heilige' mit einem Einkaufsbeutel vorweg, tragen eine Art improvisierten Baldachin, den sie über unseren Wagen und uns breiten: "Wenns dann emal uffgehört hat zu sechen, spielter abber weider, oder?" Aus dem Einkaufsbeutel wird uns Bier gereicht.
    "Sachte mal, was macht ihr sonst so, wenn ihr nich grade Theader spielt oder macht ihr das etwa berufsmäßig?"
    Wir haben nach dem Regen weiter gespielt bis zum furiosen Ende.

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  7. Nochmal ich, weil ich den letzten Kommentar so hinreißend und saukomisch finde. Wer den Ost-FKK-Betrieb nicht kennengelernt hat, wird sich das kaum vorstellen können. Das war eben genau das Gegenteil eines Erotik-Clubs.

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