„Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte.“
Matthäus 2,16
Peter Breughel Das Massaker an den Unschuldigen - Kindermord in Bethlehem 1566 |
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Die nackten Toten die sollen eins
Mit dem Mann im Wind und im Westmond sein;
Blankbeinig und bar des blanken Gebeins
Ruht ihr Arm und ihr Fuß auf Sternenlicht.
Wenn sie irr werden solln sie die Wahrheit sehn,
Wenn sie sinken ins Meer solln sie auferstehn.
Wenn die Liebenden fallen - die Liebe fällt nicht;
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Die da liegen in Wassergewinden im Meer
Sollen nicht sterben windig und leer;
Nicht brechen die die ans Rad man flicht,
Die sich winden in Foltern, deren Sehnen man zerrt:
Ob der Glaube auch splittert in ihrer Hand
Und ob sie das Einhorn des Bösen durchrennt,
Aller Enden zerspellt, sie zerreißen nicht;
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Keine Möwe mehr darf ins Ohr ihnen schrein
Keine Woge laut an der Küste versprühn;
Wo Blumen blühten darf sich keine mehr regen
Und heben den Kopf zu des Regens Schlägen;
Doch ob sie auch toll sind und tot wie Stein,
Ihr Kopf wird der blühende Steinbrech sein,
Der bricht auf in der Sonne bis die Sonne zerbricht,
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Dylan Thomas übersetzt von Erich Fried
Detail Schlachtung der Unschuldigen Fresko von Pietro Lorenzetti c. 1330 |
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Guido Reni (1575-1642) Detail Schlachtung der Unschuldigen |
Babij Jar
Über Babij Jar, da steht keinerlei Denkmal.
Ein schroffer Hang - der eine unbehauene Grabstein.
Mir ist angst.
Ich bin alt heute,
so alt wie das jüdische Volk.
Ich glaube, ich bin jetzt
ein Jude.
Wir ziehn aus Ägyptenland aus, ich zieh mit.
Man schlägt mich ans Kreuz, ich komm um,
und da, da seht ihr sie noch:
die Spuren der Nägel.
Dreyfus, auch er,
das bin ich.
Der Spießer
denunziert mich,
der Philister
spricht mir das Urteil.
Hinter Gittern bin ich.
Umstellt.
Müdgehetzt.
Und bespien.
Und verleumdet.
Und es kommen Dämchen daher, mit Brüsseler Spitzen,
und kreischen und stechen mir ins Gesicht
mit Sonnenschirmchen.
Ich glaube, ich bin jetzt
ein kleiner Junge in Bialystok.
Das Blut fließt über die Diele, in Bächen.
Gestank von Zwiebel und Wodka, die Herren
Stammtisch-Häuptlinge lassen sich gehn.
Ein Tritt! mit dem Stiefel, ich lieg in der Ecke.
Ich fleh die Pogrombrüder an, ich flehe - umsonst.
«Hau den Juden, rette Rußland!» -:
der Mehlhändler hat meine Mutter erschlagen.
Mein russisches Volk!
Internationalistisch
bist du, zuinnerst, ich weiß.
Dein Name ist fleckenlos, aber
oft in Hände geraten, die waren nicht rein;
ein Rasselwort in diesen Händen, das war er.
Meine Erde - ich kenne sie, sie ist gut, sie ist gütig.
Und sie, die Antisemiten, die nieder-
trächtigen, daß
sie großtun mit diesem Namen:
«Bund des russischen Volks»!
Und nicht beben und zittern!
Ich glaube, ich bin jetzt sie:
Anne Frank.
Licht-
durchwoben, ein Zweig
im April.
Ich liebe,
Und brauche nicht Worte und Phrasen.
Und brauche:
daß du mich anschaust, daß ich dich anschau.
Wenig Sichtbares noch,
wenig Greifbares!
Die Blätter - verboten.
Der Himmel - verboten.
Aber einander umarmen, leise,,
das dürfen, das können wir noch.
Sie kommen?
Fürchte dich nicht, was da kommt, ist der Frühling.
Er ist so laut, er ist unterwegs, hierher.
Rück näher...
Mit deinen Lippen. Wart nicht.
Sie rennen die Tür ein?
Nicht sie. Was du hörst, ist der Eisgang,
die Schneeschmelze draußen.
Über Babij Jar, da redet der Wildwuchs, das Gras.
Streng, so sieht dich der Baum am,
mit Richter-Augen.
Das Schweigen rings schreit.
Ich nehme die Mütze vom Kopf, ich fühle,
ich werde
grau.
Und bin - bin selbst
ein einziger Schrei ohne Stimme
über tausend und aber
tausend Begrabene hin.
Jeder hier erschossene Greis -:
ich. Jedes hier erschossene Kind -:
ich.
Nichts, keine Faser in mir,
vergißt das je!
Die Internationale —
ertönen, erdröhnen soll sie,
wenn der letzte Antisemit, den sie trägt, diese Erde,
im Grab ist, für immer.
Ich habe kein jüdisches Blut in den Adern.
Aber verhaßt bin ich allen Antisemiten.
Mit wütigem, schwieligem Haß,
so hassen sie mich –
wie einen Juden.
Und deshalb bin ich
ein wirklicher Jude.
Über Babij Jar, da steht keinerlei Denkmal.
Ein schroffer Hang - der eine unbehauene Grabstein.
Mir ist angst.
Ich bin alt heute,
so alt wie das jüdische Volk.
Ich glaube, ich bin jetzt
ein Jude.
Wir ziehn aus Ägyptenland aus, ich zieh mit.
Man schlägt mich ans Kreuz, ich komm um,
und da, da seht ihr sie noch:
die Spuren der Nägel.
Dreyfus, auch er,
das bin ich.
Der Spießer
denunziert mich,
der Philister
spricht mir das Urteil.
Hinter Gittern bin ich.
Umstellt.
Müdgehetzt.
Und bespien.
Und verleumdet.
Und es kommen Dämchen daher, mit Brüsseler Spitzen,
und kreischen und stechen mir ins Gesicht
mit Sonnenschirmchen.
Ich glaube, ich bin jetzt
ein kleiner Junge in Bialystok.
Das Blut fließt über die Diele, in Bächen.
Gestank von Zwiebel und Wodka, die Herren
Stammtisch-Häuptlinge lassen sich gehn.
Ein Tritt! mit dem Stiefel, ich lieg in der Ecke.
Ich fleh die Pogrombrüder an, ich flehe - umsonst.
«Hau den Juden, rette Rußland!» -:
der Mehlhändler hat meine Mutter erschlagen.
Mein russisches Volk!
Internationalistisch
bist du, zuinnerst, ich weiß.
Dein Name ist fleckenlos, aber
oft in Hände geraten, die waren nicht rein;
ein Rasselwort in diesen Händen, das war er.
Meine Erde - ich kenne sie, sie ist gut, sie ist gütig.
Und sie, die Antisemiten, die nieder-
trächtigen, daß
sie großtun mit diesem Namen:
«Bund des russischen Volks»!
Und nicht beben und zittern!
Ich glaube, ich bin jetzt sie:
Anne Frank.
Licht-
durchwoben, ein Zweig
im April.
Ich liebe,
Und brauche nicht Worte und Phrasen.
Und brauche:
daß du mich anschaust, daß ich dich anschau.
Wenig Sichtbares noch,
wenig Greifbares!
Die Blätter - verboten.
Der Himmel - verboten.
Aber einander umarmen, leise,,
das dürfen, das können wir noch.
Sie kommen?
Fürchte dich nicht, was da kommt, ist der Frühling.
Er ist so laut, er ist unterwegs, hierher.
Rück näher...
Mit deinen Lippen. Wart nicht.
Sie rennen die Tür ein?
Nicht sie. Was du hörst, ist der Eisgang,
die Schneeschmelze draußen.
Über Babij Jar, da redet der Wildwuchs, das Gras.
Streng, so sieht dich der Baum am,
mit Richter-Augen.
Das Schweigen rings schreit.
Ich nehme die Mütze vom Kopf, ich fühle,
ich werde
grau.
Und bin - bin selbst
ein einziger Schrei ohne Stimme
über tausend und aber
tausend Begrabene hin.
Jeder hier erschossene Greis -:
ich. Jedes hier erschossene Kind -:
ich.
Nichts, keine Faser in mir,
vergißt das je!
Die Internationale —
ertönen, erdröhnen soll sie,
wenn der letzte Antisemit, den sie trägt, diese Erde,
im Grab ist, für immer.
Ich habe kein jüdisches Blut in den Adern.
Aber verhaßt bin ich allen Antisemiten.
Mit wütigem, schwieligem Haß,
so hassen sie mich –
wie einen Juden.
Und deshalb bin ich
ein wirklicher Jude.
Jewgenij Jewtuschenko übersetzt von Paul Celan
(Aus: Paul Celan: Gesammelte Werke. Bd. 5. Übertragungen II. Frankfurt/M. 2000. S. 288ff.)
Fra Angelico (Fra Giovanni da Fiesole) - Armadio Kindermord zu Bethlehem 1450 |
Es sind immer die Unschuldigen.
AntwortenLöschenWas wäre ein Massaker an Schuldigen.
Auch ein Massaker. Was wäre mit der Unschuld derer, die es verübten.