Samstag, 1. August 2015

Eine Reise - Polen


Während es auf unserer Reise durch Polen so sehr viel geregnet hat, haben wir gesammelt, was wir über Polen und seine Bewohner wissen. Es war zu wenig. 

 © Bill Haofei Gong

Geschichte, tja, ein Land immer wieder zerfetzt von seinen Nachbarn, mal Großreich inclusive Litauen, mal fast nicht mehr findbar zwischen russischer und deutscher Gier. Steinkohle aus Schlesien. Pommerland ist abgebrannt. Dann das Warschauer Ghetto, trotz eines heroischen Aufstandes von der SS vernichtet.

Der ehemalige Jüdische Wohnbezirk Warschaus besteht nicht mehr. Mit der Sprengung der Warschauer Synagoge wurde die Großaktion um 20.15 Uhr beendet. […] Gesamtzahl der erfassten und nachweislich vernichteten Juden beträgt insgesamt 56.065. […] Meine Leute haben ihre Pflicht einwandfrei erfüllt. Ihr Kameradschaftsgeist war beispiellos.
16. Mai 1943 SS-Brigadeführer Jürgen Stroop

Aber eben auch Janusz Korczak, der katholische Priester und assimilierte Jude, der darauf bestand die Kinder des Waisenhauses, dem er im Ghetto vorstand, nach Treblinka zu begleiten. 

„Eines Tages, um den 5. August […] wurde ich zufällig Zeuge des Abmarsches von Janusz Korczak und seinen Waisen aus dem Ghetto. Für jenen Morgen war die ‚Evakuierung‘ des jüdischen Waisenhauses, dessen Leiter Janusz Korczak war, befohlen worden; er selbst hatte die Möglichkeit, sich zu retten, und nur mit Mühe brachte er die Deutschen dazu, daß sie ihm erlaubten, die Kinder zu begleiten. Lange Jahre seines Lebens hatte er mit Kindern verbracht und auch jetzt, auf dem letzten Weg, wollte er sie nicht allein lassen. Er wollte es ihnen leichter machen. Sie würden aufs Land fahren, ein Grund zur Freude, erklärte er den Waisenkindern. Endlich könnten sie die abscheulichen, stickigen Mauern gegen Wiesen eintauschen, auf denen Blumen wüchsen, gegen Bäche, in denen man würde baden können, gegen Wälder, wo es so viele Beeren und Pilze gäbe. Er ordnete an, sich festtäglich zu kleiden und so hübsch herausgeputzt, in fröhlicher Stimmung, traten sie paarweise auf dem Hof an. Die kleine Kolonne führte ein SS-Mann an, der als Deutscher Kinder liebte, selbst solche, die er in Kürze ins Jenseits befördern würde. Besonders gefiel ihm ein zwölfjähriger Junge, ein Geiger, der sein Instrument unter dem Arm trug. Er befahl ihm, an die Spitze des Kinderzuges vorzutreten und zu spielen – und so setzen sie sich in Bewegung. Als ich ihnen an der Gęsia-Straße begegnete, sangen die Kinder, strahlend, im Chor, der kleine Musikant spielte ihnen auf und Korczak trug zwei der Kleinsten, die ebenfalls lächelten, auf dem Arm und erzählte ihnen etwas Lustiges. Bestimmt hat der ‚Alte Doktor‘ noch in der Gaskammer, als das Zyklon schon die kindlichen Kehlen würgte und in den Herzen der Waisen Angst an die Stelle von Freude und Hoffnung trat, mit letzter Anstrengung geflüstert: ‚Nichts, das ist nichts, Kinder‘ um wenigstens seinen kleinen Zöglingen den Schrecken des Übergangs vom Leben in den Tod zu ersparen."
Władysław Szpilman 

Willy Brandts Kniefall und die Vertriebenenverbände. Solidarność und damit die Zeit, wo sich sämtliche deutsche Nachrichtensprecher, westdeutsche besser gesagt, verzweifelt und erfolglos bemühten, den Namen Lech Wałęsa richtig auszusprechen. In Frankfurt/Oder beschloß die Kreisleitung der SED, dass wir am Kleisttheater das Solidaritätslied aus einem Kulturprogramm für die NVA zu entfernen hätten. Solidarität - Solidarność! Das einzige Mal, dass ich meine Verwandtschaft mit dem berühmten Dichter schamlos ausgenutzt und mit Skandal gedroht habe.

Was sonst noch? Berühmte Polen. Marie Curie, deshalb Polonium, der polnische Papst, Kopernikus und Chopin, Penderecki, Zbigniew Herbert und Zbigniew Brzeziński, Tadeusz Różewicz und Gombrowicz, Grotowski und Kantor, Stanislaw Lem und Polanski, Kieslowski, Andrzej Wajda, Olbrychski, Krystyna Janda. Quo Vadis hat auch ein Pole geschrieben. Von der Schwarzen Madonna von Tschenstochau hat mir meine schlesische Nenntante erzählt und sie hat auch wunderbar schlesisch und reichhaltig, man kann auch sagen mit viel Butter und Sahne, gekocht. "Sahne ist nur Milch mit ein bissel Luft."

Und heute? Was verbinden wir mit dem Land? Billigeren Sprit, billigere Zigaretten, Blaubeeren und Pfifferlinge und sehr gute und eben auch billigere Handwerker? 

Die Masuren sehen im übrigen aus wie die Märkische Schweiz, nur viel größer und mehr davon.

Wisława Szymborska

Glückliche Liebe


Glückliche Liebe. Ist das normal
und ernstzunehmen und nützlich –
was hat die Welt von zwei Menschen,
die diese Welt nicht sehen?

Zu sich erhoben ohne jedes Verdienst,
die ersten besten von einer Million, allerdings überzeugt,
es habe so kommen müssen – als Preis wofür? für nichts.
Von nirgendwoher fällt Licht –
Weshalb gerade auf die und nicht andre?
Beleidigt es nicht die Gerechtigkeit? Ja.
Verletzt es nicht alle sorgsam aufgetürmten Prinzipien,
stürzt die Moral nicht vom Gipfel? Es verletzt und stürzt.

Seht sie euch an, diese Glücklichen:
Wenn sie sich wenigstens verstellten,
Niedergeschlagenheit spielten, damit die Freunde auf ihre Kosten kämen!
Hört, wie sie lachen - kränkend.
Mit welcher Zunge sie sprechen – scheinbar verständlich.
Und diese ihre Zeremonien, Zierereien,
die findigen Pflichten gegeneinander –
es ist wie eine Verschwörung hinter dem Rücken der Menschheit!

Schwer zu ahnen, was geschähe,
machte ihr Beispiel Schule,
worauf Religion und Dichtung noch bauen könnten.
Was hielte man fest, was ließe man sein,
wer bliebe denn noch im Kreis?

Glückliche Liebe. Muß das denn sein?
Takt und Vernunft gebieten, sie zu verschweigen
Wie einen Skandal in den besseren Kreisen des LEBENS.
Prächtige Babies werden ohne ihr Zutun geboren.
Sie könnte die Erde, da sie so selten vorkommt,
niemals bevölkern.

So mögen alle, denen die glückliche Liebe fremd ist,
behaupten, es gäbe sie nicht.

Mit diesem Glauben leben und sterben sie leichter.


Katze in der leeren Wohnung

Sterben – das tut man einer Katze nicht an,
Denn was soll die Katze
in einer leeren Wohnung.
An den Wänden hoch,
sich an Möbeln reiben.
Nichts scheint sich hier verändert zu haben,
und doch ist alles anders.
Nichts verstellt, so scheint es,
und doch alles verschoben.
Am Abend brennt die Lampe nicht mehr.

Auf der Treppe sind Schritte zu hören,
aber nicht die.
Die Hand, die den Fisch auf den Teller legt,
ist auch nicht die, die es früher tat.

Hier beginnt etwas nicht
zur gewohnten Zeit.
Etwas findet nicht statt,
wie es sich gehört hätte.
Jemand war hier und war,
dann verschwand er plötzlich
und ist beharrlich nicht da.

Alle Schränke durchforscht.
Alle Regale durchlaufen.
Unter Teppichen geprüft.
Trotz des Verbots
die Papiere durchstöbert.
Was bleibt da noch zu tun.
Schlafen und warten.

Komme er nur,
zeige er sich.
Er wird´s schon erfahren.
Einer Katze tut man sowas nicht an.
Sie wird ihm entgegenstolzieren,
so, als wollte sie´s nicht,
sehr langsam,
auf äußerst beleidigten Pfoten.
Noch ohne Sprung, ohne Miau.


übersetzt von Karl Dedecius

Mittwoch, 29. Juli 2015

Edna St. Vincent Millay


Ich bin mir bei ihr nie sicher, ob das Poesiealbumsverse sind oder Poesie.

Epitaph

Heap not on this mound
Roses that she loved so well:
Why bewilder her with roses,
That she cannot see or smell?

She is happy where she lies
With the dust upon her eyes.
Das kann ich nicht übersetzen. Nur in Prosa also:
 
Nachruf
 
Überschütte diesen Hügel nicht mit Rosen, 
Die sie so geliebt hat. 
Warum sie mit Rosen verwirren, 
Die sie nicht sehen oder riechen kann. 
 
Sie ist glücklich wo sie liegt, 
Mit dem Staub auf ihren Augen.

Time does not bring relief
 
Time does not bring relief; you all have lied
Who told me time would ease me of my pain!
I miss him in the weeping of the rain;
I want him at the shrinking of the tide;

The old snows melt from every mountain-side,
And last year's leaves are smoke in every lane;
But last year's bitter loving must remain
Heaped on my heart, and my old thoughts abide!

There are a hundred places where I fear
To go, ... so with his memory they brim!

And entering with relief some quiet place
Where never fell his foot or shone his face.
I say, "There is no memory of him here!"
And so stand stricken, so remembering him!

 
Die Zeit bringt keine Erleichterung
 
Die Zeit bringt keine Erleichterung; ihr habt alle gelogen,
Die mihr sagtet: Zeit würde meinen Schmerz lindern!
Ich vermisse ihn beim Weinen des Regens;
Mich verlangt es nach ihm beim Zurückweichen der Flut;

Der alte Schnee schmilzt von allen Bergseiten,
Und die Blätter des
letzten Jahres sind Rauch in allen Gassen;
Doch letzten Jahres bitteres Lieben muß bleiben
Geschüttet auf mein Herz, und meine alten Gedanken gehorchen.

Es gibt hunderte Orte die ich fürchte aufzusuchen...
So randvoll sind sie mit Erinnerungen an ihn!

Und wenn ich mit Erleichterung ein ruhiges Plätzchen betrete,
Wo er nie seinen Fuß setzte und sein Gesicht niemals schien...
Sage ich: Hier gibt's keine Erinnerung an ihn!
Und so stehe ich schmerzerfüllt, so an ihn denkend!

First Fig

My candle burns at both ends; 
It will not last the night;

But ah, my foes, and oh, my friends-- 
It gives a lovely light!

Erste Feige

Meine Kerze brennt an beiden Enden; 
Sie überdauert nicht die Nacht;

Doch ah, meine Feinde und oh, meine Freunde -- 
ein schönes Licht hat sie gemacht!

Second Fig

Safe upon the solid rock the ugly houses stand: 
Come and see my shining palace built upon the sand! 
 
Zweite Feige
 
 Sicher auf festem Stein stehn die häßlichen Häuser - Wand an Wand:
Komm und sieh mein leuchtendes Schloß gebaut auf Sand!
 


Montag, 27. Juli 2015

Schnipsel aus Amsterdam

Niemand, der nicht schreibt, weiß, wie fein es ist, zu schreiben. Früher habe ich immer bedauert, nicht gut zeichnen zu können, aber nun bin ich überglücklich, daß ich wenigstens schreiben kann. Und wenn ich nicht genug Talent habe, um Zeitungsartikel oder Bücher zu schreiben, gut, dann kann ich es immer noch für mich selbst tun."
Anne Frank Tagebucheintrag, 4. April 1944
 
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Meine Schwester, die Lieblingsnichte und ich fahren sechs Stunden Zug, unsere Sitznachbarn, vier ziemlich nette junge Männer, ein Bankkaufmann, ein Krankenpfleger, keine Ahnung, was die anderen machen, fahren auch fürs Wochenende nach Amsterdam, für "ein bisschen Kultur zwischendurch, und um zu feiern". Ihre Rucksäcke sind fett gefüllt mit Bierdosen, Mixgetränken und Wodka. Bei der Ankunft am Mittag sind sie leicht und leer. Merkwürdiges Detail: mit Hilfe einer Kleinkamera mit Gurt, die sie an der Flasche befestigen, filmen sie ihre Gesichter während sie trinken. Alkoholselfies. Zum Erinnern bei Filmriß? 



Schiefe, noch schiefere, vorgebeugte, abgewinkelte, eingeklemmte, schmale, überbreite, jugendstilige, barocke, mittelalterliche, glasundstahlmoderne Häuser in grün, rot, gelb, beige, blau und jeder anderen denkbaren Farbe säumen die Grachten. Wunderschön. Das Wetter ist fies. Wir laufen trotzdem, stundenlang, gucken, essen, gucken, essen. Sehr gut.
Rembrandthaus, natürlich, und ein toller Vortrag über Pigmente und Farbherstellung von einer Malerin, die ihre Verachtung für Leute, die ihre Farben im Laden fix und fertig kaufen, kaum verbergen kann.

 Rembrandt Harmenszoon van Rijn Selbstporträt Radierung 1630

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Das Anne-Frank-Haus - anderthalb Stunden angestanden, in einer Schlange mit zumeist sehr jungen Menschen von überall her, die trotz stürmischem Wind und Niesel entspannt geduldig ausharren. Der langsame Gang durch die Gedenk-Stätte und obwohl ich schon hier war, erwischt es mich doch wieder. Welche hasserfüllte Vernichtung von Leben und Hoffnungen und Möglichkeiten auf der einen, welche Kraft und Sehnsucht und Schönheit auf der anderen Seite. Die Lieblingsnichte ist sehr still und schreibt, in Englisch, ihren Dank ins Gästebuch, unaufgefordert, wir sind nicht mal in der Nähe.
 

Es ist ein Wunder, dass ich nicht alle Hoffnungen aufgegeben habe, denn sie scheinen absurd und unausführbar. Trotzdem halte ich an ihnen fest, trotz allem, weil ich noch immer an das Gute im Menschen glaube."
Anne Frank Tagebuch, Samstag 15. Juli 1944

Kurz vor dem Rausgehen, in einem Video mit Kommentaren verschiedenster Menschen - ein amerikanischer Jude in meinem Alter, erinnert sich mit seiner Schwester gelegentlich ein kleines Gedankenexperiment durchgespielt zu haben - "Wer würde uns verstecken, wenn es doch mal wieder so weit kommen sollte?" 
Wer?

Anne Frank starb wahrscheinlich im Februar 1945 im KZ Bergen-Belsen an Flecktyphus. Nur zwei Monate später, am 15. April 1945, wurde das Lager von britischen Soldaten befreit.

Überlebende singen ein jüdisches Lied, Ha-Tikwa, die Hoffnung.
https://www.youtube.com/watch?v=es4YLI2mFnQ 
Originalaufnahme der BBC von 1945

Solange noch im Herzen

eine jüdische Seele wohnt
und nach Osten hin, vorwärts,
ein Auge nach Zion blickt,

solange ist unsere Hoffnung nicht verloren,
die Hoffnung, zweitausend Jahre alt,
zu sein ein freies Volk, in unserem Land,
im Lande Zion und in Jerusalem!


Heute ist dies die Nationalhymne des Staates Israel. Ein schönes trauriges Lied. Welches Lied singen Palästinenser?

Sonntag, 26. Juli 2015

Der Tag der toten Regenschirme



Gestern war ein schlechter Tag für Regenschirme in Amsterdam,  
Zeljko, der Sommersturm, hat sie massenhaft dahin gemordet, 
ein Regenschirmmassaker. 
Auch Bäume wurden niedergerafft, aber, 
Gott sei Dank, nicht genauso viele.
Eine Gedenkfeier.

THE RAIN

The rain it raineth every day,
Upon the just and unjust fellow
But more upon the just, because
The Unjust has the just´s umbrella. 

ANONYM

 Der Regen regnet Tag für Tag
 Auf Mensch und Unmensch nieder.
Doch naß wird immer nur der Mensch,
Denn der Unmensch gibt ihm seinen Schirm nicht wieder.
Übersetzung Reinhard Kaiser


Dekonstruktion Total


Frau in Rot, einst Schönheitskönigin-der Absturz


Relikt

Wer unterm Schirm des Höchsten sitzt,
Der ist sehr wohl bedecket,
Wenn alles donnert, kracht und blitzt,
Bleibt sein Herz ungeschrecket;
Er spricht zum Herrn: Du bist mein Licht,
Mein Hoffnung, meine Zuversicht,
Mein Turm und starke Feste,
Du rettest mich vons Jägers Strick
Und treibst des Todes Netz zurück
Und schützest mich aufs beste
...

Paul Gerhardt

Ein letztes Aufbäumen

Abgestürzt

DER FLIEGENDE ROBERT

Wenn der Regen niederbraust,
Wenn der Sturm das Feld durchsaust,
Bleiben Mädchen oder Buben
Hübsch daheim in Ihren Stuben. -
Robert aber dachte: Nein!
Das muss draußen herrlich sein! -
Und im Felde patschet er
Mit dem Regenschirm umher.

Hui wie pfeift der Sturm und keucht,
Dass der Baum sich niederbeugt!

Seht! Den Schirm erfasst der Wind,
Und der Robert fliegt geschwind
Durch die Luft so hoch, so weit;
Niemand hört ihn, wenn er schreit.
An die Wolken stößt er schon,
Und der Hut fliegt auch davon.

Schirm und Robert fliegen dort
Durch die Wolken immer fort.
Und der Hut fliegt weit voran,
Stößt zuletzt am Himmel an.
Wo der Wind sie hingetragen,
Ja, das weiß kein Mensch zu sagen.

Heinrich Hoffmann (1809-1894)

Schönheit im Vergehen


Vereint im Tod

Eigentlich war ich heute am Hin ... am Kommen verhindert, und das war so: es war übergestern, vorheute, da saß ich hier drüben in dem Café, ich bestellte mir zwei Goetheglatzen - nee, zwei Schillerlocken - eigentlich wollte ich 'nen Sturmsack essen - Windbeutel - aber auf dem saß schon einer. Ich sitze, unten sitz' ich, oben eß' ich - oder umgekehrt, mit einmal guck' ich da zur Tür, und was seh ich da? - Gar nichts, die Tür war auf der Seite - stürzt, wie von der Tante Ella gestochen - Tarantella gestochen, ein Vollbart auf mich los, mit 'nem Herrn dran. Der hat so'n Schirm, der Knirps, und nimmt den, haut immer auf meinen Kopf, das machte mich stutzig. Nachdem ich ein- bis viermal gestutzt hatte, sprach ich zu mir: "Also". "Herr Erhardt", sprach ich - nee: "Heinz", sag ich, Heinz - ich sag ja DU zu mir. "Heinz", sage ich, "was soll das da oben bloß sein?" Und nachher, viel nachherer, da kam ich dahinter: der hatte mich verwechselt! Das gönn' ich dem.

Heinz Erhardt


Himmelblau hingestreckt


Photos © Jenny Schall

Freitag, 24. Juli 2015

"HEIL" - eine deutsche antifaschistische Komödie

"HEIL"

Die ersten 30 Minuten einer deutschen Komödie über Neonazis haben mich nicht amüsiert, nicht geschockt, nicht erfreut, nicht empört. Dann bin ich gegangen, mein Leben ist sehr kurz, und ich war danach extrem unfroh.
Ich wünsche, mit heftiger Leidenschaft, dass wir, 'wir' meint ein deutscher Film, mit wildem, anarchischem, montypythongeschultem Witz, diese gräßliche Peinlichkeit angehen. Unsere verkrampfte Existenz zwischen verschwurbelten Erbschuldgefühlen und aktuellen, heftigst verleugneten oder in absurdester Weise ausgestellten Ressentiments.
Vor Jahren saß ich in einem Cafe, am Nachbartisch ein älteres Ehepaar, dass sich über die Vorzüge des Dritten Reiches hinsichtlich der Verbundenheit innerhalb der Familie unterhielt. Mein Mund fragte, bevor mein zynisches Gehirn ihn daran hindern konnte, ob der Tod von mehreren Millionen Menschen diese wärmende Nähe innerhalb der deutschen Familie nicht fragwürdig mache. Und. Und die Antwort, ausgesprochen in einem Cafe, in der DDR, von einer nettaussehenden weißhaarigen Dame war: "Die wären doch irgendwann sowieso gestorben."
Besser geht nicht. Oder doch, das folgende Interview mit Ursula Haverbeck ist noch schlimmer.  https://www.youtube.com/watch?v=RwbGGLX30ew
Wo finden wir hier den Raum für befreiende Witze? Wo die Möglichkeit für Scham und Abschluß mit Anstand? Oder ist es einn völlig irrationaler Wunsch?
https://www.youtube.com/watch?v=VpwAwdbhx6Q
Keine Möglichkeit zur Verharmlosung. Schachmatt. Wenn wir die mit Lachen niedermachen können, dann wären wir, glaube ich, gesundet. Ohne falschen Druck, ohne trägen Schnitt, ohne versimpelnde Verarsche. Wir müßten ertragen, dass Menschen solchen Dreck glauben, ganz ernsthaft, ohne Zweifel. Hitler war ein netter Mann, sagen sie. Er wollte nur unser Bestes. Die Juden hatten alle Geld. Oder?
Erst wenn wir unsere Feinde so ernst nehmen, wie unsere Freunde. Wenn wir entspannt und abgrundtief hassen können, wo es angebracht ist. Wenn wir ertragen, dass die "Idioten", die Abartigen, die Ewiggestrigen, die Nazis, die Leugner, die Recht(s)haber wirklich glauben, dass der Dreck den sie verbreiten, Wahrheit ist. Wenn wir die ganze Untiefe der menschlichen Verwirrtheit ertragen, erst dann werden wir gute Komödien über unsere Erzfeinde machen können. Ohne imaginäre Lacheinspieler, ohne angestrengte Blödheit.
NEIN ist ein großartiges Wort, aber es bedarf eines JAs. Ja zum Lieben, Ja zum Trauern.


Donnerstag, 23. Juli 2015

Volksbüne - Castorf weg


Mein Bauch, ein immer sehr eigenwilliges Körperteil, hat, als der Hausherrenwechsel an der Volksbühne verkündet wurde, mit Grummeln reagiert. Mein Kopf bemühte sich, entspannt und "offen" zu bleiben. Jetzt hat ein Herr Guillaume Paoli formuliert, was mein Bauch grummelte.

http://berlinergazette.de/wegkuratierung-des-widerspenstigen/#.Va9sBDC00AQ.facebook

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http://www.berliner-kurier.de/leute/volksbuehnen-star-frank-castorf-trauerspiel-um-das-geschaeft-seines-vaters-------------------------------------,7169134,11619686.html 

K.I.Z. - Hurra, die Welt geht unter! - Ich erinnere mich.


Und wir singen im Atomschutzbunker:
Hurra, diese Welt geht unter!
Hurra, diese Welt geht unter!
Auf den Trümmern das Paradies


Eine orientalisch angehauchte Intro, es folgt eine postapokalyptische Hippie-Utopie in ungelenken, aber amüsanten Reimen. Der Text ein bisschen rührend ob seiner Naivität, aber Zynismus ist öder. Tja, naja, aber diese Stimme, die den Refrain singt.


Ich habe mir eine Hip Hop Platte gekauft, eine Platte mit deutschem Hip Hop, meine erste und wahrscheinlich einzige. Deutscher Hip Hop? Alle beteiligten Musiker könnten meine Kinder oder Enkel sein und sie sind alle sehr weiß. Aber die Melodien sind "catchy", sie fangen mein Ohr ein.

K.I.Z. ist eine deutsche Hip-Hop-Formation aus Berlin. Sie besteht aus den Rappern Tarek, Maxim, Nico und ihrem Diskjockey DJ Craft.... Der vermeintlichen Abkürzung K.I.Z. werden von der Band selbst oft unterschiedlichste Bedeutungen zugewiesen. Am häufigsten ist die Bezeichnung Kannibalen in Zivil. Weitere bekannte Namen sind Künstler in Zwangsjacken, Kriegsverbrecher im Zuchthaus, Karotten Ingwer und Zwiebel oder Kreuzritter in Zentralasien; unter anderem wird in den Liedern Rosenbusch feat. Rhymin Simon und Selbstjustiz von Klosterschüler im Zölibat gesprochen. Auf ihrer Myspace-Seite nennen sie sich zurzeit Kapitalismus ist Zauberhaft, sagt Wiki.

Henning May, der Sänger des Refrains, hat eine Stimme, die nicht zum Kindergesicht und schlenkrigen Jungskörper zu passen scheint. Ist es nur die Zufallswirkung verquerer Stimmbandkonstellation oder kennt der sehr junge Junge Qual? Im Video sieht es aus, als ob seine Stimme eigenständig aus ihm heraus singt.

Hurra, die Welt geht unter
https://www.youtube.com/watch?v=XTPGpBBwt1w

Und ich sitz schon wieder Barfuß am Klavier 

Ich träume Liebeslieder und sing dabei von Dir 
Und du und ich wir waren wunderlich 
Nicht für mich 
für die die es störte 
wenn man uns Nachts hörte

Barfuß am Klavier
https://www.youtube.com/watch?v=tERRFWuYG48

Man ist nie wieder so großartig und großartig einsam, wie man es mit Anfang Zwanzig ist. Ich wußte alles, fühlte alles. Eine tolle Zeit, ich mag sie nicht wieder haben, aber gebe Acht, dass ich sie nicht vergesse, weil diese goldene Selbstgewissheit, nur bei starkem Wind und nur für Sekunden, den Blick auf die darunter bebende Panik freigibt.
So beginne ich, voll unerhörter Erwartungen, phantastisch-mäandernder Pläne, mit unerschöpflicher Energie, maßloser Selbstverliebtheit und der Verachtung jedweden Kompromisses. Natürlich folgen die zu erwartenden Kopfnüsse, Nackenschläge und Magentreffer, auch die aus dem toten Winkel, die ohne Ankündigung kommen und mich beinah in die Knie zwingen. Was macht’s, aufstehen, weiter laufen. 

Und wenn ich dich dann frage, was du werden willst
Dann sagst du immer nur "Ich weiß nicht. Hauptsache nicht Mitte 30"
Hauptsache nicht Mitte 30


https://www.youtube.com/watch?v=35XR9H8bGqQ 

Montag, 20. Juli 2015

Mein erstes Mal Bayreuth

Weia! Waga!
Woge, du Welle,
walle zur Wiege!
Wagala weia!
Wallala, weiala weia! 


Ein Tagesausflug

Freitagmorgen, sieben Uhr mit der S-Bahn zum ZOB, Zentralen Busbahnhof, natürlich mit Unterbrechung, nach Halensee geht es nur alle 20 Minuten, gut so, sonst würde ich gar nicht glauben können, dass ich mit der Berliner S-Bahn unterwegs bin. Dann meine erste Reise mit einem Überlandbus in Deutschland. Deutsche Bahn, du hast Konkurrenz, die ist genauso unzuverlässig wie du, nur billiger. Der Bus ist voll, der Bus ist heiß, das Wlan funktioniert nicht, aber der Bus kommt, zumindest auf der Hinreise, pünktlich in der Goethestrasse in Bayreuth an. 
Bayreuth ist voll, Bayreuth ist heiß, Bayreuth ist außerordentlich häßlich, und im Besitz von ungewöhnlich vielen Eisdielen. Die westdeutsche Provinz ist der ostdeutschen in einigen augenfälligen Dingen erstaunlich ähnlich, da die Bauwut der 50er, 60er und 70er Jahre, hie wie da, eine große Menge abgrundtief unansehnlicher Gebäude hervorgebracht hat, die, auch hellgelb oder grasgrün verputzt, ihre lieblose, pragmatische und betonvernarrte Herkunft nicht verleugnen können. Fahrt mal nach Senftenberg oder Schwedt!
Aber nun Bayreuth. Noch haben die WAGNERFESTSPIELE nicht begonnen und die Stadt wirkt relativ normal. Hie und da ein lila WAGNERFIGÜRCHEN mit dem Bild eines berühmten WAGNERSÄNGERS und selbstverständlich eine Häufung WAGNERAFFINER Strassennamen, nicht anders als es Weimar mit GOETHE/SCHILLER treibt. 
Um 17.00 Uhr bewege ich mich auf den heiligen Hügel zu, oben das Festspielhaus, hinauf führt eine begärtnerte Allee, direkt davor ein riesiges Blumenbeet, dass, wie ein Freund sagt, irritierend einem blumigen Davidstern ähnelt. Abbitte oder Fehlinterpretation? Das Publikum ist multinational und, da heute ja "nur" die Generalprobe des ersten Teiles der Tetralogie stattfinden wird, verwirrend bekleidet, zwischen Jeans und Abendrobe. Wobei die Roben, in Knallgelb, Glitzerblau und halterlosem Grasgrün mich ein bisschen an die Fensterdekorationen der zahlreichen Hochzeitsausstatter in Neukölln erinnert.
Das Haus selbst ist gerade im Zustand der Restauration, die Außenfassade ist eingekleidet, innen wirkt es verblüffend karg, viel Holz, griechische Säulen, minimale Ornamente. Es wurde in den Jahren 1872–75 von Otto Brückwald nach Entwürfen von Richard WAGNER im Stil der hellenistischen Romantik errichtet, sagt Wiki. Die Sitze sind das Unbequemste, was ich je die Ehre hatte zu besitzen. Ob WAGNER damit eine pädagogische Absicht verfolgte? Wenn mein Hintern schmerzt, bleibe ich wach und muß zuhören? Wer weiß. Auf jeden Fall mag ich es nicht. Aber die Akustik soll einmalig sein. 
Aber, ein aber ohne wenn und aber: Der Herr war begeisterter Antisemit, ein wesentliches Detail, dass ich nicht in der Lage und nicht willens bin zu ignorieren. In seiner Broschüre Das Judenthum in der Musik (1869) schrieb Richard WAGNER vom „natürlichen Widerwillen gegen jüdisches Wesen“ und „Der Jude ist nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge dieser Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht, und wird solange herrschen, als das Geld die Macht bleibt, vor welcher alles unser Thun und Treiben seine Kraft verliert“. An die Juden gerichtet, schloss er mit den Worten: „Aber bedenkt, dass nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers, – der  Untergang!" 

"Rheingold" ist kurz, nur zwei und eine halbe Stunde ohne Pause, genug für mich als Neuling. Die Musik ist herrlich, aber, aber was? Aber, nichts als ABER. Frank Castorf unterläuft das Pathos oder vermeidet den Konflikt, je nach Sichtperspektive, durch die konsequente Inszenierung seines eigenen Filmes - True Detektive, David Lynch, The Walking Dead und Whateverthefuck I have seen on tv or in the movies in den letzten zehn Jahren, konglomerieren zu einem Sittengemälde (was für eine archaische Bezeichnung) unserer gewinnorientierten, emotional und erotisch gestörten Zeit. Und parallel, zeitgleich dirigiert Kirill Petrenko ganz wunderbar die Partitur, Er ist Jude, was deutsche Zeitungen auffällig häufig bemerken, und wird, so höre ich, durch den, auf mich, deutschnational und sehr konservativ wirkenden Herrn Christian Thielemann allzubald von diesem Pult entfernt werden.


Ich höre/sehe eine Geschichte über Geschäfte. Walhalla wird gebaut ohne die notwendige finanzielle Sicherung und ob es nun Rheingold heißt oder Raubgold, es, das Gold, muß herbeigeschafft werden. Castorfs Methode des Unterlaufens von verlogenen übergroßen Emotionen war mir beim Zugucken/Zuhören sehr hilfreich. Heißt der Kerl Lehmann Brothers oder Wotan, was macht den Unterschied?
Nun ist es Nacht in Bayreuth, mein Bus fährt, laut Fahrplan, um 1.30 Uhr, und wird sich um 35 Minuten verspäten, sagt die freundliche Email von Flixbus. Ich sitze um 2.00 Uhr allein in der Goethestrasse, kein Bus, keine Auskunft, da überlastet, mein Ipad zeigt eine englische Krimiserie, es ist dunkel, es ist sehr einsam. Es ist eine Stunde nach der erwarteten Ankunftszeit - nichts - eine viertel Stunde später, noch bin ich nicht hysterisch - der Bus kommt - ich steige ein. Eine Stunde später wird eine sehr höfliche deutsche Polizei elf Passagiere aus dem Bus entfernen, sie haben keinen Pass, sie sind Flüchtlinge, sie sind verboten. Wird die Polizei so höflich bleiben, wenn keine Zuhörer da sind? Vier aus Syrien und die anderen aus Eritrea. Was für Not muß mich erdrücken, bevor ich mich und meine Kinder auf solch eine Reise begebe? 
 Wagner war verstörend, aber der Anblick von sehr müden Kindern um 3 Uhr nachts auf einer deutschen Tankstelle, die nicht wissen, wo sie schlafen werden, war verstörender. Ich hatte danach zwei freie Sitze zum Schlafen.

 

Mittwoch, 15. Juli 2015

Der Tod, Der Eine, und Die Kunst des Theaters - Howard Barker

Das Theater befindet sich am Ufer des Styx (auf der Seite der Lebenden). Die wirklich Toten auf der gegenüberliegenden Seite, flehend wiedererkannt zu werden. Ihre Münder klaffen ... Auf dem Fluß, zwischen den Lebenden und den Toten ist ein Boot. Auf diesem Boot sind die Figuren eines Stücks. Die Figuren sprechen die Worte der Toten zu den Lebenden.

Theatre is situated on the bank of the Styx (the side of the living). The actually dead cluster at the opposite side, begging to be recognized. What is it they have to tell? Their mouths gape ... On the river, in between the living and the dead, there is a boat. On this boat, there are the characters of a play. These characters are speaking the words of the dead to the living.

Howard Barker “Death, the One, and the Art of the Theatre”


Ein eigenartiger Text, nur ein Auszug, nicht immer meine Meinung, aber er hat eine! Eine starke, eine unerbittliche. Hat mich sehr an Jan Fabre und Mount Olympus denken lassen.

Tod, Der Eine, und Die Kunst des Theaters

Death, The One, and The Art of Theatre


excerpt
by Howard Barker


Nichts,
was über den Tod gesagt wird
von den Lebenden, kann vom Tod so erzählen,
wie er erfahren wird indem man stirbt. Nichts
was die Toten über den Tod wissen,
kann den Lebenden mitgeteilt werden.
Über diesen entsetzlichen Abgrund wirft die Tragödie eine zerbrechliche
Brücke der Vorstellungskraft.

Als das Theater aufgehört hat, den Tod zu seinem Subjekt zu machen, hat es seine Autorität über die menschliche Seele aufgegeben. Als es sich erlaubt hat, in weltliche Projekte von politischer Indoktrination und Sozialtherapie hineingezogen zu werden, hat es seine Macht abgegeben. Theater wird immer verleitet vom Idealismus seiner Macher. Immer verleumdet von den Sentimentalen. In der Theaterkunst bemitleiden wir den Idealisten, wie wir einen Mann mit einer tödlichen Krankheit bemitleiden würden. Dieses Mitleid ist sehr begrenzt. Während viele versucht haben Theater in Hospitäler umzubauen, halten wir unsere Bühne infektionsfrei.

Wir werden nicht voll Sünde geboren, wir werden voll vom Appetit darauf geboren.

Der Tod ist die Hauptbeschäftigung großer Kunst, auch dann, wenn er nicht ihr Thema ist.

Als die Nützlichkeitsdenker das Theater an sich gerissen haben, stand der Tod einfach im Foyer, geduldig wie ein Chauffeur.

Welche Aufgabe hat das Lachen in der Tragödie? Können wir von einer Aufgabe in der Tragödie sprechen. Lasst es uns anders sagen. Wie dient das Lachen der Erfahrung der Tragödie. Indem es uns in seinen verführerischen Akt einbezieht. Es ist das fallengelassene Taschentuch.

 
An den Schauspieler - versuche nicht trotz deiner Figur geliebt zu werden. Werde beneidet wegen deiner Rolle (die unerklärliche Anziehungskraft der Fakten . . .).


Die tragische Figur - die Verzweiflung der Psychoanalytiker . . . nichts wird unterdrückt . . . 

Das Problem ist nicht die Zuschauer kritisch zu machen (Kollektiver Seufzer inszenierter Empörung . . .) sondern gefährlich.

Zu sterben . . . tin die Dunkelheit zu gehen . . . wenn es Dunkelheit ist . . . zum Fluß zu gehen ... wenn es ein Fluß ist ... aber allein und ohne die Illusion der Liebe . . . nackt und schrecklich frei . . . das ist die Beschaffenheit des tragischen Helden . . .  

Nothing
said
about death by the living can possibly relate to death as it will
be experienced by the dying. Nothing
known
about death by the dead can be
communicated to the living. Over this appalling chasm tragedy throws a frail
bridge of imagination

Since theatre ceased to make death its subject it surrendered its authority
over the human soul. Since it allowed itself to be incorporated into mundane
projects of political indoctrination and social therapy it abdicated its power.
Always theatre is suborned by the idealism of its makers. Always it is traduced by the sentimental. In the art of theatre
we pity the idealist as one pities the
man with a fatal disease. This pity is strictly circumscribed. Whilst many have tried to make hospitals from theatres we keep our stage infection-free.

We are not born full of sin, we are born full of the appetite for it.

Death is the preoccupation of great art even where it is not the
subject of it.
When the utilitarians seized the theatre Death simply stood in the foyer, as patient as a chauffeur

What is the function of laughter in tragedy? Can we talk of a function in
tragedy? Let us put it another way. How does laughter serve the experience
of tragedy? By implicating us in its seductive process. It is a dropped
handkerchief.
To the actor – do not try to be loved despite your character. Be envied because of your character (the inexplicable attraction of the facts . . .). 
The tragic character – the despair of the psychoanalysts . . . nothing is repressed . . .
 
The problem is not to make the audience critical (the collective sigh of orchestrated dismay . . .) but hazardous . . .  
 
To die . . . to go into the darkness . . . if it is darkness . . . to go to the river...if it is a river...but alone and without the illusion of love . . . naked and disastrously free . . . this is the condition of the tragic character . . .

Dienstag, 14. Juli 2015

Kontraste - 36 Stunden Kultur

Die ganze Kunst zu gefallen, besteht darin, nie von sich selbst zu reden, und die anderen von sich selbst reden zu machen. Jeder weiß das, und alle Welt vergisst es.
Idées et sensations, 1866, mit Jules de Goncourt

Die schöne Helena: Operette in der Komischen Oper

Terminator: Genisys im Sonycenter: 3D im iMax

Richard III: inszeniert von Ostermeier auf Arte

Vielleicht, möglicherweise, unter Umständen, vermutlich habe ich wirklich einen Dachschaden. Ich habe Ferien, und tue was - gehe und gucke Theater.  "Jedes Thierchen will sein Pläsirchen." Und mein Pläsir, nicht mein einziges, Gott sei Dank, aber ein zeitaufwendiges, ist nun einmal das Theater. Diesesmal gab es ein besonders heftiges Kontrastprogramm, und zwischendurch war ich auch noch bei der Zahnprophylaxe.

Offenbach flirrte, hetzte, girrte und traf doch nicht. Zu viel. Zu viele Gags, zu viel lustiger Tanz, zu viel derbe Ironie, zu viel von Vielem. Barrie Kosky hat Kopf und Bauch voll phantastischer musikliebender Kreativität, aber diesesmal hat er zu wenige seiner Lieblinge gekillt, überbordend mag ich, aber dafür muß es halt ein Bord, eine Grenze geben, die übertreten wird.
Wenn die Liebe einbricht in eine Gesellschaft, in der, wie die Brüder Goncourt es beschrieben, man nur glücklich ist, wenn man schläft oder wenn man tanzt (Zitat aus der Kritik der Berliner Zeitung), dann muß sich an dem Punkt, wo wirkliche Leidenschaft auftaucht, doch etwas verändern, der irrlichternde Rausch bedroht durch das anarchistische Gefühl, warum sonst der Trojanische Krieg als Ergebnis dieser banalen "Affaire"? 10 Jahre Schlachten, weil zwei Leute sich verlieben.
Hier war vom ersten Moment an alles und alle so überdreht, dass kein Unterschied zu finden war zwischen vorher und nachher, zwischen ungehemmter Verdrängung und überraschender Liebe. Tolle Bilder, ein paar gute Witze, drei Ohrwürmer und doch blieb ein schaler Geschmack. Nichtsdetotrotz denke ich, dass Kosky momentan der wagemutigste Intendant der Stadt ist.

Terminator: Genisys - zwei Stunden Film als Folie für Schwarzeneggers One-liner. Das erste und für einige Zeit auch letzte Mal 3D im iMax: eine 19 Meter breite Leinwand und das Kino ist zu klein. Diese Technik muß noch besser werden. Unschärfen, angestrengte Augen und sobald die Schnitte schnell wurden, habe ich nur noch Lichter gesehen. Das Mädchen aus Game of Thrones, Emilia Clarke, sieht viel schöner aus mit dunklen Haaren. Im nächsten Terminator wird Matt Smith, der letzthin noch Doktor Who war, sicher der Hauptbösewicht. Es war Quark. Wenn man mit Zeitreisen spielt, muß man es schon ein bisschen intelligenter tun.

Richard III - Ian Mckellen ist immer noch der beste. Robert Beyer als Königin Margaret und Mörder war großartig. Lars Eidinger ist ein faszinierendes Phänomen, schlau, wach, talentiert, alles was man nur wünschen kann, und ich vergesse keine Minute lang, dass er das auch weiß und weiß, dass ich es weiß. Der Bösewicht ist ein ehrlicher Bösewicht, ok, aber, was er will, ist die Krone, und besiegt wird er von mittelmäßigen Politikern. Manche große Schauspieler können nicht verlieren, auch wenn der Text es verlangt, eine Crux.

Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns, vor uns liegen die Mühen der Ebenen. Bertolt Brecht


In der Provinz ist schon Regen eine Zerstreuung.
Idées et sensations, 1866, mit Edmond de Goncourt