Samstag, 1. August 2015

Eine Reise - Polen


Während es auf unserer Reise durch Polen so sehr viel geregnet hat, haben wir gesammelt, was wir über Polen und seine Bewohner wissen. Es war zu wenig. 

 © Bill Haofei Gong

Geschichte, tja, ein Land immer wieder zerfetzt von seinen Nachbarn, mal Großreich inclusive Litauen, mal fast nicht mehr findbar zwischen russischer und deutscher Gier. Steinkohle aus Schlesien. Pommerland ist abgebrannt. Dann das Warschauer Ghetto, trotz eines heroischen Aufstandes von der SS vernichtet.

Der ehemalige Jüdische Wohnbezirk Warschaus besteht nicht mehr. Mit der Sprengung der Warschauer Synagoge wurde die Großaktion um 20.15 Uhr beendet. […] Gesamtzahl der erfassten und nachweislich vernichteten Juden beträgt insgesamt 56.065. […] Meine Leute haben ihre Pflicht einwandfrei erfüllt. Ihr Kameradschaftsgeist war beispiellos.
16. Mai 1943 SS-Brigadeführer Jürgen Stroop

Aber eben auch Janusz Korczak, der katholische Priester und assimilierte Jude, der darauf bestand die Kinder des Waisenhauses, dem er im Ghetto vorstand, nach Treblinka zu begleiten. 

„Eines Tages, um den 5. August […] wurde ich zufällig Zeuge des Abmarsches von Janusz Korczak und seinen Waisen aus dem Ghetto. Für jenen Morgen war die ‚Evakuierung‘ des jüdischen Waisenhauses, dessen Leiter Janusz Korczak war, befohlen worden; er selbst hatte die Möglichkeit, sich zu retten, und nur mit Mühe brachte er die Deutschen dazu, daß sie ihm erlaubten, die Kinder zu begleiten. Lange Jahre seines Lebens hatte er mit Kindern verbracht und auch jetzt, auf dem letzten Weg, wollte er sie nicht allein lassen. Er wollte es ihnen leichter machen. Sie würden aufs Land fahren, ein Grund zur Freude, erklärte er den Waisenkindern. Endlich könnten sie die abscheulichen, stickigen Mauern gegen Wiesen eintauschen, auf denen Blumen wüchsen, gegen Bäche, in denen man würde baden können, gegen Wälder, wo es so viele Beeren und Pilze gäbe. Er ordnete an, sich festtäglich zu kleiden und so hübsch herausgeputzt, in fröhlicher Stimmung, traten sie paarweise auf dem Hof an. Die kleine Kolonne führte ein SS-Mann an, der als Deutscher Kinder liebte, selbst solche, die er in Kürze ins Jenseits befördern würde. Besonders gefiel ihm ein zwölfjähriger Junge, ein Geiger, der sein Instrument unter dem Arm trug. Er befahl ihm, an die Spitze des Kinderzuges vorzutreten und zu spielen – und so setzen sie sich in Bewegung. Als ich ihnen an der Gęsia-Straße begegnete, sangen die Kinder, strahlend, im Chor, der kleine Musikant spielte ihnen auf und Korczak trug zwei der Kleinsten, die ebenfalls lächelten, auf dem Arm und erzählte ihnen etwas Lustiges. Bestimmt hat der ‚Alte Doktor‘ noch in der Gaskammer, als das Zyklon schon die kindlichen Kehlen würgte und in den Herzen der Waisen Angst an die Stelle von Freude und Hoffnung trat, mit letzter Anstrengung geflüstert: ‚Nichts, das ist nichts, Kinder‘ um wenigstens seinen kleinen Zöglingen den Schrecken des Übergangs vom Leben in den Tod zu ersparen."
Władysław Szpilman 

Willy Brandts Kniefall und die Vertriebenenverbände. Solidarność und damit die Zeit, wo sich sämtliche deutsche Nachrichtensprecher, westdeutsche besser gesagt, verzweifelt und erfolglos bemühten, den Namen Lech Wałęsa richtig auszusprechen. In Frankfurt/Oder beschloß die Kreisleitung der SED, dass wir am Kleisttheater das Solidaritätslied aus einem Kulturprogramm für die NVA zu entfernen hätten. Solidarität - Solidarność! Das einzige Mal, dass ich meine Verwandtschaft mit dem berühmten Dichter schamlos ausgenutzt und mit Skandal gedroht habe.

Was sonst noch? Berühmte Polen. Marie Curie, deshalb Polonium, der polnische Papst, Kopernikus und Chopin, Penderecki, Zbigniew Herbert und Zbigniew Brzeziński, Tadeusz Różewicz und Gombrowicz, Grotowski und Kantor, Stanislaw Lem und Polanski, Kieslowski, Andrzej Wajda, Olbrychski, Krystyna Janda. Quo Vadis hat auch ein Pole geschrieben. Von der Schwarzen Madonna von Tschenstochau hat mir meine schlesische Nenntante erzählt und sie hat auch wunderbar schlesisch und reichhaltig, man kann auch sagen mit viel Butter und Sahne, gekocht. "Sahne ist nur Milch mit ein bissel Luft."

Und heute? Was verbinden wir mit dem Land? Billigeren Sprit, billigere Zigaretten, Blaubeeren und Pfifferlinge und sehr gute und eben auch billigere Handwerker? 

Die Masuren sehen im übrigen aus wie die Märkische Schweiz, nur viel größer und mehr davon.

Wisława Szymborska

Glückliche Liebe


Glückliche Liebe. Ist das normal
und ernstzunehmen und nützlich –
was hat die Welt von zwei Menschen,
die diese Welt nicht sehen?

Zu sich erhoben ohne jedes Verdienst,
die ersten besten von einer Million, allerdings überzeugt,
es habe so kommen müssen – als Preis wofür? für nichts.
Von nirgendwoher fällt Licht –
Weshalb gerade auf die und nicht andre?
Beleidigt es nicht die Gerechtigkeit? Ja.
Verletzt es nicht alle sorgsam aufgetürmten Prinzipien,
stürzt die Moral nicht vom Gipfel? Es verletzt und stürzt.

Seht sie euch an, diese Glücklichen:
Wenn sie sich wenigstens verstellten,
Niedergeschlagenheit spielten, damit die Freunde auf ihre Kosten kämen!
Hört, wie sie lachen - kränkend.
Mit welcher Zunge sie sprechen – scheinbar verständlich.
Und diese ihre Zeremonien, Zierereien,
die findigen Pflichten gegeneinander –
es ist wie eine Verschwörung hinter dem Rücken der Menschheit!

Schwer zu ahnen, was geschähe,
machte ihr Beispiel Schule,
worauf Religion und Dichtung noch bauen könnten.
Was hielte man fest, was ließe man sein,
wer bliebe denn noch im Kreis?

Glückliche Liebe. Muß das denn sein?
Takt und Vernunft gebieten, sie zu verschweigen
Wie einen Skandal in den besseren Kreisen des LEBENS.
Prächtige Babies werden ohne ihr Zutun geboren.
Sie könnte die Erde, da sie so selten vorkommt,
niemals bevölkern.

So mögen alle, denen die glückliche Liebe fremd ist,
behaupten, es gäbe sie nicht.

Mit diesem Glauben leben und sterben sie leichter.


Katze in der leeren Wohnung

Sterben – das tut man einer Katze nicht an,
Denn was soll die Katze
in einer leeren Wohnung.
An den Wänden hoch,
sich an Möbeln reiben.
Nichts scheint sich hier verändert zu haben,
und doch ist alles anders.
Nichts verstellt, so scheint es,
und doch alles verschoben.
Am Abend brennt die Lampe nicht mehr.

Auf der Treppe sind Schritte zu hören,
aber nicht die.
Die Hand, die den Fisch auf den Teller legt,
ist auch nicht die, die es früher tat.

Hier beginnt etwas nicht
zur gewohnten Zeit.
Etwas findet nicht statt,
wie es sich gehört hätte.
Jemand war hier und war,
dann verschwand er plötzlich
und ist beharrlich nicht da.

Alle Schränke durchforscht.
Alle Regale durchlaufen.
Unter Teppichen geprüft.
Trotz des Verbots
die Papiere durchstöbert.
Was bleibt da noch zu tun.
Schlafen und warten.

Komme er nur,
zeige er sich.
Er wird´s schon erfahren.
Einer Katze tut man sowas nicht an.
Sie wird ihm entgegenstolzieren,
so, als wollte sie´s nicht,
sehr langsam,
auf äußerst beleidigten Pfoten.
Noch ohne Sprung, ohne Miau.


übersetzt von Karl Dedecius

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