Sonntag, 3. August 2014

JOSEPH DUCREUX


Joseph Ducreux

Joseph wurde am 26. Juni 1735 in Nancy geboren und starb am 24. Juli 1802 in Paris.
Er malte traditionelle, nicht besonders interessante Portaits von Marie-Antoinette, Maria Theresia, Jean Jacques Rousseau und anderen, verbrachte die Zeit der Revolution im englischen Exil und wurde nach seiner Rückkehr von seinem Freund Jacques-Louis David unterstützt.
Es wird behauptet, er hätte außerordentlich viel getrunken und praktisch jeder Frau nachgestellt.


Le Discret



Selbstportrait des Künstlers als Spötter
1791



Diskretion

Dass Josefine eine schiefe Nase hat;
dass Karlchen eine schwache Blase hat;
dass Doktor O., was sicher stimmt,
aus einem dunkeln Fonds sich Gelder nimmt;
dass Zempels Briefchen nur zum Spaß ein Spaß ist,
und dass er selbst ein falsches Aas ist
in allen sieben Lebenslagen –:
das kann man einem Menschen doch nicht sagen!

Na, ich weiß nicht –

Dass Willy mit der Schwester Rudolfs muddelt;
dass Walter mehr als nötig sich beschmuddelt;
dass Eugen eine überschätzte Charge;
dass das Theater ... dieser Reim wird large ...
dass Kloschs Talent, mit allem, was er macht,
nicht weiter reicht als bis Berlin W 8;
dass die Frau Doktor eine Blähung hat im Magen –:
das kann man einem Menschen doch nicht sagen!

Na, ich weiß nicht –

Man muß nicht. Doch man kann.

Die Basis unsres Lebens
ist: Schweigen und Verschweigen – manchmal ganz vergebens.
Denn manchmal läuft die Wahrheit ihre Bahn –
dann werden alle wild. Dann geht es: Zahn um Zahn!
Und sind sie zu dir selber offen,
dann nimmst du übel und stehst tief betroffen.

Die Wahrheit ist ein Ding: hart und beschwerlich,
sowie in höchstem Maße feuergefährlich.
Brenn mit ihr nieder, was da morsch ist –
und wenns dein eigner Bruder Schorsch ist!
Beliebt wird man so nicht! Nach einem Menschenalter
läßt man vom Doktor O. und Klosch und Walter
und läßt gewähren, wie das Leben will ...
Und brennt sich selber aus. Und wird ganz still.

Na, ich weiß nicht –.

Theobald Tiger
Die Weltbühne, 20.08.1929, Nr. 34, S. 295.

Freitag, 1. August 2014

Walker Evans 2 - Die Schönheit der gewöhnlichen Werkzeuge



Für KPO und V und alle Menschen, die vollgekramte oder überordentlich sortierte Werkstätten, Bastelzimmer u.ä. ihr eigen nennen, und einfach keine Schraube wegwerfen können, weil sie sie ja irgendwann einmal gebrauchen könnten.

"Immer wieder wird ein Mann vor dem Ladenfenster eines Eisenwarenladens stehen und die ausgestellten Werkzeuge hinter 
dem Glas begutachten; sein Mund wird feucht werden; er wird reingehen und 2,65 $ für einen makellos wunderschönen speziell polierten Schraubschlüssel ausgeben; und wahrscheinlich wird er ihn niemals, niemals für irgendetwas benutzen."

"Time and again a man will stand before a hardware store window eying the tools arrayed behind the glass; his mouth will water; he will go in and hand over $2.65 for a perfectly beautiful special kind of polished wrench; and probably he will never, never use it for anything."

W. E. 1955 im Portofolio zu "Die Schönheit der gewöhnlichen Werkzeuge"


"Unter den billigen, fabrikgefertigten Waren, ist keine so ansprechend für die Sinne wie das gewöhnliche Werkzeug. Deshalb ist der Eisenwarenladen eine Art unkonventionelle Museumsausstellung für den Mann, der auf gute, klare 'un-gestaltete' Formen anspricht."

"Among the low-priced, factory-produced goods, none is so appealing to the sense as the ordinary hand tool. Hence, the hardware store is a kind of offbeat museum show for the man who responds to good, clear 'undesigned' forms."

W. E. 1955 im Portofolio zu "Die Schönheit der gewöhnlichen Werkzeuge"


"Abgesehen von ihren Funktionen - obwohl sie ausschließlich für Funktion gedacht sind - verführt jedes dieser Werkzeuge das Auge, seinen Kurven und Winkel zu folgen, und lädt die Hand ein, seine Balance zu testen."

"Aside from their functions — though they are exclusively wedded to function — each of these tools lures the eye to follow its curves and angles, and invites the hand to test its balance."

W. E. 1955 im Portofolio zu "Die Schönheit der gewöhnlichen Werkzeuge"


 Mache mich zum Werkzeug Deines Friedens:
Dass ich Liebe bringe, wo man sich hasst,
Dass ich Versöhnung bringe, wo man sich kränkt,
Dass ich Einigkeit bringe, wo Zwietracht ist,
Dass ich den Glauben bringe, wo Zweifel quält,
Dass ich die Hoffnung bringe, wo Verzweiflung droht,
Dass ich die Freude bringe, wo Traurigkeit ist,
Dass ich das Licht bringe, wo Finsternis waltet.

Franz von Assisi

Ein Werkzeug ist ein von Menschenhand geschaffenes oder umgeformtes Arbeitsmittel oder Artefakt, um auf Gegenstände (Werkstücke oder Materialien im weitesten Sinne) mechanisch einzuwirken.
Wikipedia

Alle Photographien © Walker Evans

Krieg damals - Mühsam & Heartfield



© John Heartfield

Kriegslied

Sengen, brennen, schießen, stechen,
Schädel spalten, Rippen brechen,
spionieren, requirieren,
patrouillieren, exerzieren,
fluchen, bluten, hungern, frieren...
So lebt der edle Kriegerstand,
die Flinte in der linken Hand,
das Messer in der rechten Hand -
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Aus dem Bett von Lehm und Jauche
zur Attacke auf dem Bauche!
Trommelfeuer - Handgranaten -
Wunden - Leichen - Heldentaten -
bravo, tapfere Soldaten!
So lebt der edle Kriegerstand,
das Eisenkreuz am Preußenband,
die Tapferkeit am Bayernband,
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Stillgestanden! Hoch die Beine!
Augen gradeaus, ihr Schweine!
Visitiert und schlecht befunden.
Keinen Urlaub. Angebunden.
Strafdienst extra sieben Stunden.
So lebt der edle Kriegerstand.
Jawohl, Herr Oberleutenant!
Und zu Befehl, Herr Leutenant!
Mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.


 


Der Henker und die Gerechtigkeit 1933
© John Heartfield 
 
Vorwärts mit Tabak und Kümmel!
Bajonette. Schlachtgetümmel.
Vorwärts! Sterben oder Siegen!
Deutscher kennt kein Unterkriegen.
Knochen splittern, Fetzen fliegen.
So lebt der edle Kriegerstand.
Der Schweiß tropft in den Grabenrand,
das Blut tropft in den Straßenrand,
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.

Angeschossen - hochgeschmissen -
Bauch und Därme aufgerissen.
Rote Häuser - blauer Äther -
Teufel! Alle heiligen Väter!...
Mutter! Mutter!! Sanitäter!!!
So stirbt der edle Kriegerstand,
in Stiefel, Maul und Ohren Sand
und auf das Grab drei Schippen Sand -
mit Gott, mit Gott, mit Gott,
mit Gott für König und Vaterland.
 

Erich Mühsam 1917

Nach zehn Jahren 1924
© John Heartfield 


Das Kreuz war nicht schwer genug 
© John Heartfield

Donnerstag, 31. Juli 2014

Walker Evans - Photographien


Walker Evans. Ein Lebenswerk

Jetzt gerade ist im Gropiusbau eine große Werkschau des amerikanische Photographen Walker Evans (1903 - 1975) zu sehen. Ich würde euch raten, unbedingt hinzugehen!
Schwarz-weiß und starkes Grau, immense Tiefenschärfe, Klarheit, genauer Blick ohne Sentimentalität, doch mit Respekt, so würde ich seine Bilder beschreiben.  


Ich denke, dass eine Depression ziemlich gut ist für manche Künstler; mich eingeschlossen. Sie hat die Versuchung weggenommen, kommerziell zu werden und Geschäftsmann zu werden. Es gab kein Geschäft.

I think that a depression is rather good for some kinds of artists; me included. It took away the temptation to be commercial and go into business. There wasn’t any business.

Walker Evans

 LKW & SCHILD 1930

Evans war der erste Photograph, der eine Einzelausstellung im MOMA hatte:
Kirstein, Evans und Mawbry schlossen sich in der Gallerie mit einer Flasche Klebstoff, einer Flasche Bourbon und den Bildern, ein. Sie gingen an die Arbeit und am nächsten Morgen waren die Bilder gehängt.

Meister

Hungernde Kubanische Familie 1933

Nachdem du alle diese Bilder angesehen hat, mit ihren klaren, scheußlichen Details, ihrem offenen Irrsinn und bemitleidenswerten
Größe, vergleiche diese Vision eines Kontinents wie er ist, nicht wie er sein könnte oder wie er war, mit allen anderen schlüssigen Visionen, die wir seit dem Krieg hatten, welcher Poet hat soviel ausgedrückt? Welcher Maler hat soviel gezeigt?

After looking at these pictures with all their clear, hideous and beautiful detail, their open insanity and pitiful grandeur, compare this vision of a continent as it is, not as it might be or as it was, with any other coherent vision that we have had since the war, what poet has said so much? What painter has shown so much?
Lincoln Kirstein im Vorwort zu American Photographs 1938

OHNE TITEL

„als nächstes natürlich gott amerika ich
liebe dich land der pilger und so weiter oh
sag kannst du bei der dämmerung frühem mein
land es ist jahrhunderte kommen und gehen
und sind nicht mehr was macht das wir sollten sorgen
in jeder sprache sogar taubundblind
deine söhne feiern deinen herrlichen namen bei gottchen
bei jingo bei g bei gosh bei gummi
warum über schönheit sprechen was könnte schö-
ner sein als diese heroischen glücklichen toten
die wie löwen in das brüllende schlachten stürzten
sie hielten nicht ein um zu denken sie starben stattdessen
soll die stimme der freiheit dann stumm sein?“

sprach er. und eilig trank ein glas wasser
 
 
Leider schaffe ich es nicht, das Sonett gereimt zu übersetzen, leider.
 
 
"next to of course god america i
love you land of the pilgrims' and so forth oh
say can you see by the dawn's early my
country 'tis of centuries come and go
and are no more what of it we should worry
in every language even deafanddumb
thy sons acclaim your glorious name by gorry
by jingo by gee by gosh by gum
why talk of beauty what could be more beaut-
iful than these heroic happy dead
who rushed like lions to the roaring slaughter
they did not stop to think they died instead
then shall the voice of liberty be mute?"

He spoke. And drank rapidly a glass of water

e.e. cummings
 

 Allie Mae Burroughs 1935/36
Frau eines Baumwoll Pacht-Farmers in Alabama


Laura Minnie Lee Tingle
Kind eines Pacht-Farmers
1936

Alle Photographien © Walker Evans


Mittwoch, 30. Juli 2014

Ich bin alt, sagt man mir.



Fremdblick und Eigensicht. 
Außen und innen.
Kopf und Körper.
Sehnsucht und reale Aussichten. 
Ich bin, im Blick junger Menschen, alt,
Ich bin, in mir, mal jung mal alt, mal unentschieden.
nach Laune, Glücksumständen, Sex & Gesundheit.
 Dreissigjährige, die sich auf ihre Jugend berufen, langweilen mich.
Sechzigjährige, die sich jungendlich benehmen, amüsieren mich,
oder ich bemitleide sie.
 Was ist das für ein Ding, das Alter?
Wir alle werden sterben,
ein unleugbarer Fakt.
Der Abstand zum vermutlichen Todeszeitpunkt verringert sich, 
stündlich, minütlich, unentwegt.
Muß ich deshalb andauernd auf die Uhr gucken?
Uhrenvergleich.
Ich weiß mehr,
aber mir bleibt weniger zu tun übrig.
Die Zukunft wird kürzer.

Das Alter

Das Alter ist ein höflich' Mann:
Einmal über's andre klopft er an;
Aber nun sagt niemand: "Herein! "
Und vor der Türe will er nicht sein.
Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heißt's, er sei ein grober Gesell.

Johann Wolfgang von Goethe


Wiki definiert: Unter dem Alter versteht man den Lebensabschnitt rund 
um die mittlere Lebenserwartung des Menschen, also das Lebensalter 
zwischen dem mittleren Erwachsenenalter und dem Tod. Das Altern 
in diesem Lebensabschnitt ist meist mit einem Nachlassen der Aktivität 
und einem allgemeinen körperlichen Niedergang (Seneszenz) verbunden.


Statuette der Aphrodite mit Taube und Efeukranz 
Tarent, angeblich aus Canosa in Apulien
3. Jh. v.Chr.
Museum zu Allerheiligen Schaffhausen

Die Taube ist der Aphrodite heilig wegen ihrer Wollust. 
Es wird nämlich gesagt, dass sie am meisten Sex habe.
Apollodor, Athen

Montag, 28. Juli 2014

Krieg ist eine Abzocke - Smedley D.Butler




 Generalmajor Smedley Darlington Butler 
1881-1940

Er war bis 1931 Generalmajor beim United States Marine Corps. Zweimal wurde er mit der Medal of Honor ausgezeichnet. General Douglas McArthur bezeichnete ihn als einen der wirklich großen Generäle der amerikanischen Geschichte. 

1935, nach seinem Abschied aus dem Militär schrieb er ein Buch mit dem Titel „War is a racket“ - "Krieg ist eine Abzocke"


„Es gibt keine Gaunerei (Abzocke), die die militärische Gang nicht auf Lager hat. Sie hat ihre ‚Spitzel‘, die mit dem Finger auf die Feinde zeigen, sie hat ihre ‚Muskelmänner‘  zur Vernichtung der Feinde, sie hat ein ‚Gehirn‘, das die Kriegsvorbereitungen trifft, und einen ‚Big Boss‘, den supernationalistischen Kapitalismus.
Es mag merkwürdig anmuten, dass ausgerechnet ich als Angehöriger des Militärs einen solchen Vergleich wage. Aber die Wahrhaftigkeit zwingt mich dazu. Ich habe dreiunddreißig Jahre und vier Monate als Mitglied der agilsten Militärmacht dieses Landes, der Marine-Infanterie, im aktiven Dienst verbracht. Ich habe in allen Rängen gedient, vom Leutnant bis zum Generalmajor. Und einen Großteil dieser Zeit war ich ein erstklassiger Muskelmann für das Big Business, für die Wall Street und die Banker. Kurzum, ich war ein Gangster des Kapitalismus. Damals ahnte ich, dass ich nur ein Teil eines großen Gangsterplans war. Jetzt weiß ich es….
Ich habe 1903 mitgeholfen, Honduras für die amerikanischen Obsthandelsfirmen “zuzurichten”. Ich habe 1914 mitgeholfen, Mexiko und insbesondere Tampico für die wichtigen amerikanischen Ölinteressen abzusichern. Ich habe dazu beigetragen, dass die Jungs von der National City Bank, die in Haiti und Kuba abkassierten, einen angenehmen Aufenthalt hatten. Ich half mit bei der Plünderung von einem halben Dutzend Republiken in Mittelamerika zugunsten der Wall Street. Die Liste der Gangstereinsätze ist lang. 1909–1912 war ich an der Säuberung Nicaraguas für das internationale Bankhaus Brown Brothers beteiligt. 1916 machte ich in der Dominikanischen Republik den Weg frei für die amerikanischen Interessen am Zucker. In China sorgte ich zusammen mit anderen dafür, dass Standard Oil ungestört seine Ziele verfolgen konnte.
In all diesen Jahren habe ich, wie die Drahtzieher zu Hause sagen würden, ein tolles Ding nach dem anderen gedreht. Im Rückblick glaube ich, dass ich Al Capone ein paar wertvolle Tipps hätte geben können. Er operierte bestenfalls in drei Bezirken. Ich operierte auf drei Kontinenten.“
Zitat aus Tariq Ali: „Fundamentalismus im Kampf um die neue Weltordnung “  S. 439, Heyne-Verlag 2003


Link zum vollständigen englischen Text:
http://www.ratical.org/ratville/CAH/warisaracket.html 

Sonntag, 27. Juli 2014

KRIKELKRAKEL KRAKELEI KRITZELEI KRIKELEI


KRIKELKRAKEL KRAKELEI KRITZELEI KRIKELEI

Im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache findet man unter krakeln: 
‘zittrig, ungleichmäßig, schlecht leserlich schreiben’ (19. Jh.). Die Herkunft des nd. md. Verbs ist unbekannt. Vergleichbar sind mnd. krōken, krāken ‘falten’, krōke, krāke, krōkel, krākel ‘(Gesichts)falte, Runzel’, vielleicht auch nhd. Krakel ‘dürrer Zweig’ (danach der diesem ähnliche Schriftzug?). Vgl. Krakelfüße ‘seltsame Schrift’ (Lessing), Krakelwerk ‘seltsam gestaltetes Werk’ (Goethe). – krak(e)lig Adj. ‘zittrig, unleserlich geschrieben’ (19. Jh.). Krakelei f. ‘das Krakeln, Gekrakelte’, nd. Krakelie (19. Jh.). 
klieren, krickeln, kritzeln 


Im Etymologischen Wörterbuch steht: Krakel "unregelmäßiger Schriftzug" std. stil. (16. Jh., Bedeutung 19. Jh.) Stammwort. In der Bedeutung "dürrer Ast" bezeugt seit dem 16. Jh. (zunächst in der Form Gragel). Dann übertragen auf Schriftzüge usw.; bei krakelig "zerbrechlich" tritt ein anderes Merkmal der dürren Äste in den Vordergrund. Wohl lautmalend zu krachen (Krach). Verb: krakeln; Abstraktum: Krakelei. S. auch krickeln.
 
 
WIEDERGEBURT

Ein Kunstbarbar mit schlaffer Hand
Befleckt das Bild eines Genies,
Indem er es voll Unverstand
Mit eignen Krakeln überzieht.

Die fremden Farben mit den Jahren
Platzen schuppenwelk herab;
Bis das, was das Genie gestaltet,
In alter Schönheit wieder strahlt.
 
So muss auch jener Irrtum schwinden,
Der lang schon meine Seele quält,
Bis sich Visionen wiederfinden,
Die rein der erste Tag enthält.

Alexander Puschkin 1819
übersetzt von Eric Boerner  

-----------------------------------------------------------------------------

EDWARD HOPPER 
KRAKELEIEN - SCRIBBLES





----------------------------------------------------------------------------- 
 

Jakob Krakel-Kakel

Jakob Krakel-Kakel war schon ein alter Rabenvater. Aber – dem Himmel sei es geklagt – er machte noch immer Seitenflüge. Besonders häufig traf er sich in einer Felsengalerie mit seiner Nichte, der Nebelkrähe. Er schwärmte so für aschblonde Federn. Da saß er und schnäbelte, statt sich die Felsenbilder zu besehen, wie es ehrbare Leute tun. Denn dazu sind die Felsengalerien da, wie jeder weiß. Die Felsen blieben freilich ungerührt, aber sonst war es betrübend.
»Krah«, sagte Jakob Krakel-Kakel und ließ sich elegant auf den Rand seines Nestes niedergleiten. »Jakob«, sagte Frau Krakel-Kakel, die häuslich auf ihren Eiern saß, »Jakob, wo sind die bestellten Regenwürmer?« »Regenwürmer sind dieses Jahr sehr schwer zu beschaffen. Ich fand nichts als einen Engerling, den ich im Versehen verschluckte.« Jakob Krakel-Kakel hatte Übung in solchen Dingen. »Jakob, wo warst du?« fragte Frau Krakel-Kakel. »Ich sagte es dir schon«, sagte Jakob Krakel-Kakel, »ich habe alle Felder abgesucht. Ich bin erschöpft. Außerdem bin ich erkältet.
»Du bist eher erhitzt«, sagte Frau Krakel-Kakel. »Jakob – hat nicht deine Nichte, die Nebelkrähe, aschblonde Federn auf der Brust?«
»Was wird sie haben«, sagte Jakob Krakel-Kakel, »sie wird schon aschblonde Federn haben.«
»Jakob«, sagte Frau Krakel-Kakel, »du hast eine aschblonde Feder auf dem Rock.«
»Ich werde eben grau«, sagte Jakob Krakel-Kakel, »es ist kein Wunder.« Er putzte sich die Feder fort.
»Jakob, kakle die Wahrheit! Du bist polygam. Pfui!«

 
Jakob Krakel-Kakel senkte schuldbewußt den großen Schnabel. In der Tiefe seiner Rabenseele aber war er wütend und beschloß, Rache zu nehmen – Rabenrache!
»Krah«, sagte Jakob Krakel-Kakel und flog davon. Er flog zum Kuckuck.
»Ich habe gehört, daß Sie Ihre Eier vergeben. Ich will eins haben.«
»Mit Vergnügen«, sagte der Kuckuck.
»Mehr als einen oder höchstens zwei Regenwürmer möchte ich nicht anlegen«, sagte Jakob Krakel-Kakel, »ich bin verheiratet und kann mir keine Extravaganzen gestatten.
»O bitte, das genügt vollkommen, ich tue es überhaupt nur aus reiner Vogelfreundlichkeit", sagte der Kuckuck. »Ich will das Ei dann gleich mitnehmen«, sagte Jakob Krakel-Kakel.
»Das geht nicht«, sagte der Kuckuck pfiffig. »Eierlegen ist eine produktive Tätigkeit. So was ist doch nicht vorrätig. Man braucht Stimmung dazu. Das müßte solch ein alter Vogel doch eigentlich selbst wissen.«
Jakob Krakel-Kakel tat, als wisse er das nicht.
»Wann kann ich es mir holen?« fragte er.
»Ich liefere es Ihnen loco Rabennest«, sagte der Kuckuck zuvorkommend.
»Das tun Sie lieber nicht«, sagte Jakob Krakel-Kakel, »Sie könnten da auf ungeahnte Schwierigkeiten stoßen. Ich hole es mir selbst ab.«
Nach einigen Tagen flog Jakob Krakel-Kakel von hinten auf seine Frau zu. Er hatte ein Ei im Schnabel und schob es ihr vorsichtig ins Unterrockgefieder. Dann segelte er von dannen – ruchlos krächzend.
Nach einer kurzen Weile kam er wieder und setzte sich auf den Nestrand. Er sagte nicht einmal »Krah« zur Begrüßung und kehrte seiner Frau den Rücken zu. Dann wandte er den Schnabel und sprach über die Schulter.
»Lea«, sagte er, »was ist das für ein Ei?«
»Was werden es für Eier sein«, sagte Frau Krakel-Kakel, »unsere Eier – Rabeneier.«
»Lea – kakle die Wahrheit! Du hast ein fremdes Ei im Nest!«
»Ach, du meinst das kleine, das du mir heute zugesteckt hast?« sagte Frau Krakel-Kakel. »Das hab' ich ausgetrunken. Es war doch eine Aufmerksamkeit für die bestellten Regenwürmer, die du vergessen hast? Nicht wahr?« Jakob Krakel-Kakel war zumute, als müsse er selber Eier legen.
»Natürlich«, sagte er und sah seine Frau mit Rabenaugen an. Er tat es nicht lange. Frau Lea Krakel-Kakel hatte einen Zug um die Schnabelwinkel – einen Zug, den man niemand beschreiben kann, der ihn nicht kennt. Jakob Krakel-Kakel wurde hundert Jahre alt. Den Zug vergaß er nie. Er hat auch auf dem tadellos schwarzen Rock nie wieder eine aschblonde Feder gehabt. Und das heißt: Er hat sie sich stets vorher sorgsam abgeputzt.

Manfred Kyber um 1926

Freitag, 25. Juli 2014

Kinderkrakelei - Paul Klee


UNTERM SCHIRM

"Dame mit Sonnenschirm" 
Kinderzeichnung
Paul Klee 1883-1885 im Alter von 4-6 Jahre
Bleistift auf Papier auf Karton
Zentrum Paul Klee Bern


1. Strophe:
Rach und Degen
ein Dach dem Regen
Schurm und Stirm
im Sturm ein Schirm

2. Strophe:
Rach und Degen
Schurm und Stirm
im Sturm ein Schirm
ein Dach dem Regen

3. Strophe:
Schurm und Stirm
im Sturm ein Schirm
Rach und Degen
ein Dach dem Regen

Neue Möglichkeiten:
Degen und Rach
dem Regen ein Dach
Stirm und Schurm
ein Schirm im Sturm

Schurm und Stirm
Räch und Degen
ein Dach und Regen
im Sturm ein Schirm

Paul Klee um 1925


"mit dem Sonnen schirm"
Paul Klee 1938
Kleisterfarbe auf Papier auf Karton, 21,5 x 27 cm
Zentrum Paul Klee Bern
Schenkung Livia Klee


Donnerstag, 24. Juli 2014

Der erste Tag der Ferien - ein Wechselbalg


Der Erste Ferientag. 
Beginnt mit panischen Erledigungen, allerletztem Bürokram, Schuhen, die zum Schuster müssen, elf oder zwölf noch nötigen Anrufen, einem unaufschiebbaren lästigen Termin, einem Kurzeinkauf im Drogeriemarkt, einem Krankenhausbesuch und drei Umkehrern, weil ich was vergessen habe, unter anderem meinen Autoschlüssel. 
Sonnencreme muß gekauft werden, eine Bluse gebügelt, die Route gegooglet, der Koffer gepackt, Kritiken gelesen, die Ersatzbrille gesucht, die Lieblingsnichte ins Auto geladen. 
Berlins Luft ist stickig, als hätte man sich in angelutschten Fruchtbonbons gewälzt. Die alte Klimaanlage im Auto wälzt feuchtheiße Luft um und rum und alle anderen Verkehrsteilnehmer scheinen sich im Hitzerausch, allen Wissens über die Regeln des Strassenverkehrs entledigt zu haben. 
Es staut. Die Hitze. Der Schweiß. Der Verkehr. 
Nur die Nichte bleibt frisch und freudig. 
Mit Staustandzeit, zwei Stunden Fahrt durch Brandenburg, die Landschaft wird flacher, der Verkehr dünner, die Luft sanfter.
Der Bauernhof wird erreicht. Die Koffer, Taschen und Tüten geschleppt  und ausgepackt. Die Nichte besteigt ein Pferd und reitet von dannen. Ich sitze unter einer uralten Linde, Insekten lärmen, die Sonne sackt gemächlich, ich auch.

Der letzte Akt
1885/6 Walter Richard Sickert
Miss Helen Couper-Black, die Geschäftsführerin der D'Oyly Carte Opera Company, erschöpft zusammengefallen nach einer Probe.

Die romanische Backsteinkirche in Viesen

Montag, 21. Juli 2014

Clara Rilke Westhoff - "Er hatte einen Faunsmund."


"Die greift den Marmor an wie ein Mann."

Bildhauer Max Klinger über die 22jährige Bremer Kaufmannstochter, der er erlaubt hatte, in seinem Atelier zu arbeiten.



um 1903

Trauung am 28.April 1901
Geburt der Tochter Ruth am 12. Dezember 1901
Im Sommer 1902 geht Rilke nach Paris
Clara folgt ihm.
Die Tochter lebt meist bei den Großeltern. 
 Mal leben die beiden miteinander, manchesmal nicht.
Von 1909 bis zu ihrem Tode lebte Clara in Fischerhude.
Sie blieben lebenslange Freunde, sagt man.
 
Porträt von Paula Modersohn Becker 1905



???

"Dank für alles was Du auf so treue Art mit mir teilst; 
mir ist als reichtest Du von allem mir die größere Hälfte."
Rainer Maria Rilke an Clara Westhoff-Rilke, 18.3.1907



 Porträt von Oskar Zwintscher 1902
DIE BRAUT
Ruf mich, Geliebter, ruf mich laut!
Laß deine Braut nicht so lange am Fenster stehn.
In den alten Platanenalleen
wacht der Abend nicht mehr:
sie sind leer.

Und kommst du mich nicht in das nächtliche Haus
mit deiner Stimme verschließen,
so muß ich mich aus meinen Händen hinaus
in die Gärten des Dunkelblaus
ergießen...
R.M. Rilke Buch der Bilder 1902 & 1906

Paula Becker, später Modersohn & Clara Westhoff - Freundinnen



Rilke - Porträt von Clara Westhoff - 1905

Rilke - Porträt von Clara Westhoff - ???
"Er hatte einen Faunsmund."


http://www.zeit.de/2003/34/Rilke