Donnerstag, 3. April 2014

Lear - Theater auf dem Theater im Theater


DIE KREIDEFELSEN VON DOVER 
ODER ES IST NICHT WAS ES NICHT IST
ODER AUCH DAMIT VERBRINGE ICH MEINE TAGE

König Lear 
Vierter Akt, Sechste Szene
Gloucester und sein Sohn Edgar als "Armer Tom"

1.
Zwei Spieler auf einer leeren Bühne.
Einer ist älter, der andere jung.
Sie spielen Vater und  Sohn.

Erste Zwischenbemerkung: Der Junge ist nicht so jung wie die Figur die er spielt und der Ältere nicht so alt, wie es seine Rolle es üblicherweise verlangt.

2.
Der ältere Mann, der den Vater darstellt, behauptet, dieser ist geblendet worden, also blind, und hat erst dann begriffen, dass er zu Beginn des Stückes seinen älteren Sohn, verblendet durch die Lügen seines jüngeren Sohnes, zu Unrecht verstossen und verraten hat. Geblendet, und von einer Verblendung befreit, aber doch so blind, dass er jetzt nicht bemerkt, dass der närrische Junge, der ihn, den Blinden, führt, eben dieser "verlorene" Sohn ist.

3.
Der junge Schauspieler, der den (älteren) Sohn spielt, hat in der Rolle des Sohnes, in tiefster Enttäuschung über den Verrat des Bruders und die Bereitwilligkeit seines Vaters, dessen Lügen zu glauben, seine einstige Identität abgelegt und behauptet nun ein ver-rückter Narr zu sein.

4.
Der blinde Vater will sich töten und bittet seinen Begleiter um Geleit zu den Kreidefelsen von Dover, in der Absicht sich dort in die Tiefe und den Tod zu stürzen.

Zweite Zwischenbemerkung: Wie schon gesagt, die Bühne ist leer, und hat bis zu dieser Szene bereits als drei verschiedene herrschaftliche Residenzen und eine Heide im Sturm herhalten müssen. Sie ist flach und sehr leer.
Und jetzt!

5.
Der unerkannte Sohn, in seiner Identität als stammelnder Idiot, führt den blinden Vater - er beschreibt ihm den Weg, die Vögel, die Aussicht, die Steigung, den Abgrund  - der Zuschauer sieht, wie schon den ganzen bisherigen Abend über die leere Bühne - der blinde Vater glaubt der Beschreibung - der Zuschauer soll der Beschreibung nicht glauben, aber er soll glauben, dass der Mann, der behauptet der augenlose Vater des nicht wirklich verrückten Sohnes zu sein, ihr glaubt.

Dritte Zwischenbemerkung: Die Abwesenheit von Meeresrauschen wird in der fiktiven Wegbeschreibung durch die Höhe der Felsen und die große Entfernung des tief unten rauschenden Meeres begründet.
 
6.
Der blinde Vater stürzt sich in die vermeintliche Tiefe und fällt flach aufs Gesicht.

Vierte Zwischenbemerkung: Und jetzt!

7.
Der Sohn, nach kurzer Verunsicherung ob sein Vater nun wirklich tot sein könnte, weil vielleicht die Vorstellung des Sturzes stark genug war, sieht, dass dieser lebt und behauptet nun eine andere Person zu sein, ein Fischer oder Muschelsammler, der den vom Felsen Gestürzten zufällig am Strand findet.

8.
Der überlebt habende Blinde ist zornig, weil sein Selbstmordversuch nicht geglückt ist. Etwas später wird er, wenn er erfährt, wer ihn geführt und "gerettet" hat, an Herzbruch sterben. 

9. 
Ich liebe das. 



"Dover" 1825 Joseph Mallord William Turner

  

Dienstag, 1. April 2014

Lear und Prinzessin Mäusehaut

Das Salz ist absolut und rein wie der Tod. Gabriela Mistral, Elogia de la sal (1926)

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CUM GRANO SALIS
Das Salz ist absolut und rein wie der Tod. Gabriela Mistral, Elogia de la sal (1926)

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Nº 71.


Prinzessin Mäusehaut.

Ein König hatte drei Töchter; da wollte er wissen, welche ihn am liebsten hätte, ließ sie vor sich kommen und fragte sie. Die älteste sprach, sie habe ihn lieber, als das ganze Königreich; die zweite, als alle Edelsteine und Perlen auf der Welt; die dritte aber sagte, sie habe ihn lieber als das Salz. Der König ward aufgebracht, daß sie ihre Liebe zu ihm mit einer so geringen Sache vergleiche, übergab sie einem Diener und befahl, er solle sie in den Wald führen und tödten. Wie sie in den Wald gekommen waren, bat die Prinzessin den Diener um ihr Leben; dieser war ihr treu, und würde sie doch nicht getödtet haben, er sagte auch, er wolle mit ihr gehen, und ganz nach ihren Befehlen thun. Die Prinzessin verlangte aber nichts, als ein Kleid von Mausehaut, und als er ihr das geholt, wickelte sie sich hinein und ging fort. Sie ging geradezu an den Hof eines benachbarten Königs, gab sich für einen Mann aus, und bat den König, daß er sie in seine Dienste nehme. Der König sagte es zu, und sie solle bei ihm die Aufwartung haben: Abends mußte sie ihm die Stiefel ausziehen, die warf er ihr allemal an den Kopf. Einmal fragte er, woher sie sey? – „Aus dem Lande, wo man den Leuten die Stiefel nicht um den Kopf wirft.“ Der König ward da aufmerksam, endlich brachten ihm die andern Diener einen Ring; Mausehaut habe ihn verloren, der sey zu kostbar, den müsse er gestohlen haben. Der König ließ Mausehaut vor sich kommen und fragte, woher der Ring sey? da konnte sich Mausehaut nicht länger verbergen, sie wickelte sich von der Mausehaut los, ihre goldgelben Haare quollen hervor, und sie trat heraus so schön, aber auch so schön, daß der König gleich die Krone von seinem Kopf abnahm und ihr aufsetzte, und sie für seine Gemahlin erklärte.
Zu der Hochzeit wurde auch der Vater der Mausehaut eingeladen, der glaubte seine Tochter sey schon längst todt, und erkannte sie nicht wieder. Auf der Tafel aber waren alle Speisen, die ihm vorgesetzt wurden, ungesalzen, da ward er ärgerlich und sagte: „ich will lieber nicht leben als solche Speise essen!“ Wie er das Wort ausgesagt, sprach die Königin zu ihm: „jetzt wollt ihr nicht leben ohne Salz, und doch habt ihr mich einmal wollen tödten lassen, weil ich sagte, ich hätte euch lieber als Salz!“ da erkannt er seine Tochter, und küßte sie, und bat sie um Verzeihung, und es war ihm lieber als sein Königreich, und alle Edelsteine der Welt, daß er sie wiedergefunden.

Brüder Grimm  Kinder- und Haus-Märchen Band 1
Große Ausgabe, nur in der Ausgabe von 1812
Variant Die Gänsehirtin am Brunnen http://www.textlog.de/40218.html

 
3. Buch Mose 2/13
Alle deine Speisopfer sollst du salzen, 
und dein Speisopfer soll niemals ohne Salz des Bundes deines Gottes sein; 
bei allen deinen Opfern sollst du Salz darbringen. 

Sonntag, 30. März 2014

Ein Witz (zum Zweiten)



EIN WITZ




Im Wald verbreitet sich das Gerücht, der Bär führe eine Todesliste. 
Die Tiere bekommen Angst.
Irgendwann hat die Maus genug. " Ich gehe einfach zu ihm hin und frage ihn!"
Gesagt, getan.
Die Maus geht los, findet den Bären, schluckt zweimal und fragt: " Sag mal, Bär, man sagt, du hättest eine Todesliste?" Der Bär runzelt die Stirn, stockt, denkt nach und antwortet schließlich: "Eine Todesliste? Hmmm. Ach ja, eine Todesliste. Ja. Hab ich."
Die Maus zuckt erschrocken zusammen, aber zwingt sich noch eine Frage, die entscheidende, zu stellen: "Stehe ich auf dieser Liste?" Wieder stockt der Bär, sucht in seinen Taschen nach der besagten Liste, liest, findet nichts, guckt auf die Rückseite und murmelt schließlich: "Du? Ja."
Zwei Wochen später ist die Maus tot.
Die Panik unter der Waldbevölkerung wächst.
Schließlich hat der Fuchs das Warten satt und beschließt selbst mit dem Bären zu reden. 
Gesagt, getan.
Der Fuchs findet den Bären, nimmt allen seinen Mut zusammen und fragt ihn: "Du, Bär, gibt es diese Todesliste?" Der Bär stutzt, ein kurzer Seufzer entfährt ihm, er guckt auf seinen Zettel und er antwortet schließlich mit einem kurzen "Ja".
"Und stehe ich auf dieser Liste?" fragt der todesmutige Fuchs und nach kurzem, mißmutigem Blick auf seinen Zettel antwortet der Bär  mit einem leisen "Ja".
Zwei Wochen später ist der Fuchs tot.
Genauso ergeht es dem Wolf und dem Marder und dem Reh und dem Hasen und dem Maulwurf und dem .
Die Panik im Wald wächst ins Unermeßliche bis es, schlußendlich, die Amsel nicht länger aushält und todesmutig eine Konfrontation mit dem Bären wagt. Sie fliegt eine Weile, sichtet den Bären und landet im knappen Sturzflug direkt vor seinen dicken Füssen. "Du, Bär, stimmt es, dass du eine Todesliste führst?" fragt sie atemlos. Der Bär nickt. Die Amsel, nun schon jenseits der üblichen Ängstlichkeit, stellt ihre nächste Frage: " Und stehe ich auf dieser Liste?" Der Bär nickt, nach einem knappen Blick auf seinen nun schon arg zerfledderten Zettel. 
Die Amsel atmet tief ein und aus und dann sagt sie: "Noch eine, letze Frage. Könntest Du mich bitte von der Liste streichen?"
"O.k." antwortet der Bär.


Die Brust der Venus


Diese Brust ist so vorwitzig,
dass selbst ihre Besitzerin davon etwas überrascht zu sein scheint.


DIE SIEGREICHE VENUS 
oder Venus Victrix,
gemalt von Michele Tosini
genannt Michele di Ridolfo del Ghirlandaio,
der von 1503 bis 1577 gelebt hat.

ALS ER IHRE BRÜSTE KÜSSTE

Blondine deiner Brüste Kuß
Hegt mehr von süßen Uberfluß
- Als tausend Zucker-Fladen
- Und theure Marmeladen
Mehr Süßigkeit quilt aus dem Schnee
Der Brüste als aus Hyblens Klee
- Die Feige wird zur Schleen
- Kein Honig kan bestehen
Daß nicht zu Gall und Wermuth wird
Wenn es der Brust wird beygeführt.
- Der Wein wird schlechte Pfütze
- Das Manna Haber Grütze
Dem Ambrosin und Nectar Safft
Benimmt dein Busen alle Krafft
- Dein unbefleckte Brüste
- Die Zinsen Himmels-Lüste.

Celander um 1700


"Sobald Fünf Jahre Vergehen" von Lorca am Stuttgarter Theater


Jo Fabian komponiert ein Stück, das Frederico Garcia Lorca 1931 geschrieben hat, genau fünf Jahre vor seiner Ermordung durch eine Falange Milizgruppe.

Ein Mann liebt eine Frau, will sie aber erst "sobald fünf Jahre vergehen" heiraten. Fünf Jahre lebt/liebt er die Idee einer Liebe, er wartet, erwartet. Eine ungelebte Liebe ist reine Liebe. 
Die Frau geht auf Reisen in Begleitung ihres Vaters. 
Eine Andere erklärt dem Mann ihre Liebe und wird erwartungsgemäß abgewiesen. 
Die fünf Jahre werden verwartet und am Tag des Wiedersehens kommt es zum Eklat: die junge Frau hat mittlerweile einen anderen Mann "in ihrem Schlafzimmer". 
Der Wartende entscheidet sich daraufhin, nach der einst Abgewiesenen zu suchen, er gerät in eine Traumwelt, wird auch von der enttäuschten Frau abgewiesen und... ?

Fiebrige Erwartung statt ungewisser, möglicherweise enttäuschender Realität. 

Die Figuren tragen undurchdringliche Sonnenbrillen, stolzieren durch die nur punktuell hörbare Sprache, nehmen Posen ein und verweigern in größter poetischer Hingabe die eindeutige Zuwendung.
Ein zweistündiges Gemälde musikalischer Art. Ein lethargischer Tanz im Sprachfetz-Rhytmus. Musik, Geräuschschnipsel, falsche Toneinsätze verhindern jedwedes vollständige Gespräch.
Es ist ein wenig wie in gewissen Breughel-Gemälden, viele überraschende Details und das, was man eigentlich sehen soll, findet irgendwo links unten in einer Ecke statt.
Es war sehr sehr schön, auch wenn die fast unvermeidliche  Gefährdung durch Selbstgefälligkeit hin und wieder zu spüren ist, eine solche Bild-Ton-Bewegungsphantasie ist sicher eine einsame Angelegenheit.


© Conny Mirbach

Der Regisseur hat Humor. Kommt leider auch nicht mehr so häufig vor. 
Ein alter Mann mit Hut in der Hand tritt auf, hängt ihn an einen Stuhl, sagt: "Ich werde meine Hut vergessen." und geht ab. Tritt wieder auf, nimmt erleichtert den Hut und sagt: " Ich habe meinen Hut vergessen."
Zeit. Zeit. Zeit vergeht. Zeit schleicht. Zeit scheint verdickt und gestaut und, ganz plötzlich, flitzt sie voran. Zeit ist    

© Conny Mirbach

Jörg Steinberg zur Probenarbeit bei Jo Fabian:

Jo sagte zu uns: ,Laßt uns unser letztes Stück machen. Alles ist scheißegal. Was die Leute von uns erwarten, ist scheißegal, was sie davon verstehen und ob es ihnen gefällt oder paßt. Alles ist so scheißegal, wie es mir immer scheißegal war, wie andere glaubten, daß ich Theater machen sollte. Also, laßt uns dieses letzte Mal ein ultimatives Kunstwerk schaffen. Mehr verlange ich nicht von euch.' Sie werden vielleicht denken, daß wir es mit der Angst zu tun bekamen, aber so war es nicht. Ich habe jetzt ca. siebzehn Produktionen mit Jo gemacht und er hat nie versäumt, am Anfang jeder Arbeit diesen Text zu sagen. Es ist ein guter Text und er hängt seit vielen Jahren über meinem Klo. Wir gingen also auf die Bühne, er zündete sich eine Zigarette an und sagte leise: ACHTUNG, UND: BITTE!


 © Conny Mirbach

Samstag, 29. März 2014

Noah läßt sich volllaufen und verflucht seinen Sohn



Giovanni Bellini 
Noahs Trunkenheit
1515



Die folgende Geschichte soll sich nach der Flut, also auch nach der Schiffsreise, zugetragen haben, nur acht Menschen einer Familie hatten die gewaltigen Wasser überlebt. 
Vater Noah hat dann Wein gepflanzt, gekeltert und getrunken, wohl eine ganze Menge davon und ist besinnungslos in seinem Zelt eingeschlafen. Sein Jüngster (oder Mittlerer, da gibt es Diskussionen) sieht ihn entblößt und komatös dort liegen und, jetzt gehen die Interpretationen auseinander, vergewaltigt den schlafenden Vater oder kastriert ihn oder schläft mit dessen Frau, seiner eigenen Mutter, oder er holt nur seine beiden Brüder, damit sie auch über den Anblick des betrunkenen Familienoberhauptes lachen können. 
Die Brüder zeigen sich feinfühliger als Ham und bedecken die Blöße des Vaters mit abgewendeten Augen. Als Noah erwacht und erfährt, was vorgefallen ist (Wer hat es ihm erzählt?), wird er, wohl aus Scham, wütend und verflucht Ham und seine Kinder, die Hamiten, auf grausamste Art. 

Jahrtausende später begründen Sklavenhändler ihr Recht auf den Handel mit afrikanischen Frauen, Männern und Kindern, angeblich Abkömmlingen dieses Ham, mit eben jenem Fluch.

GENESIS 9.20 - 27

Noah aber, der Ackermann, pflanzte als Erster einen Weinberg. Und da er von dem Wein trank, ward er trunken und lag im Zelt aufgedeckt. Als nun Ham, Kanaans Vater, seines Vaters Blöße sah, sagte er's seinen beiden Brüdern draußen. Da nahmen Sem und Jafet ein Kleid und legten es auf ihrer beider Schultern und gingen rückwärts hinzu und deckten ihres Vaters Blöße zu; und ihr Angesicht war abgewandt, damit sie ihres Vaters Blöße nicht sähen. Als nun Noah erwachte von seinem Rausch und erfuhr, was ihm sein jüngster Sohn angetan hatte, sprach er: Verflucht sei Kanaan und sei seinen Brüdern ein Knecht aller Knechte! Und sprach weiter: Gelobt sei der HERR, der Gott Sems, und Kanaan sei sein Knecht! Gott breite Jafet aus und lasse ihn wohnen in den Zelten Sems und Kanaan sei sein Knecht!

Und LEVITICUS 18.8

Du sollst deines Vaters Weibes Blöße nicht aufdecken; denn sie ist deines Vaters Blöße.
 
 Der betrunkene Noah mit seinen Söhnen aus der Schedel’schen Weltchronik, 1493

Wiki sagt: Der Hintergrund des Fluches ist umstritten. Die meisten klassischen Bibelübersetzungen in moderne Sprachen legen nahe, dass Ham seinen betrunkenen Vater Noah zufällig nackt gesehen habe und dafür verflucht wurde. Heutige Forscher übersetzen die hebräische Originalpassage allerdings in der Regel ganz anders und gehen davon aus, dass Ham seinen bewusstlosen Vater nicht etwa nur "nackt gesehen", sondern vielmehr mit ihm geschlafen habe (vgl. auch die deutsche Wendung "er erkannte sein Weib"). Danach habe Ham seinen beiden Brüdern von seiner Tat erzählt. Diese Lesart war bereits in der Antike verbreitet; so wird im Talmud diskutiert, ob Ham Noah nur vergewaltigt oder auch (!) kastriert habe.

Freitag, 28. März 2014

TIBETTEPPICH


EIN ALTER TIBETTEPPICH

Deine Seele, die die meine liebet,
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.

Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit,
Maschentausendabertausendweit.

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron,
Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon?


Der Duden sagt: 
verwirken (mittelhochdeutsch) = einfassen, verlieren, althochdeutsch firwirken= verlieren

Else Lasker-Schüler,  erschienen am 8.12.1910 in der Wochenschrift Der Sturm 
»Nicht oft genug kann diese taubstumme Zeit, die die wahren Originale begrinst (und der sonst ernsthafte Leute wie die Brüder Mann mit einem Zeugnis für die ›außer Zweifel stehende dichterische Begabung‹ eines gutmütigen anarchistischen Witzboldes imponieren können), nicht oft genug kann sie durch einen Hinweis auf Else Lasker-Schüler gereizt werden, die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschland. Wenn ich sage, daß manches ihrer Gedichte ›wunderschön‹ ist, so besinne ich mich, daß man vor zweihundert Jahren über diese Wortbildung ebenso gelacht haben mag, wie heute über Kühnheiten, welche dereinst in dem Munde aller sein werden, denen die Sprache etwas ist, was man ›gebraucht‹, um sich den Mund auszuspülen. Das hier aus der Berliner Wochenschrift ›Der Sturm‹ zitierte Gedicht gehört für mich zu den entzückendsten und ergreifendsten, die ich je gelesen habe, und wenige von Goethe abwärts gibt es, in denen so wie in diesem Tibetteppich Sinn und Klang, Wort und Bild, Sprache und Seele verwoben sind. Daß ich für diese neunzeilige Kostbarkeit den ganzen Heine hergebe, möchte ich nicht sagen. Weil ich ihn nämlich, wie man hoffentlich jetzt schon weiß, viel billiger hergebe.«

Karl Kraus in der »Fackel« Jg. 12, Nr. 313/314 vom 31. Dezember 1910. S. 36

 Else als Braut

Antike Tibet-Teppich-Sammlung Fuggerhaus Augsburg

Quellenangabe (nicht gesichert):  
Howard Weiss (Chicago) und Wolfgang Schmidt (Wuppertal)


Else Lasker Schüler gestaltete sich auch ihre letzen Lebensjahre in Jerusalem phantastisch, was ihr natürlich auch Schwierigkeiten mit der "äusseren Realität" brachte. Ihr Umgang mit dem Geld etwa entsprach nicht dem, was der vernünftige, sparsame Bürger für klug zu halten pflegt.  Nein, nein, sie starb nicht in völliger Armut, wie so gerne kolportiert worden ist. Sie erhielt Mittel aus dem Solidaritätswerk der Einwanderer aus Mitteleuropa und von dem reichen Kaufmann und Kunstmäzen Salman Schocken. Damit hätten einfacher gewickelte israelische Bürger bestimmt viele Jahre zu leben gewusst.
Aber Else gab ihre Rente für Talmi-Schmuck aus. Das war für sie der Kronschmuck Jussufs. Sie kaufte Dinge, die ihr momentan wichtig erschienen, ohne zu überlegen, wovon sie am nächsten Tag leben würde. So beschenkte sie Kinder und Bettler, speiste in guten Restaurants und verfütterte teuer erworbene Lebensmittel an die wildlebenden Vögel. Dabei war ihr Vorratsschrank leer. Sie besaß nicht einmal ein Bett, schlief in einem Liegestuhl, ihre Koffer packte sie nicht aus. Sie wurde auch jetzt nie seßhaft.
Die beschränkter empfindenden Biographen sagen dazu: "Sie hatte einfach keinen Bezug zum Geld." - Ihr Bezug war ein anderer, nicht ein der Diktatur der langweilig vernünftigen Lebensläufe verschriebener.
Obwohl nun alt und grau geworden, nur mehr gebückt gehend, pflegte sie weiterhin ihr exzentrisches Auftreten, ihre Liebe zu Tüchern, Federn und Tand, nebst einer Neigung zur Unsauberkeit. Damit erregte sie auch hier Aufsehen und Gespött. Man hielt sie in ihrer Nachbarschaft einfach für verrückt - war sie auch: ver-rückt phantastisch.
Auch im Alter hielt sie sich an keine gesellschaftlichen Konventionen. An Yom Kippur, wenn die jüdische Welt steng fastet, verzehrte sie in der Synagoge seelig ihre Schokolade. Personen, die sie daraufhin ansprachen, entgegnete sie grob: "Stören sie meine Andacht nicht!". Ihren Rabbiner nannte sie »unseren Pastor«, eine Zumutung für jeden gläubigen Juden. Ein andermal ging sie zu ihrem Rabbiner und fragte ihn: "Hier sind wir ja unter uns, glauben Sie an Gott?".
Sie war oft grob und böse, auch gegenüber ihr wohlgesonnten Personen. Ungewöhnliche Auftritte entschuldigte man aber mit ihrem Alter, dabei gestand sie Bekannten nachher: "Das habe ich mit Absicht gemacht."
Der Liebe entsagte sie selbst im hohen Alter nicht. So verliebte sie sich in einen um viele Jahre jüngeren und verheirateten Mann. Sie schrieb ihm glühende Liebesbriefe, und oft wartete sie stundenlang vor seinem Haus- alles nur um einen kurzen Blick auf ihren Angebeteten zu werfen.
Doch sie wurde immer schwächer und kränklicher. Erste Todesahnungen befielen sie:
"Mit mir geht es zu Ende, ich kann nicht mehr lieben."


 

Mittwoch, 26. März 2014

Vor 24 Jahren gewann "Balance" den Oscar für Animation


Der deutsche Trickfilm Balance von Wolfgang und Christoph Lauenstein wird am 26. März 1990 mit einem Oscar als Bester animierter Kurzfilm ausgezeichnet.

 
Balance auf youtube 

Sehr schöne Inhaltsbeschreibung von filmwerk.de

Fünf Gestalten stehen auf einer Plattform mit dem Rücken zueinander. Eine macht den Schritt nach vorn, die Plattform neigt sich durch die ungleichmäßige Belastung. Die anderen reagieren sofort, treten ihrerseits einen Schritt vor. Die Balance stellt sich wieder ein. Erneut wird das Gleichgewicht gestört, die anderen ziehen nach. Sie geraten an den Rand der Plattform. Neugierig schauen sie in den Abgrund. Die Gestalten werfen ihre Angeln aus. Die plötzliche Neigung der Plattform zeigt an: einer war erfolgreich. Sie eilen in die entgegengesetzte Ecke, um dem Fänger das Einholen der Beute zu
ermöglichen. Er hievt eine schwere Truhe hoch. Der Zugang zur Truhe aber wird erst möglich, wenn der an ihr Interessierte einen Schritt von ihr zurücktritt, um mit der Gleichgewichtsverlagerung den Schatz auf dem dann schrägen Untergrund zum Rutschen zu bringen. Das Prinzip wird von der Gruppe erkannt, akzeptiert und angewandt. Aus der Truhe dringt Musik, und der Genuss des Musikhörens erschwert es, sich von der Truhe loszureißen, um sie anderen zu überlassen. Es kommt zum Streit. Das Gleichgewicht ist nicht mehr zu halten. Sie
stoßen sich gegenseitig von der Platte, erst versehentlich, bald schon mit Absicht. Einer setzt sich durch, bleibt als einziger übrig und steht, trotz der hergestellten Stabilität des Systems, vor einem unlösbaren Problem: Die Truhe steht in der gegenüberliegenden Ecke, so dass ihn jede seiner Bewegungen das Begehrte oder die eigene Existenz kosten würde. 

Sonntag, 23. März 2014

Harold Pinter über Shakespeare


Harold Pinter. Eine Anmerkung zu Shakespeare.

Der Fehler, den sie begehen, die meisten von ihnen, ist, zu versuchen, die Ursache der Wunde zu bestimmen und zu berechnen. Sie erforschen den Riss zwischen dem Offensichtlichen und dem Abgrund, der daran hängt mit aller nötigen Anspannung. Sie nähern sich der Wunde mit Ehrerbietung, einer Lanze und Nadel und Faden.
Beim Eintritt der Lanze wird der Riss größer. Mit dem Gebrauch von Nadel und Faden zieht sich die Wunde zusammen und schrumpft unter ihren Händen.
Shakespeare schreibt die offene Wunde und, durch ihn, kennen wir sie offen und kennen sie geschlossen. Wir erkennen wann sie aufhört zu puckern und erkennen wann sie auf der Fieberspitze ist...
Man entdeckt einen langen Korridor von Haltungen; flüssig und schnell verhärtet; ekelhaft und göttlich; faulend und anziehend; verkommen; aufmerksam; verkrüppelt und gigantisch; zerfallend von Wassersucht; schwer von Elephantiasis; zergrübelt von Regierung; streng; fanatisch; gelähmt; üppig; teilnahmslos; muskelstarrend; geschmeidig; jungfräulich; ungewaschen; verwirrt; buckelig; eisig und
statuesk. Sie alle sind in der Wunde enthalten, die Shakespeare nicht vernäht, oder verformt, deren Schmerz er nicht auslöschen kann. Er amputiert, betäubt, verschlimmert willentlich, in den Grenzen des jeweiligen Stückes, aber er wird kein Urteil verkünden und keine Heilmethode. Kommentar, wenn es ihn gibt, ist unterschiedlich verteilt zwischen den Figuren, widersprüchlich in sich, so dass kein zentraler Punkt von Meinung oder Neigung festgestellt werden kann.....
......Der Stoff reißt nie. Die Wunde ist offen. Die Wunde ist bevölkert.
 

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Harold Pinter mit Wunde

Harold Pinter. A note on Shakespeare.

The mistake they make, most of them, is to attempt to determine and calculate the source of the wound. They seek out the gaps between the apparent and the void that hinges upon it with all due tautness. They turn to the wound with deference, a lance, and a needle and thread. 
At the entrance of the lance the gap widens. At the use of the needle and thread the wound coagulates and the atrophies in their hands. 
Shakespeare writes of the open wound and, through him, we know it open and know it closed. We tell when it ceases to beat and tell it at the highest peak of fever.
In attempting to approach Shakespeares work in its entirety, you are called upon to grapple with a perspective in which the horizon alternately collapses and re-forms behind you, in which the mind is the subject to an intense diversity of atmospheric.
Once the investigation has begun, however there is no other way but to him.

One discovers a long corridor of postures; fluid and hardened at the quick; gross and godlike; putrescent and copulative; raddled; attentive; crippled and gargantuan; crumbling with dropsy; heavy with elephantiasis; broody with government; severe; fanatical; paralytic; voluptuous; impassive; muscle-bound; lissome; virginal; unwashed; bewildered; humpbacked; icy and statuesque. All are contained in the wound, which Shakespeare does not attempt to sew, or re-shape, whose pain he cannot attempt to eradicate. He amputates, deadens, aggravates at will, within the limits of the particular piece, but he will not pronounce judgment or cure. Such comment as there is so variously split up between contradictory in itself that no central point of opinion or inclination can be determined……………
……………The fabric never breaks. The wound is open. The wound is peopled.


from

Harold Pinter

Various Voices

Prose, Poetry, Politics 
1948-1998

Samstag, 22. März 2014

Ein Schulaufsatz - 2014


Der Aufsatz eines 12 1/2-jährigen, der die 7. Klasse besucht:

THEMA - Ein Junge

Ein Junge namens Franklin wollte ein Einbruch machen in ein 
Mode Geschäft machen mit seinem Fahrrad die Wolken 
sind immer heller geworden und eine Maus war in denn 
laden. Und Franklin hat Angst bekomm und dann ist er auf 
die Maus gesprungen und dann ist die Maus gestorben und 
dann hat Franklin alles zerstört im Raum. und dann ist die 
Polizei gekommen und hat ihn gefangen und am Nächten 
tag ist er ausgebrochen und er musste wieder zu denn Laden 
weil sein Fahrrad da war dann ist er zu denn Laden gegangen 
da sah er sein Fahrrad aber er sah nur Polizisten und dann 
ist einer von hinten gekommen und hat ihn abgeschtochen

Ende......

Von ... :-)