Freitag, 28. März 2014

TIBETTEPPICH


EIN ALTER TIBETTEPPICH

Deine Seele, die die meine liebet,
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet.

Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit,
Maschentausendabertausendweit.

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron,
Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon?


Der Duden sagt: 
verwirken (mittelhochdeutsch) = einfassen, verlieren, althochdeutsch firwirken= verlieren

Else Lasker-Schüler,  erschienen am 8.12.1910 in der Wochenschrift Der Sturm 
»Nicht oft genug kann diese taubstumme Zeit, die die wahren Originale begrinst (und der sonst ernsthafte Leute wie die Brüder Mann mit einem Zeugnis für die ›außer Zweifel stehende dichterische Begabung‹ eines gutmütigen anarchistischen Witzboldes imponieren können), nicht oft genug kann sie durch einen Hinweis auf Else Lasker-Schüler gereizt werden, die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschland. Wenn ich sage, daß manches ihrer Gedichte ›wunderschön‹ ist, so besinne ich mich, daß man vor zweihundert Jahren über diese Wortbildung ebenso gelacht haben mag, wie heute über Kühnheiten, welche dereinst in dem Munde aller sein werden, denen die Sprache etwas ist, was man ›gebraucht‹, um sich den Mund auszuspülen. Das hier aus der Berliner Wochenschrift ›Der Sturm‹ zitierte Gedicht gehört für mich zu den entzückendsten und ergreifendsten, die ich je gelesen habe, und wenige von Goethe abwärts gibt es, in denen so wie in diesem Tibetteppich Sinn und Klang, Wort und Bild, Sprache und Seele verwoben sind. Daß ich für diese neunzeilige Kostbarkeit den ganzen Heine hergebe, möchte ich nicht sagen. Weil ich ihn nämlich, wie man hoffentlich jetzt schon weiß, viel billiger hergebe.«

Karl Kraus in der »Fackel« Jg. 12, Nr. 313/314 vom 31. Dezember 1910. S. 36

 Else als Braut

Antike Tibet-Teppich-Sammlung Fuggerhaus Augsburg

Quellenangabe (nicht gesichert):  
Howard Weiss (Chicago) und Wolfgang Schmidt (Wuppertal)


Else Lasker Schüler gestaltete sich auch ihre letzen Lebensjahre in Jerusalem phantastisch, was ihr natürlich auch Schwierigkeiten mit der "äusseren Realität" brachte. Ihr Umgang mit dem Geld etwa entsprach nicht dem, was der vernünftige, sparsame Bürger für klug zu halten pflegt.  Nein, nein, sie starb nicht in völliger Armut, wie so gerne kolportiert worden ist. Sie erhielt Mittel aus dem Solidaritätswerk der Einwanderer aus Mitteleuropa und von dem reichen Kaufmann und Kunstmäzen Salman Schocken. Damit hätten einfacher gewickelte israelische Bürger bestimmt viele Jahre zu leben gewusst.
Aber Else gab ihre Rente für Talmi-Schmuck aus. Das war für sie der Kronschmuck Jussufs. Sie kaufte Dinge, die ihr momentan wichtig erschienen, ohne zu überlegen, wovon sie am nächsten Tag leben würde. So beschenkte sie Kinder und Bettler, speiste in guten Restaurants und verfütterte teuer erworbene Lebensmittel an die wildlebenden Vögel. Dabei war ihr Vorratsschrank leer. Sie besaß nicht einmal ein Bett, schlief in einem Liegestuhl, ihre Koffer packte sie nicht aus. Sie wurde auch jetzt nie seßhaft.
Die beschränkter empfindenden Biographen sagen dazu: "Sie hatte einfach keinen Bezug zum Geld." - Ihr Bezug war ein anderer, nicht ein der Diktatur der langweilig vernünftigen Lebensläufe verschriebener.
Obwohl nun alt und grau geworden, nur mehr gebückt gehend, pflegte sie weiterhin ihr exzentrisches Auftreten, ihre Liebe zu Tüchern, Federn und Tand, nebst einer Neigung zur Unsauberkeit. Damit erregte sie auch hier Aufsehen und Gespött. Man hielt sie in ihrer Nachbarschaft einfach für verrückt - war sie auch: ver-rückt phantastisch.
Auch im Alter hielt sie sich an keine gesellschaftlichen Konventionen. An Yom Kippur, wenn die jüdische Welt steng fastet, verzehrte sie in der Synagoge seelig ihre Schokolade. Personen, die sie daraufhin ansprachen, entgegnete sie grob: "Stören sie meine Andacht nicht!". Ihren Rabbiner nannte sie »unseren Pastor«, eine Zumutung für jeden gläubigen Juden. Ein andermal ging sie zu ihrem Rabbiner und fragte ihn: "Hier sind wir ja unter uns, glauben Sie an Gott?".
Sie war oft grob und böse, auch gegenüber ihr wohlgesonnten Personen. Ungewöhnliche Auftritte entschuldigte man aber mit ihrem Alter, dabei gestand sie Bekannten nachher: "Das habe ich mit Absicht gemacht."
Der Liebe entsagte sie selbst im hohen Alter nicht. So verliebte sie sich in einen um viele Jahre jüngeren und verheirateten Mann. Sie schrieb ihm glühende Liebesbriefe, und oft wartete sie stundenlang vor seinem Haus- alles nur um einen kurzen Blick auf ihren Angebeteten zu werfen.
Doch sie wurde immer schwächer und kränklicher. Erste Todesahnungen befielen sie:
"Mit mir geht es zu Ende, ich kann nicht mehr lieben."


 

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