Robert Wilson wurde in Waco/Texas geboren, Terence Malick auch. Das ist, wo im April 1993 das FBI die Ranch der Branch Davidians belagert hat und als angekündigt wurde, es würde angegriffen, legten die Davidians Feuer. Viele Tote und viele offene Fragen.
Nur 50 Kilometer weit entfernt ist letzte Woche eine Fabrik mit Ammoniumnitrat nach einem Brand in die Luft geflogen. Wiederum mit Todesopfern. Und wiederum 400 Kilometer von dort, in Oklahoma City, hat Timothy McVeigh 1995 ein Regierungsgebäude mit Hilfe einer Bombe aus eben diesem Ammoniumnitrat komplett zerstört. Auch da gab es reichlich Tote.
Letztes Jahr habe ich "Einstein on the Beach" gesehen, die rekonstruierte Inszenierung Wilsons von 1978 und, glaube ich, dort endlich einiges mehr begriffen, was die Wurzeln seiner Bildsprache und Künstlichkeit betrifft.
Siehe: Einstein On The Beach - Godot kommt eh nicht, oder doch? vom 10.06.2012
"Finding Neverland" ist ein nicht ganz übler Film über James Matthew Barrie, den Autor "Peter Pans", mit Johnny Depp und Kate Winslet. Viel interessanter jedenfalls als das gräsliche Ding, das Spielberg verzapft hat, und dass obwohl darin Dustin Hoffman Hook spielt.
Ich liebe es, wie Wilson Licht einsetzt. Darüber würde ich gern viel mehr wissen. Minutiöse Eindunkelungen, weiche Wechsel, Farbüberschneidungen, präzise ausgeschnittene Lichträume. Manchmal sieht es aus, als hätten er und seine Leute es geschafft, das unlösbare Problem des Streulichts zu knacken. Andererseits bin ich neidisch, wenn ich sehe, das er mindestens vier bemannte Verfolgerspots und, ich weiss gar nicht wie viele, Moving Spots zur Verfügung hat und wahrscheinlich unendlich lange Beleuchtungsproben.
Peter Pan: "Ich will ein Junge bleiben und immer fröhlich sein." Die zunehmende Anstrengung, die Sabin Tabrea dieser Satz kostet, ist kostbar.
Wilson sollte nicht selbst Tänze choreographieren. So genau, seltsam und verdreht seine Körperchoreographie sonst auch ist, wenn getanzt wird, erinnert das an die Versuche eines verklemmten Pubertierenden in einer Disco meiner Jugend. Von der "Boygroup"- Szene der Verlorenen Jungs gar nicht zu reden. Die todesmutigen Hüpf- und Schütteltänze an die ich mich erinnere, hatten aber wenigstens noch etwas Rührendes in ihrer Lächerlichkeit.
Christopher Nell als Tinkerbell ist als unter Elektrizität stehende Tinkerbell ein ganz eigenes Ereignis. Wie er wohl auf den Einfall gekommen sein mag, seine Figur als zuckendes, ständig fast aus der Haut fahrendes Energieteilchen zu spielen? Vielleicht weil kleine Feen immer so superschnell mit den Flügeln schlagen, dass sie fast unsichtbar sind? Er steht wahrhaftig unter Strom. Und dann öffnet er den Mund und eine Engelsstimme erklingt. WOW!
Ach, würde Herr Wilson doch einmal am Abend dem Chaos seinen Raum lassen, die Ordnung für einen Moment zerspringen lassen, der lüsternen Gefährdung des Kontrollverlustes nachgeben. Nur ganz kurz.
In der Uraufführung hat Peter Pan, in der Szene in der Tinkerbell beinahe stirbt, verzweifelt in den Saal gerufen: "Feen kann man nur mit Klatschen vor dem Tod retten!", der darauf folgende Applaus soll frenetisch gewesen sein. Guter Trick! Wenn's klappt.
Das Peter Pan Syndrom: http://www.focus.de/finanzen/news/aelterwerden_aid_20805.html
Meine Lieblingsnichte, acht, hat den Abend sehr gemocht. Sie kannte auch die Geschichte viel besser als wir.
Coco Rosie, die Schwestern Sierra und Bianca Casady, haben die Musik geschrieben, die nahezu ununterbrochen spielt. Ganz schön. Und sie singen nicht selbst, denn deren niedliche Kinderstimmchen machen mich irre.
Sicher nicht Wilsons bester Abend, irgendwie wie viele vorher, und doch, so an den Rändern, für Augenblicke, dachte ich, dieser ist persönlicher als die anderen. Und vielleicht liegt gerade darin für solch artifizielles Gewebe der Schwachpunkt. Hoher Kunstwillen und kindlich betrübte Sehnsucht kollidieren und der Kitsch erhebt drohend sein Haupt.
Aber! Der Schlußapplaus war lang und laut und enthusiastisch, inclusive rhythmischem Klatschen und Mitsingen bei der Zugabe "To die is a wonderful adventure" - "Sterben ist ein wunderbares Abenteuer".
Sabin Tambrea
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