Donnerstag, 28. Februar 2013

Orgie



Was ist eine Orgie?

Wiki sagt:  
Orgie (griechisch ὄργια orgia) bezeichnete ursprünglich die geheimen Riten im Kult des Dionysos, später allgemein geheime Riten eines antiken Mysterienkultes. In der Neuzeit wird es als Bezeichnung für gemeinschaftliche Handlungen gebraucht, mit denen bewusst gegen die Sitten verstoßen wird, insbesondere gegen die sexuellen Sitten.

Synonyme?
Ausschweifung, Bacchanal, Besäufnis, Exzess, Fresserei, Sauferei, 

  Saufgelage, Schwelgerei, Trinkgelage, Völlerei, Zecherei, Zechgelage, 
  Zügellosigkeit, feuchter Abend, Maßlosigkeit, Unmäßigkeit, Ausschreitung, Hemmungslosigkeit, Rausch, Unersättlichkeit, Zügellosigkeit, Übertreibung, Exzess...


Auf den wenigen Gemälden und überreichlichen Photos von "Orgien" sieht man viele Menschen, beschäftigt, einsam. Was findet dort statt? Sex mit zu vielen Leuten 
drumherum, zu viele Kartoffel-Chips, Eindrücke, Drogen, Alkohol, absichtsvoller Verlust von Selbstkontrolle, zu viel von was auch immer.  Zu viel. Nur nicht "man-selbst-sein", sich vergessen.
Oder die Wahl keine Wahl zu haben zu wollen, alles zu wagen, sich fallen zu lassen, 
zu vertrauen, ganz man selbst zu sein.

Vertrauen und Achtung, das sind die beiden unzertrennlichen Grundpfeiler der Liebe
 - ohne die sich nicht bestehen kann. 
Denn ohne Achtung hat die Liebe keinen Wert, und ohne Vertrauen keine Freude." 
Heinrich von Kleist, Briefe


Dionysos Maske
gefunden in Myrina (Türkei) 1.-2. Jh. v.u. Zeitrechnung


ORGIE

Der Abend küsste geheimnisvoll

Die knospenden Oleander.

Wir spielten und bauten Tempel Apoll

Und taumelten sehnsuchtsvoll

Ineinander.

Und der Nachthimmel goss seinen schwarzen Duft

In die schwellenden Wellen der brütenden Luft,

Und Jahrhunderte sanken

Und reckten sich

Und reihten sich wieder golden empor

Zu sternenverschmiedeten Ranken.

Wir spielten mit dem glücklichsten Glück,

Mit den Früchten des Paradiesmai,

Und im wilden Gold Deines wirren Haars

Sang meine tiefe Sehnsucht

Geschrei,

Wie ein schwarzer Urwaldvogel.

Und junge Himmel fielen herab,

Unersehnbare, wildsüsse Düfte;

Wir rissen uns die Hüllen ab

Und schrieen!

Berauscht vom Most der Lüfte.

Ich knüpfte mich an Dein Leben an,

Bis dass es ganz in ihm zerrann,

Und immer wieder Gestalt nahm

Und immer wieder zerrann.

Und unsere Liebe jauchzte Gesang,

Zwei wilde Symphonieen!

Else Lasker-Schüler*


Gustave Courbet Bacchantin 

* Aus: Jacobs, Steffen "Liederlich! Die lüsterne Lyrik der Deutschen" Eichborn Berlin

Dienstag, 26. Februar 2013

Popeln oder nicht popeln


Tigerkralle, Hexenspucke und ein Haar vom Warzenschwein,
auch ein dicker fetter Popel muß noch in den Topf hinein,
Mäuseköttel, Stinkesocken und ein Löffel Spinnensaft,
dieser leck´re Superbrei gibt Dir die stärkste Zauberkraft.

Icequeen Musik/Text: T.Gomez/Yo Petit

Popeln oder nicht popeln, das ist eine sehr grundsätzliche Sache. Fast jeder tut es, nur wenige geben es zu. Ich, zum Beispiel, tue es, selten öffentlich, aber leidenschaftlich nichtsdestotrotz. Aber ich schaue nicht fasziniert in mein Taschentuch nach dem Schnauben und ich bohre nicht in den Ohren! Jeder hat da wohl so seine eigenen Vorlieben und Abneigungen. 
Der selbstvergessene Ausdruck in den Gesichter popelnder Kinder ist wunderbar, der peinlich erwischte bei sich unbeobachtet fühlenden Erwachsenen, wenn sie plötzlich bemerken, dass sie es nicht sind, unbezahlbar.
Niemand kann mit einem Finger in der Nase Aggression oder Würde ausstrahlen. Außer Merryl Streep - vielleicht.   
Als sehr junge Schauspielerin hat mir ein wirklich alter Regisseur einmal die Kunst des Reagierens mit folgendem Bild erklärt: Popel aus der Nase und gleich wegschnippen? - Das geht nicht, er klebt und muß zuerst noch zwischen zwei Fingern trockengerollt werden. Das Trockenrollen ist das "ups", der Denkimpuls vor dem Reagieren. Die intellektuellere Form dieser Erklärung wären wohl die vier oder sechs W - was, wer, warum, wo...
Und in einer äußerst öden Inszenierung von Nestroys "Der Unbedeutende", hat, die sich in einer Mini-Rolle langweilende, Katharina Thalbach den sehr langen und sicher wichtigen Monolog eines Kollegen gänzlich unhörbar gemacht, indem sie dezent im Bühnenhintergrund popelte und sich dann mit großer und ernster Konzentration bemühte, den nun an ihrem Zeigefinger klebenden Popel loszuwerden. Nach circa fünf Minuten hat sie ihn resigniert wieder in die Nase gestopft.
 
  Poplig, oder gewöhnlich, schäbig kommt von lateinisch populus, das Volk.   
  Möglicherweise ist das Wort Popel davon abgeleitet. Das Wort könnte aber
 
auch die Entsprechung zum schwäbischen Bobbl, Mehrzahl Bebbl = Klumpen,
  Knäuel sein. So sagt man im Schwäbischen, wenn sich im Teig Klumpen
  gebildet haben, er hat "Bebbl".


  Wiki sagt:
  Weitere landschaftliche Bezeichnungen für Nasensekret sind "Schnodder", 
  „Schnuddel“, „Rotze“ oder „Schnupfen“. Die verfestigte Form hat eigene    
  Namen: medizinisch „Borke“; umgangssprachlich: Popel, süddeutsch auch   
  „Nasenmann, Nasenstein, Nasenbohrer“ oder Bettler, bayrisch auch Rammel, 
  kölsch auch Mömmes, Lippisches Plattdeutsch auch Mock, österreichisch
  selten auch „Rawuza“. Die Gewohnheit des Verspeisens von Nasensekret wird 
  in der Medizin Mukophagie genannt.

  Positiv popelig
  Komparativ popeliger
  Superlativ am popeligsten



DAS HIMMELSKLÖßESPIEL

Je mehr Kinder dabei mitmachen,
um so mehr gibt es nachher zu lachen.
Dicke Papiere sind nicht zu gebrauchen,
ihr müsst Briefe von Vaters Schreibtisch nehmen.
Keiner darf sich schämen,
die Briefe mit der Hand in den vollen Pipitopf zu tauchen.
Wenn die Briefe ganz weich sind, werden sie zu Klößen geballt
und mit aller Wucht gegen die Decke geknallt.
Ihr dürft vorher auch schnell noch Popel hineinkneten:
solche Klöße bleiben oben minutenlang kleben.
Jetzt muss jedes Kind unter einen der Klöße treten
Und den offnen Mund nach der Decke erheben.
Vorher singen noch alle im Rund:
„Lieber Himmel tu uns kund.
wer hat einen bösen Mund.“
Wenn der erste Kloß runterfällt
und fällt z. B. in Peters Gesicht,
dann wird der Peter umstellt
und alle singen - nur der Peter nicht:
„Schweinehündin, Schweinehund,
Himmelsklöße taten kund
du hast einen bösen Mund!
Sperrt ihn in den Kleiderschrank
wegen seinem Mordsgestank“
Übrigens: die Himmelskloßbriefe von Vaters Schreibtisch,
die streicht ihr anschließend wieder ganz glatt - so sind sie wie frisch.
Und wenn euer Vater auch noch so grollte,
vergisst er, dass er euch verhauen wollte.

Joachim Ringelnatz


Hast du mal eine Freundin, dann sei immer nobel
und wenn sie dir ein Küsschen gibt, schenkst du ihr einen Popel...

Montag, 25. Februar 2013

Sonntag, 24. Februar 2013

Ines Geipel - Der Sport in Brandenburg, eine geschlossene Gesellschaft





Eine Freundin hat mir einen Text geschickt und ich denke, er sollte von möglichst vielen Menschen gelesen werden.

Am letzten Freitag hat Prof. Dr. Ines Geipel in Potsdam vor der Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“ eine kurze Rede gehalten.


Der Sport in Brandenburg, eine geschlossene Gesellschaft

Herzlichen Dank für die Möglichkeit, hier, vor Ihnen, ein paar Sätze zur Aufarbeitung des DDR-Sportsystems und zum Transformationsprozess nach 1989 im Land Brandenburg sagen zu können. In meinen Augen wird Geschichte, werden Umbruchsprozesse am sinnfälligsten an konkreten Leben. Erlauben Sie mir deshalb, in aller Kürze eines vorzustellen. Das deshalb, weil an ihm der Sport der DDR, vor allem aber seine Nachgeschichte gleichermaßen symbolisch ablesbar sind.

         Es geht dabei um Birgit Uibel, die unmittelbar nach dem Mauerbau, im Oktober 1961 in Belten, mitten im Braunkohleherz Vetschau, geboren wurde. Vetschau, das hieß eines der größten Kohlekraftwerke der DDR, in dem auch die Eltern von Birgit Uibel arbeiteten. Da die ältere Tochter sportlich talentiert war, begann sie früh mit dem Training. Als sie 14 war, wurde sie in die Kinder- und Jugendsportschule in Cottbus aufgenommen. Mit 16 Jahren und damit als Minderjährige erhielt sie vom Cottbuser Chefarzt Bodo Krocker - Mannschaftsarzt der DDR-Leichtathletik, Bezirkssportarzt und Stasi-IM mit Decknamen „Wartburg“, ab 1981 auch IME, also im Status eines Experten-IMs - erstmals männliche Sexualhormone. Das Mauerkind Birgit Uibel lief mit Hilfe der verabreichten Steroide in die Langsprint-Spitze der DDR, wurde 1982 bei den Europameisterschaften in Athen Sechste im 400 Meter-Hürdenlauf und gehörte ab da zur Weltspitze. 1981 machte sie ihr Abitur und heiratete. Trotz Einnahme der Pille wurde Birgit Uibel 1983 schwanger. Das Paar wollte das Kind, aber Parteileitung und Sportclubleitung entschieden anders. Schließlich kam vom Verbandstrainer die unmissverständliche Auflage, Birgit Uibel habe den Schwangerschaftsabbruch in der Berliner Charité vornehmen zu lassen. Der Eingriff erfolgte umgehend. Nach dem Abbruch wurde eine Hormonbehandlung angeordnet. Als Birgit Uibel zum zweiten Mal schwanger wurde, kam die prompte Order von Seiten der Cottbuser Clubleitung, den Sport an den Nagel zu hängen. Aufgrund der zeitnahen doppelten Hormondosierungen gestaltete sich die zweite Schwangerschaft als kompliziert. Das Kind wurde 1985 als Frühchen geboren, musste sieben Wochen künstlich beatmet werden. Da es sich auf der Intensivstation schwer infizierte, kam es zu körperlichen Behinderungen der Tochter. Die Sorge um das Kind, das neue Leben nach dem Sport, die unerkannten Dopingfolgen, eine aus dem Takt gekommene Ehe – die Jahre vor dem Mauerfall waren für Birgit Uibel nicht leicht. Aber auch nach 1989 gelang es ihr nicht, das eigene Leben zu konsolidieren. Sie studierte, allerdings gab es zu der Zeit in Cottbus für sie keine Stelle. 1993 wurde die Ehe geschieden. Die Tochter musste mehrfach operiert werden und erhielt zwei künstliche Hüftgelenke. Auch wurde Birgit Uibel selbst ernsthaft krank. Leber, Schilddrüsen und Psyche streikten.

Was Mitte der neunziger Jahre noch nach Lebenssuche aussah, glich zehn Jahre später - nach den erlittenen Deformationen im DDR-Sport - einer zweiten seelischen Enteignung. Hatte sich Birgit Uibel durch ihre klare Aussagen beim Berliner Dopingprozess aktiv an der Aufklärung des kriminellen DDR-Sports beteiligt, wurde sie, wie Freunde berichteten, in Cottbus, vor allem durch den `inner circle` des Cottbuser Sports, diskreditiert, ausgegrenzt und zunehmend isoliert. Sie sei immer wieder verleumdet worden, erzählte auch ihre Mutter. Dazu kamen ständig wechselnde Jobs, Schulden, Krankheiten, chronische Klinikaufenthalte und Alkohol, die ab da die Oberhand über ihr Leben gewannen. Der Tod ist keine einfache Faktizität. Birgit Uibel starb am 10. Januar 2010, mit 48 Jahren. Als Todesursache steht in ihrem Totenschein: „keine“.   

Ihr Trainer Siegfried Elle äußerte nach dem Tod seiner Athletin: „Wenn Frau Uibel damals Dopingmittel bekommen hat, dann hat sie davon gewusst. Ich jedenfalls habe ihr kein Doping verabreicht und fühle mich auch nicht schuldig.“ Der dopingverabreichende Arzt Bodo Krocker, in Cottbus noch immer ein hochrenommierter Arzt, kann sich nicht einmal an seinen eigenen Stasi-Namen erinnern. Die Schlussfolgerung, er sei in der DDR IM „Wartburg“ gewesen, sei total falsch, mutmaßte er in einem Interview. Er kenne diesen Namen nicht und möchte sich auch nicht dazu äußern. Sportclub-Chef von Cottbus Dr. Werner Bielagk, der 1982 zu „Belastungsverträglichkeit bei Nachwuchssportlern“ promoviert hatte, besetzte nach 1990 Schlüsselfunktionen im vereinten Sport des Landes Brandenburg und wurde Leiter des Olympiastützpunktes Cottbus/Frankfurt sowie Vorsitzender des Landesausschusses Leistungssport im LSB Brandenburg. In einem Interview wusste er zu berichten: „Klar wurden unterstützende Mittel eingesetzt, aber das war immer eine Sache zwischen Trainer, Arzt und Athlet. Vieles dazu ist mir erst nach der Wende bekannt geworden.“ Und weiter: „Mit der Gründung des Landessportbundes Brandenburg brachten wir einen gut funktionierenden Leistungssport in den deutschen Sport ein.“

Wo hätte Birgit Uibel bei dieser Phalanx des Verleugnens, konkreter der Lüge, bei all der Abwehr von Verantwortung, dem Zynismus, der personellen Kontinuität belasteter Leute und dem sich daraus zwangsläufig ergebenden Filz Hilfe erwarten können? Wer hätte die Dynamik und Tragik ihres Lebens sehen und das multiple Trauma entsprechend wahrnehmen oder gar auffangen können? Noch im Frühjahr 2011 kann man die Verstorbene bei einem Internet-Werbeauftritt ihrer alten Schule ausfindig machen. Da heißt es: „1975 wurden die neuen Gebäude eingeweiht, und die Athleten dankten es in den folgenden Jahren mit hervorragenden Leistungen in den internationalen Sportarenen im Junioren- und Erwachsenenbereich. Leichathleten wie Rosemarie Ackermann, die als erste Frau der Welt die 2 Meter übersprang, Gloria Siebert, Karin Roßley, Birgit Uibel () [...] vertraten erfolgreich die Farben des Sportclubs Cottbus und brachten  zahlreiche Medaillen von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften mit nach Hause.“ Schwer vorstellbar, dass Birgit Uibel gegen diese Art historischen Etikettenschwindel nicht Einspruch erhoben hätte. Der Eintrag wurde auf Nachfrage gelöscht.

Was allen Geschädigten des Systems, egal, ob sie aus politischen Gründen aus dem DDR-Sport rausgeschmissen wurden, ob sie im Gefängnis saßen oder Opfer politischen Dopings wurden, aktuell schwer zu schaffen macht, ist der bis heute ausgebliebene Mentalitätsbruch im Landessport und damit auch der unübersehbare Mangel jedweden Satisfaktionsbedarfs. Der Kanute Thomas Kersten, 1974 wegen vermeintlicher „politischer Unehrlichkeit“ in übler Weise aus dem Armeesportclub Potsdam geworfen, bringt es im Gespräch auf den Punkt: „An wen soll ich mich denn mit meiner Geschichte heute wenden? An den Trainer, den Landessportbund, die lokalen Medien, die Politik? Die spielen doch alle auf amnestisch.“

In der Stasi-Akte über Thomas Kersten berichtet sein ehemaliger Trainer Dieter Krause als IM „Reiner Lesser“. Ebenso Auswahl-Coach Klaus Weber aus Cottbus alias IM „Bruno Baum“, der nach 1989, vom BMI bezahlt, den Strömungskanal in Potsdam betreute. Daneben findet sich aber auch Günther Staffa als IM „Schade“, heute tätig als Geschäftsführer Sport im Landessportbund. Dass noch immer ein seltsam verzahntes Stasi-Organigramm im Sport Brandenburg aktiv ist, gehört längst zur Doppelhypothek des deutschen Sports vor und nach 1989, belastet aber auch die Landespolitik. Ein Organigramm, das wann aufgeklärt wird? Warum nicht eine seriöse personelle Überprüfung im LSB-Präsidium und in den Präsidien der Landesfachverbände, an den Ausbildungseinrichtungen des Sports sowie der Trainer, Funktionäre und Mediziner.

Und die Medien? Erinnert sei kursorisch an zwei Symbolfälle: an den ORB-Sportchef und späteren ORB-Chefredakteurder dann Sportkoordinator der ARD wurde, an Hagen Boßdorf alias „Florian Werfer“ sowie an Manfred Mohr, ehemaliger Stasi-Hauptmann, später freier Sportreporter bei der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“. Doch auch ohne die Negativlegenden ist ein funktionierender kritischer Sportjournalismus in Brandenburg bis auf Weiteres eine Black-Box. Das musste auch Thomas Kersten erfahren, als er im Frühjahr 1993 mit seinem Rausschmiss aus dem ASK an die Öffentlichkeit ging. Horst Sperfeld, schon zu DDR-Zeiten Sportjournalist des regionalen SED-Blattes, schrieb unter dem Titel „Schmieriges“ in der MAZ: „Muss Thomas Kersten selbst noch eine Gräuel-Story draufsetzen? Kein Abtrainieren, keine medizinische Betreuung – von einem Tag zum anderen, so seine Geschichte. Kaum vorstellbar. Würde ein Leistungssportler nach hartem Training so plötzlich aufhören, könnte er dies kaum ohne schwere gesundheitliche Schäden überstehen.“ Aktuelle Sportberichterstattung unter dem MAZ-Ressortleiter Jens Trommer lebt vom konsequenten Einfühlungsversäumnis gegenüber den Opfern wie von der seltsam ungetrübten Weitererzählung der ruhmvollen DDR-Ära. Stücke über die Berliner Doping-Prozesse, investigative Recherchen zum Landessport? Fehlanzeige.

Fehlanzeige für die Malträtierten aber auch in der Politik. Bis auf Manfred Kruczek, eine hochengagierte Instanz in der Potsdamer Bürgerrechtsbewegung, so berichten die Opfer, wären keine Gegenüber zu erkennen, die sich für ihre Belange interessierten, geschweige denn einsetzten. Ende 1990 hatte Thomas Kersten vom Deutschen Kanu-Sport-Verband ein unverbindliches Entschuldigungsschreiben erhalten: „Das neu gewählte Präsidium und die Delegierten des „Außerordentlichen Verbandstages“, hieß es in ihm, „bekräftigten Deine vollständige moralische Rehabilitierung. In ihrem Namen bitten wir Dich um Entschuldigung für erlittenes Unrecht.“ Das war`s. Ein pathetischer Schlussstrich unter einen ausgelöschten Lebenstraum. Sieht so echte Rehabilitierung aus? Die Politik in Brandenburg hat ihre Sorgfaltspflicht gegenüber dem Sport seit 1990 sträflich vernachlässigt, nicht nur gegenüber den Opfern, sondern insbesondere auch in der Frage der Evaluierung der Landesfachverbände. Nach dem Ende der juristischen Aufarbeitung im Jahr 2000 konnten Altlasten stillschweigend in die Strukturen zurückrudern und jüngere Leute generieren, die recht unverblümt einem neuen Chauvinismus Ost frönen. Auf diese Weise hat sich der Sport in Brandenburg zu einem Biotop, zu einer geschlossenen Gesellschaft, entwickelt, der Sieg, Medaillen und Rekorde über alles geht.

         Die eigentlich drängende Frage jedoch bei aller Schadensbilanz ist, ob die Zugriffs- und Verzweckungskonzepte des DDR-Sports mittlerweile tatsächlich der Vergangenheit angehören. Wurde hier der klare Bruch gemacht und wirklich neues Land gewonnen? Auf der Suche nach einer Antwort auf die Nachlassregelung im Hinblick auf die Begabtenlandschaft DDR muss der Weg zwangsläufig noch einmal an die Lausitzer Sportschule Cottbus führen, da, wo Birgit Uibel einst ihr Abitur machte. Dort, wie in Potsdam und Frankfurt/Oder, an den drei „Eliteschulen des Sports“ Brandenburgs, wird seit einigen Jahren mit aller Verve und ordentlich viel Geld das „Brandenburgische Modell“ oder auch das System „struktureller Verkopplungen“ umgesetzt, wie einer der geistigen Ziehväter des Konzepts, Prof. Albrecht Hummel, Prorektor und Inhaber der Professur für Sportpädagogik und –didaktik an der TU Chemnitz, in einem Interview in der DOSB-Presse, 47/2010 konstatiert. Da es „zu viele Reibungsverluste“ in Sachen Talentförderung für den Spitzensport gegeben habe, sollte „die bisherige Mischstruktur von Schule und Verein, das additive Nebeneinander von Schule und Leistungssport“ aufgehoben werden. „Das bedeutet: Leistungssportliche Inhalte werden vollständig in die Schule und das schulische Unterrichtsgeschehen einbezogen. Das leistungssportliche Training findet also vollständig im Kontext der Institution Schule statt ... Eine bestimmte leistungssportlich betriebene Disziplin wird somit zu einem Unterrichtsfach, grundsätzlich wie Deutsch oder Mathematik.“

Schule als genuiner Trainingsort? Das Gutachten von Dr. Jutta Braun hat in aller Eindrücklichkeit auf die aktuelle Renaissance der Kinder- und Jugendsportschulen hingewiesen. Es ist dünnes Eis, auf dem sich das hochambitionierte Projekt der Brandenburger „Eliteschulen des Sports“ mit seinen vielen Lehrertrainern bewegt. Dünn deshalb, weil im Hinblick auf die derangierten DDR-Konzepte, die zu viele Hartz IV-Bezieher und bergeweise seelischen und körperlichen Notstand wie etwa im Fall Birgit Uibel produziert haben, keine ausreichend klare inhaltliche Abgrenzung und glaubwürdige Transparenz auszumachen ist. Und welchen Sinn auch machen die sogenannt neuen „Bildungsverständnisse“ und Konzepte, wenn sie ein weiteres Mal zu Lasten der Schule und damit zu Lasten von Lebensperspektiven hochmotivierter Begabungen gehen? 
 
Birgit Uibel 30.10.1961 - 10.1. 2010


Samstag, 23. Februar 2013

Eros, der Schmerz



Eine kurze Begegnung. Ein besonders schöner kleiner Junge, vielleicht vier oder fünf, vor mir in der Schlange am Wurststand der noch nicht rekonstruierten Ackerhalle in Berlin. Seine Mutter macht ihre Einkäufe, wendet sich zu ihrem Sohn und fragt: „Und was möchtest Du?“ Der Kleine, zart und dichtbewimpert, dreht sich um, schaut in meine Augen und sagt: „Alles!“  Ich erröte bis ins Innerste, weiß nicht zu reagieren und verliebe mich für Momente  unsterblich in ein Kind.

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   Eros

Masken! Masken! Daß man Eros blende.
Wer erträgt sein strahlendes Gesicht,
wenn er wie die Sommersonnenwende
frühlingliches Vorspiel unterbricht.

Wie es unversehens im Geplauder
anders wird und ernsthaft... Etwas schrie...
Und er wirft den namenlosen Schauder
wie ein Tempelinnres über sie.

O verloren, plötzlich, o verloren!
Göttliche umarmen schnell.
Leben wand sich, Schicksal ward geboren.
Und im Innern weint ein Quell.

Rainer Maria Rilke

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Edvard Munch 1893 Liebe und Schmerz. 
Die Bezeichnung des Werkes als Der Vampir übernahm Munch, nachdem es derart im Freundeskreis betitelt wurde. Die Haare der Frau entstanden aus einem Baumstrunk, welcher in einem früheren Werk an einem Strand stand. 

1894 schreibt Munchs Freund Stanislaw Przybyszewski über dieses Werk Folgendes:
"Ein gebrochener Mann und auf seinem Nacken ein beißendes Vampirsgesicht... Es ist etwas Furchtbares, Ruhiges, Leidenschaftsloses in diesem Bild, eine unermessliche Fatalität der Resignation. Der Mann da rollt und rollt in abgründige Tiefen, willenlos, ohnmächtig, und freut sich, dass er wie ein Stein so willenlos rollen kann. Den Vam­pir wird er doch nicht los, den Schmerz wird er auch nicht loswerden, und das Weib wird immer da sitzen, und wird ewig beißen mit tausend Natterzungen, mit Giftzähnen."
Aus: Edvard Munch, Vampir. Lesarten zu Edvard Munchs Vampir, einem Schlüsselbild der beginnenden Moderne. Kunsthalle Würth, Swiridoff Verlag, 2003, S.  19 ff

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“Die Menschen sind diskontinuierliche Wesen (ein Abgrund trennt sie voneinander; jeder stirbt für sich allein: sein Tod betrifft nur ihn). Diese faktische Diskontinuität kann jedoch nicht die fundamentale Kontinuität des Seins unterdrücken: das diskontinuierliche menschliche Wesen lebt seine Diskontinuität bis zum Ende, aber in der Sehnsucht nach seiner fundamentalen Kontinuität.


Die Erotik der Herzen ist unter gewöhnlichen Bedingungen eine Verlängerung der Erotik der Körper. Die Möglichkeit einer Verschmelzung der Herzen enthüllt sich vor allem durch das Leiden, unter Verhältnissen, die sie schwierig, ja mitunter unmöglich machen; so ist die Faszination des Todes bis an den Rand des Mordes und des Selbstmordes bei der allerheftigsten Erotik , die die Herzen zerreißt, stets mit einbegriffen. Ein stilles Glück, bei dem ein Gefühl der Sicherheit dominiert, bedeutet bloß die Besänftigung des langen Leidens, das ihm vorausgegangen ist Der Egoismus zu zweit begründet normalerweise eine neue Form von Diskontinuität des Paares. Die Erotik der Herzen führt dennoch in ihrer Transparenz, jenseits der realen Einsamkeit und am Rande des Todes, ein wunderbares, vollkommen herzzerreißendes Bild von der begehrenswerten Kontinuität des Seins ein. Bei der Erotik der Körper findet eine Vergewaltigung des individuellen Wesens der Partner statt. Diese Vergewaltigung grenzt an den Tod, sie grenzt an den Mord. Das erotische Spiel setzt die Auflösung der für das diskontinuierliche Wesen konstitutiven Elemente, des in sich geschlossenen Wesens voraus. die Entblößung der verborgenen Kanäle beraubt die Partner ihrer isolierten Persönlichkeit, die Verschmelzung präludierend, die dem Hin und her der Wellen gleicht, die sich durchdringen und ineinander verlieren. Die fleischliche Vereinigung ist im Altertum als Analogon der Opferung aufgefasst worden, bei der der männliche Opferer zu einer Art Tötung, das heißt zur Entblößung des weiblichen Opfers schritt. Bei der gewöhnlichen Form der Erotik der Körper besteht das Spiel des männlichen Partners darin an dieser Aufgelöstheit des Opfers, die er bewirkt hat, teilzuhaben… Die Erotik der Körper leitet weder den endgültigen Bruch der Diskontinuität ein, der der individuelle Tod ist, noch die Augenblicke völliger – realer – Kontinuität, die die Fortpflanzung (Vermehrung) der diskontinuierlichen Wesen begründen, sondern sie führt die, die sich auf sie einlassen , in die Richtung des Todes, in eine Richtung, in der der Tod mit der im Spiel der Organe und Körper gegebenen Kontinuität verbunden ist.“
 
Georges Batailles: Die Tränen des Eros.
Matthes & Seitz Verlag München, 1981

Johann Heinrich Füssli Der Künstler in Verzweiflung über die Grandiosität antiker Fragmente

Freitag, 22. Februar 2013

Gestern wäre der 80. Geburtstag von Nina Simone gewesen



Eunice Kathleen Waymon geboren am 21. Februar 1933, 
bekannt, geliebt, verehrt als Nina Simone,
wäre gestern 80 Jahre alt geworden.

©Resqben


Donnerstag, 21. Februar 2013

Zitterpappeln


Die Espe, Aspe oder Zitter-Pappel (Populus tremula) ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Pappeln (Populus), sagt Wiki.


 Ansel Adams - Espen ©Ansel Adams Publishing Rights Trust 

Sommernacht im Hochwald


Im Hochwald sonngesegnet
hat's lange nicht geregnet.


Doch schaffen sich die Bäume
dort ihre Regenträume.


Die Espen und die Erlen -
sie prickeln und sie perlen.


Das ist ein Sprühn und Klopfen
als wie von tausend Tropfen.


Die Lärchen und die Birken -
sie fühlen flugs es wirken.


Die Fichten und die Föhren -
sie lassen sich betören!


Der Wind weht kühl und leise.
Die Sterne stehn im Kreise.


Die Espen und die Erlen:
sie schaudern tausend Perlen...


Christian Morgenstern aus Auf vielen Wegen, 1897



Espen Nördliches New Mexico 1958 ©The Ansel Adams Publishing Rights Trust

"Zittern wie Espenlaub"
Das Laub der Espe oder Zitterpappel ist an langen Stielchen befestigt, so dass es beim leichtesten Luftzug in Bewegung gerät. Der Vergleich mit menschlichem Zittern ist seit dem Mittelalter (so in Meier Helmbrecht) schriftlich belegt. Diese biologische Eigenart hat zu verschiedenen sekundären Deutungen im Bereich der Legende angeregt. So soll die Espe etwa zittern, weil sie das Holz zum Kreuz Christi geliefert hat, oder auch deshalb, weil Judas sich an einer Espe erhängte (redensarten.de)

http://www.focus.de/wissen/natur/evolution-zittern-wie-espenlaub_aid_141226.html 


Espen in der Morgendämmerung ©Ansel Adams Publishing Rights Trust 


Espenbaum, dein Laub blickt weiß ins Dunkel.
Meiner Mutter Haar ward nimmer weiß.

Löwenzahn, so grün ist die Ukraine.
Meine blonde Mutter kam nicht heim.

Regenwolke, säumst du an den Brunnen?
Meine leise Mutter weint für alle.

Runder Stern, du schlingst die goldne Schleife.
Meiner Mutter Herz ward wund von Blei.

Eichne Tür, wer hob dich aus den Angeln?
Meine sanfte Mutter kann nicht kommen.

Paul Celan aus „Mohn und Gedächtnis“, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1952 


Meer von Espen Dolores River Canyon, Colorado

© The Ansel Adams Publishing Rights Trust

Dienstag, 19. Februar 2013

Altwerden ist nichts für Schwächlinge.


Altwerden ist nichts für Schwächlinge.
Growing old is not for sissies.
Bette Davies

Porträt einer alten Frau, Louise De Hem, Belgien 1888

In zwanzig Jahren

werde ich altgeworden sein, oder? Nämlich gebrechlich,
geschwächt, habe mehr als gelegentlich dann,
ja gewiß gleichermaßen systematisch

Ausfälle des Gedächtnisses, des Wahrnehmens.
Und die Löcher, wie Mottenfraß,

werden aber andererseits
Gewebeverdickungen sein - Löcher nur meinerseits -
unauflösliche, undurchdringliche 
Knoten. Dazwischen ich.

Seit ich denken kann, ein Geschrei jedesmal,
wenn ich durchkomme irgendwo - von irgendwo nach
(unvermutet) irgendwo.

Werde dies Durchkommen zeitlebens als Text
aufgesetzt, gewebt haben, plusquamperfekt.

Also doch dauerhaft dann,
jedes Mal, schärfer, rascher als jetzt & zeitlebens
wahrnehmen, was bleibt, verdickt, während ich
abnehme.

Abnehme, zunehmend stocke, stutze, stehe und
Schluß. Kehre ich um, wie vor verschlossenen Türen?

Schließlich weg sein,
als Kürzel mich überholender Perspektiven

einst in die Welt gesetzt, unvollendeter Vergangenheit.
Heerzugsmut, schicksalsergebener.

Es sei ausdrücklich wieselflink,
wie unterwegs das Bachwasser blink.

Werde nicht hören, was man
Unbekömmliches sagt. Reine Materie, still doch.

Sinnlöcher, Seinsknubbel, unverschluckbar
(unerreichbare Gegenteil-Häppchen). - Taugen,
miteinander verbunden, als Käfig

(oder nur die Verbindungen, knotenlos), - und drin,
in die Ecke geduckt, das verschüchterte Huhn

(flatternd, wenn jemand kommt, mit den gestutzten
Flügeln.

Wie gehetzt.)
Wie verschreckt.

Die Blicke der Greisin sind klein und huschen,
habe ich öfter gesehen. So geistert sie,

entgeistert, 
nicht mehr das Rebhuhn der Steppen zu sein.
Ça ira.

Elke Erb 17.10.1995
 
Portrait einer alten Frau mit grünem Schal, Christian Seybold vor  
 
Wiki schreibt: Unter dem Alter versteht man den Lebensabschnitt rund um die mittlere
Lebenserwartung des Menschen, also das Lebensalter zwischen dem mittleren
Erwachsenenalter und dem Tod. Das Altern in diesem Lebensabschnitt ist meist mit einem
Nachlassen der Aktivität und einem allgemeinen körperlichen Niedergang (Seneszenz)
verbunden.

 

Montag, 18. Februar 2013

Lincoln - ein intelligenter Monumentalfilm


Leicht unwillig habe ich mich von meiner Mutter ins Kino schleppen lassen, um "Lincoln" anzusehen. 
Immerhin bin ich möglicherweise einer von nur drei oder vier Deutschen, die sich dem Besuch von "Schindlers Liste" aus nicht-rechtsradikalen Gründen verweigert haben und Daniel Day Lewis, dem ich durch all seine frühen Filme mit tiefer Begeisterung und leichter Verliebtheit gefolgt bin, ja, es sei hier gesagt, sogar den "Letzten Mohikaner" habe ich dreimal gesehen, also Mr. Day Lewis hatte, scheinbar so um "Zeit der Unschuld" herum, beschlossen mit seiner Darstellung nurmehr die eigene fiebrige Intensität und Sensibilität zu zelebrieren. Sicher, seine gründliche Vorbereitung und absolute Einfühlung in den jeweiligen Part war mittlerweile sprichwörtlich, aber die Rolle verschwand immer weiter hinter der Last der Kunst, die auf sie verwendet wurde. Er war zum Großschauspieler in Großfilmen geworden, schwer, wichtig, lästig.

Daniel Day Lewis in seiner Rede zum Erhalt des Bafta als bester Schauspieler 2013 für Lincoln:
“Just on the chance that I might one day have to speak on an evening such as this, I have actually stayed in character as myself for the last 55 years.” (Nur schlecht übersetzbar.)
Daniel Day Lewis 

 Daniel Day Lewis als Lincoln ©Dreamworks

Aber nun "Lincoln": 
Tony Kushner hat, wie schon bei Spielbergs "München", das Drehbuch geschrieben. Großartig, trotz einiger angehängter Schlüsse und zwei oder drei Szenen, die ein wenig stark auf die Emotionsdüse gedrückt haben, denn er erfindet Situationen, um Geschichte zu erzählen, wo sonst geplagte Schauspieler Daten und Umstände als Dialog verkleidet hölzern müssen. Und er hat Witz und eine deutliche politische Haltung.
Die Ausstattung ist unangestrengt authentisch und hat doch einen schönen Hauch von Theater und die Photographie ist sanft sepia, ohne zu verwaschen.
Die Schauspieler sind eine Freude, sie bekommen einen fetten Haufen zu spielen und tun es mit dem Spaß von Kindern im Schlamm. Spielberg schafft es auch, dass ich trotz der Menge der Charaktere nicht durcheinander komme, weil die einzelnen Figuren erinnerlich gezeichnet sind und die Geschichte so spannend, dass ich nicht abschweife. Schon allein Tommy Lee Jones als radikaler Republikaner - zum Schwärmen! Man muß sich, nach dem kürzlichen Wahlkampf in den USA, allerdings erst eine Weile daran gewöhnen, dass 1865 die Republikaner, die fortschrittlichere Partei waren.
Und was für eine Geschichte wird erzählt, die diffizilen und erbärmlichen Mechanismen von Politik anhand nur eines Gesetzes, das durch den Kongress bestätigt werden muss, ein kurzer, sehr knapper Zusatz zur noch jungen amerikanischen Verfassung, angefügt im vierten Jahr des amerikanischen Bürgerkrieges.

Der 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten

Weder Sklaverei noch Zwangsarbeit, ausgenommen als Strafe für ein Verbrechen aufgrund eines rechtmäßigen Urteils, sollen in den Vereinigten Staaten von Amerika und allen Orten, die ihrer Rechtsprechung unterliegen, existieren.
Der Kongress erhält die Befugnis, diesen Zusatz mit angemessenen Gesetzen durchzusetzen.
 
Vorkommnisse im Krieg. Die Ernte des Todes. Gettysburg, Juli 1863
Negative by Timothy H. O'Sullivan. Positive by Alexander Gardner.


Abraham Lincoln - Gettysburg Address

Vor 87 Jahren gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Nun stehen wir in einem großen Bürgerkrieg, um zu erproben, ob diese Nation oder jede andere so gezeugte und solchen Grundsätzen geweihte Nation dauerhaft bestehen kann. Wir haben uns auf einem großen Schlachtfeld dieses Krieges versammelt. Wir sind gekommen, einen Teil dieses Feldes jenen als letzte Ruhestätte zu weihen, die hier ihr Leben gaben, damit diese Nation leben möge. Es ist nur recht und billig, dass wir dies tun. Doch in einem höheren Sinne können wir diesen Boden nicht weihen – können wir ihn nicht segnen – können wir ihn nicht heiligen. Die tapferen Männer, Lebende wie Tote, die hier kämpften, haben ihn weit mehr geweiht, als dass unsere schwachen Kräfte dem etwas hinzufügen oder etwas davon wegnehmen könnten. Die Welt wird wenig Notiz davon nehmen, noch sich lange an das erinnern, was wir hier sagen, aber sie kann niemals vergessen, was jene hier taten. Es ist vielmehr an uns, den Lebenden, dem großen Werk geweiht zu werden, das diejenigen, die hier kämpften, so weit und so edelmütig vorangebracht haben. Es ist vielmehr an uns, geweiht zu werden der großen Aufgabe, die noch vor uns liegt – auf dass uns die edlen Toten mit wachsender Hingabe erfüllen für die Sache, der sie das höchste Maß an Hingabe erwiesen haben – auf dass wir hier einen heiligen Eid schwören, dass diese Toten nicht vergebens gefallen sein mögen – auf dass diese Nation, unter Gott, eine Wiedergeburt der Freiheit erleben – und auf dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge.