Leicht unwillig habe ich mich von meiner Mutter ins Kino schleppen lassen, um "Lincoln" anzusehen.
Immerhin bin ich möglicherweise einer von nur drei oder vier Deutschen, die sich dem Besuch von "Schindlers Liste" aus nicht-rechtsradikalen Gründen verweigert haben und Daniel Day Lewis, dem ich durch all seine frühen Filme mit tiefer Begeisterung und leichter Verliebtheit gefolgt bin, ja, es sei hier gesagt, sogar den "Letzten Mohikaner" habe ich dreimal gesehen, also Mr. Day Lewis hatte, scheinbar so um "Zeit der Unschuld" herum, beschlossen mit seiner Darstellung nurmehr die eigene fiebrige Intensität und Sensibilität zu zelebrieren. Sicher, seine gründliche Vorbereitung und absolute Einfühlung in den jeweiligen Part war mittlerweile sprichwörtlich, aber die Rolle verschwand immer weiter hinter der Last der Kunst, die auf sie verwendet wurde. Er war zum Großschauspieler in Großfilmen geworden, schwer, wichtig, lästig.
Daniel Day Lewis in seiner Rede zum Erhalt des Bafta als bester Schauspieler 2013 für Lincoln:
“Just on the chance that I might one day have to speak on an evening such as this, I have actually stayed in character as myself for the last 55 years.” (Nur schlecht übersetzbar.)
Daniel Day Lewis
Daniel Day Lewis als Lincoln ©Dreamworks
Aber nun "Lincoln":
Tony Kushner hat, wie schon bei Spielbergs "München", das Drehbuch geschrieben. Großartig, trotz einiger angehängter Schlüsse und zwei oder drei Szenen, die ein wenig stark auf die Emotionsdüse gedrückt haben, denn er erfindet Situationen, um Geschichte zu erzählen, wo sonst geplagte Schauspieler Daten und Umstände als Dialog verkleidet hölzern müssen. Und er hat Witz und eine deutliche politische Haltung.
Die Ausstattung ist unangestrengt authentisch und hat doch einen schönen Hauch von Theater und die Photographie ist sanft sepia, ohne zu verwaschen.
Die Schauspieler sind eine Freude, sie bekommen einen fetten Haufen zu spielen und tun es mit dem Spaß von Kindern im Schlamm. Spielberg schafft es auch, dass ich trotz der Menge der Charaktere nicht durcheinander komme, weil die einzelnen Figuren erinnerlich gezeichnet sind und die Geschichte so spannend, dass ich nicht abschweife. Schon allein Tommy Lee Jones als radikaler Republikaner - zum Schwärmen! Man muß sich, nach dem kürzlichen Wahlkampf in den USA, allerdings erst eine Weile daran gewöhnen, dass 1865 die Republikaner, die fortschrittlichere Partei waren.
Und was für eine Geschichte wird erzählt, die diffizilen und erbärmlichen Mechanismen von Politik anhand nur eines Gesetzes, das durch den Kongress bestätigt werden muss, ein kurzer, sehr knapper Zusatz zur noch jungen amerikanischen Verfassung, angefügt im vierten Jahr des amerikanischen Bürgerkrieges.
Der 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten
Weder Sklaverei noch Zwangsarbeit, ausgenommen als Strafe für ein Verbrechen aufgrund eines rechtmäßigen Urteils, sollen in den Vereinigten Staaten von Amerika und allen Orten, die ihrer Rechtsprechung unterliegen, existieren.
Der Kongress erhält die Befugnis, diesen Zusatz mit angemessenen Gesetzen durchzusetzen.
Vorkommnisse im Krieg. Die Ernte des Todes. Gettysburg, Juli 1863
Negative by Timothy H. O'Sullivan. Positive by Alexander Gardner.
Abraham Lincoln - Gettysburg Address
Vor 87 Jahren gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Nun stehen wir in einem großen Bürgerkrieg, um zu erproben, ob diese Nation oder jede andere so gezeugte und solchen Grundsätzen geweihte Nation dauerhaft bestehen kann. Wir haben uns auf einem großen Schlachtfeld dieses Krieges versammelt. Wir sind gekommen, einen Teil dieses Feldes jenen als letzte Ruhestätte zu weihen, die hier ihr Leben gaben, damit diese Nation leben möge. Es ist nur recht und billig, dass wir dies tun. Doch in einem höheren Sinne können wir diesen Boden nicht weihen – können wir ihn nicht segnen – können wir ihn nicht heiligen. Die tapferen Männer, Lebende wie Tote, die hier kämpften, haben ihn weit mehr geweiht, als dass unsere schwachen Kräfte dem etwas hinzufügen oder etwas davon wegnehmen könnten. Die Welt wird wenig Notiz davon nehmen, noch sich lange an das erinnern, was wir hier sagen, aber sie kann niemals vergessen, was jene hier taten. Es ist vielmehr an uns, den Lebenden, dem großen Werk geweiht zu werden, das diejenigen, die hier kämpften, so weit und so edelmütig vorangebracht haben. Es ist vielmehr an uns, geweiht zu werden der großen Aufgabe, die noch vor uns liegt – auf dass uns die edlen Toten mit wachsender Hingabe erfüllen für die Sache, der sie das höchste Maß an Hingabe erwiesen haben – auf dass wir hier einen heiligen Eid schwören, dass diese Toten nicht vergebens gefallen sein mögen – auf dass diese Nation, unter Gott, eine Wiedergeburt der Freiheit erleben – und auf dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge.
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