Dienstag, 19. Februar 2013

Altwerden ist nichts für Schwächlinge.


Altwerden ist nichts für Schwächlinge.
Growing old is not for sissies.
Bette Davies

Porträt einer alten Frau, Louise De Hem, Belgien 1888

In zwanzig Jahren

werde ich altgeworden sein, oder? Nämlich gebrechlich,
geschwächt, habe mehr als gelegentlich dann,
ja gewiß gleichermaßen systematisch

Ausfälle des Gedächtnisses, des Wahrnehmens.
Und die Löcher, wie Mottenfraß,

werden aber andererseits
Gewebeverdickungen sein - Löcher nur meinerseits -
unauflösliche, undurchdringliche 
Knoten. Dazwischen ich.

Seit ich denken kann, ein Geschrei jedesmal,
wenn ich durchkomme irgendwo - von irgendwo nach
(unvermutet) irgendwo.

Werde dies Durchkommen zeitlebens als Text
aufgesetzt, gewebt haben, plusquamperfekt.

Also doch dauerhaft dann,
jedes Mal, schärfer, rascher als jetzt & zeitlebens
wahrnehmen, was bleibt, verdickt, während ich
abnehme.

Abnehme, zunehmend stocke, stutze, stehe und
Schluß. Kehre ich um, wie vor verschlossenen Türen?

Schließlich weg sein,
als Kürzel mich überholender Perspektiven

einst in die Welt gesetzt, unvollendeter Vergangenheit.
Heerzugsmut, schicksalsergebener.

Es sei ausdrücklich wieselflink,
wie unterwegs das Bachwasser blink.

Werde nicht hören, was man
Unbekömmliches sagt. Reine Materie, still doch.

Sinnlöcher, Seinsknubbel, unverschluckbar
(unerreichbare Gegenteil-Häppchen). - Taugen,
miteinander verbunden, als Käfig

(oder nur die Verbindungen, knotenlos), - und drin,
in die Ecke geduckt, das verschüchterte Huhn

(flatternd, wenn jemand kommt, mit den gestutzten
Flügeln.

Wie gehetzt.)
Wie verschreckt.

Die Blicke der Greisin sind klein und huschen,
habe ich öfter gesehen. So geistert sie,

entgeistert, 
nicht mehr das Rebhuhn der Steppen zu sein.
Ça ira.

Elke Erb 17.10.1995
 
Portrait einer alten Frau mit grünem Schal, Christian Seybold vor  
 
Wiki schreibt: Unter dem Alter versteht man den Lebensabschnitt rund um die mittlere
Lebenserwartung des Menschen, also das Lebensalter zwischen dem mittleren
Erwachsenenalter und dem Tod. Das Altern in diesem Lebensabschnitt ist meist mit einem
Nachlassen der Aktivität und einem allgemeinen körperlichen Niedergang (Seneszenz)
verbunden.

 

4 Kommentare:

  1. Manchmal ist das wirkliche Leben freundlicher, als ein scharf funktionierender Verstand.
    Elke Erb ist nun beinahe diese zwanzig Jahre älter, und gerade wurde bekanntgegeben, dass sie im Sommer den Ernst-Jandl-Preis erhalten wird.

    Aus der Begründung: "Bei Elke Erb ist die Sinnlichkeit der Wörter auch die Sinnlichkeit eines lyrischen Ichs, das sich in der Welt herumtreibt, um sich in sich selbst zu finden."

    Wie mich das freut. Ça ira !

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  2. Altenbashing.
    D a s Schimpfwort gegen einen, der nach Jahren älter ist als der Schimpfende, ist ALT. Vor allem, wenn der Schimpfende zu denkträge für eine Auseinandersetzung ist oder keine genaueren Argumente findet, um jemanden zu beleidigen. Dann wird ALT benutzt als Synonym für bekloppt und inkontinent. ALT als Hasswort. ALTwerden zu akzeptieren, hieße, eigene Sterblichkeit denkbar zu machen. ALT als Angstwort.

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  3. Ist aber auch schwer, daran was wünschenswertes zu finden. Es ist sinnlos, es nicht zu wollen. Oder Angst davor zu haben. Oder dagegen zu sein. Daß die Zeit vergeht. Und das Leben geht weg von einem. Es scheint starrsinnig zu machen. Alles tut weh. Die Geschmeidigkeit der Bewegungen wird spröde. Die Gelenke starrer. Und und und.
    Als ich das Gedicht gelesen hab, hab ich direkt Angst bekommen. Das Thema lass ich gern beiseite liegen. Es ist unvermeidlich. Punkt. Also lieber nicht dran denken. Aber daß die zwanzig Jahre jetzt rum sind und so verknotet und vergnubbelt der Geist zumindest von Elke Erb nicht ist, wie sie vor zwanzig Jahren geschwarztmalt habt, gibt mir Hoffnung. Danke für den Hinweis. Und das alles bei dem Schnee und der Kälte. Lasst uns einfach so tun als sei es schon Frühling.

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    1. Ist doch schon Frühling. Heimlich. Und richtige Schneeglöcklichen in Berlin-Mitte zwischen der Hundescheiße hab ich auch schon gesehen. Tatsache!
      Und
      Einen einzigen Aspekt am Altsein finde ich trotzdem richtig gut:
      Geschichtsbewusstsein ist Geschichtserfahrung, also sinnlich und deshalb nicht oder weniger manipulierbar.

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