Samstag, 23. Februar 2013

Eros, der Schmerz



Eine kurze Begegnung. Ein besonders schöner kleiner Junge, vielleicht vier oder fünf, vor mir in der Schlange am Wurststand der noch nicht rekonstruierten Ackerhalle in Berlin. Seine Mutter macht ihre Einkäufe, wendet sich zu ihrem Sohn und fragt: „Und was möchtest Du?“ Der Kleine, zart und dichtbewimpert, dreht sich um, schaut in meine Augen und sagt: „Alles!“  Ich erröte bis ins Innerste, weiß nicht zu reagieren und verliebe mich für Momente  unsterblich in ein Kind.

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   Eros

Masken! Masken! Daß man Eros blende.
Wer erträgt sein strahlendes Gesicht,
wenn er wie die Sommersonnenwende
frühlingliches Vorspiel unterbricht.

Wie es unversehens im Geplauder
anders wird und ernsthaft... Etwas schrie...
Und er wirft den namenlosen Schauder
wie ein Tempelinnres über sie.

O verloren, plötzlich, o verloren!
Göttliche umarmen schnell.
Leben wand sich, Schicksal ward geboren.
Und im Innern weint ein Quell.

Rainer Maria Rilke

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Edvard Munch 1893 Liebe und Schmerz. 
Die Bezeichnung des Werkes als Der Vampir übernahm Munch, nachdem es derart im Freundeskreis betitelt wurde. Die Haare der Frau entstanden aus einem Baumstrunk, welcher in einem früheren Werk an einem Strand stand. 

1894 schreibt Munchs Freund Stanislaw Przybyszewski über dieses Werk Folgendes:
"Ein gebrochener Mann und auf seinem Nacken ein beißendes Vampirsgesicht... Es ist etwas Furchtbares, Ruhiges, Leidenschaftsloses in diesem Bild, eine unermessliche Fatalität der Resignation. Der Mann da rollt und rollt in abgründige Tiefen, willenlos, ohnmächtig, und freut sich, dass er wie ein Stein so willenlos rollen kann. Den Vam­pir wird er doch nicht los, den Schmerz wird er auch nicht loswerden, und das Weib wird immer da sitzen, und wird ewig beißen mit tausend Natterzungen, mit Giftzähnen."
Aus: Edvard Munch, Vampir. Lesarten zu Edvard Munchs Vampir, einem Schlüsselbild der beginnenden Moderne. Kunsthalle Würth, Swiridoff Verlag, 2003, S.  19 ff

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“Die Menschen sind diskontinuierliche Wesen (ein Abgrund trennt sie voneinander; jeder stirbt für sich allein: sein Tod betrifft nur ihn). Diese faktische Diskontinuität kann jedoch nicht die fundamentale Kontinuität des Seins unterdrücken: das diskontinuierliche menschliche Wesen lebt seine Diskontinuität bis zum Ende, aber in der Sehnsucht nach seiner fundamentalen Kontinuität.


Die Erotik der Herzen ist unter gewöhnlichen Bedingungen eine Verlängerung der Erotik der Körper. Die Möglichkeit einer Verschmelzung der Herzen enthüllt sich vor allem durch das Leiden, unter Verhältnissen, die sie schwierig, ja mitunter unmöglich machen; so ist die Faszination des Todes bis an den Rand des Mordes und des Selbstmordes bei der allerheftigsten Erotik , die die Herzen zerreißt, stets mit einbegriffen. Ein stilles Glück, bei dem ein Gefühl der Sicherheit dominiert, bedeutet bloß die Besänftigung des langen Leidens, das ihm vorausgegangen ist Der Egoismus zu zweit begründet normalerweise eine neue Form von Diskontinuität des Paares. Die Erotik der Herzen führt dennoch in ihrer Transparenz, jenseits der realen Einsamkeit und am Rande des Todes, ein wunderbares, vollkommen herzzerreißendes Bild von der begehrenswerten Kontinuität des Seins ein. Bei der Erotik der Körper findet eine Vergewaltigung des individuellen Wesens der Partner statt. Diese Vergewaltigung grenzt an den Tod, sie grenzt an den Mord. Das erotische Spiel setzt die Auflösung der für das diskontinuierliche Wesen konstitutiven Elemente, des in sich geschlossenen Wesens voraus. die Entblößung der verborgenen Kanäle beraubt die Partner ihrer isolierten Persönlichkeit, die Verschmelzung präludierend, die dem Hin und her der Wellen gleicht, die sich durchdringen und ineinander verlieren. Die fleischliche Vereinigung ist im Altertum als Analogon der Opferung aufgefasst worden, bei der der männliche Opferer zu einer Art Tötung, das heißt zur Entblößung des weiblichen Opfers schritt. Bei der gewöhnlichen Form der Erotik der Körper besteht das Spiel des männlichen Partners darin an dieser Aufgelöstheit des Opfers, die er bewirkt hat, teilzuhaben… Die Erotik der Körper leitet weder den endgültigen Bruch der Diskontinuität ein, der der individuelle Tod ist, noch die Augenblicke völliger – realer – Kontinuität, die die Fortpflanzung (Vermehrung) der diskontinuierlichen Wesen begründen, sondern sie führt die, die sich auf sie einlassen , in die Richtung des Todes, in eine Richtung, in der der Tod mit der im Spiel der Organe und Körper gegebenen Kontinuität verbunden ist.“
 
Georges Batailles: Die Tränen des Eros.
Matthes & Seitz Verlag München, 1981

Johann Heinrich Füssli Der Künstler in Verzweiflung über die Grandiosität antiker Fragmente

5 Kommentare:

  1. Wunderbar ... Batailles ist wirklich Dynamit ... immer noch

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  2. Rilke schreibt von innen. Und lässt Luft zum Atmen.
    Batailles schreibt von draußen. Und benutzt viel zu viele Wörter.

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  3. Bei Rilke schaudere ich. Bei Batailles würge ich an den Wörtern und finde unerotischer kann man über Erotik kaum schreiben.

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  4. Ich weiss, was ihr meint und fühle ähnlich, und doch denke ich, dass der Versuch ein solch existenzielles Problem intellektuell zu analysieren, großartig ist, auch wenn meine Bauchreaktion, geradezu notwendigerweise, ablehnend sein muß. "Tränen des Eros" ist ein wichtiges Buch, obwohl oder weil es mich verstört, dass jemand in Prosa fasst, was ich nur der Poesie zugestehe. Er schaut von außen auf etwas, was auch sein Inneres aufwühlt. Ein Versuch.

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  5. Noch mal gelesen. Mit dem Versuch zur Offenheit. Abwehr steigt.
    Mir scheint, Erotismus ist ein Versuch, ohne Sinnlichkeit und ohne Phantasie die Sexualität zu analysieren und muss deshalb am Wesen der Erotik so unangenehm vorbeiquatschen.

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