Montag, 16. Juli 2012

Rosenlorbeer, genannt Oleander


Der Oleander gehört zur Familie der Hundsgiftgewächse und ist also giftig, und zwar jedes seiner Teile, aber er ist schön, sehr schön. Er hat volle dickliche Blüten, meist in fetten Rottönen, verführerisch, lüstern und überüppig. Aber es gibt ihn auch in Weiß und Orange. Er steht für Schönheit und Tod und den Schlaf, der beide verbindet.

"Um den Oleander ist Schönheit, und der Oleander ist bitter."
Arabisches Sprichwort

Gustav Klimt 1890/92 Zwei Mädchen mit Oleander

ALLEE

Ich höre das Herz
des Oleanders
gehe durch die grüne Allee
mit Blüten und Dornen
im Bund
ein Zipfelchen Zeit
in der Tasche

 Rose Ausländer

















Fredrick Lord Leighton 1895 Flaming June (Flammender Juni)


ORGIE


Der Abend küsste geheimnisvoll
Die knospenden Oleander.
Wir spielten und bauten Tempel Apoll
Und taumelten sehnsuchtsvoll
Ineinander.
Und der Nachthimmel goss seinen schwarzen Duft
In die schwellenden Wellen der brütenden Luft,
Und Jahrhunderte sanken
Und reckten sich
Und reihten sich wieder golden empor
Zu sternenverschmiedeten Ranken.
Wir spielten mit dem glücklichsten Glück,
Mit den Früchten des Paradiesmai,
Und im wilden Gold Deines wirren Haars
Sang meine tiefe Sehnsucht
Geschrei,
Wie ein schwarzer Urwaldvogel.
Und junge Himmel fielen herab,
Unersehnbare, wildsüsse Düfte;
Wir rissen uns die Hüllen ab
Und schrieen!
Berauscht vom Most der Lüfte.
Ich knüpfte mich an Dein Leben an,
Bis dass es ganz in ihm zerrann,
Und immer wieder Gestalt nahm
Und immer wieder zerrann.
Und unsere Liebe jauchzte Gesang,
Zwei wilde Symphonieen!

Else Lasker-Schüler


Vincent Van Gogh 1888 Oleander

Oleander enthält das herzwirksame Glycosid Oleandrin.
Die Vergiftungssymptome sind Kopfschmerzen, Erbrechen, Durchfälle, verlangsamter Puls, Pupillenerweiterung, Krämpfe, blaue Lippen und Hände. Die Glycoside bewirken Herzrhythmusstörungen, was bei starker Vergiftung nach 2 - 3 Stunden zum Tod durch Herzlähmung führen kann. Die Wirkung des Giftes gleicht dem des Roten Fingerhutes.


Im 19. Jahrhundert sollen sieben Soldaten Napoleons an einer Oleander-Vergiftung gestorben sein, weil sie Fleisch gegessen haben, das auf Spießen aus Oleanderholz gegrillt wurde.

Samstag, 14. Juli 2012

Urlaub hat (leider) keinen Kostümbildner


Ich verbringe diesen ersten Teil meiner Sommerferien gemeinsam mit unzähligen anderen Europäern aus den kälteren Regionen unseres gemeinsamen Kontinents, die einen Großteil des Jahres in irgendeiner Form von Regenschutzkleidung verbringen, und sich deshalb jeden Sommer sonnenhungrig auf den Treck nach Süden begeben und komme so in den fragwürdigen Genuss des Anblicks touristischer mittelständischer Sommerbekleidung bei Temperaturen, die in unseren jeweiligen Heimatländern nur an hohen Feiertagen erreicht werden.
Im Zuge der globalen Erwärmung könnte das auch DER Sommertrend für Grön- oder Island und Alaska 2025 werden.
Typ A, das Schönste zuerst: Nichts geht über nackte fahle Männerbeine liebevoll dekoriert mit weißen wadenhohen Tennis-Socken und festen bräunlichen orthopädischen Sandalen. Nichts. Das ist Sex pur. Man addiere weite, mit dem Bund direkt unter der beträchtlichen Bauchwölbung sitzende, farbenfrohe Shorts und ein T-Shirt in den Farben der bevorzugten Fußballmannschaft, oder subtrahiere, im ärgsten Fall, besagtes T-Shirt und gewinne damit den Anblick zweier männlicher C-Cups nach dem fünften jahrelang gestillten Kind. Tiefdunkelbraungebrannt oder schmerzhaft grellrotverbrannt macht das Manns-Bild übrigens noch anziehender. Eine Untergruppe sind die supertrendigen Adidas, Nike und anderweitigen Sportbekleidungs-Liebhaber, die vor etlichen zwanzig Jahren umjubelte Stars ihres örtlichen Handballclubs waren und in der Zwischenzeit ihre damaligen Erfolge mit tausenden Humpen Bier begossen haben.
Die begleitende Ehefrau komplementiert durch Minirock im Psychedelik- oder Dschungel-Look, oberarmfreien diamantenverzierten Hängerchen in A-Form, stark geschminkt, fast ausnahmslos blondiert, oft auch onduliert. Vervollständigt wird der Look mit übergroßen Sonnenbrillen und ebensolchen Ohrgehängen und Ketten aus regionalem Anbau.
Und diese Ensemble sind nicht etwa dem Strand vorbehalten, nein, man sieht sie im Supermarkt, im Restaurant und auch beim abendlichen Barbesuch.

Es ist übrigens wahr, zu viel Sonne schadet der Haut. Wirklich. Eine Millionen eingebrannte Falten und einige oder sogar viele gelebte Falten machen einen Unterschied im Gesamteindruck, einen Unterschied von circa zwanzig Jahren.

Typ B hat beschlossen den gesamten Urlaub in Badehose, respektive Bikini zuzubringen, aber leider bereits 1985 aufgehört die Veränderungen des menschlichen Körpers im Zuge des Älter-und-fetter, bzw. hagerer Werdens in die Vorstellung von der eigenen Außenwirkung einzubeziehen.

Typ C, trainiert täglich und hart, und will dafür durch bewundernde Blicke belohnt werden und folgt man nicht willig, so gebraucht er Gewalt, sprich, mehr muskelgestählte, ölglänzende Nacktheit am Nachbartisch als meinem Appetit zuträglich ist.

Der jugendliche Teil der Miturlauber entwickelt unter der verwöhnenden Sonne des Südens einen ganz eigenen Sinn für Humor. Warum nicht mal im rosa Baströckchen und plastener Blumenkette flanieren? Wie viele supergeile Sprüche passen auf ein bauchfreies Hemdchen? Sind knallpink, -grün, -gelb, sprich jede Art von Neon, hilfreiche Tarnfarben für normale pubertäre Haut- und Haltungsprobleme?
Fast jeder verabscheut die Mode, die er vor zehn Jahren geliebt hat, Humana lebt davon, aber wohin mit den in die Jahre gekommenen Tattoos, den auf Topflappengröße gedehnten Ohrläppchen? Wie viele Piercinglöcher verträgt ein nettes, harmloses Kindergesicht, bevor es aus der Wange weint?
Bitte, versteht mich nicht falsch, ich liebe Tattoos und plane seit Jahren ein eigenes, und dann denke ich an die Kleidchen, die ich früher geliebt habe und in denen ich mich heute nicht mal mehr im Stockdunkeln zeigen würde.

 Was mich bei alldem beunruhigt sind zwei Dinge, die uninteressierte, nahezu feindliche  Fremdheit mit der wir unseren Körpern begegnen und die hypnotisierte Verblödung mit der wir kaufen und tragen, was niemand bei klarem Verstand als schön,  witzig oder kleidsam bezeichnen würde. Geiz ist geil*, schlechter Geschmack ist geiler, wie Unkraut.

Natürlich laufen hier auch unzählige reizend anzusehende, gut gekleidete Menschen herum, meistens Spanier.

Traurige Füße

* Geil - in der Biologie ein besonderer Wuchszustand von Pflanzen, wenn die generative Wachstumsphase abgeschlossen ist und sie bei Mangel an photosynthetisch nutzbarem Licht weiterwachsen müssen.

Freitag, 13. Juli 2012

Egon Schiele - ein Geheimnis


Diese Bilder lassen mich nicht in Ruhe. Was ist das?

Beide gehören wohl zur "Toten Mutter" Serie. Eine Frau, eine Mutter, fast schon tot, einem Gerippe gleich, ein totes Kind mit vollem schwarzen Haar im rechten Arm, im linken ein weiteres Kind, stehend oder fest gewickelt im Harlekins-Kostüm. Oder ist es die Seele des verstorbenen Kindes auf sich selbst niederblickend? Tötet das Kind die Mutter? Die Mutter das Kind?


Eine andere Variante des Bildes. Die Mutter in Pieta-Haltung fast farblos, auf jeden Fall tief im Leid, diesmal zwei lebendige Kinder, das eine etwas älter, beide im Clowns-Kostüm. Es könnten auch schreckliche Puppen sein. Vielleicht betet das Kind im rechten Arm?

Egon Schiele Mutter mit zwei Kindern 1915


 Tote Mutter 1910

Donnerstag, 12. Juli 2012

Hölderlin zweimal Sommer



DER SOMMER

Wenn dann vorbei des Frühlings Blüte schwindet,
So ist der Sommer da, der um das Jahr sich windet.
Und wie der Bach das Tal hinuntergleitet,
So ist der Berge Pracht darum verbreitet.
Daß sich das Feld mit Pracht am meisten zeiget,
Ist, wie der Tag, der sich zum Abend neiget;
Wie so das Jahr verweilt, so sind des Sommers Stunden
Und Bilder der Natur dem Menschen oft verschwunden.

d. 24 Mai 1778.
Scardanelli.

Die Vertonung von Ligeti findet ihr hier.
http://www.youtube.com/watch?v=dRnF6nUt1DY 

Horst Janssen, Hölderlin mit 16 und mit 72

AN DIE PARZEN

Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
Daß williger mein Herz, vom süßen
Spiele gesättiget, dann mir sterbe.

Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
Doch ist mir einst das Heilige, das am
Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen,

Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
Mich nicht hinab geleitet; Einmal
Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.

Francesco Salviat, 16. Jahrhundert, Die Drei Parzen 

Mittwoch, 11. Juli 2012

Ferienbücher - Lesen bis in die Puppen


Ferien und Bücher, ein feines Pärchen.

Ferien und gute Bücher, spannende Bücher, gruselige Bücher, ganz leicht arbeitsverbundene Bücher, schon-immer-mal-gelesen-seien-wollende Bücher, alle rausgesucht und eingesackt, und nun gewichtiger Teil des Übergewichts, das teuer bezahlt werden muß, weil die Fluglinie mal schnell das erlaubte Koffergewicht runtergesetzt hat. Blödsinnige Bücher, die man noch schnell am Flughafen kauft, aus Angst man könnte zu wenige eingepackt haben, ganz und gar idiotische Zeitschriften, ebenfalls vom Flughafen, Bücher die im Ferienhaus von Vormietern zurckgelassen wurden, Bücher der Mitreisenden, Bücher, die versteckt unter verramschten Billigheftchen im örtlichen Kiosk rumliegen, überhaupt und ganz und gar und auf jeden Fall: Bücherlesen und Ferien, großartig!
Ich kann bis in die Puppen * lesen, weil ich ausschlafen kann und niemand sich für etwaige Augenringe interessiert, ich bin frei von schlechtem Gewissen, was geht mich "Fiesco" an, was interessiert mich die Biographie von Rostand, ich bin im Urlaub und genau so dämlich oder anspruchsvoll wie ich es will und so lese genau das, worauf ich genau jetzt Lust habe, Ätsch! Ich mag es auch, wenn das was ich lese überhaupt nicht zum jeweiligen Urlaubsort passt, oder eben gerade im Gegenteil haargenau.
In den Süstaaten herumkurvend gab es James Burke (erstklassige Krimis) und

Lesen - Photographie von André Kertész - New York City November 1950

Ein paar Vorschläge:

Josephine Tey, für die Liebhaber englischer feiner Krimis der 30er und 40er Jahre, Alan Grant ist ein sehr britischer, sehr sensitiver, sehr cleverer Detektiv und besonders zu empfehlen ist "Alibi für einen König" ("Daughter of Time"), in dem Mister Grant verletzt im Hospital liegt und aus Langeweile und Faszination mit einem Bildnis Richard III. beginnt, dessen Kriminalfall aufzurollen, mit erstaunlichen Ergebnissen.
Ebenso Dorothy Sayer, empiregeprägt, oberklassenzugehörig und intellektuell unerbittlich, nicht so verbindlich wie Agatha Christie, aber dafür auch nicht so nett und retardierend.

Oder wie wäre es mit was-auch-immer von Lion Feuchtwanger? Seine Bücher sind richtig dick, atemberaubend gut geschrieben und man hat auch noch das Gefühl,schlauer zu sein, wenn man sie beendet. "Die häßliche Herzogin oder Margarete Maultasch" ist mein Liebling.

Die Biographie von Keith Richards vielleicht? Zeitgeschichte durch coole drogenvolle Augen. Oder die von Jakob Michael Reinhold Lenz von Sigrid Damm, "Vögel, die verkünden Land". Das ist der Lenz aus der Büchner-Novelle gleichen Namens, der Dichter, der nahezu aus unserem Wissen verschwunden ist, obwohl er es verdient hätte, gelesen zu werden.

"Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao" von Junot Diaz, weil es einfach herzzerreissend schön ist, und lustig!

Macht mir Vorschläge, bitte - ich bin, was Lesen betrifft, leicht verführbar!


Noch ein Tipp, aber dieser ist zum Gucken, Peter Greenaway hat eine wundersame Liebeserklärung an die Liebe und die Liebe zum geschriebenen Wort inszeniert. "Pillowcase" oder "Bettlektüre". Ein merkwürdiger, fast hypnotischer Film mit dem ganz jungen und sehr schönen Ewan McGregor.

* Der Ursprung der Redewendung »bis in die Puppen schlafen« oder anders »bis in die Puppen aufbleiben«, »bis in die Puppen arbeiten, fernsehen« etc. mit der Bedeutung von ›sehr lange‹ stammt aus dem Berlin des 18. Jahrhunderts. Mitte des Jahrhunderts wurden am Großen Stern im Berliner Tiergarten – noch heute ist der damals von Hecken umgebene Platz unter diesem Namen bekannt – Statuen der antiken Mythologie aufgestellt. Der Berliner Volksmund bezeichnete diese Standbilder als »Puppen« und den Großen Stern als »Puppenplatz« (Lutz Röhrich, »Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten«, Herder, Freiburg 1992). Das »Deutsche Sprichwörter-Lexikon«, Darmstadt 1977 (Nachdruck von 1873), gibt weiter an, dass die Berliner am Wochenende Spaziergänge »bis in die Puppen« zu machen pflegten. Zu Fuß war dies damals vom Stadtkern aus ein sehr weiter Weg. Von der räumlichen wurde diese Wendung auf die zeitliche Ausdehnung übertragen und wird so noch heute im Sinne von ›sehr lange‹ verwendet. (Gesellschaft für Deutsche Sprache)

Dienstag, 10. Juli 2012

Palma di Mallorca - Antonio Gaudi


Antoni Gaudí i Cornet 1852 - 1926

Gaudis Werke zu betrachten, als Gaudi zu bezeichnen wäre eine herzlose Untertreibung. Ich habe erlebt, wie ein Mitglied meiner Famile, beim Anblick eines von ihm entworfenen Hauses, urplötzlich in wirklich und wahrhaftige Tränen der Erschütterung ausbrach. Der Überdruck durch den Anblick von so viel Schönheit auf einmal musste sich einen körperlichen Ausweg suchen.

Katalanischen Modernismus nennt die Forschung, die spezielle Ausformung des Jugendstils in Katalonien, der in Barcelona entstand, und dessen wunderbarste Kreationen auch dort zu finden sind, die Kathedrale der Sagrada Familia, abzüglich ihrer später entstandenen "nachempfundenen" Betonteile, ist wohl das berühmteste Beispiel. Ein wenig wie Hundertwasser mit mehr Poesie, Katholizismus und weicheren Linien könnte man es vielleicht beschreiben.

Im Auftrag des Bischofs von Mallorca begann Gaudi um 1899 mit den Skizzen für den Umbau der Kathedrale der Heiligen Maria von Palma, einem der größten Kirchenbauten der iberischen Halbinsel. Gaudi bezeichnete La Seu, der Sitz, örtlicher Name für die Kathedrale, als „den grössten und vollkommensten Erfolg in Harmonie, Konstruktion und Mechanik des gotischen Stils“. Vier Jahre verbrachte er mit den Vorbereitungen, es folgten circa 10 Jahre Arbeit, dann um 1914, nach einem Streit mit den Bauleuten und wohl auch mit einigen, über die revolutionär wirkende Modernität der Umbauten, erbosten Mallorcinern, abrupter Abbruch der Bautätigkeit.
Das Innenleben der Kathedrale ist heute eine eklektische Mischung aus Gothik mit maurischen Elementen, barockigen Einzelteilen, Gaudi und einer nur fünf Jahre alten Kapelle mit Unterwassermotiven und anthrazitfarbenen Gruselfenstern. Aber der Raum an sich ist grandios in seiner bombastischen Größe, am besten zu erleben, wenn man sich auf eine der Kirchenbänke legt und nach oben starrt. Wie muß sich in spanischer Bauer gefühlt haben, der nichts als Hütten, Ställe und vielleicht, das ihn schon beeindruckende, Herrenhaus seines Dorfes kannte und zum ersten Mal einen solchen Koloss von Gebäude erblickte? Klein? Überwältigt? An Wunder glaubend? Dem Himmel nahe? Gott?





Die Kathedrale


In jenen kleinen Städten, wo herum
die alten Häuser wie ein Jahrmarkt hocken,
der sie bemerkt hat plötzlich und, erschrocken,
die Buden zumacht und, ganz zu und stumm,

die Schreier still, die Trommeln angehalten,
zu ihr hinaufhorcht aufgeregten Ohrs -:
dieweil sie ruhig immer in dem alten
Faltenmantel ihrer Contreforts
dasteht und von den Häusern gar nicht weiß:

in jenen kleinen Städten kannst du sehn,
wie sehr entwachsen ihrem Umgangskreis
die Kathedralen waren. Ihr Erstehn
ging über alles fort, so wie den Blick
des eignen Lebens viel zu große Nähe
fortwährend übersteigt, und als geschähe
nichts anderes; als wäre Das Geschick,
was sich in ihnen aufhäuft ohne Maßen,
versteinert und zum Dauernden bestimmt,
nicht Das, was unten in den dunkeln Straßen
vom Zufall irgendwelche Namen nimmt
und darin geht, wie Kinder Grün und Rot
und was der Krämer hat als Schürze tragen.
Da war Geburt in diesen Unterlagen,
und Kraft und Andrang war in diesem Ragen
und Liebe überall wie Wein und Brot,
und die Portale voller Liebesklagen.
Das Leben zögerte im Stundenschlagen,
und in den Türmen, welche voll Entsagen
auf einmal nicht mehr stiegen, war der Tod. 

Rainer Maria Rilke 1907


Der Gaudi-Altar, das darüberhängende Teil ist aus Kork, Pappe und Getreidehalmen konstruiert und nächtens voller Lämpchen glühend.


Das Rosenfenster von Gaudi

Montag, 9. Juli 2012

Ein erster Urlaubstag


Wie beschreibt man seliges Entschleunigen?
Wiki sagt:
Müßiggang ist das Aufsuchen der Muße, das entspannte und von Pflichten freie Ausleben, nicht die Erholung von besonderen Stresssituationen oder körperlichen Belastungen. Er geht z. B. mit geistigen Genüssen oder leichten vergnüglichen Tätigkeiten einher, kann jedoch auch das reine Nichtstun bedeuten.
Hmmm, suchen ist mir schon zu aktiv und leider wird das Wort meist negativ bestzt, wie in M. ist aller Laster Anfang.
Wie wäre es mit reiner Muße?
Mit Muße bezeichnet man die Zeit, welche eine Person nach eigenem Wunsch nutzen kann, um sich zu erquicken und zu erbauen.
Besser, aber das Verb "nutzen" im Zusammenhang mit meinem heutigen Ablassen von allem absichtsvollen Tun, will mir nicht recht schmecken. Nichtnutzen, nichtsnutzig sein, ist nicht unnütz.

Meine Fußnägel wurden grün lackiert, ich habe ein halbes Buch gelesen, geschlummert, geschwommen, Haare gewaschen, geschlummert, geschlemmt, in den Himmel gestarrt, Bougainvilleas betrachtet, Kaffee getrunken, geschlummert. Ich habe eigentlich sehr viel getan, indem ich nichts getan habe.


Samstag, 7. Juli 2012

Theater macht auch mal Urlaub


URLAUB

Ich verreise so gerne. Flugangst hin oder her, woandershin ist fast immer schön. Und wenn nicht, dann weiß man es immerhin hinterher.
Vermutlich müßte ich, um all die Orte zu besuchen, die ich noch kennenlernen möchte, ungefähr 175 Jahre alt werden, natürlich bei voller Gesundheit und reisefähig. Ob das klappt? (Zündet sich eine weitere Zigarette an.) 

Und nahezu überall wo ich war, gab es Theater, sizilianisches Marionettenspiel direkt aus dem 17. Jahrhundert, mit Rittern, die während Schwertkämpfen in mehrere Teile zerfallen konnten, moderne griechische Inszenierungen im antiken Amphitheater von Ephesus, wo die Akustik so perfekt war, dass man sogar das zarte Rascheln der Kostümstoffe hören konnte, ein sowjetischer avantgardistischer Hamlet auf konzeptioneller Schachbrettbühne oder Jude Law als Hamlet, der überraschenderweise ganz großartig war. Theater in einem Klosterhof in Madrid und in einer Kirche in Toronto, im Staatstheater von Belgrad, in einem feuchten Keller in New York und an der verregneten Steilküste auf Rügen. Mal gräßlich, mal atemberaubend, dilettantisch-rührend oder kalt und perfekt.  Aber immer Theater.
Mal schauen, was Mallorca zu bieten hat. Aber wenn's kein Theater gibt, ist auch nicht schlimm, dann gucke ich einfach in den Sonnenuntergang.
Der Flughafen Tegel von oben, ist er nicht hübsch? Und wenn der andere Flughafen nie fertig wird, können wir weiter bequem von hier aus in die Welt fliegen.



Viel zu spät begreifen viele
Die versäumten Lebensziele,
Freunde, Schönheit der Natur,
Gesundheit, Reisen und Kultur.
Darum, Mensch, sei zeitig weise!
Höchste Zeit ist´s! Reise, reise!

Wilhelm Busch 

Reisen

Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer als Inhalt hat?

Meinen Sie, aus Habana,
weiß und hibiskusrot,
bräche ein ewiges Manna
für Ihre Wüstennot?

Bahnhofstraßen und Rueen,
Boulevards, Lidos, Laan-
selbst auf den Fifth Avenueen
fällt Sie die Leere an.

Ach, vergeblich ist das Fahren.
Spät erfahren Sie sich:
bleiben und Stille bewahren
das sich umgrenzende Ich.

Gottfried Benn 1950

Donnerstag, 5. Juli 2012

Otto Dix - Selbstportrait mit Staffelei und mit Muse


"Ich werde mich an den Sünden und Tugenden meiner Vorfahren rächen." O.D.

Otto Dix Selbstportrait mit Staffelei 1926

"Entweder ich werde berüchtigt – oder berühmt." O.D.

Otto Dix Selbstportrait mit Muse 1924


Mittwoch, 4. Juli 2012

Diane Arbus zum...Mal! - Ausstellung im Gropiusbau


Ich glaube wirklich, dass da Dinge gibt, die niemand sehen würde, wenn ich sie nicht photographieren würde.
I really believe there are things nobody would see if I didn't photograph them. D. A.

DIANE ARBUS
Eine Retrospektive im Martin-Gropius-Bau
by Jeu de Paume, Paris. In association with The Estate of Diane Arbus LLC, New York and with the participation of Martin-Gropius-Bau Berlin, Fotomuseum Winterthur and Foam Photography Museum, Amsterdam.


Helene Weigel 1971 © Estate of Diane Arbus

Helene Weigel von Diane Arbus 1971 photographiert, photographiert von mir im Gropiusbau 2012. Die Weigel starb am 1. Mai 1971.


Die Sache die wichtig zu wissen ist, dass du niemals weisst. Du fühlst immer irgendwie deinen Weg.
The thing that's important to know is that you never know. You're always sort of feeling your way.  
D.A.

Der argentinische Dichter Jorge Luis Borges in New Yorks Central Park, Harper’s Bazaar, March 1969 © Estate of Diane Arbus

James Brown 1966 © Estate of Diane Arbus

Ich arbeite aus der Ungeschicklichkeit heraus. Damit meine ich, ich mag es nicht Dinge zu arrangieren. Wenn ich vor etwas stehe, anstatt es zu arrangieren, arrangieren ich mich selbst.
I work from awkwardness. By that I mean I don't like to arrange things. If I stand in front of something, instead of arranging it, I arrange myself. 
D.A.