SCHWÜL
Heute sind es hier 30 Grad, kein Lüftchen weht und der erhoffte Regen ist wohl anderweitig beschäftigt, oder er will die Erwartung noch ein wenig schüren.
Schwül. Schwitzig. Fette Luft. Feuchte Haut.
Schwül war ursprünglich mal niederdeutsch "schwul" und wurde möglicherweise in der Analogie zu "kühl" verändert.
Ob das Wetter als schwül empfunden wird, hängt entscheidend von der Wasserbeladung der Luft ab...sagt Wiki, Wasserbeladung klingt viel schöner als absolute Luftfeuchtigkeit, oder?
Synonyme wären: brütend heiß, bleiern, stickig, drückend, feuchtwarm, gewitterschwer, gewitterschwül, gewittrig, tropisch, aber in keinem der anderen Wörter schwingt solch träge Erotik mit.
„Es ist so schwül, so dumpfig hie
Und ist doch eben so warm nicht
drauß'.
Es wird mir so, ich weiß nicht wie –
Ich wollt', die Mutter
käm' nach Haus.
Mir läuft ein Schauer über'n ganzen Leib –
Bin doch
ein thöricht furchtsam Weib.“
J.W. von Goethe "Faust"
ADELUNG:
Schwül, -er, -ste, adj. et adv.
ängstlich warm, bänglich oder abmattend warm, wie es im Sommer vor
einem Gewitter bey sehr stiller Luft zu seyn pflegt; ein nur von der
Luft und Witterung übliches Wort.
Haged. Anm. In den gemeinen Sprecharten schwul, schwülig, im Österreichischen schwellig, im Nieders. Swool, swolig, im Engl. sweltry und sultry, im Angels. swilic, im Holländ. zwoel und zoel.
Es gehöret zu schwelen, ohne Flamme brennen, und druckt eine von keiner
Bewegung der Luft bekleidete stille und daher ängstliche und abmattende
Wärme aus.
GRIMM:
schwül, adj. drückend heisz, erst der neuern schriftsprache vertraut; über das auftreten der form geschwül vgl. oben theil 4, 1, 2 sp. 4011; nachzutragen ist geschwielle, adj. Steinbach 2, 548. die ältere unumgelautete form verschwindet seit der zweiten hälfte des 18. jh. aus der schriftsprache (wol unter einwirkung von kühl), nur dasz sie gelegentlich mit komischer wirkung verwendet wird: schwul, et geschwul, praefocatus, suffocatus propter aestum Stieler 2054; schwul, adj. sagt man bey heiszem wetter, es ist schwul drauszen. Frisch 2, 251c; Adelung schreibt schwühl und kennt es nur im eigentlichen sinne ('ein nur von der luft und witterung übliches wort'), die form schwuhl bezeichnet er als den 'gemeinen sprecharten' angehörig. mir wird ganz schwul bei der sache (derbe sprechweise). Campe; indessen läszt sich der ernsthafte gebrauch von schwul bis ins 19. jahrh. belegen: bei schwulem wetter. Zesen Rosenm. vorr. A 2b; nach der schwulen schlacht.
Auf des Lagers weichem Kissen
Ruht die Jungfrau, schlafbefangen,
Tief gesenkt, die braune Wimper,
Purpur auf den heißen Wangen.
Schimmernd auf dem Binsenstuhle
Steht der Kelch, der reichgeschmückte,
Und im Kelche prangen Blumen,
Duft'ge, bunte, frischgepflückte.
Brütend hat sich dumpfe Schwüle
Durch das Kämmerlein ergossen,
Denn der Sommer scheucht die Kühle,
Und die Fenster sind verschlossen.
Stille rings und tiefes Schweigen!
Plötzlich, horch! ein leises Flüstern!
In den Blumen, in den Zweigen
Lispelt es und rauscht es lüstern.
Aus den Blütenkelchen schweben
Geistergleiche Duftgebilde,
Ihre Kleider zarte Nebel,
Kronen tragen sie und Schilde.
Aus dem Purpurschoß der Rose
Hebt sich eine schlanke Frau,
Ihre Locken flattern lose,
Perlen blitzen drin, wie Tau.
Aus dem Helm des Eisenhutes
Mit dem dunkelgrünen Laube
Tritt ein Ritter kecken Mutes,
Schwert erglänzt und Pickelhaube.
Auf der Haube nickt die Feder
Von dem Silbergrauen Reiher.
Aus der Lilie schwankt ein Mädchen,
Dünn, wie Spinnweb', ist ihr Schleier.
Aus dem Kelch des Türkenbundes
Kommt ein Neger stolz gezogen,
Licht auf seinem grünen Turban
Glüht des Halbmonds gold'ner Bogen.
Prangend aus der Kaiserkrone
Schreitet kühn ein Zepterträger,
Aus der blauen Iris folgen
Schwertbewaffnet seine Jäger.
Aus den Blättern der Narzisse
Schwebt ein Knab' mit düstern Blicken,
Tritt an's Bett, um heiße Küsse
Auf des Mädchens Mund zu drücken.
Doch um's Lager drehn und schwingen
Sich die andern wild im Kreise,
Drehn und schwingen sich, und singen
Der Entschlaf'nen diese Weise:
"Mädchen, Mädchen! Von der Erde
Hast du grausam uns gerissen,
Dass wir in der bunten Scherbe
Schmachten, welken, sterben müssen!
"O, wie ruhten wir so selig
An der Erde Mutterbrüsten,
Wo, durch grüne Wipfel brechend,
Sonnenstrahlen heiß uns küssten!
"Wo uns Lenzeslüfte kühlten,
Unsre schwanken Stengel beugend,
Wo wir Nachts als Elfen spielten,
Unserm Blätterhaus entsteigend.
"Hell umfloß uns Tau und Regen,
Jetzt umfließt uns trübe Lache,
Wir verblüh'n, doch eh' wir sterben,
Mädchen! trifft dich uns're Rache."
Der Gesang verstummt, sie neigen
Sich zu der Entschlaf'nen nieder.
Mit dem alten dumpfen Schweigen
Kehrt das leise Flüstern wieder.
Welch' ein Rauschen, welch' ein Raunen!
Wie des Mädchens Wangen glühen!
Wie die Geister es anhauchen!
Wie die Düfte wallend ziehen!
Da begrüßt der Sonne Funkeln
Das Gemach, die Schemen weichen.
Auf des Lagers Kissen schlummert
Kalt die lieblichste der Leichen.
Eine welke Blume selber,
Noch die Wange selbst gerötet,
Ruht sie bei den welken Schwestern,
Deren Geister sie getötet.
Ferdinand von Freiligrath