Donnerstag, 19. April 2012

Charles Darwin starb vor 130 Jahren am 19. April 1882


Photographie: Charles Darwin by Maull und Polyblank für den Literary and Scientific Portrait Club 1855

Darwin schrieb an Joseph Dalton Hooker, einen befreundeten Botanisten: "Wenn ich wirklich so einen bösen Gesichtsausdruck habe, wie auf meiner Photographie, ist es überraschend, dass ich überhaupt einen Freund besitze" 


Mittwoch, 18. April 2012

Engel allerarten

DIE SACHE MIT DEM ENGEL VON BARRANONG

Siehst du die Bank, vor Meaghers Laden?
Da ist er gelandet, der Engel.
Was? Ein Engel?
Ja. Gerade zur Mittagspause an einem
Ausverkauftag.
Die Stadt war ziemlich voll. Er hat uns alle zusammengerufen.
Und, wurde ihm gehorcht?
Oh ja. Ihm wurde zugehört.
Er machte seine Verkündigung, segnete uns und flog wieder 

Fort, direkt nach oben.
Er hatte die prächtigsten Flügel ...
Was passierte dann?
Da waren einige Aufgaben, die er uns gegeben hatte,
Oder vielmehr, die sich so ergaben, aus seiner Botschaft.
Und wurden sie erfüllt? 

Zuerst wollten wir,
Aber nach einer Weile, als wir es beredet hatten,
Fanden die meisten, daß er doch ein bisschen, naja, hochnäsig war, 

Ein bisschen übertrieben, mit diesen großen Flügelgesten
Und der vornehmen Sprache. 

Eine Menge Frauen fanden das gut.
Aber die Männer, die sich hingekniet hatten, ganz von allein,
also die
Nahmen es ihm krumm, erinnere ich mich.

Ist er wiedergekommen?
Oh ja. Die Botschaft war wichtig.
Das zweite Mal hat er das Gemeindehaus gemietet,
Redete äußerst höflich, sprach alle mit Namen an.
Hat es was gebracht?
Nicht viel. Erst mochten wir ihn.
Aber schließlich hatte er die Katholiken bevorzugt. 

Es war deren Saal. Und, was übel genommen wurde, 
Von anderen, er hat keinen Eintritt verlangt.
Wir waren schließlich keine Bettler, und wer sich,
ob Mensch oder Engel,
So wenig um unseren lokalen Stolz schert, oder um Geld,
Dem wird am Ende nicht vertraut.

Hat er's dann aufgegeben?
Oh nein. Beim dritten Mal
Dachte er, jetzt hätte er uns verstanden. Kam im Auto,
Buchte ein Zimmer bei Morgan, sagte die ersten zwei Tage  

Kein Wort von seiner Botschaft,
Und dann ließ er hier und da Hinweise fallen. Ganz raffinierte.
Und hat auch extra mit allen Baptisten gesprochen. 

Ich wette, das hat funktioniert.
Meinst du? Nicht daß ich wüßte.
Uns hat es nicht gefallen, wie er sich bei uns anbiederte,
Das war das eine. Manche haben es schlichtweg Verhöhnung
genannt.
Er war doch schließlich ein Engel. Und dann, 

Die Art, wie er immer wieder kam,
Sich an die Leute ranschmiß.
Und schließlich und endlich
War er ein Fremder. Und redete von Religion.

Hat er es weiter versucht?
Nein. Hat uns fallenlassen.
Hätte es geholfen, wenn er hierher gezogen wäre?
Glaube ich nicht, Kumpel. Er war, versteht du, überhaupt zu eifrig
Er hätte dauernd auf dieser verdammten Botschaft rumgeharft, 
Und wenn er aufgegeben hätte, na dann
Wäre er verachtet worden, weil er nicht durchgehalten hätte, oder so. 

Er hat das von Anfang an verkehrt angepackt,
Da ist dann nichts mehr zu machen.

Aber was - zum Teufel! - was, wenn er, sagen wir mal, hier geboren wäre?
Na ja, das ist für einen Engel wohl bisschen unter seiner Würde, 
Oder ein bisschen drüber. Man würde ihn auch zu gut kennen, so von klein auf.
Wer würde schon auf einen Nachbarsbengel hören, frag' ich dich, 
Besonders wenn der mit Botschaften ankäme?
Und überhaupt, was der uns erzählte, hatte mit Liebe zu tun, 
Und unsere Leute hier,
Die denken, das ist nicht so recht - männlich.



LES A. MURRAY

Die Skulptur von Peter Lenk zeigt den mit Schmetterlingsflügeln augestatteten Mainau-Graf Lennart Bernadotte. Sein eingekringelter Penis soll Hinweis auf seine beträchtliche Alterzeugungskraft sein. Wie zu lesen ist, wurde er in der Fasnacht auch als "Graf Spermadotte" verspottet. (Zitiert von Paoramio/Wolfgang Schäfer)

THE BARRANONG ANGEL CASE

You see that bench in front of Meagher’s store?
That’s where the angel landed.
What? An angel?
Yes. It was just near smoko time on a sale day.
Town was quite full. He called us all together.
And was he obeyed?
Oh yes. He got a hearing.
Made his announcement, blessed us and took off
Again, straight up.
He had most glorious wings . . .
What happened then?
There were some tasks he’d set us
Or rather that sort of followed from his message.
And were they carried out?
At first we meant to,
But after a while, when there had been some talk
Most came to think he’d been a bit, well, haughty,
A bit overdone, with those flourishes of wings
And that plummy accent.
Lot of the women liked that.
But the men who’d knelt, off their own bat, mind you,
They were specially crook on him, as I remember.

Did he come again?
Oh yes. The message was important.
The second time, he hired the church hall,
Spoke most politely, called us all by name.
Any result?
Not much. At first we liked him.
But, after all, he’d singled out the Catholics.
It was their hall. And another thing resented
By different ones, he hadn’t charged admission.
We weren’t all paupers, and any man or angel
With so little regard for local pride, or money,
Ends up distrusted.

Did he give up then?
Oh no. The third time round
He thought he had our measure. Came by car,
Took a room at Morgan’s, didn't say a word
About his message for the first two days
And after that, dropped hints. Quite clever ones.
He made sure, too, that he spoke to all the Baptists.
I’ll bet that worked.
You reckon? Not that I saw.
We didn’t like him pandering to our ways
For a start. Some called it mockery, straight out.
He was an angel, after all. And then
There was the way he kept on coming back
Hustling the people.
And when all’s said and done
He was a stranger. And he talked religion.

Did he keep on trying?
No. Gave us away.
Would it have helped if he’d settled in the district?
Don’t think so, mate. If you follow me, he was
Too keen altogether. He’d have harped on that damn message
All the time — or if he’d stopped, well then
He’d have been despised because he’d given in, like.
He’d just got off on the wrong foot from the start
And you can’t fix that up.

But what — Oh Hell! — what if he’d been, say, born here?
Well, that sort of thing’s a bit above an angel,
Or a bit below. And he’d grow up too well known.
Who’d pay any heed to a neighbor’s boy, I ask you,
Specially if he came out with messages?
Besides, what he told us had to do with love
And people here,
They don’t think that’s quite — manly.

Michael Karlovski Alter Engel

Dienstag, 17. April 2012

Anstand


Anstand. Ein nunmehr selten verwendetes Wort. (Ebenso wie nunmehr, ja, ebenso wie ebenso.)
Ein anständiges Bier trinken, ein Termin der anstand oder ein Mann, dem wir es anständig gezeigt haben, eine Anstandsdame auch und das Anstandsbuch und dann noch der Anstand des Jägers - da klingt das Wort ganz lässig und unscheinbar. 

Aber ein anständiger Mensch, "wie stolz das klingt", um Herrn Gorki falsch zu zitieren. Oder richtig? Ein anständiger Mensch, wie kann man den beschreiben?
Ist es einer, der sich an die Anstands-Regeln hält, nichts tut, was unzulässig, störend oder ungewöhnlich wäre? Oder ist es der, der sich anständig verhält, wenn es unanständig wäre, nichts zu tun, oder zu schweigen?  Der, der dir aus Anstand nicht auf die Hand tritt, wenn du gefallen bist, oder der, der dir anständig in den Hintern tritt, wenn du dich schlecht benimmst? Der, der sich anpasst, oder der, der, um des Anstands willen, weiter geht, als erlaubt?
"Gestatten sie mir ihnen zu widersprechen", würde so ein anständiger vielleicht Mensch sagen. oder, "ich möchte sie darauf hinweisen, dass hier Unrecht geschieht." 
Mit Anstand geht die Welt zu Grunde wird gesagt. Besser mit Anstand als ohne? 


Hochinteressanter Artikel zum Thema:
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2001/12/29/a0170

Hoechheim Israelit 20071881a.jpg (48534 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Juni 1881: "Bitte! Bezugnehmend auf das Ausschreiben der israelitischen Lehrerstelle in Höchheim fordere ich hiermit jeden edeldenkenden Lehrer auf, bei der Bewerbung um diese Stelle, von der Bewerbung um die Schechitah Anstand zu nehmen, da mit dieser Verbindung einer sehr unbemittelten Manne, der bisher dieses Geschäft innegehabt, ein großer Teil seiner Ernährquelle entzogen wird.
Ein guter Freund desselben."  

Der anständige Mensch als Idealtypus des Weltbildes der Aufklärung respektiert in Einstellung und Verhalten die Persönlichkeit des Anderen und achtet darauf, dass dieser nicht bloßgestellt, gedemütigt oder benachteiligt wird. Persönlicher Anstand kann erlernt, jedoch nicht reglementiert werden; wohl aber können auf Prinzipien des Anstands beruhende Regeln oder Gesetze festgelegt und zur Geltung gebracht werden. Dies geschieht grundlegend in der Erklärung der Menschenrechte. - sagt Wiki.

Mit Anstand verlieren - SPD © ???

Fortgehn

Plötzliches Fortgehn; Draußensein im Grauen

mit Augen, eingeschmolzen, heiß und weich,
und nun in das was ist hinauszuschauen - :

O nein, das alles ist ja ein Vergleich.


Der Strom ist so, damit er dich bedeute,

und diese Stadt stand auf weil du erschienst;
die Brücken gehn mit Anstand der dich freute
gelassen her und hin in deinem Dienst.


Und weil das alles ausgedacht ist nur:

dich zu bedeuten - : ist es wie die Erde;
die Gärten stehn in dunkelnder Gebärde,
die Fernen sind voll deutsamer Figur -.

Und doch trotzdem, nun kommt es trotzdem wieder:

der Schmerz, der Schmerz des ersten Augenblicks.
Noch war es da - : auf einmal ging es nieder
oder flog auf oder war aus wie Lieder - :
das war so voll unsäglichen Geschicks -.

Wie wenn...

                  (bin ichs zu sagen denn imstande?)
Sieh: diese Augen lagen da: Gewande,
ein Angesicht, ein Glanz ging in sie ein
als wären sie --- ja was ? --:
                                          der Canal Grande
in seiner großen Zeit und vor dem Brande -
------------------
und plötzlich hört Venedig auf zu sein.

Rainer Maria Rilke

Aus: Die Gedichte 1906-1910 (zuerst veröffentlicht: Paris, Juni 1906) 

Giovanni Antonio Canal (Canaletto) Rialto Brücke, Venedig 

"Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi." 
Gerhard Bronner bei der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des KZ Gunskirchen, 7. Mai 2005

Montag, 16. April 2012

Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt.


"Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt." 

Gestern wäre Wilhelm Busch, Protestant, 180 Jahre alt geworden, 
heute wird Herr Ratzinger, oberster Denker aller Katholiken 85.

"Wie schad, daß ich kein Pfaffe bin.
Das wäre so mein Fach.
Ich bummelte durchs Leben hin
Und dächt nicht weiter nach."

"Die verschiedenen heute festzustellenden Auflösungstendenzen bezüglich der Ehe, wie uneheliche Lebensgemeinschaften und die »Ehe auf Probe«, bis hin zur Pseudo-Ehe zwischen Personen des gleichen Geschlechts sind hingegen Ausdruck einer anarchischen Freiheit, die sich zu Unrecht als wahre Befreiung des Menschen ausgibt." - Zur Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom zum Thema Familie in der Lateranbasilika in Rom am 6. Juni 2005 
Tipp, dieser Satz ist nicht von Wilhelm Busch

"Obgleich die Welt ja, sozusagen,
 wohl manchmal etwas mangelhaft, 
wird sie doch in den nächsten Tagen 
vermutlich noch nicht abgeschafft."  
An Josef Peter. 1907

"Das jüdische Schrifttum und die jüdische Geschichte erfüllten sich ausschließlich in der Gestalt von Jesus Christus." - Cardinal Ratzinger Divides Germans, New York Times, 15. April 2005
Tipp: dieser Satz ist auch nicht von Wilhelm Busch.

Aber dafür leider der:

Kurz die Hose, lang der Rock 
Krumm die Nase und der Stock 
Augen schwarz und Seele grau, 
Hut nach hinten, Miene schlau - 
So ist Schmulchen Schiefelbeiner 
(Schöner ist doch unsereiner!)

Aber das Folgende ist auch von Busch:

Der heilige Antonius – letzte Versuchung

Der heilige Antonius von Padua 58.png
Der heilige Antonius von Padua
Saß oftmals ganz alleinig da
Und las bei seinem Heilgenschein
Meistens bis tief in die Nacht hinein. –
Der heilige Antonius von Padua 59.png
Einst, als er wieder so sitzt und liest –
– Auf einmal, so räuspert sich was und niest;
Und wie er sich umschaut, der fromme Mann,
Schaut ihn ein hübsches Mädchen an. – –
– Der heilige Antonius von Padua
War aber ganz ruhig, als dies geschah.
Er sprach: „Schau du nur immer zu,
Du störst mich nicht in meiner christlichen Ruh!“
Der heilige Antonius von Padua 60.png
Als er nun wieder so ruhig saß
Und weiter in seinem Buche las –
Husch, husch! – so spürt er auf der Glatzen
Und hinterm Ohr ein Kribbelkratzen,
Daß ihm dabei ganz sonderbar,
Bald warm, bald kalt zumute war. –
Der heilige Antonius von Padua
War aber ganz ruhig, als dies geschah.
Er sprach: „So krabble du nur zu,
Du störst mich nicht in meiner christlichen Ruh!“
Der heilige Antonius von Padua 61.png
„Na! – – Na!“ – –
Der heilige Antonius von Padua 62.png
„Na, na! – sag’ ich!!!“ –
Der heilige Antonius von Padua 63.png
„Hm! hm! – – hm! hm!!!“
Der heilige Antonius von Padua 64.png
Auf einmal aber – er wußte nicht wie –
Setzt sich das Mädel ihm gar aufs Knie
Und gibt dem heiligen Antonius
Links und rechts einen herzhaften Kuß.
Der heilige Antonius von Padua 65.png
Der heilige Antonius von Padua
War aber nicht ruhig, als dies geschah.
Er sprang empor, von Zorn entbrannt;
Er nahm das Kreuz in seine Hand:
Der heilige Antonius von Padua 66.png
„Laß ab von mir, unsaubrer Geist!
Sei, wie du bist, wer du auch seist!!“
Der heilige Antonius von Padua 67.png
Puh!! – da sauste mit großem Rumor
Der Satanas durchs Ofenrohr.
Der heilige Antonius von Padua 68.png
Der heilige Antonius, ruhig und heiter,
Las aber in seinem Buche weiter! –

Oh, heil’ger Antonius von Padua,

Du kennst uns ja!
So laß uns denn auf dieser Erden
Auch solche fromme Heilge werden!


Klausnerleben und Himmelfahrt
Der heilige Antonius von Padua 69.png
Der heilige Antonius, so wird berichtet,
Hat endlich ganz auf die Welt verzichtet;
Ist tief, tief hinten im Wald gesessen,
Hat Tau getrunken und Moos gegessen,
Und sitzt und sitzt an diesem Ort
Und betet, bis er schier verdorrt
Und ihm zuletzt das wilde Kraut
Aus Nase und aus Ohren schaut.
Er sprach: „Von hier will ich nicht weichen,
Es käm’ mir denn ein glaubhaft Zeichen!“
Der heilige Antonius von Padua 70.png
Und siehe da! – Aus Waldes Mitten
Ein Wildschwein kommt dahergeschritten,
Der heilige Antonius von Padua 71.png
Das wühlet emsig an der Stelle
Ein Brünnlein auf, gar rein und helle,
Und wühlt mit Schnauben und mit Schnüffeln
Dazu hervor ein Häuflein Trüffeln. –
Der heilige Antonius, voll Preis und Dank,
Setzte sich nieder, aß und trank
Und sprach gerührt: „Du gutes Schwein,
Du sollst nun ewig bei mir sein!“

So lebten die zwei in Einigkeit

Hienieden auf Erden noch lange Zeit,
Der heilige Antonius von Padua 72.png
Und starben endlich und starben zugleich
Und fuhren zusammen vors Himmelreich. –
„Au weih geschrien! Ein Schwein, ein Schwein!“
So huben die Juden an zu schrein;
Und auch die Türken kamen in Scharen
Und wollten sich gegen das Schwein verwahren. –
Der heilige Antonius von Padua 73.png
Doch siehe! – Aus des Himmels Tor
Tritt unsre liebe Frau hervor.
Den blauen Mantel hält die Linke,
Die Rechte sieht man sanft erhoben,
Halb drohend, halb zum Gnadenwinke;
So steht sie da, von Glanz umwoben.
Der heilige Antonius von Padua 74.png
„Willkommen! Gehet ein in Frieden!
Hier wird kein Freund vom Freund geschieden.
Es kommt so manches Schaf herein,
Warum nicht auch ein braves Schwein!!“
Da grunzte das Schwein, die Englein sangen.
So sind sie beide hineingegangen.


Sonntag, 15. April 2012

Ingeborg Bachmann - Das Spiel ist aus



 Anselm Kiefer Karfunkelfee
 
 
DAS SPIEL IST AUS 
 
Mein lieber Bruder, wann bauen wir uns ein Floß
und fahren den Himmel hinunter?
Mein lieber Bruder, bald ist die Fracht zu groß
und wir gehen unter.

Mein lieber Bruder, wir zeichnen aufs Papier
viele Länder und Schienen.
Gib acht, vor den schwarzen Linien hier
fliegst du hoch mit den Minen.

Mein lieber Bruder, dann will ich an den Pfahl
gebunden sein und schreien.
Doch du reitest schon aus dem Totental
und wir fliehen zu zweien.

Wach im Zigeunerlager und wach im Wüstenzelt,
es rinnt uns der Sand aus den Haaren,
dein und mein Alter und das Alter der Welt
mißt man nicht mit den Jahren.

Laß dich von listigen Raben, von klebriger Spinnenhand
und der Feder im Strauch nicht betrügen,
iß und trink auch nicht im Schlaraffenland,
es schäumt Schein in den Pfannen und Krügen.

Nur wer an der goldenen Brücke für die Karfunkelfee
das Wort noch weiß, hat gewonnen.
Ich muß dir sagen, es ist mit dem letzten Schnee
im Garten zerronnen.

Von vielen, vielen Steinen sind unsre Füße so wund.
Einer heilt. Mit dem wollen wir springen,
bis der Kinderkönig, mit dem Schlüssel zu seinem Reich
    im Mund
uns holt, und wir werden singen:

Es ist eine schöne Zeit, wenn der Dattelkern keimt!
Jeder, der fällt, hat Flügel.
Roter Fingerhut ist’s, der den Armen das Leichentuch
    säumt,
und dein Herzblatt sinkt auf mein Siegel.

Wir müssen schlafen gehn, Liebster, das Spiel ist aus.
Auf Zehenspitzen. Die weißen Hemden bauschen.
Vater und Mutter sagen, es geistert im Haus,
wenn wir den Atem tauschen.

Ingeborg Bachmann

 
© Piper Verlag GmbH, München 1978 
 
 

Freitag, 13. April 2012

Große und kleine Sprünge


Gestern abend um 11.
Meine Nichte hat Frühlingsferien und durfte mit zur Probe kommen. Es war ein langer Tag und sie hat gerade fünf Stunden den Studenten zugeschaut, mitgefiebert, immer dran, nie störend.
Wir gehen nach Hause.
Sie läuft vor uns her mit diesem leichten federnden Kinder-Hopsschritt. 
Sie hüpft. Nur so für sich. Entfernt sich von uns. Bleibt stehen. Kommt ein Stück zurück. Hüpft weiter.
Wann bin ich das letzte Mal gehüpft, nur so?

Skipping Rope by Lester Talkington of The Photo League, 1950 from Documentary Photography, copyright 1972 Time Inc.

Donnerstag, 12. April 2012

Aus der Bergpredigt


Matthäus 5, 3-12

Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm, Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.  
Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 
Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr. 
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, so sie daran lügen. 

Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

 Fra Angelico Die Bergpredigt Fresco 1436-43

Lukas 6, 20-25 - Die Feldrede

Er richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.
Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, wenn sie euch beschimpfen und euch in Verruf bringen um des Menschensohnes willen.
Freut euch und jauchzt an jenem Tag; euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht.
Aber weh euch, die ihr reich seid; denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten.
Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh euch, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen.
Weh euch, wenn euch alle Menschen loben; denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht. 

Monty Python aus "Das Leben des Brian"

Jesus:
Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land zu Besitz erhalten.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden.
Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen...
Mutter:
Lauter!
Brian:
Sei still, Mama. 
Mutter:
Was heißt still? Ich kann nichts hören. Laß uns zur Steinigung gehen.
Rübennase:
Pssst.
Brian:
Zu 'ner Steinigung kannst du jeden Tag gehen. 

Mittwoch, 11. April 2012

Caravaggio - David und Goliath mal drei



Caravaggio selbst war das Model für Goliath, il suo Caravaggino, Cecco de Caravaggio, sein eigner kleiner Caravaggio, das für David. Cecco war sein Assisstent der, wie berichtet wurde, bei ihm lag. Möglicherweise sind auch beide Köpfe Porträts Caravaggios, und der Jüngere hält das Haupt des Älteren. 1609/10

Die Bibel sagt in Samuel 1/17:

Da trat aus den Lagern der Philister ein Riese mit Namen Goliath von Gath, sechs Ellen und eine Handbreit hoch  ...  Und er stand und rief zu dem Heer Israels und sprach zu ihnen: Was seid ihr ausgezogen, euch zu rüsten in einen Streit? Bin ich nicht ein Philister und ihr Sauls Knechte? Erwählt einen unter euch, der zu mir herabkomme. Vermag er wider mich zu streiten und schlägt mich, so wollen wir eure Knechte sein; vermag ich aber wider ihn und schlage ihn, so sollt ihr unsre Knechte sein, daß ihr uns dient... 

...und (David) nahm seinen Stab in seine Hand und erwählte fünf glatte Steine aus dem Bach und tat sie in seine Hirtentasche, die er hatte, und in den Sack und nahm die Schleuder in seine Hand und machte sich zu dem Philister...

Da nun der Philister sah und schaute David an, verachtete er ihn; denn er war ein Knabe, bräunlich und schön....

Und David tat seine Hand in die Tasche und nahm einen Stein daraus und schleuderte und traf den Philister an seine Stirn, daß der Stein in seine Stirn fuhr und er zur Erde fiel auf sein Angesicht...

Da nun David wiederkam von der Schlacht des Philisters, nahm ihn Abner und brachte ihn vor Saul, und er hatte des Philisters Haupt in seiner Hand. Und Saul sprach zu ihm: Wes Sohn bist du, Knabe? David sprach: Ich bin ein Sohn deines Knechtes Isai, des Bethlehemiten.


Ein ganz anderer David,1607.

 
Diesen Riesen zu töten, war leicht für den mutigen Hirten,
  Welcher, im Schleudern geschickt, sicher versandte den Stein.
Schwerer fand er es schon, den Toten des Haupts zu berauben,
  Doch es gelang ihm zuletzt durch den verdoppelten Streich.
Aber dem letzten erliegt er, er soll es dem König ja bringen,
  Und nun schleppt er sich tot an der gewaltigen Last.

Friedrich Hebbel

Und der Moment davor, David kniet auf Goliaths Torso, und greift das abgetrennte Haupt, sehr konzentriert, sehr effizient. Auch Goliaths Gesicht wirkt, sehr ruhig, gar nicht tot, es scheint ein intimer Moment zwischen den beiden zu sein, nur die verkrampfte Hand links unten und die Stirnwunde erinnern an den vorangegangenen Kampf. 1599


Dienstag, 10. April 2012

Lisette Model - Photographin


Lisette, Selbstporträt

Die Kamera ist ein Instrument der Entdeckung. Wir photographieren nicht nur was wir kennen, sondern auch das was wir nicht kennen."

"The camera is an instrument of detection. We photograph not only what we know, but also what we don’t know" Lisette Model


Promenade des Anglais, Nizza 1934 © Lisette Model

Lisette Model geboren am 10.11.1901 in Wien als Elise Amelie Felicie Stern, 1903 änderte die Familie den Nachnamen in Seybert; gestorben am 30.3.1983 in New York, war Fotografin.
Sie studierte in Wien Gesang und Harmonielehre und Kontrapunkt, letztere bei Arnold Schönberg, den sie später als einen ihrer formendsten Lehrer beschrieb. 1930 gab sie, aus nicht bekannten Gründen, die Beschäftigung mit Musik auf und begann zu photographieren.

 Coney Island N.Y. Badende, liegend 1939/40 © Lisette Model

In Nizza lernte sie ihren Ehemann Evsa Model, einen Maler, kennen mit dem sie 1938 dann in die USA emigrierte. 1944 wurden ihr Bruder und ihre Schwägerin von Frankreich in ein deutschen Konzentrations- lager gebracht. Ihre Mutter starb in Nizza.

 New York, Reflektionen, 1939-45 © Lisette Model
Über ihre erste Zeit in New York schrieb sie:

"Anderthalb Jahre lang habe ich nicht photographiert. Ich war blind, weil alles so anders war."
"For a year and a half I took no pictures. I was blind because it was all too different." Lisette Model
 
 East Side New York City, Kleine Frau in Turnschuhen eine Tüte tragend, 1939-45 © Lisette Model

"Ich bin oft gefragt worden, was ich durch meine Photographien beweisen will. Die Antwort ist, ich will nichts beweisen. Sie beweisen mir, und ich bin die die lernt."
"I have often been asked what I wanted to prove by my photographs. The answer is, I don’t want to prove anything. They prove to me, and I am the one who gets the lesson." Lisette Model 

Zwei Sänger im Sammy's in der Bowery, New York 1940/44 © Lisette Model

 Modenschau Hotel Pierre New York 1940-46 © Lisette Model

Belmont Park, Rennbahn 1956, Fetter Mann © Lisette Model

Diane Arbus war von 1955 bis 57 eine Schülerin Models und wurde von ihr ermuntert, die kommerzielle Photographie zu Gunsten der künstlerischen aufzugeben. 

Sonntag, 8. April 2012

Winter ade!


Weil es gestern beim Osterfeuer geschneit und gehagelt hat!

Winter ade!

Winter ade! Scheiden tut weh.
Aber dein Scheiden macht,
dass mir das Herze lacht.
Winter ade! Scheiden tut weh.

Winter ade! Scheiden tut weh.
Gerne vergess' ich dein,
kannst immer ferne sein.
Winter ade! Scheiden tut weh.

Winter ade! Scheiden tut weh.
Gehst du nicht bald nach Haus,
lacht dich der Kuckuck aus.
Winter ade! Scheiden tut weh.
 
Musik: Volkslied
Text: Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)

© APA

Winter ade!

So hört doch, was die Lerche singt!
Hört, wie sie frohe Botschaft bringt!
Es kommt auf goldnem Sonnenstrahl
Der Frühling heim in unser Tal,
Er streuet bunte Blumen aus
Und bringet Freud' in jedes Haus.
Winter, ade!
Frühling, juchhe! 

Was uns die liebe Lerche singt,
In unsern Herzen wiederklingt.
Der Winter sagt: Ade! Ade!
Und hin ist Kälte, Reif und Schnee
Und Nebel hin und Dunkelheit
Willkommen, süße Frühlingszeit!
Winter, ade!
Frühling, juchhe!

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
(1798 - 1874)