Mittwoch, 1. Februar 2012

Theater hat auch eine Konzeption - Das Wintermärchen



Das Wintermärchen von William Shakespeare - ab nächsten Montag ist es für sieben Wochen mein Land, mein Haus, mein Bett. 

Ein wildes, raues Stück, das Stück eines Mannes, der schon 20 Jahre für's Theater schreibt; Komödien, Tragödien, Historien, und nun sind ihm die Genres lästig geworden, wozu säuberlich trennen, was doch eh eins ist und er setzt sich an den Tisch oder stellt sich ans Schreibpult und beginnt. 1611.

Ein Mann, ein König, hat einen liebenswürdigen Sohn und eine schöne Frau, die ist schwanger, und er hat einen Freund aus Kindertagen, ebenfalls König, der ist nun schon 9 Monate zu Besuch. Aber es ist nicht genug, der Freund soll länger bleiben. Keine Überredung greift, der König bittet seine junge Frau um Hilfe und ihr gelingt, woran er scheiterte, der Freund willigt ein, noch ein wenig länger zu bleiben.


Zu heiß, zu heiß!
Herztremor hab ich, mein Herz hüpft, doch nicht
Aus Freude, nicht aus Freude. 


5 Seiten später dingt der König einen Mörder für den Freund; 6 Seiten, die Frau wird unter Anklage der Untreue und des Hochverrates ins Gefängnis geworfen; und nirgends ein netter Schurke wie z.B. Jago, dem man das Ganze in die Schuhe schieben könnte; 10 Seiten: das nunmehr neugeborene Kind soll wie Schneewittchen in der Wildnis ausgesetzt werden, der Freund ist geflohen, die Frau zum Tode verurteilt, die Frau stirbt an Kummer, der liebenswürdige Sohn begeht Selbstmord. Und dann beginnt der lustige Teil. 


Vielleicht.

Ist Flüstern nichts?
Wange an Wange legen? Nasenspiele?
Mit feuchten Lippen küssen? Sich mit Seufzen
Im Lachgalopp hart zügeln? – (untrügliches Zeichen
Wankender Treue!) flehn, daß die Uhren schneller gehn?
Stunden Minuten werden? Mittag Mittnacht? Ist das nichts?
Dann ist die Welt und alles in ihr nichts,
Der Himmel nichts, Böhmen nichts, nichts, meine
Frau
Nichts, und kein Nichts an all den Nichtsen,
Wenn all das nichts sein soll.


Was für ein Wahnsinn, wie beginnt man da!

Man liest und liest, gezielt und bauchgeführt, man spinnt und palavert, jedem der es hören will und manchem, der es nicht will, die Ohren voll. Jeder Film, den man sieht, jedes Bild, das man betrachtet, von Musik ganz zu schweigen, alles, alles weist irgendwie auf etwas hin, das man noch nicht benennen kann. Indizien sammeln, Störungen finden, Irritationen, zum Kern vorzudringen.
Das Stück hat ein Happy End, sagt man. Warum sagt man das? Die Frau war gar nicht tot, der König bereut, das ausgesetzte Kind wird gefunden und liebt den Sohn des Kinderfreundes. Alles gut. 
Alles gut? Die Frau ist alt geworden unterdessen, der Freund hatte seinen Sohn, den künftigen König, verflucht, als dieser, das Mädchen, von dem noch nicht bekannt war, dass es kein Bauernmädchen, sondern eine Prinzessin ist, heiraten wollte, und; und dies ist ein gewaltiges, ein schreckliches UND: der liebenswürdige Sohn, der den Hass des Vaters nicht ertragen konnte, ist wirklich tot. 




Regieanweisung 3. Akt, 1. Szene: Er rennt ab, verfolgt von einem Bären.
 
“Shakespeare wusste, dass die wichtigste Illusion der Romanze, die an die wir glauben wollen, die ist, dass die Toten nicht sterben. In der Tragödie, werden wir dieser Illusion beraubt und das schmerzt; in der Komödie, wird uns gezeigt, dass andere Illusionen wichtiger sind (der Tod kommt zu jedem, warum also nicht lachen, besonders über Ehe, Gier und Aufgeblasenheit?). Nur in der Romanze wird die Illusion, den Tod zu überwinden, mit dem ihr gebührenden Respekt anerkannt. Die Romanze gibt zu, dass die Tragödie Recht hat: es gibt keine Flucht vor dem Schicksal und der Biologie; aber sie zeigt, dass das nicht die ganze Wahrheit über uns ist. Die Notwendigkeit an das wahrhaftig Unmögliche zu glauben, (das Leben nach dem Tod) und Trost und sogar Vergnügen daraus zu ziehen, ist Teil unseres Menschseins.“ John Pitcher

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