Aus: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
. . . Und als ich mein
Drama schrieb, wie irrte ich da. War ich ein Nachahmer und Narr, dass ich eines
Dritten bedurfte, um von dem Schicksal zweier Menschen zu erzählen, die es
einander schwer machten? Wie leicht ich in die Falle fiel. Und ich hätte doch
wissen müssen, dass dieser Dritte, der durch alle Leben und Literaturen geht,
dieses Gespenst eines Dritten, der nie gewesen ist, keine Bedeutung hat, dass
man ihn leugnen muss. Er gehört zu den Vorwänden der Natur, welche immer bemüht
ist, von ihren tiefsten Geheimnissen die Aufmerksamkeit der Menschen
abzulenken. Er ist der Wandschirm, hinter dem ein Drama sich abspielt. Er ist
der Lärm am Eingang zu der stimmlosen Stille eines wirklichen Konfliktes. Man
möchte meinen, es wäre allen bisher zu schwer gewesen, von den Zweien zu reden,
um die es sich handelt; der Dritte, gerade weil er so unwirklich ist, ist das
Leichte der Aufgabe, ihn konnten sie alle. Gleich am Anfang ihrer Dramen merkt
man die Ungeduld, zu dem Dritten zu kommen, sie können ihn kaum erwarten. Sowie
er da ist, ist alles gut. Aber wie langweilig, wenn er sich verspätet, es kann
rein nichts geschehen ohne ihn, alles steht, stockt, wartet. Ja und wie, wenn
es bei diesem Stauen und Anstehen bliebe? Wie, Herr Dramatiker, und du,
Publikum, welches das Leben kennt, wie, wenn er verschollen wäre, dieser
beliebte Lebemann oder dieser anmaßende junge Mensch, der in allen Ehen
schließt wie ein Nachschlüssel? Wie, wenn ihn, zum Beispiel, der Teufel geholt
hätte? Nehmen wir’s an. Man merkt auf einmal die künstliche Leere der Theater,
sie werden vermauert wie gefährliche Löcher, nur die Motten aus den
Logenrändern taumeln durch den haltlosen Hohlraum. Die Dramatiker genießen
nicht mehr ihre Villenviertel. Alle öffentlichen Aufpassereien suchen für sie
in entlegenen Weltteilen nach dem Unersetzlichen, der die Handlung selbst war.
Und dabei leben sie
unter den Menschen, nicht diese »Dritten«, aber die Zwei, von denen so
unglaublich viel zu sagen wäre, von denen noch nie etwas gesagt worden ist,
obwohl sie leiden und handeln und sich nicht zu helfen wissen . . .
R.M. Rilke gemalt von Helmut Westhoff
Ja.
AntwortenLöschenAber.
Auch die zwei Einzelnen sind durch Dritte zu den Einen geworden, die dann die Zwei sind, mit ihren Konflikten, und, solange die Zwei lebendig sind, kommen als Katalysatoren weitere Dritte dazu.
Nur, was macht der Dritte?
AntwortenLöschenEr verändert.
AntwortenLöschenHa!
AntwortenLöschenDer Dritte hier, wie ich es verstehe, ist der Geist des Dichters selbst, der sich als einer der beiden Menschen von ihm abgespaltet hat, um ihre Geschichte zu erzählen - für die Dramatiker in ihren Villenvierteln -, und der doch weiß, daß dies nicht "die wahre Geschichte" ist, ja, diese Geschichte vielleicht nicht einmal annähernd berührt, der nun deshalb in seiner Vorstellung sich dieses Daseins "als Dritter" entzieht oder zu entziehen wünscht, um einfach seine scheinbar unbedeutende Zweisamkeit zu leben - als ganzer Mensch, ohne diesen "Dritten", der er selber ist.
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