Für "nachtkritik" geschrieben und dort erstveröffentlicht.
DIE LETZTE REVOLUTION IST
LANGE HER
„Von meinen ersten Stücken ist die Komödie „Trommeln
in der Nacht“ das zwieschlächtigste.“
Bertolt Brecht in „Bei der Durchsicht meiner ersten
Stücke“ 1953
„Trommeln
in der Nacht“, ursprünglich „Spartakus“ - geschrieben 1919,
der
Erste Weltkrieg, der noch nicht Erster heißt, ist gerade verloren worden, die
Novemberrevolution zwingt Deutschland in die parlamentarische Demokratie, Brecht
ist 21 Jahre alt.
Wenn ich heute an Revolution
denke, dann eher an ihre malignen Auswüchse, den Terror der Jahre 1793/94,
Stalins Massenmorde, als an die Zustände, die den Aufstand nötig machten. Ist
solche Not außerhalb meiner Vorstellungskraft?
Ich gehe manchmal auf eine
Demo oder unterschreibe eine Petition, das geht übrigens heutzutage auch in dem
für das Ende des Stückes so wichtigen Bett. Widerspruch ohne Gefährdung.
Perfekt. Banal.
Nach der Niederschlagung des
Spartakusaufstandes wurden Liebknecht und Luxemburg erschossen und im
Landwehrkanal entsorgt.
Die Uraufführung fand am 29.
September 1922 an den Münchner Kammerspielen statt, die Inszenierung wurde drei
Monate später für das Deutsche Theater übernommen und nach erfolglosen sechs
Vorstellungen abgesetzt. Immerhin hat Brecht bei dieser Arbeit die Weigel
kennengelernt. Worüber die wohl gestritten haben?
Ich habe zweimal dasselbe
Stück gesehen, nur die letzten zehn Minuten unterschieden sich, zweimal
hellwach geschaut, meine Augen und Ohren und mein Hirn hatten viel zu tun, das
Herz schlug meist gleichmäßig.
Es beginnt ganz vorsichtig,
weniger als Nachgestaltung der Inszenierung von 1922, mehr als Lauschen auf
Echos, Überprüfen der alten Worte, Vergleichen der Konstellationen. Das
Bühnenbild zitiert das Damalige, die Kostüme sind neutral schwarz, das Sprechen
ist tastend.
Wilde Sprache, trunkene
Wörter, fiese Pointen, ich verstehe, warum Brecht das Stück Komödie nannte.
Alle Konzentration ist hier auf
die Familie und den in sie einbrechenden Kragler gerichtet. Was den Abend aber gerade
nicht privatisiert, sondern den Riss zwischen bürgerlicher Idylle in Gefahr und
dem irgendwo im Off stattfindendem Aufstand krasser zeichnet.
Wunderbare Momente. Wenn
Kragler sich die schwangere Anna über die Schulter wirft und sie, zum Gesang von
„Ob sie ihre Lilie noch hat“, dies in eine romantische Hebefigur verwandelt.
Wenn die vom Kirschschnaps gelöste Mutter in leicht verkrampften Ausdruckstanz
verfällt. Wenn neonröhrenbeladen Türme herunterschweben und die Szenerie ins
Futuristische zwingen.
Wiebke Puls, die Mutter,
verdient einen eigenen Beitrag. Kein Wort ohne Gedanken, der Körper ein
Instrument, klug und schön, ganz im Moment und immer Herrin der Lage. Und sie
ist groß, und genießt es. All the Power to her!
Mit dem Vierten Akt
verändert sich der Zugriff völlig. Die Revolution ist da, auf der Bühne, aber sie
findet nicht statt. Statt dessen ein Sprechgesang, die aufrührerischen Texte
gesprochen wie Erinnerungen aus der Zukunft, die Szenerie erinnert an Kubricks
„2001“, das chorische Sprechen schwillt an und gipfelt in einem grandiosen
Popsong, U2 fordert den Weltfrieden.
Aufforderungen zum Umsturz,
revolutionäre Empörung sind peinlich, ironischer Abstand muss genommen werden.
Ein lautes Jein ist sicherer, als eine klare Haltung.
Anna, die ihrem Geliebten in
die Schlacht gefolgt ist, unterbricht die Show und lenkt die Aufmerksamkeit auf
uns, die wir dasitzen und uns als politisch denkende Menschen empfinden.
Akt Fünf, die Entscheidung -
im Original von Brecht beendet Kragler seine Teilnahme an der Revolution und
zieht sich mit seiner Anna ins Bett zurück. In dieser Fassung wird Anna von
einem Mitglied des Chores gekillt, erweist sich aber als Mitträgerin des Happyends
als untötbar und das Paar liefert uns eine höhnische Absage an jedwede
politische Aktivität. „ Mein Fleisch soll im Rinnstein verwesen, dass eure Idee
in den Himmel kommt? Seid ihr besoffen?“
Der Variant am zweiten
Abend: Kragler tötet die insistierende Liebende mit eigener Hand und
entscheidet sich für den Kampf. „Glotzt nicht so romantisch“ bekommt da einen
ganz neuen, harten Sinn.
Ich, pubertär-unüberlegte
Stalinistin, Anarchistin im Familienkampf und heute, ja was bin ich heute,
vorsichtig mit meinen Gewissheiten und atheistische Humanistin, habe keine
Antwort, keine Entscheidung parat. Aber immer noch hat das Wort Revolution eine
sinnliche Verlockung, wahrscheinlich nur, weil ich weiß, dass ich sie nicht
mehr erleben werde. Ich bin ein Feigling. Und was sind Sie?
An beiden Abenden wurde am
Ende so getan, als würde das Bühnenbild zerhackt, funktioniert nicht, finde
ich, wenn ich gleichzeitig sehe, wie die fest getischlerten Teile von den
Bühnenarbeitern in Sicherheit gebracht werden. Hätte ich nicht gebraucht. Es
war davor schon zu Ende erzählt.
Vielleicht ist das
für Manchen hier von Interesse, Striche, Szenenumstellungen,
geschlechtsunabhängige Rollenbesetzungen gehen sowieso, auch früher schon.
Und dann kam eine
Anfrage für eine Zweifach-Inszenierung von „Trommeln in der Nacht“, den einen
Abend der originale Schluss, am anderen der genau entgegengesetzte, gebaut aus
Notizen, die Brecht, unzufrieden mit der eigenen Arbeit, niedergeschrieben
hatte. ich fragte mich zwar, wer wohl zweimal ins Theater ginge, nur wegen
eines veränderten Endes, aber das ging mich schlussendlich nichts an.
Ein spannender Abend. Das
sage ich selten. Zwei spannende Abende.
Und jetzt gehe ich ins Bett.