Freitag, 12. Juli 2019

Mein Manifest - In Erwägung

In Erwägung, dass dies hier peinlich wirken kann, erkläre ich, dass ich immer noch auf unser Überleben in einer gerechteren Welt hoffe.

Ein Manifest ist, so sagt es Wiki, eine öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten, dies ist meines.
Vor Kurzem habe ich einen Artikel gelesen: Cripping up – "Was problematisch daran ist, wenn Schauspieler ohne Behinderung Rollen mit Behinderung spielen" von Georg Kasch.
Cripping Up

Ich habe meine Verwirrung über die Gedanken, die dort notiert waren, auf Facebook zur Diskussion gestellt. 160 Kommentare folgten. Manche sehr klar, einige nicht so. Ich bin immer noch verwirrt, aber weiß jetzt besser warum. Eine seltene Erfahrung.

Zum Thema. In fast allen Diskussionen der letzten Zeit erlebe ich eine immer minutiöser formulierte Verteidigung immer enger gesteckter Grenzen von immer kleiner definierten Gruppen. Fast jeder ist gegen fast jeden. Aggressive Unversöhnlichkeit bei eigentlich, so würde ich meinen, ähnlichen angestrebten Zielen. Identität statt Solidarität. Rechthaberei statt gemeinsamer Suche nach Lösungen. Wenig Fragen, viele unerschütterliche Antworten.
 

In Erwägung, dass es akute, lebensbedrohliche Probleme gibt, die uns alle töten werden, wenn wir keine Lösung für sie finden. Probleme mit dem Klima, mit der abrupt veränderten Zusammensetzung unserer Gesellschaft, mit unseren erhofften ökonomischen Aussichten, mit der wachsenden Unversöhnlichkeit zwischen Links und Rechts und dem vagen Raum dazwischen, ja, sogar ganz persönliche Probleme mit dem Theater, das gerade im Nirgendwo zwischen Repräsentanz und altbekanntem Spiel verschwiemelt wankelt.

K. F. schrieb: Johanna, das können wir im Osten sozialisierten Menschen nicht wirklich verstehen, weil uns auch aus der eigenen Lebenserfahrung das "soziale Rollenspiel" so selbverständlich ist. Wir sind auch der Meinung, dass Kinderspiele, Spiele zur Aneignung von Sozialverhalten sind. Die aus Amerika herüberschwappenden Diskussionen (Kommunitarismus, Identitäre, Repräsentation) sind - bei einer Schulung in dialektischem Materialismus - zu verorten im Kampf bislang ausgegrenzter Minderheiten um Anteile am gesellschaftlichen Konsens. Du bist liberal-europäisch denkend, da spielt Empathie eine zentrale Rolle, auf der anderen Seite wird auch das schon als Übergriff / Cultural Appropiation zurückgewiesen. Es gibt bei den Kommunitaristen kein Als-Ob, sie definieren Spiel nicht als Spiel, sondern als Repräsentation vorhandener Strukturen. Da gibt es glaube keine Chance einer wirklichen Verständigung - zumal wir ja wirklich anerkennen müssen, dass der weisse Hegemon über Jahrhunderte ausgegrenzte Rassen oder Minderheiten oder Geschlechter nicht als Partnern auf Augenhöhe begegnet ist. Ganz schwieriges Thema...  


In Erwägung, dass es uns allen, die wir uns verschwommen oder widerwillig als "links" definieren, an die Kehle gehen wird, wenn die "Querfront der Verlierer" in rechtmäßigen Wahlen an die Macht kommt. Und das werden sie, wenn wir uns nicht in den Griff kriegen.
Wollen wir uns wirklich so kampflos, kopflos aufeinander, gegeneinander hetzen lassen?
 

In Erwägung, das es höchste Zeit ist, persönliche Verantwortung zu übernehmen, uns solidarisch zu verhalten, mit denen, die uns zumindest nicht unser Recht zu leben, wie wir wollen, gänzlich absprechen. 
Es gibt, auch unter uns, viele, die nach den einfachsten Lösungen suchen, nach den schrecklichen -  alle sollen raus, die anders sind, nicht weiß, nicht christlich, nicht heterosexuell, nicht irgendwas, was sie als "normal", so "wie es früher war" erkennen können. Weg mit den Irritationen. Weg mit denen, die meine Position, mein gewohntes Leben in Frage stellen. Weg mit ihnen. Wohin? Egal.


Nordkreuz
 

In Erwägung der enormen Probleme, für die wir bisher keine Lösung finden können - sollten wir nicht dringlichst nach unseren Gemeinsamkeiten suchen?
Wäre ich ein zynisches, manipulierendes Arschloch, würde es mich freuen, dass wir uns so leicht auseinander dividieren lassen. Das bin ich aber nicht.
 

In Erwägung, dass ich gerne lebe, wünschte ich, dass wir es besser ertragen würden, mit nervenden Widersprüchen zu leben, dass es uns wichtiger wäre, Gemeinsamkeiten zu finden, als einander besserwissend und selbstgerecht zu verurteilen. 
Ablehnung ist einfach. Bemühung um Verständnis kostet Mühe. Demut ist angebracht.

In Erwägung, dass es viele gibt, die mir mein Recht zu leben, wie ich es mag, absprechen, als ältere, jüdische Frau in einem nicht ökonomisch relevanten Beruf, aber auch euch, die ihr nicht der kranken Norm von ebenfalls verwirrten und nach leichten Antworten suchenden Mitbürgern, entsprecht. 

Lasst uns zuhören. Lasst uns, zu Gunsten der Zukunft, unsere banalen Widersprüche beiseite stellen und lasst uns darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist, um unser aller Überleben zu ermöglichen.  


In Erwägung unsrer Schwäche machtet
Ihr Gesetze, die uns knechten solln.
Die Gesetze seien künftig nicht beachtet
In Erwägung, dass wir nicht mehr Knecht sein wolln.
    In Erwägung, dass ihr uns dann eben
    Mit Gewehren und Kanonen droht
    Haben wir beschlossen: nunmehr schlechtes Leben
    Mehr zu fürchten als den Tod.
b.b.

2 Kommentare:

  1. Liebe Johanna, es ist beinahe zum Verzweifeln bemerkenswert irre, wenn man sich die Kommentare zu Gemüte führt. Ich glaube, ich werde mich aus FB aktiv zurückziehen. Wer weiß, es könnte gegen mich verwendet werden. Passiv werde ich aber bleiben, damit ihr mir weiterhin ein Bild machen kann und meine Kontakte hab. Lieben Gruß von Robert

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    1. Aber vielleicht doch hin und wieder ein Photo posten? Oder ein Rezept? Würde Dich vermisen, verstehe aber Deine Reaktion. Es ist zum Haare ausreißen.

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