Samstag, 18. August 2012
Freitag, 17. August 2012
Picasso ist weg - 1972 - letzte Bilder
Trinkt auf mich, trinkt auf meine Gesundheit, ihr wißt, dass ich nicht mehr trinken kann.
P.P. letzte Worte
Sein letztes Selbsportrait 1972
Ebenfalls 1972: ein letztes Bild "Die Umarmung", danach zeichnete er 'nur' noch bis zu seinem Tode im April 1973.
Donnerstag, 16. August 2012
Weg! Aus dem Weg!
Im Wald, vor Jahren war man schon einmal hier, aber der Weg ist weg!
Und nun erkläre man einem, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, warum er einmal Weg mit langem e und weg mit kurzem e sagen soll. Unmöglich? Wunderbar.
Letztendlich unerklärbar, unerklärlich, aber da fängt eine Sprache an, Lust zu machen. Gibt's in anderen Sprachen auch: im Englischen ist der gefährliche Irre ein maniac, den spricht man ungefähr wie mäniak aus, das was er ist, nämlich maniacal, klingt aber wie mäneiikäl. Warum? Keine Ahnung.
Warum sagen wir lieblich und nicht liebsam oder liebbar? Wunderlich ist nicht gleich wunderbar und auch nicht wie wundersam.
Sprache wächst, schrumpft, geht Umwege, lässt weg und fügt zu, sie lebt und kehrt sich einen Dreck um Logik und Regeln, sie wird nicht schlechter oder besser, nur neu und anders.
Für Sprache gilt: der Weg ist alles, das Ziel ist nix und weg ist weg, aber deswegen muß man sich keine Sorgen machen.
Entfremdung
In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.
Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?
Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?
Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?
Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?
Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.
Ingeborg Bachmann
Georges-Pierre Seurat Weg bei der Birke
Gesellschaft für deutsche Sprache - Sprachberatung
Warum dehnt man eigentlich das e im Substantiv Weg, während man es im Adverb weg kurz ausspricht? Die Wörter haben doch im Grunde dieselbe Form.
Dies ist eine interessante, wenngleich verzwickte Frage, denn die
beiden Wörter haben nicht nur dieselbe Form, sieht man einmal von der
Großschreibung des Substantivs ab, sondern auch dieselbe Wurzel. Sie
gehen also auf das gleiche althochdeutsche Wort weg zurück, wenn auch zwischen ihrem erstmaligen Gebrauch in unterschiedlicher Bedeutung mehrere Jahrhunderte liegen.
Im Sinne von ›Geleise, Spur‹ war das althochdeutsche weg, später auch in der Form wec, bereits im 8. Jahrhundert gebräuchlich und geht auf dieselbe indogermanische Wurzel wie das Verb bewegen zurück. Doch erst im 12. Jahrhundert, also während der mittelhochdeutschen Sprachepoche, trat den Brüdern Grimm zufolge (Deutsches Wörterbuch, 13. Band, Leipzig 1922) das Adverb enwec
als »abzweigung von dem vorhergehenden subst[antiv]« in Erscheinung,
das im Althochdeutschen als Präpositionalgruppe in der Form in weg
existiert hatte und die Bedeutung ›auf dem Weg, auf den Weg‹ trug.
Hieraus ergibt sich die heutige Bedeutung ›(sich) entfernen‹ oder auch
dessen Ergebnis. Obwohl enweg bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts
vorkam, hatte sich aufgrund lautlicher Vereinfachung seit dem 14.
Jahrhundert parallel auch die einsilbige Form weg herausgebildet, die sich schließlich durchsetzte.
Doch wie nun hat sich die unterschiedliche Aussprache der beiden
Wörter entwickelt, wenn hier die gleiche Wortwurzel zugrunde liegt?
Waren sie in ihrem Ursprung noch verschieden (weg vs. in weg bzw. wec vs. enwec),
so haben sich die Wörter im Zuge des Sprachwandels in ihrer Form
einander angepasst, sind dabei jedoch bedeutungsdifferent geblieben. Es
ist also anzunehmen, dass der Unterschied in der Bedeutung und der
Wortart eine Rolle für die ungleiche lautliche Entwicklung von Weg und weg
spielt. Um diese historisch nachvollziehen zu können, greifen die
Brüder Grimm vielfach auf zeitgenössische Dichtung zurück und schließen
anhand von Reimen (etwa weg – Zweck, Weg – Steg etc.) auf die in der Sprachgeschichte jeweils gebräuchliche Aussprache von Substantiv und Adverb.
So war beim Substantiv Weg schon im 15. Jahrhundert ein
Rückgang der Auslautverhärtung erkennbar, was sich auch in der Schrift
niederschlug: Aus der Schreibung wec, wek oder weck entwickelte sich wegk, schließlich setzte sich überwiegend die Form Weg
durch, was die Aussprache mit langem Vokal begünstigte. Obwohl das
Substantiv vereinzelt auch mit einem kurzen Vokal vorkam (Reim: Weg – Zweck), war ein solcher weitaus häufiger beim Adverb weg.
Besonders in süddeutschen Quellen (z. B. bei Grimmelshausen) wurde die
Länge des Vokals oft und bis in die neuhochdeutsche Zeit durch ee angegeben; so findet sich das Substantiv in der Schreibung Weeg etwa in Schillers Die Räuber und in den Briefen und Tagebüchern Goethes.
Im Gegensatz zu dieser Entwicklung blieben beim Adverb weg die
Kürze des Vokals und die Auslautverhärtung erhalten. Der kurze Vokal
ist durch zahlreiche Reime zu belegen (vor allem aus dem 16. und 17.
Jh.), in denen weg zumeist in der Schreibung weck, auch wegk, vorkommt: Speck, keck – hinweg, schleck – wegck, wegk – Dreck etc (vgl. Deutsches Wörterbuch
der Brüder Grimm). In einem Gedicht von Brentano finden sich folgende
Zeilen: »Französische Nägel sind weich wie a Dreck – Kaum trifft sie der
Schlegel, so ist der Kopf wegk« (Tiroler Wetter und Barometter beim Aufstand gegen die Franzosen, 1813). Obgleich die Schreibungen weck und wegk deutlicher auf die sich durchsetzende Aussprache mit kurzem Vokal schließen lassen, wurde auch für das Adverb schließlich weg
die gewöhnliche Form. Hierzu mag beigetragen haben, dass Luther in
seiner Bibelübersetzung durchgehend diese Form wählte. Zwar kamen weck und wegk noch bis ins 17. Jahrhundert vor, verschwanden dann jedoch allmählich.
Die Aussprache von Weg mit langem Vokal und weg mit
kurzem Vokal hat sich also bereits relativ früh entwickelt, und trotz
einiger Umwege haben sie – plausibel oder nicht – schließlich auch im
Schriftbild die gleiche Form erhalten. Diese lässt zwar auf ihren
gemeinsamen Ursprung schließen, doch obwohl die Unterscheidung durch die
Großschreibung des Substantivs und die Kleinschreibung des Adverbs
erleichtert wird, können sich hier immer wieder Schwierigkeiten ergeben,
etwa wenn Substantive mit dem Adverb weg zusammengesetzt sind: Weggang, Wegfall, Wegfahrsperre, Wegnahme, oder wenn Adjektive vom Substantiv Weg abzuleiten sind: weglos, wegkundig, wegsam, wegweisen.
Derartige Stolpersteine und Verwirrungen fallen durch die verschiedene
Aussprache von Substantiv und Adverb im lautlichen Bereich freilich
»weg«.
Der Überzieher |
Kennen Sie denn die Geschichte
von dem Überzieher schon,
den sich kaufte der Herr Fichte
bei der Firma Stern und Sohn?
Dieser Paletot war`n Prachtstück,
und der Preis war garnicht stark:
Neunundvierzig Mark und achtzig -
nicht mal ganze fünfzig Mark.
Der Herr Stern sprach:
"Sei`n Se froh!
`s ist mein schönster Paletot.
Geb`n Sie acht - auf die Pracht;
`s wird gestohln - bei Tag und Nacht.
Sind Se mal - im Lokal,
häng`n Se`n vor sich auf im Saal.
Schau`n Se `n dann - immer an,
bleibt der Überzieher dran.
Seh`n Se weg - von dem Fleck,
ist der Überzieher weg!"
Fichte ging ins Wirtshaus leider.
Dort war`n Zettel angebracht:
"`s gibt kein Raum für Überkleider,
jeder Gast geb selber acht!" -
Einen Haken fand Herr Fichte
hinten nur - `s war ärgerlich.
Darum dreht er sein Gesichte,
hängt den Mantel hinter sich -
Und nun saß er wie gebannt,
schaute immer nach der Wand.
"Ist er weg - ist er hier?
Ja, da hängt der Überzieh`r.
Ist er hier? Ist er weg?
Nein, er hängt noch auf dem Fleck.
Schau` ich stier - hinter mir,
hab` ich meinen Überzieh`r.
Seh ich weg von dem Fleck,
ist der Überzieher weg."
Fichte rief nun: "Kellner! Essen!"
Der bracht`s Essen ihm und ging.
Nun hat Fichte nicht vergessen,
dass der Mantel hinten hing.
Denn ihm schien - das war gefährlich -
als ob alle Gäste hier
schauten gierig und begehrlich
nur nach seinem Überzieh`r.
Darum kam es, als er aß,
er den Mantel nicht vergaß.
Essen hier - da das Bier
und da hängt der Überzieh`r.
Oben kaun - hier verdaun -
und dabei nach hinten schaun.
Schau ich stier - hinter mir,
schmeckt kein Essen und kein Bier.
Seh ich weg - von dem Fleck,
ist der Überzieher weg.
Nun mag sein, durch die Bewegung,
durch das Drehen beim Souper
kam sein Korpus in Erregung,
und er kriegte Magenweh.
"Gut" sagt er, "das geht vorüber,"
Wollt` zu der bewussten Tür,
die ihm grade gegenüber -
"Halt!" denkt er: "der Überzieh`r!"
Setzt sich wieder hin ganz sacht
Und hat kummervoll gedacht:
"Wenn zur Tür - ich marschier,
nimmt man mir den Überzieh`r.
In der Eck - im Versteck -
gehn die Magenschmerzen weg.
Bleib ich hier - im Revier,
bleib`n de Magenschmerzen mir.
Geh ich weg von dem Fleck,
ist der Überzieher weg."
Ja, was gibt es da zu lachen,
gab es sowas wohl schon früher?
Musst man sich da Sorgen machen
wegen einem Überziehr?
Stundenlang konnt` man da sitzen
hinter der bewussten Tür
und braucht` keine Angst zu schwitzen
wegen seinem Überziehr.
Man ging raus, das ist doch klar,
wenn Gefahr im Anzug war.
Man saß froh - anderswo
und da hing der Paletot.
Kam zur Tür - man herfür,
sah man seinen Überziehr.
Spürt man heut innres Leid,
denkt man erst ans Überkleid.
Geht man weg - von dem Fleck,
ist der Überzieher weg.
So dacht Fichte - und blieb sitzen.
Aber schließlich musst er raus.
Plötzlich sprach er: Das wird nützen -
trittst jetzt mit dem Mantel aus!
Brauchst ihn ja nicht anzuziehen,
das erschüttert dich zu sehr.
Nimmst ihn übern Arm beim Fliehen
und kommst nachher wieder her."
Er stand auf und - setzt sich hin;
Alles fuhr ihm durch den Sinn:
"Essen, Bier - kriegt ich hier,
hab noch nicht bezahlt dafür.
Magenschmerz drückt mein Herz
und der Kellner anderwärts.
Wart ich prompt - bis er kommt,
Weiß ich nicht ob mir`s bekommt.
Geh ich weg von dem Fleck,
ist der Überzieher weg.
Nehm ich mir - `n Überziehr
übern Arm, schaut man nach mir.
Denn der Raum, der mein Traum,
ist zwei Schritt vom Ausgang kaum.
Steh ich auf - und ich lauf
mit dem Rock - hält man mich auf!
"Nicht vom Fleck! - Der will keck
mit `nem Überzieher weg."
Alles schwirrt und kracht und klirrt,
bis der Wirt gerufen wird.
Schließlich irrt - auch der Wirt,
Schimpft mit mir und wird verwirrt.
`s kommt ein Gast - und der fasst
meinen Mantel voller Hast.
Mit Gespür hin zur Tür
rennt durch den Gang herfür
und ruft keck: Dieser Geck
nahm mir `n Überzieher weg!
Will ich dann - zu dem ran,
kommt der Kellner hinten an:
"Bleibn Se hier! - Nicht zur Tür!
Zahln Se erst die Zeche mir!"
Bis ich zahl - voller Qual,
ist der raus aus dem Lokal.
Ich am Fleck - ohne Zweck
und der Überzieher weg.
Was ich tu: es ist verkehrt,
alles bleibt mir so verwehrt!
Bis ich näher - das erklär,
dazu drängt die Zeit zu sehr.
Das Malheur - kommt vorher:
Hab` den Gang nicht nötig mehr.
Wie ich`s mach - `s gibt `n Krach,
ja da hilft kein Weh und Ach!
Hab` den Schreck - und den Dreck
und den Überzieher weg!
|
Otto Reuter
Mittwoch, 15. August 2012
Die Sowjetunion ist weg - Sergei Krikaljow
Sergei Konstantinowitsch Krikaljow, "der letzte Bürger der UdSSR", verbrachte 310 Tage vom Mai 1991 bis zum März 1992, auf, oder besser, in der Raumstation Mir. Er startete in der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik und landete in der unabhängigen Kasachischen Republik, seine Heimatstadt Leningrad hieß mitlerweile Sankt Petersburg, die UdSSR war aufgelöst worden. Sein Kollege Alexander Volkow startete ebenfalls als Sowjetbürger und kam als Russe zurück.
Wiki sagt: Am 11. März 1990 erklärte zunächst Litauen, am 9. April 1991 Georgien sowie am 20. und 21. August 1991 Estland und Lettland ihre Unabhängigkeit von der UdSSR. Es folgten am 24., 25., 27. und 31. August 1991 Belarus, Ukraine, Moldawien und Kirgisistan, am 1., 9. und 21. September 1991 Usbekistan, Tadschikistan und Armenien, am 18. und 27. Oktober 1991 Aserbaidschan und Turkmenistan sowie am 16. Dezember 1991 Kasachstan. Die Russische SFSR erklärte im Dezember 1991 formal ihre Souveränität, nicht aber die Unabhängigkeit von der Sowjetunion, was die Überleitung der Außenbeziehungen der alten Sowjetunion auf die neu entstandene Russische Föderation erleichterte. Boris Jelzin, der in der ersten demokratischen Präsidentschaftswahl des Landes am 12. Juni 1991 zum Präsidenten Russlands gewählt wurde, übernahm die Kontrolle über Medien und Schlüsselministerien. Schrittweise demontierte und entmachtete er Präsident Gorbatschow, der am 25. Dezember 1991 als Präsident der UdSSR zurücktrat und die Amtsgeschäfte an Jelzin als Präsidenten der Russischen Föderation übergab. Symbolträchtig wurde um 19:32 Uhr Moskauer Zeit die Flagge der Sowjetunion mit Hammer und Sichel eingeholt und die weiß-blau-rote Flagge Russlands aufgezogen. Schließlich vollzog der Oberste Sowjet am 26. Dezember 1991 per Beschluss die Auflösung der Sowjetunion als Völkerrechtssubjekt.
Vor dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre im Frühling 1992 wurde Krikaljow von einer russischen Filmcrew über Satellit interviewt.
Reporter: Als sie losflogen, existierte die Sowjetunion noch, nun ist es Russland. Gorbatschow war an der Macht, jetzt ist es Jelzin. ... Welche dieser Veränderungen hat Sie am meisten überrascht?
Krikaljow: Was mich am meisten überrascht? Dass die Erde zuerst dunkel war und jetzt ist sie weiß. Winter ist gekommen und davor war Sommer. Jetzt beginnt es wieder zu blühen. Das ist die beeindruckendste Veränderung die man aus dem Weltall beobachten kann.
Insgesamt verbrachte Krikaljow 803 Tage 9 Stunden und 41 Minuten im All, davon 41 Stunden und 46 Minuten außerhalb der Raumstation bei Außenbordeinsätzen.
Im April 1989 wurde ihm die Auszeichnung Held der Sowjetunion verliehen.
Im April 1992 wurde ihm die Auszeichnung Held der Russischen Föderation verliehen.
Seit dem Jahre 2009 ist er Leiter des inzwischen zivilen Juri-Gagarin-Kosmonautentrainingszentrums.
© NASA/SCIENCE PHOTO LIBRARY
Out of the Present - Dokumentarfilm zum Thema
"Die letzte Nachricht des Kosmonauten an die Frau die er einst in der früheren Sowjetunion liebte" ist ein Stück des Briten David Greig, dass auf Krikaljows Geschichte basiert, leider ist die Handlung in etwa so langwierig wie der Titel und noch weniger poetisch.
Montag, 13. August 2012
Die Mauer ist weg - Zur Erinnerung
Walter Ulbricht am 15. Juni 1961:
"Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten."
© picture-alliance/ dpa
51 Jahre sind es, seitdem eine Mauer quer durch Berlin und später durch das ganze vormals Deutschland genannte Land gebaut wurde.
Brief von Günter Grass an Anna Seghers
Berlin, am 14. August 1961
An die Vorsitzende
des Deutschen Schriftstellerverbandes in der DDR
Verehrte Frau Anna Seghers,
als mich gestern eine der uns deutschen so vertrauten und geläufigen plötzlichen Aktionen mit Panzernebengeräuschen, Rundfunkkommentaren und obligater Beethoven-Symphonie wach werden ließ, als ich nicht glauben wollte, was ein Radiogerät mir zum Frühstück servierte, fuhr ich zum Bahnhof Friedrichstraße, ging zum Brandenburger Tor und sah mich den unverkennbaren Attributen der nackten und dennoch nach Schweinsleder stinkenden Gewalt gegenüber. Ich habe, sobald ich mich in Gefahr befinde - oftmals überängstlich, wie alle gebrannten Kinder - die Neigung, um Hilfe zu schreien. Ich kramte im Kopf und im Herzen nach Namen, nach hilfeverheißenden Namen; und Ihr Name, verehrte Frau Anna Seghers, wurde mir zum Strohhalm, den zu fassen ich nicht ablassen will.
Sie waren es, die meine Generation oder jeden, der ein Ohr hatte, nach jenem nicht zu vergessenden Krieg unterrichtete, Recht und Unrecht zu unterscheiden; Ihr Buch, Das siebte Kreuz, hat mich geformt, hat meinen Blick geschärft und läßt mich heute die Globke und Schröder in jeder Verkleidung erkennen, sie mögen Humanisten, Christen oder Aktivisten heißen. Die Angst Ihres Georg Heisler hat sich mir unverkäuflich mitgeteilt; nur heißt der Kommandant des Konzentrationslagers heute nicht mehr Fahrenberg, er heißt Walter Ulbricht und steht Ihrem Staat vor. Ich bin nicht Klaus Mann, und Ihr Geist ist dem Geist des Faschisten Gottfried Benn gegengesetzt, trotzdem berufe ich mich mit der Anmaßung meiner Generation auf jenen Brief, den Klaus Mann am 9. Mai 1933 an Gottfried Benn richtete. Für Sie und für mich mache ich aus dem 9. Mai der beiden toten Männer einen lebendigen 14. August 1961: Es darf nicht sein, daß Sie, die Sie bis heute vielen Menschen der Begriff aller Auflehnung gegen die Gewalt sind, dem Irrationalismus eines Gottfried Benn verfallen und die Gewalttätigkeit einer Diktatur verkennen, die sich mit Ihrem Traum vom Sozialismus und Kommunismus, den ich nicht träume, aber wie jeden Traum respektiere, notdürftig und dennoch geschickt verkleidet hat.
Vertrösten Sie mich nicht auf die Zukunft, die, wie Sie als Schriftstellerin wissen, in der Vergangenheit stündlich Auferstehung feiert; bleiben wir beim Heute, beim 14. August 1961. Heute stehen Alpträume als Panzer an der Leipziger Straße, bedrücken jeden Schlaf und bedrohen Bürger, indem sie Bürger schützen wollen. Heute ist es gefährlich, in Ihrem Staat zu leben, ist es unmöglich, Ihren Staat zu verlassen. Heute - und Sie deuten mit Recht auf ihn - bastelt ein Innenminister Schröder an seinem Lieblingsspielzeug: am Notstandsgesetz. Heute - Der Spiegel unterrichtete uns - trifft man in Deggendorf, Niederbayern, Vorbereitungen zu katholisch-antisemitischen Feiertagen. Dieses Heute will ich zu unserem Tag machen: Sie mögen als schwache und starke Frau Ihre Stimme beladen und gegen die Panzer, gegen den gleichen, immer wieder in Deutschland hergestellten Stacheldraht anreden, der einst den Konzentrationslagern Stacheldrahtsicherheit gab; ich aber will nicht müde werden, in Richtung Westen zu sprechen: nach Deggendorf in Niederbayern will ich ziehen und in eine Kirche spucken, die den gemalten Antisemitismus zur Altar erhoben hat.
Dieser Brief, verehrte Frau Anna Seghers, muß ein "offener Brief" sein. Das Brieforiginal schicke ich Ihnen über den Schriftstellerverband in Ostberlin. Mit der Bitte um Veröffentlichung schicke ich einen Durchschlag an die Tageszeitung Neues Deutschland, einen zweiten Durchschlag an die Wochenzeitung Die Zeit.
Hilfesuchend grüßt Sie
Günter Grass
An die Vorsitzende
des Deutschen Schriftstellerverbandes in der DDR
Verehrte Frau Anna Seghers,
als mich gestern eine der uns deutschen so vertrauten und geläufigen plötzlichen Aktionen mit Panzernebengeräuschen, Rundfunkkommentaren und obligater Beethoven-Symphonie wach werden ließ, als ich nicht glauben wollte, was ein Radiogerät mir zum Frühstück servierte, fuhr ich zum Bahnhof Friedrichstraße, ging zum Brandenburger Tor und sah mich den unverkennbaren Attributen der nackten und dennoch nach Schweinsleder stinkenden Gewalt gegenüber. Ich habe, sobald ich mich in Gefahr befinde - oftmals überängstlich, wie alle gebrannten Kinder - die Neigung, um Hilfe zu schreien. Ich kramte im Kopf und im Herzen nach Namen, nach hilfeverheißenden Namen; und Ihr Name, verehrte Frau Anna Seghers, wurde mir zum Strohhalm, den zu fassen ich nicht ablassen will.
Sie waren es, die meine Generation oder jeden, der ein Ohr hatte, nach jenem nicht zu vergessenden Krieg unterrichtete, Recht und Unrecht zu unterscheiden; Ihr Buch, Das siebte Kreuz, hat mich geformt, hat meinen Blick geschärft und läßt mich heute die Globke und Schröder in jeder Verkleidung erkennen, sie mögen Humanisten, Christen oder Aktivisten heißen. Die Angst Ihres Georg Heisler hat sich mir unverkäuflich mitgeteilt; nur heißt der Kommandant des Konzentrationslagers heute nicht mehr Fahrenberg, er heißt Walter Ulbricht und steht Ihrem Staat vor. Ich bin nicht Klaus Mann, und Ihr Geist ist dem Geist des Faschisten Gottfried Benn gegengesetzt, trotzdem berufe ich mich mit der Anmaßung meiner Generation auf jenen Brief, den Klaus Mann am 9. Mai 1933 an Gottfried Benn richtete. Für Sie und für mich mache ich aus dem 9. Mai der beiden toten Männer einen lebendigen 14. August 1961: Es darf nicht sein, daß Sie, die Sie bis heute vielen Menschen der Begriff aller Auflehnung gegen die Gewalt sind, dem Irrationalismus eines Gottfried Benn verfallen und die Gewalttätigkeit einer Diktatur verkennen, die sich mit Ihrem Traum vom Sozialismus und Kommunismus, den ich nicht träume, aber wie jeden Traum respektiere, notdürftig und dennoch geschickt verkleidet hat.
Vertrösten Sie mich nicht auf die Zukunft, die, wie Sie als Schriftstellerin wissen, in der Vergangenheit stündlich Auferstehung feiert; bleiben wir beim Heute, beim 14. August 1961. Heute stehen Alpträume als Panzer an der Leipziger Straße, bedrücken jeden Schlaf und bedrohen Bürger, indem sie Bürger schützen wollen. Heute ist es gefährlich, in Ihrem Staat zu leben, ist es unmöglich, Ihren Staat zu verlassen. Heute - und Sie deuten mit Recht auf ihn - bastelt ein Innenminister Schröder an seinem Lieblingsspielzeug: am Notstandsgesetz. Heute - Der Spiegel unterrichtete uns - trifft man in Deggendorf, Niederbayern, Vorbereitungen zu katholisch-antisemitischen Feiertagen. Dieses Heute will ich zu unserem Tag machen: Sie mögen als schwache und starke Frau Ihre Stimme beladen und gegen die Panzer, gegen den gleichen, immer wieder in Deutschland hergestellten Stacheldraht anreden, der einst den Konzentrationslagern Stacheldrahtsicherheit gab; ich aber will nicht müde werden, in Richtung Westen zu sprechen: nach Deggendorf in Niederbayern will ich ziehen und in eine Kirche spucken, die den gemalten Antisemitismus zur Altar erhoben hat.
Dieser Brief, verehrte Frau Anna Seghers, muß ein "offener Brief" sein. Das Brieforiginal schicke ich Ihnen über den Schriftstellerverband in Ostberlin. Mit der Bitte um Veröffentlichung schicke ich einen Durchschlag an die Tageszeitung Neues Deutschland, einen zweiten Durchschlag an die Wochenzeitung Die Zeit.
Hilfesuchend grüßt Sie
Günter Grass
Quelle: Hans Werner Richter (Hg.), Die Mauer oder Der 13. August, Reinbek 1961, S. 62-64
Schießbefehl der Einsatzkompanie der Hauptabteilung I „NVA und Grenztruppen“ des MfS, Seite 2 1977
Sogleich strengt jeder Arm sich an,
die Mauer wird getheilt, die Stadt ist aufgethan.
Schiller Zerstörung von Troja
die Mauer wird getheilt, die Stadt ist aufgethan.
Schiller Zerstörung von Troja
Sonntag, 12. August 2012
Alle Freunde weg
Heute morgen bin ich aufgewacht und hatte meine (facebook-) Freunde verloren, alle.
Ein Unbekannter in Hamburg hatte sich damit vergnügt meine facebook-Seite zu hacken und daraufhin hat facebook aka Herr Zuckerberg die Seite gesperrt. Nun bin nicht einmal ich eitel genug anzunehmen, meine Mitteilungen über Kinobesuche und Bilder von lustigen Tieren seien so interessant, dass sich der fremde Hacker die Mühe machen würde, nur um in den Besitz derselben zu gelangen. Will er wohl Herrn Zuckerberg ärgern!
Nun habe ich einen neuen Account und sammle meine (facebook-) Freunde wieder zusammen, wie die verstreuten Schäfchen einer Herde. Nur dass eigentlich ich verstreut war.
Und nebenbei habe ich bemerkt, dass ich facebook und meine dortigen Freunde vermisst hätte. Ich höre viel Genörgel und gutgemeinte Warnungen über die Gefahren sozialer Netzwerke, manches mit Recht, vieles voll Panikmache und Unverstand, aber oft wird übersehen, dass es halt SOZIALE Netze sind. Man kann dort gut quatschen, rumalbern, Nebensächliches und Interessantes erfahren und selbst mitteilen. In Zeiten, in denen viele viel unterwegs sind, reichlich arbeiten und wenig Zeit haben, ist facebook ein guter Ort für das, was früher am örtlichen Brunnen, im Tante-Emma-Laden und auf der Post stattfand Das soziale Gefüge wird geölt mit Wortaustausch.
AGFA Werbung: Junge Leute am Dorfbrunnen
Freitag, 10. August 2012
Weltmäusetag - Der Gerechtigkeit halber
Von Mäusen und Menschen
1972 veröffentlichte Art Spiegelman, ein amerikanischer Cartoonist, im Magazin "Lustige Tiere" ("Funny Animals") einen dreiseitigen Comic-Strip über die beängstigenden Gutenachtgeschichten, die sein Vater Vladek, ein polnischer Jude und Überlebender der Hölle von Ausschwitz, ihm über das Leben in der alten Heimat während des Krieges erzählt hatte. Spiegelman zeichnete die Juden als Mäuse und die Deutschen als Katzen. Das später veröffentlichte erste Mausbuch hat den Titel: "Mein Vater kotzt Geschichte aus"
© Art Spiegelman
“Micky Maus ist das schändlichste Vorbild, das je erfunden wurde …
Das gesunde Empfinden sagt jedem denkenden Heranwachsenden und jedem
rechtschaffenen Jüngling, dass dieses ekelhafte, schmutzige Ungeziefer,
dieser größte Bakterienüberträger im ganzen Tierreich niemals ein
vorbildliches Tier sein kann … Schluss mit der Verrohung der Völker
durch die Juden! Nieder mit Micky Maus! Tragt das Hakenkreuz!”
Zeitungsartikel, Pommern, Mitte der 30er Jahre.
© Art Spiegelman
Bernhard und Bianca, die Maus aus der Sendung mit derselben, Disneys Mickey Mouse, Feivel der Mausewanderer, Tom und Jerry, Art Spiegelmans jüdische Mäuse und mein persönlicher Liebling:
Speedy Gonzales, die schnellste Maus von Mexiko, die Zahl der
kulturell einflußreichen Mäuse ist verblüffend, dabei sollten die Mäuse in Portemonnaie und auf der Bank nicht unerwähnt bleiben. Mausi ist ein beliebter Kosename, Mäuschen desgleichen. Andererseits ge- und mißbrauchen wir millionenfach Mäuse in Laboratorien zur Erforschung lebenswichtiger Medikamente und zum Testen alberner Lippenstifte.
Meine Katze Emma hat mir oft, als Zeichen ihrer Zuneigung, zauberhafte besonders kleine Feldmäuse zum Geschenk gemacht und aus mädchenhafter Zickerei habe ich ihre Gaben unter leichtem Kreischen immer wieder abgewiesen.
Und weil halt die MAUS keinen internationalen Feiertag bekommen hat, widme ich ihr diesen heutigen Blog.
Eine St. Andrews Strand Maus
An eine Maus, die er mit ihrem Neste aufgepflügt hatte.
Klein, furchtsam Tierchen! welch ein Schrecken
Erfüllt dein Brüstchen, so durch Hecken
Und Furchen dich zum Lauf zu strecken?
Bleib! nicht so jach!
Nicht setz' ich mit dem Pflügerstecken
Grausam dir nach!
Erfüllt dein Brüstchen, so durch Hecken
Und Furchen dich zum Lauf zu strecken?
Bleib! nicht so jach!
Nicht setz' ich mit dem Pflügerstecken
Grausam dir nach!
Der Mensch – betrübt gesteh' ich's ein! –
Brach der Natur geselligen Reih'n!
Mißtrauisch drum fliehst du feldein:
Voll Frucht, dir schade
Dein armer Mitgeschaffner – dem
Staubkamerade! *
Brach der Natur geselligen Reih'n!
Mißtrauisch drum fliehst du feldein:
Voll Frucht, dir schade
Dein armer Mitgeschaffner – dem
Staubkamerade! *
Mag sein, du gehst auf Diebstahl aus;
Gut! mußt ja leben, kleine Maus!
Manchmal vom Schock ein Ährchen kraus
Ist klein Begehren!
Der Rest bringt Segen mir ins Haus –
Ich kann's entbehren!
Gut! mußt ja leben, kleine Maus!
Manchmal vom Schock ein Ährchen kraus
Ist klein Begehren!
Der Rest bringt Segen mir ins Haus –
Ich kann's entbehren!
Dein klein arm Häuschen auch zerstört!
Sein töricht Dach der Sturm durchfährt!
Und nirgend Grün mehr, neuen Herd
Dir zu begründen!
Da Christtag bald die Fluren kehrt
Mit eis'gen Winden!
Sein töricht Dach der Sturm durchfährt!
Und nirgend Grün mehr, neuen Herd
Dir zu begründen!
Da Christtag bald die Fluren kehrt
Mit eis'gen Winden!
Du sahst die Felder öde schier,
Den langen Winter vor der Tür,
Und sprachst: »Geschützt und kosig hier
Halt' ich es aus!«
Als, krach! die böse Pflugschar dir
Grad fuhr durchs Haus!
Den langen Winter vor der Tür,
Und sprachst: »Geschützt und kosig hier
Halt' ich es aus!«
Als, krach! die böse Pflugschar dir
Grad fuhr durchs Haus!
Von Laub und Stroh dein Nestchen klein,
Manch mühsam Knuspern trug's dir ein!
Und nun mußt du vertrieben sein
Für all' dein Müh'n,
Und mußt hinaus in nasses Schnei'n
Und Rauhfrost zieh'n!
Manch mühsam Knuspern trug's dir ein!
Und nun mußt du vertrieben sein
Für all' dein Müh'n,
Und mußt hinaus in nasses Schnei'n
Und Rauhfrost zieh'n!
* Doch, Mäuschen, mehr schon ist zerronnen
In nichts, was Vorsicht klug ersonnen!
Was Mäuse und Menschen fein gesponnen,
Geht scheitern oft,
Und läßt uns Gram nur statt der Wonnen,
Die wir gehofft!
In nichts, was Vorsicht klug ersonnen!
Was Mäuse und Menschen fein gesponnen,
Geht scheitern oft,
Und läßt uns Gram nur statt der Wonnen,
Die wir gehofft!
Doch bist du glücklich gegen mich!
Die Gegenwart nur kümmert dich:
Doch, o! des Pfads, wenn rückwärts ich
Mein Auge schlage!
Und vor mir, türmt auch Dunkel sich,
Ahn' ich und zage!
Die Gegenwart nur kümmert dich:
Doch, o! des Pfads, wenn rückwärts ich
Mein Auge schlage!
Und vor mir, türmt auch Dunkel sich,
Ahn' ich und zage!
Robert Burns
Übersetzung Ferdinand Freiligrath
* Fürwahr mich dauert des Menschen Herrschaft
die zerbrach die natürliche Gemeinschaft
und die bestätigt die üble Meinung
die dich erschrecken läßt
über mich, mein armer erdbürtiger Genosse
und Bruder im Tode.
Übersetzer unbekannt
die zerbrach die natürliche Gemeinschaft
und die bestätigt die üble Meinung
die dich erschrecken läßt
über mich, mein armer erdbürtiger Genosse
und Bruder im Tode.
Übersetzer unbekannt
Mittwoch, 8. August 2012
Weltkatzentag
Thomas Gainsborough zwischen 1763 und 1770 6 Katzenstudien
KLEINE KATZEN
Kleine Katzen sind so drollig
und so wollig und so mollig,
daß man sie am liebsten küßt.
Aber auch die kleinen Katzen
haben Tatzen, welche kratzen.
Also Vorsicht! Daß ihr's wißt!
Kleine Katzen wollen tollen
und wie Wolleknäuel rollen.
Das sieht sehr possierlich aus.
Doch die kleinen Katzen wollen
bei dem Tollen und dem Rollen
fangen lernen eine Maus.
Kleine Katzen sind so niedlich
und so friedlich und gemütlich.
Aber schaut sie richtig an:
Jedes Sätzchen auf den Tätzchen
hilft, daß aus dem süßen Kätzchen
mal ein Raubtier werden kann.
und so wollig und so mollig,
daß man sie am liebsten küßt.
Aber auch die kleinen Katzen
haben Tatzen, welche kratzen.
Also Vorsicht! Daß ihr's wißt!
Kleine Katzen wollen tollen
und wie Wolleknäuel rollen.
Das sieht sehr possierlich aus.
Doch die kleinen Katzen wollen
bei dem Tollen und dem Rollen
fangen lernen eine Maus.
Kleine Katzen sind so niedlich
und so friedlich und gemütlich.
Aber schaut sie richtig an:
Jedes Sätzchen auf den Tätzchen
hilft, daß aus dem süßen Kätzchen
mal ein Raubtier werden kann.
James Krüss
Pablo Picasso 1939 Katze verschlingt Vogel
Pablo Picasso 1939 Verletzter Vogel und Katze
Katze und Maus in Gesellschaft
Eine Katze hatte Bekanntschaft mit einer Maus gemacht und ihr soviel von großer Liebe und Freundschaft vorgesagt, die sie zu ihr trüge, daß die Maus endlich einwilligte, mit ihr zusammen in einem Haus zu wohnen und gemeinschaftliche Wirtschaft zu führen. "Aber für den Winter müssen wir Vorsorge tragen, sonst leiden wir Hunger", sagte die Katze. "Du, Mäuschen, kannst dich nicht überallhin wagen und gerätst mir am Ende in eine Falle." Der gute Rat wurde also befolgt und ein Töpfchen mit Fett angekauft. Sie wußten aber nicht, wohin sie es stellen sollten. Endlich, nach langer Überlegung, sprach die Katze: "Ich weiß keinen Ort, wo es besser aufgehoben wäre, als die Kirche; da getraut sich niemand etwas wegzunehmen. Wir stellen es unter den Altar und rühren es nicht eher an, als bis wir es nötig haben." Das Töpfchen wurde also in Sicherheit gebracht. Aber es dauerte nicht lange, so trug die Katze Gelüste danach und sprach zur Maus: "Was ich dir sagen wollte, Mäuschen, ich bin von meiner Base zum Gevatter gebeten. Sie hat ein Söhnchen zur Welt gebracht, weiß mit braunen Flecken, das soll ich über die Taufe halten. Laß mich heute ausgehen und besorge du das Haus allein!"
Eine Katze hatte Bekanntschaft mit einer Maus gemacht und ihr soviel von großer Liebe und Freundschaft vorgesagt, die sie zu ihr trüge, daß die Maus endlich einwilligte, mit ihr zusammen in einem Haus zu wohnen und gemeinschaftliche Wirtschaft zu führen. "Aber für den Winter müssen wir Vorsorge tragen, sonst leiden wir Hunger", sagte die Katze. "Du, Mäuschen, kannst dich nicht überallhin wagen und gerätst mir am Ende in eine Falle." Der gute Rat wurde also befolgt und ein Töpfchen mit Fett angekauft. Sie wußten aber nicht, wohin sie es stellen sollten. Endlich, nach langer Überlegung, sprach die Katze: "Ich weiß keinen Ort, wo es besser aufgehoben wäre, als die Kirche; da getraut sich niemand etwas wegzunehmen. Wir stellen es unter den Altar und rühren es nicht eher an, als bis wir es nötig haben." Das Töpfchen wurde also in Sicherheit gebracht. Aber es dauerte nicht lange, so trug die Katze Gelüste danach und sprach zur Maus: "Was ich dir sagen wollte, Mäuschen, ich bin von meiner Base zum Gevatter gebeten. Sie hat ein Söhnchen zur Welt gebracht, weiß mit braunen Flecken, das soll ich über die Taufe halten. Laß mich heute ausgehen und besorge du das Haus allein!"
"Ja, ja", antwortete die Maus, "geh
in Gottes Namen! Wenn du was Gutes ißt, so denk an mich! Von
dem süßen roten Festwein tränk ich auch gern ein
Tröpfchen!"
Es war aber alles nicht wahr. Die Katze hatte keine
Base und war nicht zum Gevatter gebeten. Sie ging geradewegs nach
der Kirche, schlich zu dem Fettöpfchen und leckte die fette
Haut ab. Dann machte sie einen Spaziergang auf den Dächern
der Stadt, streckte sich hernach in der Sonne aus und wischte sich
den Bart, sooft sie an das Fettöpfchen dachte. Erst als es
Abend war, kam sie wieder nach Hause. "Nun, da bist du ja wieder!"
sagte die Maus. "Du hast gewiß einen lustigen Tag gehabt."
"Es ging an", antwortete die Katze. "Was
hat denn das Kind für einen Namen bekommen?" fragte die
Maus.
"Hautab", sagte die Katze ganz trocken.
"Hautab", rief die Maus, "das ist
ja ein seltsamer Name! Ist der in eurer Familie gebräuchlich?"
"Was ist da weiter!" sagte die Katze.
"Er ist nicht schlechter als Bröseldieb, wie deine Paten
heißen."
Nicht lange danach überkam die Katze wieder
ein Gelüste. Sie sprach zur Maus: "Du mußt mir den
Gefallen tun und nochmals das Hauswesen allein besorgen; ich bin
zum zweitenmal zum Gevatter gebeten, und da das Kind einen weißen
Ring um den Hals hat, so kann ich's nicht abschlagen." Die
gute Maus willigte ein, die Katze aber schlich hinter der Stadtmauer
zu der Kirche und fraß den Fettopf halb aus. "Es schmeckt
nichts besser", sagte sie, "als was man selber ißt",
und war mit ihrem Tagewerk ganz zufrieden.
Als sie heimkam, fragte die Maus: "Wie ist
denn dieses Kind getauft worden?"
"Halbaus", antwortete die Katze.
"Halbaus! Was du sagst! Den Namen habe ich
mein Lebtag noch nicht gehört. Ich wette, der steht nicht im
Kalender."
Der Katze wässerte das Maul bald wieder nach
der Leckerei. "Aller guten Dinge sind drei", sprach sie
zu der Maus. "Ich soll wieder Gevatter stehen. Das Kind ist
ganz schwarz und hat bloß weiße Pfoten, sonst kein weißes
Haar am ganzen Leib. Das trifft sich alle paar Jahre nur einmal.
Du lässest mich doch ausgehen?"
"Hautab, Halbaus", antwortete die Maus,
"es sind seltsame Namen, die machen mich nachdenklich."
"Da sitzest du daheim in deinem dunkelgrauen
Flausrock und deinem langen Haarzopf", sprach die Katze, "und
fängst Grillen. Das kommt davon, wenn man bei Tag nicht ausgeht!"
Die Maus räumte während der Abwesenheit
der Katze auf und brachte das Haus in Ordnung; die naschhafte Katze
aber fraß den Fettopf rein aus. "Wenn erst alles aufgezehrt
ist, so hat man Ruhe", sagte sie zu sich selbst und kam satt
und dick erst in der Nacht nach Hause. Die Maus fragte gleich nach
dem Namen, den das dritte Kind bekommen habe. "Er wird dir
wohl auch nicht gefallen", sagte die Katze; "er heißt
Ganzaus."
"Ganzaus!" rief die Maus. "Was soll
das bedeuten?" Sie schüttelte den Kopf, rollte sich zusammen
und legte sich schlafen.
Von nun an wollte niemand mehr die Katze zum Gevatter
bitten. Als aber der Winter herangekommen und draußen nichts
mehr zu finden war, gedachte die Maus ihres Vorrats und sprach:
"Komm, Katze, wir wollen zu unserm Fettopf gehen, den wir uns
aufgespart haben! Der wird uns schmecken."
"Jawohl", erwiderte die Katze, "der
wird dir schmecken, als wenn du deine feine Zunge zum Fenster hinausstreckst."
Sie machten sich auf den Weg, und als sie anlangten,
stand zwar der Fettopf noch an seinem Platz, war aber leer.
"Ach", sagte die Maus, "jetzt merke
ich, was geschehen ist! jetzt kommt's an den Tag. Du bist mir eine
wahre Freundin! Aufgefressen hast du alles, während du behauptetest,
Gevatter zu stehen: erst Haut ab, dann halb aus, dann..."
"Willst du schweigen!" rief die Katze.
"Noch ein Wort, und ich fresse dich auf!"
"Ganz aus", hatte die arme Maus schon
auf der Zunge. Kaum war es heraus, tat die Katze einen Satz nach
ihr, packte sie und schlang sie hinunter.
Aus den Märchen der Brüder Grimm
Lasst uns über Bäume reden
Griechenland ist pleite und was tut es? Es unternimmt Razzien gegen illegale Einwanderer. Texas richtet einen geistig behinderten Mann hin und begründet es mit einer Figur aus dem Steinbeck-Roman "Von Mäusen und Menschen". Mitt Romney fährt nach Israel und schmaddert verbale Unterstützung für einen Erstschlag gegen Iran in den Äther. Der Mann, der in Colorado zwölf Kinobesucher niedergemetzelt hat, verkleidet sich dafür als waffenstarrende Comic-Figur, ein anderer Mann erschießt Sikhs, weil er sie für Muslims hält. Ein ehemaliger Geschäftsführer von Lehman Brothers verteidigt sein Jahresgehalt von 484 Millionen vor einem Kongressausschuss mit der Qualität seiner Arbeit.
"Wenn es hart auf hart kommt, diese ... zivilisierten Leute, fressen einander. Sieh, ich bin kein Monster, ich bin nur meiner Zeit voraus."
"When the chips are down, these... these civilized people, they'll eat
each other. See, I'm not a monster. I'm just ahead of the curve." The Dark Knight 2008
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Was sind das für Zeiten, woEin Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen istWeil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!B. Brecht "An die Nachgeborenen"
Was Sind das für Zeiten
Da ist ein Ort zwischen Reihen junger Bäume wo das Gras bergauf wächst.
und die alte Revolutions-Strasse in Schatten endet
nah einem Treffpunkt von den Verfolgten aufgegeben
die in jene Schatten verschwanden.
Dort bin ich Pilze sammeln gegangen am Abgrund der Angst, aber täuscht euch nicht
dies ist kein russsches Gedicht, dies ist nicht irgendwo anders, sondern hier,
unser Land sich der eigenen Wahrheit und Angst nähernd
der eigenen Art Menschen verschwinden zu lassen
Ich werde euch nicht sagen wo der Ort ist, das dunkle Netz der Bäume
das den unbezeichneten Streifen von Licht trifft-
Kreuzungen voller Gespenster, Paradies faulender Blätter:
Ich weiß schon, wer es kaufen, verkaufen, verschwinden lassen will.
Und ich werde euch nicht sagen wo es ist, also warum sage ich euch
überhaupt etwas? Weil ihr noch zuhört, weil man, damit ihr zuhört,
in Zeiten wie diesen,
über Bäume reden muss.
Toter Baum 2007 (Carpinteria, CA)© All Rights Reserved
What Kind of Times Are These
There's a place between two stands of trees where the grass grows uphill
and the old revolutionary road breaks off into shadows
near a meeting-house abandoned by the persecuted
who disappeared into those shadows.
I've walked there picking mushrooms at the edge of dread, but don't be fooled
this isn't a Russian poem, this is not somewhere else but here,
our country moving closer to its own truth and dread,
its own ways of making people disappear.
I won't tell you where the place is, the dark mesh of the woods
meeting the unmarked strip of light—
ghost-ridden crossroads, leafmold paradise:
I know already who wants to buy it, sell it, make it disappear.
And I won't tell you where it is, so why do I tell you
anything? Because you still listen, because in times like these
to have you listen at all, it's necessary
to talk about trees.
Adrienne Rich
Dienstag, 7. August 2012
Edward Burtynsky - Photograph
Da geht man durch eine vielgepriesene und vorbeschimpfte Ausstellung im C/O Berlin in der Oranienburger Strasse, Photographien von Larry Clark, Amerikaner aus Tulsa/Oklahoma, und man liest, dass er seit 50 Jahren Jugendliche abbildet, oft nackt, oft sich eine Spritze setzend, oft so wie man sich das vorstellt und die erwartete, vorangekündigte Provokation stellt sich nicht ein und man schwatzt und schweift nebensächlich über die teils riesenhaften Computerdrucke, deren matter Nichtglanz leider auch noch nahezu durch Verglasung aufgehoben wird und man will schon gehen und nörgelt vor sich hin und dann im zweiten Stock, rechts, hinten: Edward Burtynskys Bilder, und ich habe mir sagen lassen, dass Andreas Gurski der "Erfinder" dieser Art Bildlichkeit ist, aber da ich den nicht kenne, bin ich hier und jetzt überwältigt.
Schiffsverschrottung #23 (Bangladesch) aus der Schiffs-Serie © Edward Burtynsky
Wir haben Glück, unsere Augen zeigen uns meist überblickbare Ausschnitte von Welt, Schärfen werden gezogen, Dinge werden übersehen, Focus wird gewählt, sie konfrontieren uns nicht ständig mit der Masse unserer Umwelt, der puren Menge von Dingen, die uns umgeben. Burtynsky sucht danach, findet Orte der Ansammlung, des "Zuviel" und sieht deren schreckliche Schönheit.
VW - Parkplatz © Edward Burtynsky
Der Titel der Ausstellung ist Öl - wo es gebohrt und gefördert, wo es bearbeitet wird, wie Dinge daraus hergestellt werden, und wie diese Dinge verschrottet, in ihre Einzelteile zerlegt werden. Von der Geburt bis zum Tod, nur dass diese Leichen nicht so leicht zerfallen, wie unsere menschlichen es tun, mumifizierte einstige Zukunft.
Golf von Mexiko, Ölspill, 2010 © Edward Burtynsky
Wiki sagt: Die Ölpest im Golf von Mexiko 2010 wurde durch die Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon am 20. April 2010 ausgelöst. Die vom 20. April bis zum 16. Juli 2010 aus dem Bohrloch im Macando-Ölfeld in den Golf ausgetretene Ölmenge wird auf 800 Millionen Liter geschätzt.
Die Plattform wurde von Transocean im Auftrag von BP betrieben.
Aus internen Dokumenten des BP-Konzerns
geht hervor, dass zur Abdichtung des Bohrlochs trotz Warnungen von
Fachleuten bewusst eine kostengünstige Methode mit größerem Risiko von
Gasaustritt gewählt wurde.
Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.
...
Rainer Maria Rilke aus den Duineser Elegien
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