Die Schillerklause befindet sich direkt neben dem Schillertheater, gleich links um die erste Ecke, die genaue Adresse lautet Am Schillertheater 10625 Berlin (Schiller-Ecke Schlüterstraße) in Berlin-Charlottenburg und dieser Ort ist ein überaus kostbares Stück Berliner Geschichte - die klassische berlinische Eckkneipe, Heimat derer, die einfach gern einen trinken und derer, die einen Kummer mit sich rumschleppen und derer, die ihre leere Wohnung nicht aushalten, aber auch von denen, die nur ihren Feierabend gemütlich verbringen wollen.
Beim zweiten Besuch weiß jeder Deinen Namen und Dein Getränk, die Preise sind unüblich menschlich (Der reichhaltige Buffetteller kostet knapp über 4 Euro!) und die Bedienung, nein, die Bewirtung ist geradezu atemberaubend persönlich und freundlich.
Die Wirtin arbeitet auch noch als Nachtkrankenschwester, die eine Kellnerin studiert Pädagogik, und alle sind leidenschaftliche Gemütlichmacher. Hier fühlt man sich aufgenommen, gemocht.
Ein einsames Relikt, nahezu alle ähnlichen Orte in Ost-Berlin, die ich kannte, sind verschwunden, der Trichter zum Beispiel, die Absackerkneipe der Ost-Berliner Taxifahrer. Und nicht alles läßt sich durch Ambiente ersetzen. Im Trichter konnte man zu Ostzeiten noch nach Mitternacht ein Schnitzel bekommen, irgendwo in der Oderberger gab es eine Kneipe für harte Trinker, mit einem Balken überm Tresen über den sie ihre Krawatten warfen, um das erste Glas am Morgen trotz Zittern an den Mund führen zu können. In der Möwe versackte jeder, der sich zu Ostzeiten als Künstler empfand, besoffen war ok, aber Sandalen verhinderten den Eintritt. Im Cafe Moskau saßen ddrische Huren und ihre Zuhälter und es gab Zigaretten nach 24 Uhr.
Eine Kneipe ist ein erweitertes Wohnzimmer, ein Zwischenaufenthalt, ein Raum zum Runterkommen, nichts schickes, nichts trendiges. Die Stühle sind mittelbequem, die Luft erinnert vage an Zeiten ungehinderten Zigarettenkonsums, das Personal spricht nicht fließend Denglisch. Es gibt am Alt-Berliner-Buffet Buletten und Bockwurst.
https://mitvergnuegen.com/2017/11-tolle-alte-berliner-kneipen-die-ihr-kennen-solltet
Ob zu einem gepflegten Bier oder diversen anderen
Getränken !? Wir halten eine vielfältige Auswahl für
Sie bereit!
Ob großer oder kleiner Hunger !? Verschiedene Kleinigkeiten
oder unser Kalt-Warmes Buffet bieten sich an!
Ob als Stammgast oder im Vorbeigehen! Ob vor oder nach
dem Theater- oder Opernbesuch! Ob Ballkleid und Smoking
oder in Jeans und Turnschuhen!
Genießen Sie eine angenehme Zeit in ungezwungener
Atmosphäre in unserem gemütlichen Berliner Ambiente!
Gerne dürfen Sie uns auch ansprechen, wenn Sie eine
Feirlichkeit planen!
Sonntag, 17. Februar 2019
Montag, 11. Februar 2019
Big Little Lies - Eine amerikanische Fernseh-Serie
Nicole Kidman, Reese Witherspoon, Shailene Woodley, Alexander Scarsgard, Laura Dern, Zoe Kravitz und und und... spielen mit.
Die Handlung spielt in Kalifornien zwischen zumeist weiblichen Angehörigen der wahrhaft obersten Mittelschicht. Die Figuren sind Archetypen der amerikanischen Serienwelt, ausnahmelos gutaussehend, die meisten wohlhabend oder reich, die Variationen liegen ausschließlich in der Art, mit der sie ihre spezifischen Probleme handhaben.
Klingt das öde? Ja. Ist es aber, erstaunlicherweise, nicht.
Das Thema ist Gewalt, psychische und physische in menschlichen Beziehungen und die Umbenennungen, die Beschönigungen, die wir erfinden, in größter Not, damit solches ertragbar bleibt, bis es dann eben nicht mehr geht.
Eine Frau wird geschlagen, eine betrügt ihren Mann, eine wurde vergewaltigt, eine ist so beschäftigt, dass sie nicht zuhören kann.
Im Vorspann laufen Kinder durchs Bild. Und dann ihre Mütter.
Frau Kidman kann ihr Gesicht wieder bewegen, auch wenn sie immer noch ungemütlich schön ist, selbst nach brutalsten Übergriffen. Frau Witherspoon ist eine glaubwürdige besserwisserische Klatschtante mit besten Absichten und die Kleinbürgerlichkeit in sich, die sie bekämpft, hat Anklänge von Tragik, Frau Woodley ist nicht so perfekt wie ihre Mitspielerinnen und behauptet sich erstaunlicherweise dennoch, Frau Dern ist einfach immer der Hammer. Zoe Kravitz ist nervtötend in der besten vorstellbaren Art. Herr Skarsgard ist ein leidender, brutaler, egozentrischer Dreckskerl, den ich mögen will und nicht mögen darf.
Die Kinder sind der Drehpunkt, sie wissen noch nicht, was aus ihnen werden wird. Aber wir ahnen es leider schon.
Woher kriegen die Amis diese wunderbaren Zwergendarsteller? Woher haben die das Timing, die Entspanntheit.
Ich, die ich das Glück hatte, nie körperlich drangsaliert zu werden, habe doch, wie ihr alle, psychische Mißhandlung erlebt und ausgeteilt. Ja, leider war ich nicht nur Opfer.
Die 7 Folgen haben mich gut erwischt. Ich habe über mich nachgedacht. Das ist doch schon mal was.
Die Handlung spielt in Kalifornien zwischen zumeist weiblichen Angehörigen der wahrhaft obersten Mittelschicht. Die Figuren sind Archetypen der amerikanischen Serienwelt, ausnahmelos gutaussehend, die meisten wohlhabend oder reich, die Variationen liegen ausschließlich in der Art, mit der sie ihre spezifischen Probleme handhaben.
Klingt das öde? Ja. Ist es aber, erstaunlicherweise, nicht.
Das Thema ist Gewalt, psychische und physische in menschlichen Beziehungen und die Umbenennungen, die Beschönigungen, die wir erfinden, in größter Not, damit solches ertragbar bleibt, bis es dann eben nicht mehr geht.
Eine Frau wird geschlagen, eine betrügt ihren Mann, eine wurde vergewaltigt, eine ist so beschäftigt, dass sie nicht zuhören kann.
Im Vorspann laufen Kinder durchs Bild. Und dann ihre Mütter.
Frau Kidman kann ihr Gesicht wieder bewegen, auch wenn sie immer noch ungemütlich schön ist, selbst nach brutalsten Übergriffen. Frau Witherspoon ist eine glaubwürdige besserwisserische Klatschtante mit besten Absichten und die Kleinbürgerlichkeit in sich, die sie bekämpft, hat Anklänge von Tragik, Frau Woodley ist nicht so perfekt wie ihre Mitspielerinnen und behauptet sich erstaunlicherweise dennoch, Frau Dern ist einfach immer der Hammer. Zoe Kravitz ist nervtötend in der besten vorstellbaren Art. Herr Skarsgard ist ein leidender, brutaler, egozentrischer Dreckskerl, den ich mögen will und nicht mögen darf.
Die Kinder sind der Drehpunkt, sie wissen noch nicht, was aus ihnen werden wird. Aber wir ahnen es leider schon.
Woher kriegen die Amis diese wunderbaren Zwergendarsteller? Woher haben die das Timing, die Entspanntheit.
Ich, die ich das Glück hatte, nie körperlich drangsaliert zu werden, habe doch, wie ihr alle, psychische Mißhandlung erlebt und ausgeteilt. Ja, leider war ich nicht nur Opfer.
Die 7 Folgen haben mich gut erwischt. Ich habe über mich nachgedacht. Das ist doch schon mal was.
Freitag, 8. Februar 2019
Die Unbeschwertheit des Spiels
19 Vorstellungen "Hase Hase" gespielt und 13 kommen noch.
Eine spannende Erfahrung für mich erstmalig ensuite, also nahezu ununterbrochen hintereinander zu spielen, jeden Abend dieselbe Inszenierung desselben Stücks und doch ist jeder Abend verzückend anders.
Die Truppe ist gut miteinander, schwächelt einer, schwächeln alle, und wenn wir fliegen, heben wir gemeinsam ab.
Die Leute im Saal, jeden Abend zwischen 800 und 1000 tun das ihre. Sie sind primär auf Spaß aus oder hören genau hin, mal zurückhaltender, mal überbordend enthusiastisch, alt, jung, alles durcheinander, aber immer miteinander.
19 Vorstellungen mit zwischen 770 und 1027 Zuschauern, also circa
17 000 Menschen haben uns zugesehen - ein schöner Irrsinn.
Da ich erst nach der Pause richtig losspielen darf, gucke ich vorher viel zu, spüre den Atem, die immer leicht unterschiedliche Geschwindigkeit, groove mich ein, und langweile mich nicht, wirklich nicht. Guten Spielern zuzugucken, wie sie variieren, ausprobieren, in unsichere Gewässer geraten und doch immer auf wundersame Weise das erprobte/geprobte Festland wieder erreichen, ist mir ein Vergnügen.
Und es ist wirklich ganz anders als Repertoire zu spielen, denn da liegen 2, 3, 4 Wochen zwischen den einzelnen Vorstellungen und ein Teil des Hirns ist mit Erinnern, Wiederherstellen beschäftigt, aber wenn du wochenlang allabendlich dieselbe Geschichte spielst, wirst du freier im Kopf, wagemutiger, frecher.
Heute war Frau Dupperi in ihrem Gespräch mit Gott etwas betrunkener, gestern dagegen hatte ihre Altmädchenhaftigkeit mehr Gewicht.
Jeder Abend ist eine kleine Abenteuerreise, eine neue Betonung ist auszuprobieren, eine andere Pause. Der Körper hat auch seine eigenen Interessen, der Rücken spinnt, also tanzt er anders, einmal bin ich müder, ein anderes Mal energiegeladen und hüpfend.
Wird man sich einer Pointe zu sicher, gelingt sie nicht, überhaupt ist Erfüllung von Anweisungen oder die selbstgewisse Rückversicherung auf einmal Gelungenes der Tod des Spiels.
Jeder Abend kann schiefgehen, dass macht es so aufregend.
Ich habe wirklich nicht erwartet, das mir SPIELEN, nach einer so langen Zeit der Abstinenz, so sehr viel Spaß machen würde. Ein altmodisches Adjektiv trifft es am genauesten, es ist GEIL.
nnn
Eine spannende Erfahrung für mich erstmalig ensuite, also nahezu ununterbrochen hintereinander zu spielen, jeden Abend dieselbe Inszenierung desselben Stücks und doch ist jeder Abend verzückend anders.
Die Truppe ist gut miteinander, schwächelt einer, schwächeln alle, und wenn wir fliegen, heben wir gemeinsam ab.
Die Leute im Saal, jeden Abend zwischen 800 und 1000 tun das ihre. Sie sind primär auf Spaß aus oder hören genau hin, mal zurückhaltender, mal überbordend enthusiastisch, alt, jung, alles durcheinander, aber immer miteinander.
19 Vorstellungen mit zwischen 770 und 1027 Zuschauern, also circa
17 000 Menschen haben uns zugesehen - ein schöner Irrsinn.
Da ich erst nach der Pause richtig losspielen darf, gucke ich vorher viel zu, spüre den Atem, die immer leicht unterschiedliche Geschwindigkeit, groove mich ein, und langweile mich nicht, wirklich nicht. Guten Spielern zuzugucken, wie sie variieren, ausprobieren, in unsichere Gewässer geraten und doch immer auf wundersame Weise das erprobte/geprobte Festland wieder erreichen, ist mir ein Vergnügen.
Und es ist wirklich ganz anders als Repertoire zu spielen, denn da liegen 2, 3, 4 Wochen zwischen den einzelnen Vorstellungen und ein Teil des Hirns ist mit Erinnern, Wiederherstellen beschäftigt, aber wenn du wochenlang allabendlich dieselbe Geschichte spielst, wirst du freier im Kopf, wagemutiger, frecher.
Heute war Frau Dupperi in ihrem Gespräch mit Gott etwas betrunkener, gestern dagegen hatte ihre Altmädchenhaftigkeit mehr Gewicht.
Jeder Abend ist eine kleine Abenteuerreise, eine neue Betonung ist auszuprobieren, eine andere Pause. Der Körper hat auch seine eigenen Interessen, der Rücken spinnt, also tanzt er anders, einmal bin ich müder, ein anderes Mal energiegeladen und hüpfend.
Wird man sich einer Pointe zu sicher, gelingt sie nicht, überhaupt ist Erfüllung von Anweisungen oder die selbstgewisse Rückversicherung auf einmal Gelungenes der Tod des Spiels.
Jeder Abend kann schiefgehen, dass macht es so aufregend.
Ich habe wirklich nicht erwartet, das mir SPIELEN, nach einer so langen Zeit der Abstinenz, so sehr viel Spaß machen würde. Ein altmodisches Adjektiv trifft es am genauesten, es ist GEIL.
nnn
Freitag, 1. Februar 2019
Stumme Dialoge
"O what a night!"
Kennt ihr das? Diese Dialoge, die man im Kopf durchprobiert? Die, in denen man beherrscht, klug, schlagfertig wirkt? Man feilt nächtelang an der präzisesten Formulierung, wobei die Repliken des Gegenübers vorhersehbar, unüberzeugend und schwach bleiben.
"Wo kömmt der Witz mir her?"
Aus der Ruhe, der Repetition, der Distanz zur realen, anstrengenden, persönlichen Auseinandersetzung. Allein mit sich im eigenen Kopf, wird man nicht von Emotionen übermannt, verheddert sich nicht in halbgaren Argumenten, und wenn doch, fängt man einfach nochmal von vorne an. Und irgendwann klappt es, man steht als klarer Sieger, als intelligenter, scharfsinniger Mensch der im Recht ist da - nur dass der Opponent davon leider nichts weiß.
"Cry Baby"
Wenn ich in Wut gerate, was, zum Glück, nicht oft vorkommt, fängt meine Unterlippe ohne mein Zutun an zu zittern und mir steigen Tränen in die Augen. Ich hasse das. Es läßt mich schwach erscheinen, wenn ich Stärke zeigen sollte. Ich fühle mich wie The Incredible Hulk, und sehe aus wie Rotkäppchen, wenn der Wolf sein Maul aufreißt.
"On a clear day you can see forever"
Meine Lieblingsschwester hat mich früher manchmal "Harmonieschnittchen" genannt, weil ich oft versucht habe, notwendige Auseinandersetzungen zu vermeiden, zu vermitteln, Kompromisse auszuhandeln . Ich habe mir das in einem langwierigen Prozess abtrainiert, weil ich mitlerweile denke, dass Klarheit letztlich gut tut. Klarheit meint nicht leichtfertige Aggression, nicht respektloses Runtermachen, sondern ehrliche, bemühte Aufrichtigkeit.
"I'm a dreamer"
Aber im alltäglichen Umgang fällt mir das manchmal immer noch schwer. Noch immer schockiert mich wirklich schlechtes Benehmen so sehr, dass mir "die Worte fehlen". Fassungslos verschlägt es mir die Sprache. Und dann ist es zu spät für eine Antwort und der stumme, nutzlose Kopfdialog geht los.
"Neverending story"
Und nun bin ich schon ziemlich alt und führe noch immer Gespräche in meinem Kopf, die nie das Licht der Welt erblicken.
Kennt ihr das? Diese Dialoge, die man im Kopf durchprobiert? Die, in denen man beherrscht, klug, schlagfertig wirkt? Man feilt nächtelang an der präzisesten Formulierung, wobei die Repliken des Gegenübers vorhersehbar, unüberzeugend und schwach bleiben.
"Wo kömmt der Witz mir her?"
Aus der Ruhe, der Repetition, der Distanz zur realen, anstrengenden, persönlichen Auseinandersetzung. Allein mit sich im eigenen Kopf, wird man nicht von Emotionen übermannt, verheddert sich nicht in halbgaren Argumenten, und wenn doch, fängt man einfach nochmal von vorne an. Und irgendwann klappt es, man steht als klarer Sieger, als intelligenter, scharfsinniger Mensch der im Recht ist da - nur dass der Opponent davon leider nichts weiß.
"Cry Baby"
Wenn ich in Wut gerate, was, zum Glück, nicht oft vorkommt, fängt meine Unterlippe ohne mein Zutun an zu zittern und mir steigen Tränen in die Augen. Ich hasse das. Es läßt mich schwach erscheinen, wenn ich Stärke zeigen sollte. Ich fühle mich wie The Incredible Hulk, und sehe aus wie Rotkäppchen, wenn der Wolf sein Maul aufreißt.
"On a clear day you can see forever"
Meine Lieblingsschwester hat mich früher manchmal "Harmonieschnittchen" genannt, weil ich oft versucht habe, notwendige Auseinandersetzungen zu vermeiden, zu vermitteln, Kompromisse auszuhandeln . Ich habe mir das in einem langwierigen Prozess abtrainiert, weil ich mitlerweile denke, dass Klarheit letztlich gut tut. Klarheit meint nicht leichtfertige Aggression, nicht respektloses Runtermachen, sondern ehrliche, bemühte Aufrichtigkeit.
"I'm a dreamer"
Aber im alltäglichen Umgang fällt mir das manchmal immer noch schwer. Noch immer schockiert mich wirklich schlechtes Benehmen so sehr, dass mir "die Worte fehlen". Fassungslos verschlägt es mir die Sprache. Und dann ist es zu spät für eine Antwort und der stumme, nutzlose Kopfdialog geht los.
"Neverending story"
Und nun bin ich schon ziemlich alt und führe noch immer Gespräche in meinem Kopf, die nie das Licht der Welt erblicken.
Mittwoch, 30. Januar 2019
Nackt
Heute im tiefen Winter, am Abend des 30. Januars stieg aus dem Wagen neben meinem ein nahezu nackter Mann aus der S-Bahn. Die Füße schuhlos in dicken Verbänden, den halbsichtbaren Hintern in einer Hose, die drohte ihren zugewiesenen Platz zu verlassen, die gänzlich zerrissenen Reste eines Kapuzenshirts überm nackten Oberkörper. Er humpelte langsam und mühselig die Treppen hinunter, ich dick eingepackt hinterher, im Portemonaie noch 5 Euro. Scheiße. Geldautomat, Karte, Euros kommen raus. Diesen gefälligen Vorgang kennt er wahrscheinlich gar nicht, oder nicht mehr. Ich laufe hinter ihm her, bitte ihn Geld für Schuhe und einen Pulli anzunehmen. Er dreht sich um und antwortet im höflichsten Österreichisch: "Das passt schon. Nein danke. Ich geh grad zur Bahnhofsmission." Dann hat er dezent in eine Strassenecke gepisst.
Was habe ich für ein Glück, zufällig. Was für Würde hat dieser entblößte Mann.
VON DER FREUNDLICHKEIT DER WELT
Auf die Erde voller kaltem Wind
Kamt ihr alle als ein nacktes Kind.
Frierend lagt ihr alle ohne Hab
Als ein Weib euch eine Windel gab.
Keiner schrie euch, ihr wart nicht begehrt
Und man holte euch nicht im Gefährt.
Hier auf Erden wart ihr unbekannt
Als ein Mann euch einst nahm an der Hand.
Von der Erde voller kaltem Wind
Geht ihr all bedeckt mit Schorf und Grind.
Fast ein jeder hat die Welt geliebt
Wenn man ihm zwei Hände Erde gibt.
b.b.
Hier singt es Ernst Busch! Und auch das Gegenlied!
https://www.youtube.com/watch?v=pKAJM4dFkRo
Gegenlied zu VON DER FREUNDLICHKEIT DER WELT
Soll das heißen, daß wir uns bescheiden
Und „so ist es und so bleibt es“ sagen sollen?
Und die Becher sehend, lieber Dürste leiden
Nach den leeren greifen sollen, nicht den vollen?
Soll das heißen, daß wir draußen bleiben
Ungeladen in der Kälte sitzen müssen
Weil da große Herrn geruhn, uns vorzuschreiben
Was da zukommt uns an Leiden und Genüssen?
Besser scheint ’s uns doch, aufzubegehren
Und auf keine kleinste Freude zu verzichten
Und die Leidenstifter kräftig abzuwehren
Und die Welt uns endlich häuslich einzurichten!
Was habe ich für ein Glück, zufällig. Was für Würde hat dieser entblößte Mann.
VON DER FREUNDLICHKEIT DER WELT
Auf die Erde voller kaltem Wind
Kamt ihr alle als ein nacktes Kind.
Frierend lagt ihr alle ohne Hab
Als ein Weib euch eine Windel gab.
Keiner schrie euch, ihr wart nicht begehrt
Und man holte euch nicht im Gefährt.
Hier auf Erden wart ihr unbekannt
Als ein Mann euch einst nahm an der Hand.
Von der Erde voller kaltem Wind
Geht ihr all bedeckt mit Schorf und Grind.
Fast ein jeder hat die Welt geliebt
Wenn man ihm zwei Hände Erde gibt.
b.b.
Hier singt es Ernst Busch! Und auch das Gegenlied!
https://www.youtube.com/watch?v=pKAJM4dFkRo
Gegenlied zu VON DER FREUNDLICHKEIT DER WELT
Soll das heißen, daß wir uns bescheiden
Und „so ist es und so bleibt es“ sagen sollen?
Und die Becher sehend, lieber Dürste leiden
Nach den leeren greifen sollen, nicht den vollen?
Soll das heißen, daß wir draußen bleiben
Ungeladen in der Kälte sitzen müssen
Weil da große Herrn geruhn, uns vorzuschreiben
Was da zukommt uns an Leiden und Genüssen?
Besser scheint ’s uns doch, aufzubegehren
Und auf keine kleinste Freude zu verzichten
Und die Leidenstifter kräftig abzuwehren
Und die Welt uns endlich häuslich einzurichten!
Montag, 28. Januar 2019
Gottes Vergessene Kinder - William Hurt
Gottes Vergessene Kinder - ein Film aus dem Jahr 1986 über eine für mich fremde Welt, die Welt der Gehörlosen, über eine mir unbekannte Art der Stille, über das, was Körper und Hände ausdrücken können. Über Musik. Über Liebe und Freiheit.
Der eigentliche Titel, den Randa Haines ihrem Film gab, war Children of a lesser God, was man mit Kinder eines geringeren Gottes übersetzen könnte. Eine Provokation, eine Verhöhnung zum Zwecke des Aufmerksam-Machens. Aber damit konnte sich der deutsche Filmverleih nicht anfreunden, er wollte sicherstellen, dass wir auf die "richtige" Weise gucken, vorbereitet sind, um in unserem Urteil nicht unwissend irren.
William Hurt - Kuss der Spinnenfrau, Body Heat, Der Große Frust (The Big Chill), Gorki Park, Die Reisen Des Mr. Leary (The Accidental Tourist), Broadcast News und und und - ein schöner Mann mit einem großflächigen, sehr amerikanischen Gesicht, über das seine Gedanken, Gefühle wie zarte Wellen liefen. Sechzehn unterschiedliche Dinge hintereinander, sich auseinander entwickelnd. Augen verändern den Winkel, der Mund verbiegt sich, der Körper verändert die Spannung. Ganz und gar außergewöhnlich. Er hat viel Theater gespielt und machte seinem Ruf als anstrengend alle Ehre. Anstrengend klingt abfällig, das schwer Erreichbare erreichen wollen, verlangt aber manchmal eben diese Anstrengung. Kompatibel ist nicht wirklich ein Kompliment, aber es ist wirtschaftlicher.
Hurt war hübsch genug, um jedermans Liebling zu sein und einsam genug, um dies nicht ertragen zu können. Er hat sich fast zu Tode gesoffen, schlechte Filme gemacht und kämpft sich jetzt langsam wieder in die Rollen vor, die ihm zustehen.
Es gibt sie wirklich, die gigantischen Talente, die zu empfindsam, zu aufmerksam, zu verletzbar, zu unsicher sind, um das schwere Gewicht ihrer Gabe unter dem Druck der industriellen Verwertung auf die Dauer auszuhalten. Brando und Elvis haben sich totgefressen, Ledger, Phoenix, Belushi sich totgedröhnt, die weiblichen Mitglieder dieser Gruppe flüchten in chirurgische Experimente oder eben auch in den Alkohol oder die Chemie. Andere wachsen stabiler auf. Ihr Glück. Welchen Preis bezahlen sie?
Der eigentliche Titel, den Randa Haines ihrem Film gab, war Children of a lesser God, was man mit Kinder eines geringeren Gottes übersetzen könnte. Eine Provokation, eine Verhöhnung zum Zwecke des Aufmerksam-Machens. Aber damit konnte sich der deutsche Filmverleih nicht anfreunden, er wollte sicherstellen, dass wir auf die "richtige" Weise gucken, vorbereitet sind, um in unserem Urteil nicht unwissend irren.
William Hurt - Kuss der Spinnenfrau, Body Heat, Der Große Frust (The Big Chill), Gorki Park, Die Reisen Des Mr. Leary (The Accidental Tourist), Broadcast News und und und - ein schöner Mann mit einem großflächigen, sehr amerikanischen Gesicht, über das seine Gedanken, Gefühle wie zarte Wellen liefen. Sechzehn unterschiedliche Dinge hintereinander, sich auseinander entwickelnd. Augen verändern den Winkel, der Mund verbiegt sich, der Körper verändert die Spannung. Ganz und gar außergewöhnlich. Er hat viel Theater gespielt und machte seinem Ruf als anstrengend alle Ehre. Anstrengend klingt abfällig, das schwer Erreichbare erreichen wollen, verlangt aber manchmal eben diese Anstrengung. Kompatibel ist nicht wirklich ein Kompliment, aber es ist wirtschaftlicher.
Hurt war hübsch genug, um jedermans Liebling zu sein und einsam genug, um dies nicht ertragen zu können. Er hat sich fast zu Tode gesoffen, schlechte Filme gemacht und kämpft sich jetzt langsam wieder in die Rollen vor, die ihm zustehen.
Es gibt sie wirklich, die gigantischen Talente, die zu empfindsam, zu aufmerksam, zu verletzbar, zu unsicher sind, um das schwere Gewicht ihrer Gabe unter dem Druck der industriellen Verwertung auf die Dauer auszuhalten. Brando und Elvis haben sich totgefressen, Ledger, Phoenix, Belushi sich totgedröhnt, die weiblichen Mitglieder dieser Gruppe flüchten in chirurgische Experimente oder eben auch in den Alkohol oder die Chemie. Andere wachsen stabiler auf. Ihr Glück. Welchen Preis bezahlen sie?
Sonntag, 27. Januar 2019
The Favourite - ein tolles Stück Schauspielkunst
The Favourite
Favourite heißt Günstling, Liebling, Lieblingsstück, wobei in diesem Fall alle Wörter weiblich gemeint wären.
The Favourite - Intrigen und Irrsinn
Da Favourite als Titel so einfach ist und ich so den Film vielleicht nicht verstehen würde, wurde, wie meist bei deutschen Titelübersetzungen, ein neongrelles Wegweiserchen, hier ein peinlich-pädagogisch-putziges Wortspiel, hintendran gehängt. Boa eh!
Aber der Film ist toll!
The Favourite
Giorgos Lanthimos hat Regie geführt und zwar im schönsten Sinne des Wortes, er bringt verschiedene Künstler zusammen, bündelt ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten, verdichtet sie, erhöht durch kluge Auswahl den Druck und es entsteht: ein Diamant.
Olivia Colman, Rachel Weisz, Emma Stone bilden eine entsetzliche Triade, entsetzlich komisch und ebenso traurig. Die spielen sich wirklich in hoher Dezenz den Arsch ab und die Seele aus dem Leib. Großartig. Colman als alternde, gichtgeplagte Queen Anne, Mutter von 17 toten Kindern, die sie nun als kleine weiße Kaninchen verhätschelt. Weisz ist ihre Kindheitsfreundin und Geliebte, politische Planerin und Jongleurin brennender Schwerter in einer von Männern dominierten Welt. Sie sagt den zentralen Satz des Films: "Liebe ist Wahrheit." Stone gerät in diese eigenartige, aber funktionierende Partnerschaft, als verarmte Verwandte mit gutem Herzen oder giftigem Ehrgeiz, oder beidem? Die drei spielen sich die Bälle zu, dass es nur so blitzt.
England führt wieder einmal Krieg mit Frankreich, Tories & Whigs kämpfen verbissen für ihre Interessengruppen. Krieg kostet Geld, Steuern sollen ihn finanzieren. Das Volk kommt nur als realpolitisches Erpressungsmittel und als Dienerschaft vor. Die Herrschenden bleiben unter sich.
Liebe und Politik, Kalkül und Sehnsucht, Verwöhntheit und Verletztheit, eins kippt ins andere und dann in wieder etwas anderes und man versteht und kichert und bedauert und erschrickt und wechselt die Fronten, nimmt mal für die eine, dann für ihre Gegnerin Partei und am Ende starrt man auf drei einsame kaputtgespielte Wesen, die wissen, das nichts Schönes mehr kommen wird.
Robbie Ryan, von I, Daniel Blake hat die Kamera geführt, manchmal ganz gradlinig, manchmal mit verzerrenden Linsen, die Schönheit der Interieurs einsaugend, auf Gesichtern lange verharrend. Die Kostüme sind von historischer Form, aber Farben, Material, Details schneiden dagegen, ebenso bei der Musik.
Fein, sehr fein.
Favourite heißt Günstling, Liebling, Lieblingsstück, wobei in diesem Fall alle Wörter weiblich gemeint wären.
The Favourite - Intrigen und Irrsinn
Da Favourite als Titel so einfach ist und ich so den Film vielleicht nicht verstehen würde, wurde, wie meist bei deutschen Titelübersetzungen, ein neongrelles Wegweiserchen, hier ein peinlich-pädagogisch-putziges Wortspiel, hintendran gehängt. Boa eh!
Aber der Film ist toll!
The Favourite
Giorgos Lanthimos hat Regie geführt und zwar im schönsten Sinne des Wortes, er bringt verschiedene Künstler zusammen, bündelt ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten, verdichtet sie, erhöht durch kluge Auswahl den Druck und es entsteht: ein Diamant.
Olivia Colman, Rachel Weisz, Emma Stone bilden eine entsetzliche Triade, entsetzlich komisch und ebenso traurig. Die spielen sich wirklich in hoher Dezenz den Arsch ab und die Seele aus dem Leib. Großartig. Colman als alternde, gichtgeplagte Queen Anne, Mutter von 17 toten Kindern, die sie nun als kleine weiße Kaninchen verhätschelt. Weisz ist ihre Kindheitsfreundin und Geliebte, politische Planerin und Jongleurin brennender Schwerter in einer von Männern dominierten Welt. Sie sagt den zentralen Satz des Films: "Liebe ist Wahrheit." Stone gerät in diese eigenartige, aber funktionierende Partnerschaft, als verarmte Verwandte mit gutem Herzen oder giftigem Ehrgeiz, oder beidem? Die drei spielen sich die Bälle zu, dass es nur so blitzt.
England führt wieder einmal Krieg mit Frankreich, Tories & Whigs kämpfen verbissen für ihre Interessengruppen. Krieg kostet Geld, Steuern sollen ihn finanzieren. Das Volk kommt nur als realpolitisches Erpressungsmittel und als Dienerschaft vor. Die Herrschenden bleiben unter sich.
Liebe und Politik, Kalkül und Sehnsucht, Verwöhntheit und Verletztheit, eins kippt ins andere und dann in wieder etwas anderes und man versteht und kichert und bedauert und erschrickt und wechselt die Fronten, nimmt mal für die eine, dann für ihre Gegnerin Partei und am Ende starrt man auf drei einsame kaputtgespielte Wesen, die wissen, das nichts Schönes mehr kommen wird.
Robbie Ryan, von I, Daniel Blake hat die Kamera geführt, manchmal ganz gradlinig, manchmal mit verzerrenden Linsen, die Schönheit der Interieurs einsaugend, auf Gesichtern lange verharrend. Die Kostüme sind von historischer Form, aber Farben, Material, Details schneiden dagegen, ebenso bei der Musik.
Fein, sehr fein.
© 2019 Twentieth Century Fox Film Corporation.
Freitag, 25. Januar 2019
Spielen macht Spaß
Ja!
Spielen macht Spaß.
Und wie. Noch immer, auch nach 25 Jahren auf der "anderen", der dunklen Seite.
Acht Wochen Proben von 12 bis circa 20.00 Uhr. Die Regisseurin ist hochmusikalisch, scheint das Stück als eine durchkomponierte Partitur im Kopf zu haben. Eine für mich neue, aber durchaus mögliche Arbeitsweise. Fragen, Einwände, Eigenwilligkeiten mag sie eher nicht.
12 Spieler, darunter drei Regisseure, liefern sich aus.
Wir alle wollen spielen.
Szenenübergreifende Zusammenhänge sind diesmal nicht meine Verantwortung. Bühne, Kostüme (außer mein eigenes), Licht, Ton, Requisiten gehen mich nichts an. Ich bin nur zuständig für Frau Dupperi, die siebzigjährige Nachbarin, die erst nach der Pause auftritt, flehentlich nach Familienanschluss sucht und dann völlig unerwartet Kraft zum Widerstand findet.
Meist gelingt mir diese Konzentration in den Proben gut. Die völlige Fixation auf die Geschichte meiner Figur hält mich wach und gebündelt.
Wie spielt man eine Einsamkeit, die sich jemand selbst nicht eingestehen kann?
Die Regisseurin gibt die Form, den Ton, die Melodie vor, diese Artifizialität zu unterfüttern ist mein Job, den ich gerne tue. Sie ist präzise und kurzangebunden, energiegeladen und ungeduldig. Ihr Text ist gut, sozial auf den Punkt, wenn auch schwankend zwischen der Entstehungszeit des Stücks in den 80ern und den Aktualisierungen zu unserer Zeit. Handys werden erwähnt, aber nicht genutzt und Mamas Familiengeschichte aus einem Land nach dem Zweiten Weltkrieg ist sehr stark, aber verschiebt die Zeitlinie.
Erwischt, hier spricht die Regisseurin.
Spielen in innerer Freiheit, alle Verabredungen einhaltend, das ist Glück!
Und dieses Glück ist nur selten zu haben, man muß es sich erkämpfen, erarbeiten.
Aber.
Immer dieses Aber. Warum feiern im deutschen Theater hierarchische Strukturen ihr Überleben, die wir an anderen Orten verächtlich niedermachen würden? Ich meine nicht, die notwendige Aufgabenverteilung zwischen Spieler und Hutaufhaber, die für mich in der Notwendigkeit des distanzierten Blickes begründet ist. Aber sozialer und psychologischer Druck sind subtil oder gleißend grell immer ein Mittel der Machtausübung oder des Mißbrauchs derselben. Ich habe also Einiges gelernt, was meinen eigentlichen Beruf betrifft. Will ich brave Spieler? Wieviel Widerspruch halte ich aus, wieviel ist sogar unbedingt nötig, um meine Arbeit voranzutreiben, besser zu machen? Ich will Kooperation, zu deutsch Zusammenarbeit, bei klarer Aufgabenverteilung, Respekt und Strenge, Höflichkeit ist angebracht, auch wenn es eine geradezu vom Aussterben bedrohte Umgangsform scheint. Der Regisseur sollte sich genauso ausliefern wie die Spieler. Wir sollten das Risiko gemeinsam tragen, oder?
Das schönste Kompliment hat mir zur Premiere ein Kollege gemacht, den ich sehr verehre. "Du bist gut, weil Du nicht weißt, was Du tust." Ich: "Hä?" Er: "Du spielst einfach. Wenn einer Schauspieler ist, nehme ich an, dass er einen Handstand kann, er muß ihn nicht zeigen, muß auch nicht andeuten, dass er ihn jederzeit könnte, er muß nur spielen."
Der unsichtbare Handstand, das ist Spiel im Glück.
Spielen macht Spaß.
Und wie. Noch immer, auch nach 25 Jahren auf der "anderen", der dunklen Seite.
Acht Wochen Proben von 12 bis circa 20.00 Uhr. Die Regisseurin ist hochmusikalisch, scheint das Stück als eine durchkomponierte Partitur im Kopf zu haben. Eine für mich neue, aber durchaus mögliche Arbeitsweise. Fragen, Einwände, Eigenwilligkeiten mag sie eher nicht.
12 Spieler, darunter drei Regisseure, liefern sich aus.
Wir alle wollen spielen.
Szenenübergreifende Zusammenhänge sind diesmal nicht meine Verantwortung. Bühne, Kostüme (außer mein eigenes), Licht, Ton, Requisiten gehen mich nichts an. Ich bin nur zuständig für Frau Dupperi, die siebzigjährige Nachbarin, die erst nach der Pause auftritt, flehentlich nach Familienanschluss sucht und dann völlig unerwartet Kraft zum Widerstand findet.
Meist gelingt mir diese Konzentration in den Proben gut. Die völlige Fixation auf die Geschichte meiner Figur hält mich wach und gebündelt.
Wie spielt man eine Einsamkeit, die sich jemand selbst nicht eingestehen kann?
Die Regisseurin gibt die Form, den Ton, die Melodie vor, diese Artifizialität zu unterfüttern ist mein Job, den ich gerne tue. Sie ist präzise und kurzangebunden, energiegeladen und ungeduldig. Ihr Text ist gut, sozial auf den Punkt, wenn auch schwankend zwischen der Entstehungszeit des Stücks in den 80ern und den Aktualisierungen zu unserer Zeit. Handys werden erwähnt, aber nicht genutzt und Mamas Familiengeschichte aus einem Land nach dem Zweiten Weltkrieg ist sehr stark, aber verschiebt die Zeitlinie.
Erwischt, hier spricht die Regisseurin.
Spielen in innerer Freiheit, alle Verabredungen einhaltend, das ist Glück!
Und dieses Glück ist nur selten zu haben, man muß es sich erkämpfen, erarbeiten.
Aber.
Immer dieses Aber. Warum feiern im deutschen Theater hierarchische Strukturen ihr Überleben, die wir an anderen Orten verächtlich niedermachen würden? Ich meine nicht, die notwendige Aufgabenverteilung zwischen Spieler und Hutaufhaber, die für mich in der Notwendigkeit des distanzierten Blickes begründet ist. Aber sozialer und psychologischer Druck sind subtil oder gleißend grell immer ein Mittel der Machtausübung oder des Mißbrauchs derselben. Ich habe also Einiges gelernt, was meinen eigentlichen Beruf betrifft. Will ich brave Spieler? Wieviel Widerspruch halte ich aus, wieviel ist sogar unbedingt nötig, um meine Arbeit voranzutreiben, besser zu machen? Ich will Kooperation, zu deutsch Zusammenarbeit, bei klarer Aufgabenverteilung, Respekt und Strenge, Höflichkeit ist angebracht, auch wenn es eine geradezu vom Aussterben bedrohte Umgangsform scheint. Der Regisseur sollte sich genauso ausliefern wie die Spieler. Wir sollten das Risiko gemeinsam tragen, oder?
Foto: Franziska Strauss |
Der unsichtbare Handstand, das ist Spiel im Glück.
Sonntag, 13. Januar 2019
Macbeth am Berliner Ensemble
Ja. - Morgen und morgen und morgen. Das kriecht
Mit diesem kleinen Schritt von Tag zu Tag
Zur letzten Silbe. Der Rest ist aus der Zeit.
All unsere Gesten , von Blinden am Seil geführt
In staubiges Nichts. Weißt du was anderes, Seyton.
Aus, kurze Flamme. Leben ein Schatten der umgeht
Ein armer Spieler, der sich spreizt und sperrt
Auf seiner Bühne eine Stunde lang
Und nicht gehört wird nachdem. Ein Märchen, erzählt
Von einem Irren, voll mit Lärm und Wut
Bedeutend nichts.
Wenn Shakespeare und Müller aufeinandertreffen, entsteht wundervolle
Sprachkunst, in deutscher Sprache.
Und nun dieser Abend inszeniert von Michael Thalheimer in strenger Konsequenz.
Der Bühnenraum ausschließlich über Licht definiert, großartige Lichtkompositionen, sparsam, genau und schlau die Farbfilter nutzend.
Etwas weniger "schottischer" Nebel hätte auch genügt. Die Kostüme klar und irgendwie wie immer. Schwarze Anzüge, edle Damenkleider, Nacktkörperanzüge.
Sehr viel Blut.
Die Spieler sprechen, schreien, pressen, brüllen präzise und verständlich.
Nur sechs Spieler übrigens, Nathan, Becker, Nest, Wehlisch, Hülsmann, Kohrt.
Einige ganz tolle Bilder.
Der tote Banquo, der auf dem Rücken des schwadronierenden Macbeth imaginäre
Herrschaftsgesten in die Runde wirft, die kleine "Weg!"-Geste von Macbeth, wie
er entdeckt, was fünf leicht bewegte Finger bewirken können, wenn man König ist.
Aber. Aber was genau ist diese Macht, die hier durchexperimentiert wird. Sie bleibt
im Vagen, MACHT AN SICH. Aber. Über wen? Zu welchem Zweck? Macht es Spaß
sie zu haben? Hier nicht. Was kann ich mit Macht tun, was ich sonst nicht tun könnte?
Wann genau kommt mir mein Gewissen abhanden? Oder ist auch das Gewissen nur
ein zivilisatorisches Konstrukt? Macht ist konkret. Machtmißbrauch auch.
Flüchten wir uns in solch apokalyptischen Visionen, weil wir zu träge, zu ängstlich, zu
selbstbezogen sind konkret zu denken? Niemand hat eine Lösung, aber wenn wir nur noch ganz allgemeine Fragen stellen, nein, nicht Fragen, mulmige Unterstellungen, dann wird
der Weltuntergang ein bisschen wie ein Disneyland für Zyniker. Unsere Todesangst wird als "Ausrede" für all das Schlechte in der Welt stilisiert.
Die Welt ist schlecht, der Mensch ist es auch, es ist ein ewiger Kreislauf. Ist das so?
Aber auch Herr Thalheimer ißt nach der Vorstellung ein Nachtmahl, küsst seine Frau, Freundin, oder küsst niemanden und guckt Fernsehen, liest ein Buch, er mag Regen oder Sonnenschein, das Laub im Herbst oder Sand unter den Füßen.
Und weil ich diesen Widerspruch fühle, lassen mich Abende wie dieser, merkwürdig kühl.
Ich liebe das Leben, will noch lang nicht sterben und erfahre immer wieder, dass der
Mensch halt nicht nur mies und böse ist. Nennt mich einen zynischen Optimisten.
Mit diesem kleinen Schritt von Tag zu Tag
Zur letzten Silbe. Der Rest ist aus der Zeit.
All unsere Gesten , von Blinden am Seil geführt
In staubiges Nichts. Weißt du was anderes, Seyton.
Aus, kurze Flamme. Leben ein Schatten der umgeht
Ein armer Spieler, der sich spreizt und sperrt
Auf seiner Bühne eine Stunde lang
Und nicht gehört wird nachdem. Ein Märchen, erzählt
Von einem Irren, voll mit Lärm und Wut
Bedeutend nichts.
Wenn Shakespeare und Müller aufeinandertreffen, entsteht wundervolle
Sprachkunst, in deutscher Sprache.
Und nun dieser Abend inszeniert von Michael Thalheimer in strenger Konsequenz.
Der Bühnenraum ausschließlich über Licht definiert, großartige Lichtkompositionen, sparsam, genau und schlau die Farbfilter nutzend.
Etwas weniger "schottischer" Nebel hätte auch genügt. Die Kostüme klar und irgendwie wie immer. Schwarze Anzüge, edle Damenkleider, Nacktkörperanzüge.
Sehr viel Blut.
Die Spieler sprechen, schreien, pressen, brüllen präzise und verständlich.
Nur sechs Spieler übrigens, Nathan, Becker, Nest, Wehlisch, Hülsmann, Kohrt.
Einige ganz tolle Bilder.
Der tote Banquo, der auf dem Rücken des schwadronierenden Macbeth imaginäre
Herrschaftsgesten in die Runde wirft, die kleine "Weg!"-Geste von Macbeth, wie
er entdeckt, was fünf leicht bewegte Finger bewirken können, wenn man König ist.
Aber. Aber was genau ist diese Macht, die hier durchexperimentiert wird. Sie bleibt
im Vagen, MACHT AN SICH. Aber. Über wen? Zu welchem Zweck? Macht es Spaß
sie zu haben? Hier nicht. Was kann ich mit Macht tun, was ich sonst nicht tun könnte?
Wann genau kommt mir mein Gewissen abhanden? Oder ist auch das Gewissen nur
ein zivilisatorisches Konstrukt? Macht ist konkret. Machtmißbrauch auch.
Flüchten wir uns in solch apokalyptischen Visionen, weil wir zu träge, zu ängstlich, zu
selbstbezogen sind konkret zu denken? Niemand hat eine Lösung, aber wenn wir nur noch ganz allgemeine Fragen stellen, nein, nicht Fragen, mulmige Unterstellungen, dann wird
der Weltuntergang ein bisschen wie ein Disneyland für Zyniker. Unsere Todesangst wird als "Ausrede" für all das Schlechte in der Welt stilisiert.
Die Welt ist schlecht, der Mensch ist es auch, es ist ein ewiger Kreislauf. Ist das so?
Aber auch Herr Thalheimer ißt nach der Vorstellung ein Nachtmahl, küsst seine Frau, Freundin, oder küsst niemanden und guckt Fernsehen, liest ein Buch, er mag Regen oder Sonnenschein, das Laub im Herbst oder Sand unter den Füßen.
Und weil ich diesen Widerspruch fühle, lassen mich Abende wie dieser, merkwürdig kühl.
Ich liebe das Leben, will noch lang nicht sterben und erfahre immer wieder, dass der
Mensch halt nicht nur mies und böse ist. Nennt mich einen zynischen Optimisten.
Foto: Matthias Horn
Montag, 31. Dezember 2018
Auld Lang Syne - Längst Vergangene Zeit
Meine Mama ist nun schon ziemlich lang tot, aber als sie noch lebte, hat sie zu Silvester um Mitternacht immer eine Trompeten-Version eines alten schottischen Liedes gespielt. Eines über "alte Zeiten", und dass wir ein Glas voll Freundlichkeit trinken sollten, for the sake of auld lang syne, um der alten Zeiten willen, weil es einst gut war und weil wir vergessen könnten und unser Vergessen die guten Leute zum zweiten Mal töten würde. Mein Liebling Annette ist mit 42 Jahren gestorben, völlig widersinnig mitten im vollen Leben an bösem Krebs, ich möchte auf sie ein Glas Freundlichkeit trinken und auf meine Mama und auf meinen Vater und auf meine Oma Helli und auf die vielen guten Leute, die früher starben, als es mir nötig erschien. Der Tod ist demokratisch, aber er ist auch kalt und grausam. Da ich nicht den Trost gläubiger Menschen habe, ist das wirklich ein existentielles Problem für mich. Wir sind auf dieser Welt für eine beschränkte Zeit und eine undurchsichtige Lebenslotterie entscheidet wie eng diese Beschränkung seien wird. Pinochet stirbt mit über 90 Jahren im Kreis seiner Familie, meine wunderbare Tante Gerda starb mit 60 Jahren, bevor sie, als DDR-Bürgerin, endlich den Rhein sehen konnte, wo ist da Gerechtigkeit? Das macht für mich überhaupt keinen Sinn. Sterben ist endgültig und ohne jede begreifbare Auswahlkriterien. Ich will nicht sterben und werde es doch. Weniger rauchen, trinken könnte helfen, muß es aber nicht.
The very old grandmother of my cousin twice removed said: “If things go too smoothly in life, you get dull!”
https://www.focus.de/kultur/musik/silvesterhit-auld-lang-syne-denn-sie-wissen-nicht-was-sie-singen_aid_698134.html
Lasst uns ein Glas Freundlichkeit miteinander trinken.
Sollen alte Freunde vergessen werden und nicht mehr in unseren Gedanken sein? Sollen alte Freunde vergessen werden und die lang vergangenen Zeiten? Auf die lang vergangenen Zeiten, mein Lieb, auf die die lang vergangenen Zeiten, wir werden ein Glas Freundlichkeit trinken, auf die lang vergangenen Zeiten. Und gewiss wirst Du dir ein Glas bestellen und sicher wirst du meins bezahlen. und gewiss werden wir ein Glas Freundlichkeit trinken, auf die alten Zeiten.
Auld Lang Syne
Robert Burns 1788
Should old acquaintance be forgot,
And never brought to mind?
Should old acquaintance be forgot,
And old lang syne?
CHORUS:
For auld lang syne, my dear,
For auld lang syne,
We’ll take a cup of kindness yet,
For auld lang syne.
And surely you’ll buy your pint cup!
And surely I’ll buy mine!
And we’ll take a cup o’ kindness yet,
For auld lang syne.
We two have run about the slopes,
And picked the daisies fine;
But we’ve wandered many a weary foot,
Since auld lang syne.
CHORUS
We two have paddled in the stream,
From morning sun till dine;
But seas between us broad have roared
Since auld lang syne.
CHORUS
And there’s a hand my trusty friend!
And give me a hand o’ thine!
And we’ll take a right good-will draught,
For auld lang syne.
CHORUS
ODER ABER
Kleines Lied
Es war einmal ein Mann
Der fing das Trinken an
Mit achtzehn Jahren und -
Daran ging er zugrund.
Er starb mit achtzig Jahr
Woran, ist sonnenklar.
Es war einmal ein Kind
Das starb viel zu geschwind
Mit einem Jahr und -
Daran ging es zugrund.
Nie trank es: das ist klar
Und starb mit einem Jahr.
Daraus erkennt ihr wohl
Wie harmlos Alkohol...
Bertolt Brecht
The very old grandmother of my cousin twice removed said: “If things go too smoothly in life, you get dull!”
https://www.focus.de/kultur/musik/silvesterhit-auld-lang-syne-denn-sie-wissen-nicht-was-sie-singen_aid_698134.html
Lasst uns ein Glas Freundlichkeit miteinander trinken.
Sollen alte Freunde vergessen werden und nicht mehr in unseren Gedanken sein? Sollen alte Freunde vergessen werden und die lang vergangenen Zeiten? Auf die lang vergangenen Zeiten, mein Lieb, auf die die lang vergangenen Zeiten, wir werden ein Glas Freundlichkeit trinken, auf die lang vergangenen Zeiten. Und gewiss wirst Du dir ein Glas bestellen und sicher wirst du meins bezahlen. und gewiss werden wir ein Glas Freundlichkeit trinken, auf die alten Zeiten.
Auld Lang Syne
Robert Burns 1788
Should old acquaintance be forgot,
And never brought to mind?
Should old acquaintance be forgot,
And old lang syne?
CHORUS:
For auld lang syne, my dear,
For auld lang syne,
We’ll take a cup of kindness yet,
For auld lang syne.
And surely you’ll buy your pint cup!
And surely I’ll buy mine!
And we’ll take a cup o’ kindness yet,
For auld lang syne.
We two have run about the slopes,
And picked the daisies fine;
But we’ve wandered many a weary foot,
Since auld lang syne.
CHORUS
We two have paddled in the stream,
From morning sun till dine;
But seas between us broad have roared
Since auld lang syne.
CHORUS
And there’s a hand my trusty friend!
And give me a hand o’ thine!
And we’ll take a right good-will draught,
For auld lang syne.
CHORUS
ODER ABER
Kleines Lied
Es war einmal ein Mann
Der fing das Trinken an
Mit achtzehn Jahren und -
Daran ging er zugrund.
Er starb mit achtzig Jahr
Woran, ist sonnenklar.
Es war einmal ein Kind
Das starb viel zu geschwind
Mit einem Jahr und -
Daran ging es zugrund.
Nie trank es: das ist klar
Und starb mit einem Jahr.
Daraus erkennt ihr wohl
Wie harmlos Alkohol...
Bertolt Brecht
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