Freitag, 1. Februar 2019

Stumme Dialoge

"O what a night!"
Kennt ihr das? Diese Dialoge, die man im Kopf durchprobiert? Die, in denen man beherrscht, klug, schlagfertig wirkt? Man feilt nächtelang an der präzisesten Formulierung, wobei die Repliken des Gegenübers vorhersehbar, unüberzeugend und schwach bleiben.
 

"Wo kömmt der Witz mir her?" 
Aus der Ruhe, der Repetition, der Distanz zur realen, anstrengenden, persönlichen Auseinandersetzung. Allein mit sich im eigenen Kopf, wird man nicht von Emotionen übermannt, verheddert sich nicht in halbgaren Argumenten, und wenn doch, fängt man einfach nochmal von vorne an. Und irgendwann klappt es, man steht als klarer Sieger, als intelligenter, scharfsinniger Mensch der im Recht ist da - nur dass der Opponent davon leider nichts weiß.

"Cry Baby"
Wenn ich in Wut gerate, was, zum Glück, nicht oft vorkommt, fängt meine Unterlippe ohne mein Zutun an zu zittern und mir steigen Tränen in die Augen. Ich hasse das. Es läßt mich schwach erscheinen, wenn ich Stärke zeigen sollte. Ich fühle mich wie The Incredible Hulk, und sehe aus wie Rotkäppchen, wenn der Wolf sein Maul aufreißt.

"On a clear day you can see forever"
Meine Lieblingsschwester hat mich früher manchmal "Harmonieschnittchen" genannt, weil ich oft versucht habe, notwendige Auseinandersetzungen zu vermeiden, zu vermitteln, Kompromisse auszuhandeln . Ich habe mir das in einem langwierigen Prozess abtrainiert, weil ich mitlerweile denke, dass Klarheit letztlich gut tut. Klarheit meint nicht leichtfertige Aggression, nicht respektloses Runtermachen, sondern ehrliche, bemühte Aufrichtigkeit.

"I'm a dreamer"
Aber im alltäglichen Umgang fällt mir das manchmal immer noch schwer. Noch immer schockiert mich wirklich schlechtes Benehmen so sehr, dass mir "die Worte fehlen".  Fassungslos verschlägt es mir die Sprache. Und dann ist es zu spät für eine Antwort und der stumme, nutzlose Kopfdialog geht los.

"Neverending story"
Und nun bin ich schon ziemlich alt und führe noch immer Gespräche in meinem Kopf, die nie das Licht der Welt erblicken.

7 Kommentare:

  1. So geht es mir auch.
    Mir fehlt die Geistesgegenwart, im Verlauf eines Gesprächs an den richtigen Stellen das Richtige zu sagen. Die Momente fliegen im Schlagabtausch an einem vorbei und man ist einfach zu langsam, sie zu ergreifen. Zwei, drei Sekunden später hat schon ein anderer das Wort, das Gespräch nimmt eine neue Wendung, und was einem jetzt noch einfällt, ist einfach zu spät.
    Außerdem gehen mir die Gefühle durch. Meine Stimme erhebt sich, ich werde lauter, wo ich sachlich und nüchtern bleiben sollte. Ich kann einfach nicht leise bleiben beim Diskutieren. Ich werde einfach immer laut, ob ich will oder nicht.
    Das geschriebene Wort liegt mir näher. Da kann es in mir toben und brüllen, kein Problem. Das geschriebene Wort ist leise. Man kann in aller Stille an seiner Schärfe feilen. Man kam ihm diese oder jene Wendung geben. Man ist Herr über das, was man sagen will.
    Gespräche im Kopf sind eine gute Sache. Man muß aber auch hier aufpassen, daß man sich nicht hineinsteigert. Ein Blatt Papier und ein Stift in der Hand, oder ein Keyboard auf dem Schoß, sind da eine gute Hilfe.

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  2. Mein Problem dabei ist, daß ich Erzieher bin. Von Lehrern heißt es, daß ihre Arbeit zu 70% Schauspielerei sei. Ich selbst kann nicht schauspielern, was mich pädagogisch disqualifiziert. Provokationen erreichen bei mir immer ihr Ziel. Ich kann sie nicht von mir abperlen lassen.
    Aber daran scheint nicht viel zu sein, wenn sogar Schauspielerinnen wie Sie die Rolle des souveränen Disputanten nicht spielen können?

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  3. Vor dem Schauspielen müssen wir üben, vor einer Auseinandersetzung gibt es keine Proben. Mist.

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    1. Das gilt leider auch für pädagogische Situationen. Wenn es tatsächlich 70% Schauspielerei sind, dann sind von diesen 70% 90% Improvisation. :(

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  4. Ich kenne diese „nutzlosen Monologe“ aufgrund respektlosen Verhaltens, gerade führe ich sie auch mal wieder in meinem Kopf (aufgrund eines Vorfalls, der mich kalt erwischt hat). Monologe, die allerdings nichts anderes beweisen, als dass man schlechtem, demütigendem Verhalten viel zu viel Macht über einen zu geben gestattet (über schöne, ermutigende Worte grübelt man ja oft nicht einen Bruchteil der Zeit, wie über beleidigende). Diese Monologe blenden aber oft aus, dass das Gegenüber meist ein ebenso unklares, emotionsgesteuertes Wesen ist, als das man sich in solchen Situationen selbst empfindet, und vielleicht ebenfalls einfach nicht die richtigen Worte gefunden hat, um das zu zeigen, was wirklich in ihm tobte. So what. Kurios isr, dass kurz nach dem Vorfall ein anderer Mensch (der davon gar nichts wusste), zu mir sagte: „Ich wär gern wie Du - Du lässt Dir nie ans Bein pinkeln!“ Tja, Außen- und Innenwahrnehmung ;)

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  5. Wie man sich gegenseitig wahrnimmt ist tatsächlich extrem willkürlich. Vielleicht sollte man Streitgespräche als eine Art Pokerspiel auffassen und den 'Gegner' damit verunsichern, daß man nichts von sich preisgibt. Kennt man aus Polizeiverhören. Der Verhörte erträgt das Schweigen nicht und fängt zwangsläufig an zu reden und verliert dabei die Kontrolle darüber, was er sagt. Wie beim Judo: einfach ins Leere laufen lassen. So besiegt sich der Gegner selbst.

    Besonders sokratisch wäre das natürlich nicht. Obwohl auch Sokrates es mittels geschickten Rückfragen seinen Gesprächspartnern überließ, sich selbst zu widerlegen.

    Was hab ich da nur wieder für Gewaltphantasien ...

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