Ich habe die Tiere beobachtet. Die Liebe, Wärme aus Körpernähe, ist unsere einzige Gnade in der Finsternis! Aber die Vereinigung der Organe ist die einzige, sie überbrückt nicht die Entzweiung der Sprache. Dennoch vereinigen sie sich, Wesen zu erzeugen, die ihnen in ihrer trostlosen Vereinzelung beistehen möchten. Und die Generationen blicken sich kalt in die Augen.
...
Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit.
---------------------------------------------------------
Heute abend Sebastian Baumgartens "Dickicht" nach Brecht im Maxim-Gorki-Theater: in den ersten dreissig Minuten war ich beglückt und hellwach, über die folgenden anderthalb Stunden verging das. Die
Grundkonstellation von stummfilmartigen Filmszenen, die live von sitzenden Spielern gesprochen
werden und expressionistisch zitierten Spielszenen von den einheitlich in Schwarz gekleideten
Spielern ist toll, macht den Kopf aufmerksam und erfreut die Augen,
aber das Halbdunkel ermüdet über die Zeit. Das tückische an großen Einfällen ist oft, dass sie zum Zwangskorsett werden. Sie erzwingen Wiederholungen, können das Beabsichtigte, das was erzählt werden soll, unter ihrer Ästhetik-Walze erdrücken. Und dann ist da noch ein Phänomen, dem ich schon des öfteren, auch in eigenen Arbeiten begegnet bin, der Sprechton der Spieler gleicht sich an, ich nenne es den monotonen Heiner-Müller-Rufgestus, der sich gerade bei gut gearbeiteten Ensemble Stücken wie eine Infektion einschleichen kann. Jeder nimmt von jedem ab und dann klingen alle irgendwie gleich.
Manno sind die Spieler von unterschiedlicher Qualität! Ein S-Fehler hier, Krampfhände da, ein bisschen Genuschel, eine Kinski-Doublette und einiges, das großartig war.
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Es gibt Stücke, die erwischen einen wie Liebe, oft plötzlich, manchmal dauerhaft. Diese Verliebtheit sieht das wahre Stück, nicht das mit Fehlern, Längen, dramaturgischen Schwächen behaftete, das andere sehen mögen.
"Im Dickicht" ist einer meiner älteren Liebhaber. 1971 hat Ruth Berghaus die zweite, geordnete, gekürzte Fassung von 1927 "Im Dickicht der Städte" am BE inszeniert. Karg, genau, sezierend. Ich war gebannt. Las viele Jahre später die Urfassung, verstand nix und verfiel ihr doch. Ein Wust. Eine Wucht. Ein gigantomanischer Zwergriese. Zwischen 1920 und 24 geschrieben, was heißt der Dichter war jung. Ein Augsburger Bürgersohn liest Upton Sinclairs "Dschungel", der Roman wird auch die "Johanna der Schlachthöfe" füttern, er sieht die Welt um sich herum und sie gefällt ihm nicht, er kotzt Sprache. Manche Sätze sind wunderbar und machen keinen Sinn, es gibt sie, weil sie schön sind. Brecht ist hier noch nicht der Hegel/Marx geschulte Epiker späterer Jahre, Expressionismus und Boxkampf, Amerikasehnsüchte und Männerliebe dampfen aus ihm und natürlich großes Talent.
Es ist eine Liebesgeschichte. Eine verzweifelte, eine tiefe.
Eine meiner geliebtesten Arbeiten und gleichzeitig größten Mißerfolge war eben dieses "Dickicht" in einem magischen Bühnenbild von Philip Stoelzl.
"In diesem Stück wird um bürgerliches Erbe mit teilweise unbürgerlichen
Mitteln ein äußerster, wildester, zerreißender Kampf geführt. Es war die
Wildheit, die mich an diesem Kampf interessierte, und da in diesen
Jahren (nach 1920) der Sport, besonders der Boxsport mir Spaß bereitete,
als eine der ›großen mythischen Vergnügungen der Riesenstädte von
jenseits des großen Teiches‹, sollte in meinem neuen Stück ein ›Kampf an
sich‹, ein Kampf ohne andere Ursache als den Spaß am Kampf, mit keinem
anderen Ziel als der Festlegung des ›besseren Mannes‹ ausgefochten
werden." b.b.
bb
Montag, 22. Januar 2018
Donnerstag, 18. Januar 2018
Max Beckmann findet Unterschlupf in Amsterdam
MAX BECKMANN. WELTTHEATER
Eine Ausstellung der Kunsthalle Bremen und des Museums Barberini, Potsdam. In Potsdam ist die Ausstellung vom 24. Februar bis 10. Juni 2018 zu sehen.
1884 -1950
Er war 30, als der Erste und 49, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. "Meine Kunst kriegt hier zu fressen", sagte er 1919. Er erlebte das Grauen als Ambulanzfahrer und feuerte nie einen Schuß ab. 1937 nach der Rundfunkübertragung von Hitlers Rede zur Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung in München, die auch seine Arbeiten zu entarteter Kunst erklärte, verließ er Deutschland für immer und "unterschlüpfte" in Amsterdam. Nach New York ließ man ihn erst 1947 reisen.
Meine Familie fuhr zurück, er fuhr westwärts.
Diese Kriege haben ihn Kraft gekostet, er starb an einem Herzinfarkt auf der Straße, genauer Central Park West, 61st Street. Gemalt, gezeichnet, geschaffen hat er immer, auch wenn er rein gar nichts verkaufen durfte und konnte.
DWDS: schlüpfen = 'sich gleitend (durch enge Öffnungen) fortbewegen, sich schnell und geschmeidig bewegen', ahd. intsluphen 'entkommen, entschwinden'.
Felix Oestreicher
Naderhand - Nachher - Afterward
WIKI sagt: Als
der Verlorene Zug wird der letzte von drei Zügen bezeichnet, mit denen
während der Zeit des Nationalsozialismus in der Endphase des Zweiten
Weltkrieges Häftlinge vom Konzentrationslager Bergen-Belsen
abtransportiert wurden, als sich die britischen Truppen dem Lager
näherten...
Der letzte dieser drei Züge fuhr am 13. April 1945 ab und hielt schließlich nach einer Irrfahrt durch noch unbesetzte Teile Deutschlands in der Nähe der brandenburgischen Gemeinde Tröbitz auf offener Strecke an. Am 23. April 1945 fanden vorrückende Truppen der Roten Armee den Zug und befreiten die Häftlinge aus den Waggons. Etwa 200 von ihnen hatten die Fahrt nicht überlebt. In den nachfolgenden Wochen starben weitere 320 Menschen an den Nachwirkungen des Todestransports durch eine Epidemie.
Eine Ausstellung der Kunsthalle Bremen und des Museums Barberini, Potsdam. In Potsdam ist die Ausstellung vom 24. Februar bis 10. Juni 2018 zu sehen.
1884 -1950
Er war 30, als der Erste und 49, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. "Meine Kunst kriegt hier zu fressen", sagte er 1919. Er erlebte das Grauen als Ambulanzfahrer und feuerte nie einen Schuß ab. 1937 nach der Rundfunkübertragung von Hitlers Rede zur Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung in München, die auch seine Arbeiten zu entarteter Kunst erklärte, verließ er Deutschland für immer und "unterschlüpfte" in Amsterdam. Nach New York ließ man ihn erst 1947 reisen.
Meine Familie fuhr zurück, er fuhr westwärts.
Diese Kriege haben ihn Kraft gekostet, er starb an einem Herzinfarkt auf der Straße, genauer Central Park West, 61st Street. Gemalt, gezeichnet, geschaffen hat er immer, auch wenn er rein gar nichts verkaufen durfte und konnte.
DWDS: schlüpfen = 'sich gleitend (durch enge Öffnungen) fortbewegen, sich schnell und geschmeidig bewegen', ahd. intsluphen 'entkommen, entschwinden'.
Les Artistes mit Gemüse
1943
Da
sitzen sie, schauen ernst und frieren, als Gastgeschenk Lebensmittel in
den Händen, nur Beckmann selbst hält einen Spiegel, der aber spiegelt nicht
ihn, sondern etwas Fremdes, Bedrohliches. Ihre Kleider sind einmal
elegant gewesen, bis auf die rote Wollmütze des Mannes mit dem Fisch. Im
Bild hinten an der Wand brennt es.
Wie
unvorstellbar. Dein Land schließt dich aus, verneint dich, macht dich
verächtlich. Du, ein Deutscher, bist nun ein Ungewollter, ein Fremder.
Du gehst, rennst, fliehst. Und schaust aus der Fremde zu, wie dein Land
die Welt mit Krieg überzieht. Und du malst, zeichnest, holzschneidest.
Keiner kauft deine Bilder. Keiner wagt es.
Totentanz
Ich frag mich oft, bin das denn ich,
Dem dieses alles widerfährt.
Nur Schatten sind wir unser selbst,
[...] Schatten gehen viel,
Ganz langsam, schlürfend Schritt für Schritt,
Gesenkten Kopfes schleichen wir.
Doch viele liegen stumpf im Bett,
Zum Lesen fehlt uns das Buch,
Zum Denken fehlt uns die Kraft.
Die trüben Augen sehen nicht,
Die Ohren hören nur ein Wort.
Gamellen kommen, Essenszeit:
Dann kommt Bewegung in den Leib,
Die keiner Kapo Schlag erzwingt.
Doch vielen fehlt auch jetzt die Kraft,
Die meisten holt Durchfall und Laus,
Und täglich schafft man sieben weg
Mit Karre und Wagen im offnen Sarg.
Ein Trüppchen Frauen hinterdrein,
Ein kurz Gebet, das ist der Schluß.
Ich frag mich oft, bin das denn ich,
Dem dieses alles widerfährt.
Nur Schatten sind wir unser selbst,
[...] Schatten gehen viel,
Ganz langsam, schlürfend Schritt für Schritt,
Gesenkten Kopfes schleichen wir.
Doch viele liegen stumpf im Bett,
Zum Lesen fehlt uns das Buch,
Zum Denken fehlt uns die Kraft.
Die trüben Augen sehen nicht,
Die Ohren hören nur ein Wort.
Gamellen kommen, Essenszeit:
Dann kommt Bewegung in den Leib,
Die keiner Kapo Schlag erzwingt.
Doch vielen fehlt auch jetzt die Kraft,
Die meisten holt Durchfall und Laus,
Und täglich schafft man sieben weg
Mit Karre und Wagen im offnen Sarg.
Ein Trüppchen Frauen hinterdrein,
Ein kurz Gebet, das ist der Schluß.
Felix Oestreicher
Naderhand - Nachher - Afterward
Im Jahr 1937 beginnt Felix Östreicher mit dem Schreiben seiner
„Drillingsberichte“; Briefe, die seine Familie über die Entwicklung seiner
Töchter auf dem Laufenden halten. In diesen unsicheren Zeiten zieht die Familie
von Karlsbad in die Niederlande. Der Versuch, eine Auswanderung über die
Grenzen Europas hinweg zu regeln, scheitert. Im November 1943 wird die Familie
verhaftet und gemeinsam mit Felix´ Mutter, jedoch ohne seine Tochter Helli,
nach Westerbork und später nach Bergen-Belsen deportiert. Felix beginnt in
Westerbork mit einem Tagebuch, das auch selbstverfasste Gedichte enthält.
Später wurden das Tagebuch und die Gedichte in Buchform veröffentlicht. Kurz
vor der Befreiung aus Bergen-Belsen wird die Familie zusammen mit vielen
anderen Juden aus Bergen-Belsen in einen Transport Richtung Osten gesetzt. Der
Zug strandet in Tröbitz und wird Ende April 1945 von den Russen befreit. Felix,
Gerda, Maria und Beate leben dort für einige Zeit in Freiheit. Geschwächt durch
das Konzentrationslager stirbt Gerda jedoch am 31. Mai an Fleckfieber. Ihr Mann
Felix folgt ihr einige Tage später, am 9. Juni 1945 und stirbt ebenfalls an
Fleckfieber.
Der letzte dieser drei Züge fuhr am 13. April 1945 ab und hielt schließlich nach einer Irrfahrt durch noch unbesetzte Teile Deutschlands in der Nähe der brandenburgischen Gemeinde Tröbitz auf offener Strecke an. Am 23. April 1945 fanden vorrückende Truppen der Roten Armee den Zug und befreiten die Häftlinge aus den Waggons. Etwa 200 von ihnen hatten die Fahrt nicht überlebt. In den nachfolgenden Wochen starben weitere 320 Menschen an den Nachwirkungen des Todestransports durch eine Epidemie.
Max Beckmann findet Unterschlupf in Amsterdam
MAX BECKMANN. WELTTHEATER
Eine Ausstellung der Kunsthalle Bremen und des Museums Barberini, Potsdam. In Potsdam ist die Ausstellung vom 24. Februar bis 10. Juni 2018 zu sehen.
1884 -1950
Er war 30, als der Erste und 49, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. "Meine Kunst kriegt hier zu fressen", sagte er 1919. Er erlebte das Grauen als Ambulanzfahrer und feuerte nie einen Schuß ab. 1937 nach der Rundfunkübertragung von Hitlers Rede zur Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung in München, die auch seine Arbeiten zu entarteter Kunst erklärte, verließ er Deutschland für immer und "unterschlüpfte" in Amsterdam. Nach New York ließ man ihn erst 1947 reisen.
Meine Familie fuhr zurück, er fuhr westwärts.
Diese Kriege haben ihn Kraft gekostet, er starb an einem Herzinfarkt auf der Straße, genauer Central Park West, 61st Street. Gemalt, gezeichnet, geschaffen hat er immer, auch wenn er rein gar nichts verkaufen durfte und konnte.
DWDS: schlüpfen = 'sich gleitend (durch enge Öffnungen) fortbewegen, sich schnell und geschmeidig bewegen', ahd. intsluphen 'entkommen, entschwinden'.
Felix Oestreicher
Naderhand - Nachher - Afterward
Eine Ausstellung der Kunsthalle Bremen und des Museums Barberini, Potsdam. In Potsdam ist die Ausstellung vom 24. Februar bis 10. Juni 2018 zu sehen.
1884 -1950
Er war 30, als der Erste und 49, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. "Meine Kunst kriegt hier zu fressen", sagte er 1919. Er erlebte das Grauen als Ambulanzfahrer und feuerte nie einen Schuß ab. 1937 nach der Rundfunkübertragung von Hitlers Rede zur Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung in München, die auch seine Arbeiten zu entarteter Kunst erklärte, verließ er Deutschland für immer und "unterschlüpfte" in Amsterdam. Nach New York ließ man ihn erst 1947 reisen.
Meine Familie fuhr zurück, er fuhr westwärts.
Diese Kriege haben ihn Kraft gekostet, er starb an einem Herzinfarkt auf der Straße, genauer Central Park West, 61st Street. Gemalt, gezeichnet, geschaffen hat er immer, auch wenn er rein gar nichts verkaufen durfte und konnte.
DWDS: schlüpfen = 'sich gleitend (durch enge Öffnungen) fortbewegen, sich schnell und geschmeidig bewegen', ahd. intsluphen 'entkommen, entschwinden'.
Les Artistes mit Gemüse
1943
Da sitzen sie, schauen ernst und frieren, als Gastgeschenk Lebensmittel in den Händen, nur Beckmann selbst hält einen Spiegel, der aber spiegelt nicht ihn, sondern etwas Fremdes, Bedrohliches. Ihre Kleider sind einmal elegant gewesen, bis auf die rote Wollmütze des Mannes mit dem Fisch. Im Bild hinten an der Wand brennt es.
Wie unvorstellbar. Dein Land schließt dich aus, verneint dich, macht dich verächtlich. Du, ein Deutscher, bist nun ein Ungewollter, ein Fremder. Du gehst, rennst, fliehst. Und schaust aus der Fremde zu, wie dein Land die Welt mit Krieg überzieht. Und du malst, zeichnest, holzschneidest. Keiner kauft deine Bilder. Keiner wagt es.
Totentanz
Ich frag mich oft, bin das denn ich,
Dem dieses alles widerfährt.
Nur Schatten sind wir unser selbst,
[...] Schatten gehen viel,
Ganz langsam, schlürfend Schritt für Schritt,
Gesenkten Kopfes schleichen wir.
Doch viele liegen stumpf im Bett,
Zum Lesen fehlt uns das Buch,
Zum Denken fehlt uns die Kraft.
Die trüben Augen sehen nicht,
Die Ohren hören nur ein Wort.
Gamellen kommen, Essenszeit:
Dann kommt Bewegung in den Leib,
Die keiner Kapo Schlag erzwingt.
Doch vielen fehlt auch jetzt die Kraft,
Die meisten holt Durchfall und Laus,
Und täglich schafft man sieben weg
Mit Karre und Wagen im offnen Sarg.
Ein Trüppchen Frauen hinterdrein,
Ein kurz Gebet, das ist der Schluß.
Ich frag mich oft, bin das denn ich,
Dem dieses alles widerfährt.
Nur Schatten sind wir unser selbst,
[...] Schatten gehen viel,
Ganz langsam, schlürfend Schritt für Schritt,
Gesenkten Kopfes schleichen wir.
Doch viele liegen stumpf im Bett,
Zum Lesen fehlt uns das Buch,
Zum Denken fehlt uns die Kraft.
Die trüben Augen sehen nicht,
Die Ohren hören nur ein Wort.
Gamellen kommen, Essenszeit:
Dann kommt Bewegung in den Leib,
Die keiner Kapo Schlag erzwingt.
Doch vielen fehlt auch jetzt die Kraft,
Die meisten holt Durchfall und Laus,
Und täglich schafft man sieben weg
Mit Karre und Wagen im offnen Sarg.
Ein Trüppchen Frauen hinterdrein,
Ein kurz Gebet, das ist der Schluß.
Felix Oestreicher
Naderhand - Nachher - Afterward
Im Jahr 1937 beginnt Felix Östreicher mit dem Schreiben seiner
„Drillingsberichte“; Briefe, die seine Familie über die Entwicklung seiner
Töchter auf dem Laufenden halten. In diesen unsicheren Zeiten zieht die Familie
von Karlsbad in die Niederlande. Der Versuch, eine Auswanderung über die
Grenzen Europas hinweg zu regeln, scheitert. Im November 1943 wird die Familie
verhaftet und gemeinsam mit Felix´ Mutter, jedoch ohne seine Tochter Helli,
nach Westerbork und später nach Bergen-Belsen deportiert. Felix beginnt in
Westerbork mit einem Tagebuch, das auch selbstverfasste Gedichte enthält.
Später wurden das Tagebuch und die Gedichte in Buchform veröffentlicht. Kurz
vor der Befreiung aus Bergen-Belsen wird die Familie zusammen mit vielen
anderen Juden aus Bergen-Belsen in einen Transport Richtung Osten gesetzt. Der
Zug strandet in Tröbitz und wird Ende April 1945 von den Russen befreit. Felix,
Gerda, Maria und Beate leben dort für einige Zeit in Freiheit. Geschwächt durch
das Konzentrationslager stirbt Gerda jedoch am 31. Mai an Fleckfieber. Ihr Mann
Felix folgt ihr einige Tage später, am 9. Juni 1945 und stirbt ebenfalls an
Fleckfieber.
WIKI sagt: Als der Verlorene Zug wird der letzte von drei Zügen bezeichnet, mit denen während der Zeit des Nationalsozialismus in der Endphase des Zweiten Weltkrieges Häftlinge vom Konzentrationslager Bergen-Belsen abtransportiert wurden, als sich die britischen Truppen dem Lager näherten...
Der letzte dieser drei Züge fuhr am 13. April 1945 ab und hielt schließlich nach einer Irrfahrt durch noch unbesetzte Teile Deutschlands in der Nähe der brandenburgischen Gemeinde Tröbitz auf offener Strecke an. Am 23. April 1945 fanden vorrückende Truppen der Roten Armee den Zug und befreiten die Häftlinge aus den Waggons. Etwa 200 von ihnen hatten die Fahrt nicht überlebt. In den nachfolgenden Wochen starben weitere 320 Menschen an den Nachwirkungen des Todestransports durch eine Epidemie.
Der letzte dieser drei Züge fuhr am 13. April 1945 ab und hielt schließlich nach einer Irrfahrt durch noch unbesetzte Teile Deutschlands in der Nähe der brandenburgischen Gemeinde Tröbitz auf offener Strecke an. Am 23. April 1945 fanden vorrückende Truppen der Roten Armee den Zug und befreiten die Häftlinge aus den Waggons. Etwa 200 von ihnen hatten die Fahrt nicht überlebt. In den nachfolgenden Wochen starben weitere 320 Menschen an den Nachwirkungen des Todestransports durch eine Epidemie.
Sonntag, 14. Januar 2018
Tut mir nicht weh oder ich schlag dich!
1 + 1 = 2
scheint von verführerischer Gewißheit.
Daran ist doch wirklich nicht zu rütteln, oder?
Daran ist doch wirklich nicht zu rütteln, oder?
Irgendwo zwischen dem martialischem "Was dich nicht umbringt, macht dich stark" und dem defensiv-aggressivem "Rühr mich nicht an", liegt das weite Niemandsland von gefährlichen Mißverständnissen und selbstgerechten Ungenauigkeiten.
Wenn ich zum Fasching als flotte mexikanische Braut mit Sombrero erscheinen würde, Gott schütze mich, ich hasse Fasching, aber wenn ich es täte, würde ich mich der kulturellen Aneignung (cultural appropiation) schuldig machen. Wobei Aneignung in diesem Zusammenhang eine übergriffige Handlung impliziert. Das gilt auch für Kostümierungen als Indianer (je nach Zeitpunkt: First Nation= Erste Nation, Natives - Eingeborene, Indigenous-Einheimische). Piraten und Hexen haben sich noch nicht zu Wort gemeldet. Es gilt: keine Rastalocken, wenn du nicht auf Jamaica geboren wurdest, kein Blues, wenn deine Hautfärbung eher ins blasse Spektrum neigt. Jedem nur seines. Strenge Abgrenzung, wenn alles in mir auf bereichernde Vermischung hofft.
Wenn ich Studenten auffordere, "Antigone", "Medea" oder "Hamlet" zu lesen, sollte ich sie genauestens vorwarnen, dass sie mit spezifischen für sie unangenehmen Vorgängen konfrontiert werden könnten. Damit gebe ich ihnen die Möglichkeit, der Konfrontation mit für sie traumatischen Ereignissen auszuweichen. Literatur, Poesie soll ein sicherer (safe) Raum sein, kein Ort der Auseinandersetzung, der überraschten, schockierten Erkenntnis. Der dadurch möglichen Befreiung.
ME TOO.
Eine wichtige, politisch relevante Bewegung, die Vergewaltiger bloß und gesellschaftlich mißachteten Machtmißbrauch offen legt, verschlammt, weil einige Frauen sich auf die wehrlose Opferrolle zurückziehen und ihre Möglichkeiten zur Gegenwehr und ihre Selbstinteressen ausradieren.
Ich bin nicht traumatisiert worden. Mein unverdientes Glück.
Aber eine dumme Bemerkung ist einer Vergewaltigung nicht gleichzusetzen.
Aber Machtmißbrauch ist schlimmer, als ungeschickte, hoffnungsvolle Anmache auf Augenhöhe. Wir, wir Frauen sind nicht a priori wehrlos. Die Bezeichnung Opfer ist nicht in unsere DNA eingeschrieben.
Weinstein, Wedel, Testino. Vergewaltiger? Wahrscheinlich.
Aber, nicht DER MANN ist unser Feind, sondern eine soziale Konstruktion, die es manchen, zu vielen Männern, ermöglicht ihren, ihren sadistischen, miserablen, übergriffigen Neigungen zu folgen.
-----------------------------------------------------------------------------------
„Unsere Verpflichtung zur akademischen Freiheit bedeutet, dass wir sogenannte trigger warnings nicht unterstützen".
Universität von Chicago 2016
Trigger Warnings, Aulöse-Warnungen - sind vorausgeschickte Warnhinweise zu Lehrinhalten, die für manche Studenten problematisch sein könnten.
Mikroaggression ist ein sozialpsychologischer Begriff, der 1970 von Chester Pierce geprägt wurde, um winzige, als übergriffig wahrgenommene Äußerungen in der alltäglichen Kommunikation zu beschreiben. Darunter werden kurze, alltägliche Äußerungen verstanden, die an die andere Person abwertende Botschaften senden, welche sich auf deren Gruppenzugehörigkeit beziehen.
Intersektionalität beschreibt die Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person. Intersektionelle Diskriminierung liegt vor, „wenn eine Person aufgrund verschiedener zusammenwirkender Persönlichkeitsmerkmale Opfer von Diskriminierung wird."
Dazu auch: "Triple Oppression oder auch Dreifachunterdrückung ist ein Begriff für mehrfache und gleichzeitige Unterdrückung aufgrund der geschlechtlichen, ethnischen und klassenspezifischen Zugehörigkeit. Eine weitere Bezeichnung ist Race-Class-Gender-Unterdrückung."
http://www.sueddeutsche.de/kultur/risiken-der-redefreiheit-man-wird-ja-wohl-noch-sagen-duerfen-1.2634767
http://www.deutschlandfunkkultur.de/der-triggerknueppel-literatur-gefaehrdet-eventuell-ihre.1005.de.html?dram:article_id=373087
Mittwoch, 10. Januar 2018
Marillenknödel
Zutaten: Kartoffelteig und 500 Gramm Marillen, zu deutsch Aprikosen und Würfelzucker und 80 Gramm Butter und 100 Gramm Brösel.
Zubereitung: Pellkartoffeln aufsetzen und, wenn weich, durchdrücken. Ein Gelbei in die heißen Kartoffeln rühren und kalt werden lassen. Nochmals ein Gelbei hineingeben und eine Prise Salz und 250 Gramm Mehl zu einem Teig verrühren.
Eine Aprikose mit gefüllt einem Stück Würfelzucker in die Mitte des Klosses tun. in kochendes Wasser geben. Wenn der Kloss oben schwimmt, ist er fertig.
Butter und Semmelbrösel braun werden lassen und mit Zimt und Zucker über die Klösse gießen.
Zubereitung: Pellkartoffeln aufsetzen und, wenn weich, durchdrücken. Ein Gelbei in die heißen Kartoffeln rühren und kalt werden lassen. Nochmals ein Gelbei hineingeben und eine Prise Salz und 250 Gramm Mehl zu einem Teig verrühren.
Eine Aprikose mit gefüllt einem Stück Würfelzucker in die Mitte des Klosses tun. in kochendes Wasser geben. Wenn der Kloss oben schwimmt, ist er fertig.
Butter und Semmelbrösel braun werden lassen und mit Zimt und Zucker über die Klösse gießen.
Kochen und Essen
Wiki nennt ESSEN, die Tätigkeit der Nahrungsaufnahme.
Da wandele ich nun auf die sechzig hin und habe erst jetzt die Freuden des Kochens entdeckt. Besser spät, als nie, oder?
Gegessen habe ich immer schon gerne. Ja, meine Familie nannte mich, in für uns typischer rauer Zärtlichkeit, "den Mülleimer", weil auch ihre übrigbleibenden Reste in mir immer einen freundlichen Aufenthalt fanden.
Ich, der Gewinner des Ferienlagertomatenstullenfressens, der Vertilger von 12, in Worten zwölf, Marillenknödeln und frühkindlicher Liebhaber von warmem Bäckerbrot. Denn kein frischgekauftes Brot erreichte die heimatliche Küche ohne beträchtliche Nage-Verluste. Meine schlesische Nennfamilie hätte mich am liebsten adoptiert, weil ich mit sieben Jahren und geringem Körpervolumen mehr Schweinebraten und Klöße mit Sahnesauce verschlingen konnte, als ihnen menschlich möglich schien.
Meine kurze, intensive und sehr schreckliche Bekanntschaft mit mit Anorexia nervosa unterbrach meine Liebschaft, aber beendete sie, Gott sei Dank, nicht.
Die Oma aus Wien, die Tanten aus Schlesien und Sachsen-Anhalt, alle drei leidenschaftliche Köchinnen und prägende Einflüsse auf meine kindliche Gier.
Wie wunderbar wurde ich umsorgt.
Mit österreichischen Mehlspeisen und Suppen aus selbstgesammelten Pilzen, mit Sahnesaucen und Buttercremetorten, mit Zwiebelstippe und deftigen Kohlrouladen.
Meine Tante Gerda, die nie das östliche Deutschland verlassen durfte, und starb, bevor sie ihre sehnsüchtig erträumte Rheinreise antreten konnte, erfand ihr serbisches Reisfleisch, ohne Serbien je betreten zu haben. Wenn sie Pflaumenmus einkochte roch die ganze Wohnung tagelang wie ein warmer Herbsttraumtag. Ihr sonntägliches Bratbrot mit eben diesem Mus ist einer Eloge würdig, das West-Nesquick war nur wohlgelittene Zugabe.
Meine Tante Schusti, gelernte Konditorin, zauberte aus allem, was heute mißtrauisch beäugt wird, aus Butter, Sahne und Schmalz, Köstlichkeiten von Weltklasse.
Und meine Oma überredete mich alles und jedes zumindest zu probieren und erst, wenn ich den Geschmack wirklich nicht mochte, durfte ich ablehnen.
Eine verfressene Kindheit voll von kochender und backender Zuneigung.
Heute bin ich nicht mehr dürr und klein, aber immer noch eßfreudig.
Und jetzt habe ich die Möglichkeit, ein wenig dieser Zuneigung zurückzugeben.
Da wandele ich nun auf die sechzig hin und habe erst jetzt die Freuden des Kochens entdeckt. Besser spät, als nie, oder?
Gegessen habe ich immer schon gerne. Ja, meine Familie nannte mich, in für uns typischer rauer Zärtlichkeit, "den Mülleimer", weil auch ihre übrigbleibenden Reste in mir immer einen freundlichen Aufenthalt fanden.
Ich, der Gewinner des Ferienlagertomatenstullenfressens, der Vertilger von 12, in Worten zwölf, Marillenknödeln und frühkindlicher Liebhaber von warmem Bäckerbrot. Denn kein frischgekauftes Brot erreichte die heimatliche Küche ohne beträchtliche Nage-Verluste. Meine schlesische Nennfamilie hätte mich am liebsten adoptiert, weil ich mit sieben Jahren und geringem Körpervolumen mehr Schweinebraten und Klöße mit Sahnesauce verschlingen konnte, als ihnen menschlich möglich schien.
Meine kurze, intensive und sehr schreckliche Bekanntschaft mit mit Anorexia nervosa unterbrach meine Liebschaft, aber beendete sie, Gott sei Dank, nicht.
Die Oma aus Wien, die Tanten aus Schlesien und Sachsen-Anhalt, alle drei leidenschaftliche Köchinnen und prägende Einflüsse auf meine kindliche Gier.
Wie wunderbar wurde ich umsorgt.
Marillenknödel
Mit österreichischen Mehlspeisen und Suppen aus selbstgesammelten Pilzen, mit Sahnesaucen und Buttercremetorten, mit Zwiebelstippe und deftigen Kohlrouladen.
Meine Tante Gerda, die nie das östliche Deutschland verlassen durfte, und starb, bevor sie ihre sehnsüchtig erträumte Rheinreise antreten konnte, erfand ihr serbisches Reisfleisch, ohne Serbien je betreten zu haben. Wenn sie Pflaumenmus einkochte roch die ganze Wohnung tagelang wie ein warmer Herbsttraumtag. Ihr sonntägliches Bratbrot mit eben diesem Mus ist einer Eloge würdig, das West-Nesquick war nur wohlgelittene Zugabe.
Meine Tante Schusti, gelernte Konditorin, zauberte aus allem, was heute mißtrauisch beäugt wird, aus Butter, Sahne und Schmalz, Köstlichkeiten von Weltklasse.
Und meine Oma überredete mich alles und jedes zumindest zu probieren und erst, wenn ich den Geschmack wirklich nicht mochte, durfte ich ablehnen.
Eine verfressene Kindheit voll von kochender und backender Zuneigung.
Heute bin ich nicht mehr dürr und klein, aber immer noch eßfreudig.
Und jetzt habe ich die Möglichkeit, ein wenig dieser Zuneigung zurückzugeben.
Montag, 1. Januar 2018
Loving Vincent & Wonder Woman
Kontrastprogramm am Neujahrstag.
LOVING VINCENT
"Nun ja, die Wahrheit ist, dass wir nicht anders sprechen können, als mithilfe unserer Werke." V.v.G.
Die Polin Dorota Kobiela und Hugh Welchman haben einen besonderen Film gemacht. Erst haben britische Schauspieler Szenen gespielt, dann wurde das Gefilmte durch 30 Maler, die per Hand viele Tausende Frames im Stil van Goghs malten, sozusagen übermalt. Erinnertes in schwarz/weiß, die eigentliche Handlung in van Gogh - Farben.
Armand, Sohn des Briefträgers Roulin, eines anderen von van Gogh Portraitierten, ist die Hauptfigur des Films. Er schlendert mit seiner gelben Jacke durch Bilder, die ihm unzugänglich sein sollten, auf der Suche nach der dem Geheimnis um den Tod seines Malers. War es Selbstmord oder Mord? Da wandert ein Mann mit gelber Jacke durch animierte Gemälde und irgendwie stört er. Er gehört da nicht hin. Auf dieser Strasse lief niemand, auf diesem Stuhl saß keiner.
Ein insgesamt 125-köpfiges Team hat 1.400 Animationen im Stil von van Gogh erstellt, die etwa 100 seiner bekannten Meisterwerke verarbeiten, und für 80 Minuten Spielzeit 57.600 einzelnen Bildern benötigten. (Wiki)
Technisch brillant und sicher sehr geeignet junge Menschen für van Gogh zu interessieren. Aber inhaltlich völliger Blödsinn. Denn könnten wir alle die Welt sehen wie Vincent es tat, wäre er nicht einsam, unglücklich und unverkauft gestorben.
Mich hat der Film seekrank gemacht, da die starken Striche der Originalbilder sich in der filmischen Bewegung wie wellenartig bewegten.
WONDER WOMAN
Einer von hunderten Filmen des erweiterten DC-Universums. Batman, Superman, das Suicide Squad, Aqua Man, etc. und eben auch Wonder Woman. Gal Gadot ist schön und ernsthaft. Feminismus für Uninformierte. Frauen sind die guten Krieger und auch eine der Bösewichte. Immer schön, immer gut frisiert. Guten Sex kann Frau auch ohne Männer haben, aber ein richtig edler Held ist noch toller. Harmlos, niedlich.
LOVING VINCENT
"Nun ja, die Wahrheit ist, dass wir nicht anders sprechen können, als mithilfe unserer Werke." V.v.G.
Die Polin Dorota Kobiela und Hugh Welchman haben einen besonderen Film gemacht. Erst haben britische Schauspieler Szenen gespielt, dann wurde das Gefilmte durch 30 Maler, die per Hand viele Tausende Frames im Stil van Goghs malten, sozusagen übermalt. Erinnertes in schwarz/weiß, die eigentliche Handlung in van Gogh - Farben.
Bildnis des Armand Roulin 1888
Ein insgesamt 125-köpfiges Team hat 1.400 Animationen im Stil von van Gogh erstellt, die etwa 100 seiner bekannten Meisterwerke verarbeiten, und für 80 Minuten Spielzeit 57.600 einzelnen Bildern benötigten. (Wiki)
Technisch brillant und sicher sehr geeignet junge Menschen für van Gogh zu interessieren. Aber inhaltlich völliger Blödsinn. Denn könnten wir alle die Welt sehen wie Vincent es tat, wäre er nicht einsam, unglücklich und unverkauft gestorben.
Mich hat der Film seekrank gemacht, da die starken Striche der Originalbilder sich in der filmischen Bewegung wie wellenartig bewegten.
WONDER WOMAN
Einer von hunderten Filmen des erweiterten DC-Universums. Batman, Superman, das Suicide Squad, Aqua Man, etc. und eben auch Wonder Woman. Gal Gadot ist schön und ernsthaft. Feminismus für Uninformierte. Frauen sind die guten Krieger und auch eine der Bösewichte. Immer schön, immer gut frisiert. Guten Sex kann Frau auch ohne Männer haben, aber ein richtig edler Held ist noch toller. Harmlos, niedlich.
Sonntag, 31. Dezember 2017
2018
Multimorbidität des alten Menschen
oder genauer meine persönliche Morbidität
Unter Multimorbidität oder Polymorbidität (lat. für Mehrfacherkrankung) versteht man das gleichzeitige Bestehen mehrerer Krankheiten bei einer einzelnen Person, sagt Wiki.
Wann bin ich alt?
Wenn ich denkfaulen Vorurteilen Raum lasse. "Früher war alles besser", um Gottes Willen, was für ein ein Quatsch. Früher war es genauso, nur wußte ich nichts davon oder habe es ignoriert.
Wann bin ich alt?
Immer gerade jetzt noch nicht. Aber bald. Solange es noch Ältere gibt, habe ich noch Zeit. In jungen Jahren schien mir SECHZIG ein trauriges Enddatum zu sein. Mit SECHZIG gab es die schmale Rente, die Kleidung war urplötzlich altersbeige, die Schuhe hässlich und bequem, die Haare normiert bläulich dauergewellt. Erotik Null. Sex nicht einmal mehr erinnert. Was war ich für ein ignorantes junges Arschloch.
Wann bin ich alt?
Für andere? Für Jüngere. Im eigenen Kopf? Im eigenen Körper?
Beim Familienfest teilt eine wunderschöne Siebenjährige großzügig ihr geschenktes Brausepulver mit mir. Es pritzelt so. Mitten in meine Blechtrommelerinnerung sagt sie staunend: "Das eine so alte Frau sowas noch macht!"
Wann bin ich alt?
Ein dummer Student entschuldigt sein schlechtes Benehmen mit "Aber ich habe Dir doch geholfen, Dich jung zu fühlen." Brauchte ich seine Hilfe? Oder er eher meine?
Mein liebster Horst, den der Krebs rücksichtslos weggerafft hat, war jung, weil er immer Neues lernen wollte. Sicher mit mehr Zeitdruck als in jüngeren Jahren, aber mit sichtlich großem Vergnügen.
Ein anderer Freund, der nun seit mehr als einem Jahr im Krankenhaus liegt, will dringend die "Welt am Sonntag" lesen, um politische Vorgänge genauer zu recherschieren.
Meine "ältere" Freundin läuft durch den Brandenburger Wald mit den staunenden Augen einer Abenteurerin. Die Lunge piept, das Gehirn jubelt.
Wann bin ich alt?
Ich bin heute gutmütiger, großzügiger, als ich es früher war. Gelassener. Cooler.
Ich weiß mehr, weil ich mehr gelebt habe. Keine persönliche Leistung, einfach Ansammlung von Zeit. Ich vergesse auch leichter. Noch keine Demenz, nur weniger Verkrampftheit.
Wann bin ich alt?
Wikidefiniert es kühl: Unter dem Alter versteht man den Lebensabschnitt rund um die mittlere Lebenserwartung des Menschen, das Lebensalter zwischen dem mittleren Erwachsenenalter und dem Tod. Das Altern in diesem Lebensabschnitt ist meist mit einem Nachlassen der Aktivität und einem allgemeinen körperlichen Niedergang (Seneszenz) verbunden.
Und eine andere Website definiert dann Seneszenz so: Seneszenz w (von latein. senescere = altern), Pflanzen, Pilzen, Tieren und Mensch gemeinsamer Alterungsprozeß, der im allgemeinen mit der Akkumulierung schädlicher Substanzen, Gewebsveränderungen sowie dem schrittweisen Verlust zahlreicher physiologischer Funktionen einhergeht. Insgesamt manifestieren sich diese Prozesse in einer verminderten Anpassungsfähigkeit gegenüber Umwelteinflüssen, was zu diversen Alterungskrankheiten („Multimorbidität des alten Menschen“) und schließlich zum Tod des Individuums führt.
Wann bin ich alt?
Bald.
WENN EENA DOT IS
Für Paul Graetz
Wenn eena dot is, kriste 'n Schreck.
Denn denkste: Ick bin da, un der is weg.
Un hastn jern jehabt, dein Freund, den Schmidt,
denn stirbste 'n kleenet Sticksken mit.
Der Rest is Quatsch.
Der Pfaffe, schwarz wien Rabe,
un det Jemache an den offnen Jrabe ...
Die Kränze ... ! Schade um det Jeld.
Und denn die Reden – hach du liebe Welt –!
Da helfen keine hümmlische Jewalten:
die Rede muß der Dümmste halten.
Un der bepredicht sich die schwarze Weste
un hält sich an Zylinder feste.
Wat macht der kleene Mann, wenn eena sanft vablich?
Er is nich hülflos – er ist feialich.
Leer is de Wohnung. Trauer, die macht dumm.
Denn kram se so in seine Sachen rum.
Der Tod bestärkt die edelsten Jefühle,
un denn jibs Krach, von wejn die Lederstühle.
Der Zeitvesuv speit seine Lava.
Denn sacht mal eena: »Ja, wie der noch da wah –!«
Denn ween se noch 'n bisken hinterher,
und denn, denn wissen se jahnischt mehr.
Wenn eena dot is, brummts in dir:
Nu is a wech. Wat soll ickn denn noch hier?
Man keene Bange,
det denkste nämlich jahnich lange;
ne kleine Sseit,
denn is soweit:
Denn lebst du wieda wie nach Noten!
Keener wandert schneller wie die Toten.
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 24.05.1932, Nr. 21, S. 792.
Freitag, 29. Dezember 2017
Tote Bäume
HEUTE IN EINEM BRANDENBURGISCHEN WALD, GENAUER BEI BOLTENMÜHLE.
NATURSCHUTZGEBIET.
DIE STÜRME DES LETZTEN JAHRES HABEN IHRE OPFER HINTERLASSEN.
VON WILDEN WINDEN GEFÄLLTE BÄUME ALLÜBERALL.
WIE WÄRE ES, WENN UNSERE TOTEN, AUCH SO UNTER UNS BLIEBEN.
ANWESEND. NICHT VERSTECKT, VERBORGEN, VERGRABEN.
DER TOD ALS NEBEN, MIT UNS, UM UNS EXISTIERENDES.
DIE BAUM-LEICHEN SIND ERHABEN SCHÖN.
WIR VERFAULEN.
WÄRE AUCH DARIN SCHÖNHEIT ZU FINDEN?
WENN WIR SIE DENN SEHEN KÖNNTEN?
FÖRSTER DURCHSTREIFEN DEN WALD UND MACHEN DIE WEGE BEGEHBAR.
LEICHEN WERDEN SAUBER HALBIERT, WENN SIE DEN DURCHGANG VERSPERREN.
PRAGMATISMUS GEPAART MIT ACHTSAMKEIT.
DIESER WALD IST EIN LEBENDIGES WESEN, EINSCHLIESSLICH SEINER TOTEN.
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
Rainer Maria Rilke
Wikimedia Commons, Lizenz: CC-BY-SA-3.0
SPIEGELUNG
DREI GEMEINSAM GESTORBENE
INNIG VEREINT
GEFÄLLT
EINE GIGANTISCHE LEICHE
ETWAS LEBENDES AUS ETWAS TOTEM
IM STURZFLUG GEFANGEN
Freitag, 22. Dezember 2017
ANATEVKA oder DER FIEDLER AUF DEM DACH
Ich bin überraschter Abkömmling einer der einstmals (vor 33) üblichen jüdischen Familien. Unsereins lebte sehr lange in Deutschland, Österreich und Rumänien. Wo wir davor wohnten, weiß ich nicht. Wir waren und sind zerstreut, verstreut worden. Der schickere Begriff ist DIASPORA.
Zwei kleine unscharfe Photos zeigen mir die Familie meiner Großmutter lose vereint um einen Chanukkaleuchter. Ihre Mutter, Leopoldine Pollak, gestorben am 4. März, 1927 in Wien, Österreich durch eine Hirnembolie nach Magenkrebs, ihr Vater, Siegfried Weigl ermordet am 20 Januar 1942 im Ghetto Lodz, ihre Schwester, Stella gestorben 1934 an einem Fieber. Glück gehabt? Sie, Helene Weigl, war auf der Flucht, und konnte ihre in Österreich etablierte
Familie nicht zum Mitkommen überreden. Deren Tod wurde ihr nur im Nachhinein bekannt. Ich habe keinen von ihnen kennengelernt. Meine Familie mütterlicherseits ist hitlerbedingt sehr klein.
Heute "Anatevka - Der Fiedler auf dem Dach" in der Komischen Oper.
Barrie Kosky bemüht sich ernsthaft und kunstvoll das Andenken an seine eigene Familie zu ehren und was kommt dabei heraus? Jiddischer Kitsch.
"Viele meiner besten Freunde sind Juden", "Sie haben Humor und Mutterwitz", ach, es ist schade.
Eine nicht mehr existierende Welt wird zelebriert und im Ergebnis entsteht banale Folklore. Blackfacing auf jüdische Art. Angeklebte Schläfenlocken schaukeln, gute Laune wird zum Lebensprinzip, wenn Konflikte entstehen, werden sie weggelacht oder weggeweint.
Da lebten einst Menschen unter, meinen Ansichten nach, zutiefst reaktionären Parametern in feindlicher Umwelt und in Reaktion auf diese mörderische Bedrohung zogen sie sich in noch realitätsfernere Wirklichkeiten zurück. "Unorthodox" von Deborah Feldman ist ein verstörendes Buch über die Lebensqual einer jungen Frau, die in eine orthodoxe jüdische Gemeinschaft der heutigen Stadt New York geboren wird und ihr um einen hohen Preis entkommt.
Die Choreographie ist atemberaubend gut. Dagmar Manzel auch. Eine Stunde weniger täte dem Abend gut, auch wenn ich die Überlänge verstehe.Und das berühmte Lied, natürlich. Übrigens das einzige, das hängenbleibt.
Wäre ich kein Jude (mit allem, was dieses Wort für mich beinhaltet),
ich wäre überhaupt kein Künstler oder aber ein ganz anderer Mensch. Das
ist keineswegs etwas Neues. Was mich betrifft, so weiß ich ziemlich gut,
zu welchen Leistungen dieses kleine Volk fähig ist. Leider bin ich
bescheiden und kann nicht aufzählen, was es alles zu leisten vermag.
Etwas Beschwörendes – das ist es, was dieses kleine Volk vollbracht hat!
Als es wollte, hat es Christus und das Christentum hervorgebracht. Als
es sich anstrengte, gebar es Marx und den Sozialismus. Ist es nicht
denkbar, dass es der Welt auch eine Kunst, irgendeine Kunst gegeben hat?
Schlagt mich tot, wenn das nicht stimmt." Marc Chagall
Zwei kleine unscharfe Photos zeigen mir die Familie meiner Großmutter lose vereint um einen Chanukkaleuchter. Ihre Mutter, Leopoldine Pollak, gestorben am 4. März, 1927 in Wien, Österreich durch eine Hirnembolie nach Magenkrebs, ihr Vater, Siegfried Weigl ermordet am 20 Januar 1942 im Ghetto Lodz, ihre Schwester, Stella gestorben 1934 an einem Fieber. Glück gehabt? Sie, Helene Weigl, war auf der Flucht, und konnte ihre in Österreich etablierte
Familie nicht zum Mitkommen überreden. Deren Tod wurde ihr nur im Nachhinein bekannt. Ich habe keinen von ihnen kennengelernt. Meine Familie mütterlicherseits ist hitlerbedingt sehr klein.
Heute "Anatevka - Der Fiedler auf dem Dach" in der Komischen Oper.
Barrie Kosky bemüht sich ernsthaft und kunstvoll das Andenken an seine eigene Familie zu ehren und was kommt dabei heraus? Jiddischer Kitsch.
"Viele meiner besten Freunde sind Juden", "Sie haben Humor und Mutterwitz", ach, es ist schade.
Eine nicht mehr existierende Welt wird zelebriert und im Ergebnis entsteht banale Folklore. Blackfacing auf jüdische Art. Angeklebte Schläfenlocken schaukeln, gute Laune wird zum Lebensprinzip, wenn Konflikte entstehen, werden sie weggelacht oder weggeweint.
Da lebten einst Menschen unter, meinen Ansichten nach, zutiefst reaktionären Parametern in feindlicher Umwelt und in Reaktion auf diese mörderische Bedrohung zogen sie sich in noch realitätsfernere Wirklichkeiten zurück. "Unorthodox" von Deborah Feldman ist ein verstörendes Buch über die Lebensqual einer jungen Frau, die in eine orthodoxe jüdische Gemeinschaft der heutigen Stadt New York geboren wird und ihr um einen hohen Preis entkommt.
Die Choreographie ist atemberaubend gut. Dagmar Manzel auch. Eine Stunde weniger täte dem Abend gut, auch wenn ich die Überlänge verstehe.Und das berühmte Lied, natürlich. Übrigens das einzige, das hängenbleibt.
Marc Chagall
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