Da wandele ich nun auf die sechzig hin und habe erst jetzt die Freuden des Kochens entdeckt. Besser spät, als nie, oder?
Gegessen habe ich immer schon gerne. Ja, meine Familie nannte mich, in für uns typischer rauer Zärtlichkeit, "den Mülleimer", weil auch ihre übrigbleibenden Reste in mir immer einen freundlichen Aufenthalt fanden.
Ich, der Gewinner des Ferienlagertomatenstullenfressens, der Vertilger von 12, in Worten zwölf, Marillenknödeln und frühkindlicher Liebhaber von warmem Bäckerbrot. Denn kein frischgekauftes Brot erreichte die heimatliche Küche ohne beträchtliche Nage-Verluste. Meine schlesische Nennfamilie hätte mich am liebsten adoptiert, weil ich mit sieben Jahren und geringem Körpervolumen mehr Schweinebraten und Klöße mit Sahnesauce verschlingen konnte, als ihnen menschlich möglich schien.
Meine kurze, intensive und sehr schreckliche Bekanntschaft mit mit Anorexia nervosa unterbrach meine Liebschaft, aber beendete sie, Gott sei Dank, nicht.
Die Oma aus Wien, die Tanten aus Schlesien und Sachsen-Anhalt, alle drei leidenschaftliche Köchinnen und prägende Einflüsse auf meine kindliche Gier.
Wie wunderbar wurde ich umsorgt.
Marillenknödel
Mit österreichischen Mehlspeisen und Suppen aus selbstgesammelten Pilzen, mit Sahnesaucen und Buttercremetorten, mit Zwiebelstippe und deftigen Kohlrouladen.
Meine Tante Gerda, die nie das östliche Deutschland verlassen durfte, und starb, bevor sie ihre sehnsüchtig erträumte Rheinreise antreten konnte, erfand ihr serbisches Reisfleisch, ohne Serbien je betreten zu haben. Wenn sie Pflaumenmus einkochte roch die ganze Wohnung tagelang wie ein warmer Herbsttraumtag. Ihr sonntägliches Bratbrot mit eben diesem Mus ist einer Eloge würdig, das West-Nesquick war nur wohlgelittene Zugabe.
Meine Tante Schusti, gelernte Konditorin, zauberte aus allem, was heute mißtrauisch beäugt wird, aus Butter, Sahne und Schmalz, Köstlichkeiten von Weltklasse.
Und meine Oma überredete mich alles und jedes zumindest zu probieren und erst, wenn ich den Geschmack wirklich nicht mochte, durfte ich ablehnen.
Eine verfressene Kindheit voll von kochender und backender Zuneigung.
Heute bin ich nicht mehr dürr und klein, aber immer noch eßfreudig.
Und jetzt habe ich die Möglichkeit, ein wenig dieser Zuneigung zurückzugeben.
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