Troubleyn / Jan Fabre
Mount Olympus
to glorify the cult of tragedy
(a 24h performance)
Uraufführung
to glorify the cult of tragedy
(a 24h performance)
Uraufführung
Jan Fabre die Flucht des Künstlers
Es ist zu lang, nicht lang genug, es ist antikisierender Kitsch, es ist rabiater Exzess, es ist perfekt gearbeitet und choreographiert, es ist hohl, es ist tief. Es ist dilettantisch und perfekt durchorganisiert. Es ist bedeutungsschwanger, es ist bedeutend. Es ist kultisch, es ist Kult. Es ist frei und totalitär.
Es irritiert meine Ossi-Sensibilitäten durch die paramilitärische Disziplin und gefühlte totale Auslieferung der Spieler an den Erschaffer. Es ist ... ???
Warum ist das gesamte Ensemble weiß?
Für „Mount Olympus“ probte er (Jan Fabre) mit einem streng ausgewählten Team in den vergangenen zwölf Monaten täglich von 11 Uhr bis Mitternacht. „Im Laboratorium ist alles möglich, Tag und Nacht.“ Ein Handy braucht Fabre für seinen Kunstalltag nicht. Mit der Außenwelt verständigt er sich mithilfe seiner Assistentin. „Ich mag es, nicht erreichbar zu sein.
BZ
Eine von vielen Szenenfolgen:
Ein Mann in deutlich theatererdachter Rüstung, silbern glänzender Bein- & Armschiene, Brustpanzer und geschlossener Helm, schwingt eine Kette, sie ist lang, vielleicht 4 Meter, er schleudert sie, er läßt sie schlängeln, schlagen, schleifen. Sie rutscht ihm aus den Händen, es sieht gefährlich aus, auch für das Publikum und die elegante stöckelbeschuhte Dame, die links von ihm auf einem Tisch ungerührt Posen tanzt. Er hört nicht auf, dreht sich wild mit der Kette, die fliegt, hart aufschlägt, weiterfliegt, sich einige Male um seinen Hals legt, ihm an die Beine drischt. Er fällt, ächzt, steht wieder auf. Weiter. Vor der schönen Frau kann er nicht einfach aufgeben. Er schnauft, stürzt, schlägt immer wieder lang hin, rappelt sich auf, schwingt die schwere Kette, 10 Minuten, 15.
Hinter ihm ein Videostandbild eines Mannes in ebensolcher Rüstung mit an die bepanzerten Wangen gelegten Händen.
Der Krieger kann nicht mehr. Er faltet die Kette zusammen und wirft sie weg. Enthelmt sich, atmet schwer, kniet an der Rampe, keuchend.
Eine Reihe Menschen mit Wassergefäßen kommt langsam von hinten. Alle sind in Varianten von gefaltetem und gegürtetem weißen Lakenstoff gekleidet - Griechenklischee und praktisch, weil leicht waschbar. Sie setzen die Gefäße an der Rampe ab, treten zurück und beginnen, der Krieger gemeindet sich ein, einen Chor.
No - no - no - fuck - fuck - fuck - take me - take me - Kopf senkt sich - hinknien - Kopf hebt sich - Atemseufzer - aufstehen und ...
Wieder und wieder. Langsam, für mich nicht langsam genug, löst sich die Einheitlichkeit auf, Individualität bricht ein. Die Worte bleiben die gleichen: No - no - no - fuck - fuck - fuck - take me - take me...
Und was jetzt passiert, über eine sehr lange Zeit, ist grandios und Hochleistungstheater und verstörend schön. Wir blicken hinter den hehren Ton des Chores, hinter die hohe Form, hinter die genehme Veredelung und - Chaos wird sichtbar.
Wieviele Arten des Nein gibt es? Es wird verhandelt, getändelt, gekrächzt, gebibbert, geliebäugelt, gebrüllt, gehaucht. Eine ältere Diva will ihren Stolz nicht verlieren und reizt alle Varianten des verzeifelten Tändelns aus, ein harscher Mann verliert die erwartete Fassung, ein dickes Mädchen gackert hysterisch No in den Himmel, wo vielleicht Götter seien könnten.
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Der Tanz der schwingenden Schwänze war hinreißend! Und dann reihen sie den blinden klagenden Ödipus zur Zorbasfilmmelodie in die Tanzreihe ein. Besser geht es nicht. "Every man needs a little bit of madness!"
Selbst für den großen Grenzüberschreiter Jan Fabre ist das ein Ausnahmeprojekt: 24 Stunden lang tanzen, spielen, schwitzen, lieben, leiden, schlafen, träumen sich 27 Performer*innen durch die Mythen der griechischen Antike. Ganz wie damals in Athen wird Theater zum Ausnahmezustand, zum politischen Raum, zu einer beinahe spirituellen Zeit-Reise für Darsteller und Publikum gleichermaßen. Fabre trägt das Publikum in einem Bilderstrom durch eine Performance zwischen Wachen und Schlafen, Traum und Realität. Dabei begegnen einem Medea, Antigone, Dionysos und andere Heroen in all ihrer Triebhaftigkeit und Archaik.
Aus dem Werbetext der Berliner Festspiele
© Troubleyn / Jan Fabre
Ein großes, respektvolles, verneigendes Danke an die Darsteller:
ore Borremans, Katrien Bruyneel, Annabelle Chambon, Cédric Charron, Renée Copraij, Anny Czupper, Els Deceukelier, Barbara De Coninck, Piet Defrancq, Mélissa Guérin, Stella Höttler, Sven Jakir, Ivana Jozic, Marina Kaptijn, Gustav Koenigs, Sarah Lutz, Moreno Perna, Gilles Polet, Pietro Quadrino, Antony Rizzi, Matteo Sedda, Merel Severs, Kasper Vandenberghe, Lies Vandewege, Andrew Van Ostade, Marc Moon Van Overmeir, Fabienne Vegt.