Mittwoch, 13. November 2013

Jessie Tarbox Beals 1 - Eine Photographin beim Photographieren



Jessie Tarbox Beals


* 13.12.1870 in Hamilton / Ontario
bis 30.6.1942 in New York
 
Eigentlich wollte ich Photographien von ihr posten, aber dann bin ich an den Bildern, 
von ihr, während sie photographiert, hängengeblieben. Welch ein Aufwand war 
damals nötig und dann auch noch eine weibliche Photographin! 
Sie sieht so fröhlich aus bei der Arbeit. Wie schön.


Unbekannter Photograph
Jessie Tarbox Beals bei der Arbeit während der Louisiana Purchase Exposition
1904(An der Leiter ihr Assistent "Pumpkin"

Seitenansicht

Zeitungsphotographie ist als eine Berufung für Frauen
in gewisser Weise eine Neuheit, aber es ist eine, die große
Anreize bietet, sowohl was das Interesse als auch was den 
Gewinn betrifft. Wenn man Besitzer von Kraft und Gesundheit 
ist, und eines guten Instinkts für Neuigkeiten... einer
ordentlichen Photographie-Ausrüstung, und der Fähigkeit
zu drängeln, welches die wichtigste Qualifikation ist, kann
man ein Zeitungsphotograph sein.

Newspaper photography as a vocation for women is somewhat of 
an innovation, but is one that offers great inducements in the 
way of interest as well as profit. If one is the possessor 
of health and strength, a good news instinct . . . a fair photographic outfit, 
and the ability to hustle, which is the most necessary qualification, one 
can be a news photographer.
Jessie Tarbox Beals
The Focus, St. Louis, Missouri, 1904



Mit ihrem Assistebten auf der Weltausstellung in St. Louis 1904







Dienstag, 12. November 2013

Man könnte durchbrechen


Paul Klee Seiltänzer 1923


Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; 
ich meine immer, 
ich könnte durchfallen, 
wo so ein Loch ist. - 
Man muß mit Vorsicht auftreten, 
man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, 
 ich rat es Ihnen!

Georg Büchner 
Dantons Tod

Sonntag, 10. November 2013

Regen



Wetter: Nassester Herbst seit 10 Jahren

Der Herbst brachte den Deutschen bisher von allem etwas: Regen, Sonne und 
 in Teilen Bayerns sogar Schnee. Im November bleibt das Wetter konstant - 
konstant schlecht. Denn es wird Regen geben, vor allem im Westen.
5.11.2013 gmx-nachrichten

weiter lesen: http://www.gmx.net/themen/nachrichten/panorama/34at622-wetter-herbst-regen#.A1000146

Es regnet, es regnet,
es regnet seinen Lauf,
und wenn's genug geregnet hat,
dann hört es wieder auf.


Weizenfeld im Regen

Saint-Rémy, Anfang November 1889


Nasser November

Ziehen Sie die ältesten Schuhe an,
die in Ihrem Schrank vergessen stehn!
Denn Sie sollten wirklich dann und wann
auch bei Regen durch die Strassen gehn.

Sicher werden Sie ein bisschen frieren,
und die Strassen werden trostlos sein.
Doch trotz allem: gehn Sie nur spazieren!
Und, wenn's irgend möglich ist, allein.

Müde fällt der Regen durch die Äste.
Und das Pflaster glänzt wie blauer Stahl.
Und der Regen rupft die Blätterreste.
Und die Bäume werden alt und kahl.

Abends tropfen hunderttausend Lichter
zischend auf den glitschigen Asphalt.
Und die Pfützen haben fast Gesichter.
Und die Regenschirme sind ein Wald.

Ist es nicht, als stiegen Sie durch Träume?
Und Sie gehn doch nur durch eine Stadt!
Und der Herbst rennt torkelnd gegen Bäume.
Und im Wipfel schwankt das letzte Blatt.

Geben Sie ja auf die Autos acht.
Gehn Sie, bitte, falls Sie friert, nach Haus!
Sonst wird noch ein Schnupfen heimgebracht.
Und -, ziehn Sie sofort die Schuhe aus!

Erich Kästner

Onomatopöie - Onomatopoesie - Kikeriki!



Onomatopoesie
ist die sprachliche Nachahmung von außersprachlichen Schallereignissen,
sagt Wiki.


Ich erkläre Schauspielern, dass die Szene mehr "Rums" braucht 
oder ist es "Rumms"?, oder dass sie "eine Minilaus grumpfliger" sein müßte. 
Und, o Wunder, sie verstehen was ich meine. Mein Körper produziert 
bisher nicht existente Wörter, mein Mund spricht sie und 
die Gehirne meiner Gegenüber begreifen deren Bedeutung. 
Laute, Zusammenstellungen von Lauten ergeben einen Sinn, ohne dass 
dieser in irgendeinem Wörterbuch nachweisbar wäre. 
Wasser wogt, rauscht, murmelt, plätschert, blubbert, zischt, sprudelt, dampft - die Verben erzeugen Bilder, Geräusche, die über den reinen Wortsinn hinausreichen.

Klappern, plappern, rascheln, klatschen, matschen, tatschen, 
schmatzen, klicken, klackern, schlackern, summen, brummen & 
 rauschen, mauscheln, quietschen, zutschen, gurgeln, murmeln.  
Oder Kikeriki, Ia, Wau-wau & Miau, die übrigens nicht für alle Welt gelten. Französische Hunde bellen anders, nämlich oua-oua. Boing und Knall 
und Bums und Rums, rumsbums. Plumps. Rattatazong! 

Wiktionary: LAUT
ein Geräusch, das durch die menschliche oder tierische Stimme hervorgerufen wird, in der Linguistik: Laut als Teil einer Sprache; Sprachlaut

Ich liebe das Wort MATSCH.  

KARAWANE
 
jolifanto bambla ô falli bambla
grossiga m'pfa habla horem
égiga goramen
higo bloiko russula huju
hollaka hollala
anlogo bung
blago bung
blago bung
bosso fataka
ü üü ü
schampa wulla wussa ólobo
hej tatta gôrem
eschige zunbada
wulubu ssubudu uluw ssubudu
tumba ba- umf
kusagauma
ba - umf


Hugo Ball 



Onomatopoetische Repräsentation eines Aufschlags. Plumps!

Onomatopoesie 

- von altgriechisch: ὄνομα (onoma) Name und ποίησις (poiēsis) das Machen
WORTERZEUGUNG?




Die deutsche Sprache

Kann die deutsche Sprache schnauben, schnarchen, poltern, donnern, krachen,
Kan sie doch auch spielen, schertzen, liebeln, gütteln, kürmeln, lachen.

Friedrich von Logau (1604 – 1655)


 

Freitag, 8. November 2013

Der 24. Jahrestag des 9. November 1989


EINE NACHT WIE KEINE NACHT

Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Paß- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne daß dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. […] Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu West-Berlin erfolgen... Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.

Günter Schabowsky in einer Pressekonferenz übertragen von der der Aktuellen Kamera, der Nachrichtensendung des Fernsehens der DDR


Merkwürdig, ich kann die Aktuelle Kamera vom 9. November nicht finden, nur Ausschnitte in der Tagesschau des "Westfernsehens".

Ein, in der Rückschau ungelenker, ja geradezu peinlicher Fernsehauftritt, öffentlicher Höhepunkt von Geschehnissen, deren vollen Umfang und Vorgeschichte wahrscheinlich selbst jetzt niemand von uns wirklich überblickt.

Meine Erinnerung an die Stunden bevor die glücklichen Tänze auf der Mauer stattfanden:

Weil ich weder Vorstellung noch Abendprobe habe, bin ich zu Hause, der Fernseher läuft, wie eigentlich immer in dieser Zeit, in der jeder Tag, jede Stunde Neues, Unglaubliches bereithält. Die erste wirkliche Demonstration meines Lebens liegt fünf Tage zurück, Unsicherheit, Hoffnung, Ungewissheit sind geistiger Dauerzustand. Die Aktuelle Kamera beginnt, früher habe ich die nie geschaut, Schabowski, der Günter, allgemein als besonders scharfes Dreckschwein und Alkoholiker bekannt, stammelt die oben zitierten Sätze in die Kamera. Inszenierung oder Unfall?
Noch am 8.November hatte er in einer Rede im ZK geäußert:
Eine einwandfreie Berichterstattung über jegliches Auftreten von Mitgliedern der Führung, also von Mitgliedern des Zentralkomitees wie von Mitgliedern des Politbüros … Das sind die wichtigsten Dinge. Die Methoden dazu können nur wieder Methoden der Administration und Gängelei sein, wenn man das mal in Anführungszeichen sagen will, anders ist es nicht möglich.Und die Berichterstattung der jüngsten Zeit sei
im Grunde nichts weiter […] als die übelsten Methoden, also des Bodensatzes, der westlichen Presse […] den Mist müssen wir nicht mitmachen. Und wenn man so mit ihnen spricht, dann haben sie es auch schnell verstanden, daß das eine Masche ist, die man nicht akzeptieren kann und die sich nicht mit dem Kurs der Erneuerung vereinbart.Und jetzt das!
Ich rufe einen Freund an, ob ich richtig gehört habe, und wir verabreden uns in der Kantine des Deutschen Theaters. Dort bekommen wir den Anruf eines anderen Bekannten, der nur: "Ich bin drüben, ich bin drüben!" ins Telephon stammelt. 
Es sei angemerkt, dass alle diese Anrufe über das Festnetz liefen. Man stelle sich vor - keine Handys!
Verwirrung, Freude, Panik, Unglauben.
Stunden später. Ich fahre mit Jörg-Michael Körbl in einem Lada durch Ost-Berlin. Im Haus des Reisens am Alexanderplatz stempelt eine überforderte Frau irgendwelche obskuren Genehmigungen in DDR-Ausweise, ein überwältigter junger Mann jubelt mitten auf der Straße: " Ich bin zwanzig Mal hin und her, hin und her!". Die Stadt ist still, nur an den Grenzübergängen sammeln sich immer mehr Menschen. 
Wir, Jörg und ich, beenden die Nacht in der Volksbühne und verbrennen in einem surrealen Autodafe unsere DDR-Ausweise auf einem Kantinentisch.
In Jörg-Michael Koerbls Stück "Neues Deutschland" von 1999 lautet der erste Satz: "Die Menschen rennen durch die Stadt wie vor dem Weltuntergang."
Eigentlich gab es von diesem Tag an die DDR nicht mehr.
Gut das sie weg ist!

 
Chronik des 9.Novembers mit genauen Zeitangaben:
http://www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Chronical/Detail/day/9/month/November/year/1989 

Théodore Géricault




EIN VERSTÖRENDER ROMANTIKER


 
 Irre oder die Besessenheit vom Neid 1822

Wiki schreibt: 
Jean-Louis André Théodore Géricault wurde am 26. September 1791 in Rouen in Frankreich geboren und starb am 26. Januar 1824 in Paris. Er war ein französischer Maler und Vertreter der Romantik.

Rückansicht von Pferden


GÉRICAULT. BILDER AUF LEBEN UND TOD
18. OKTOBER 2013 - 26. JANUAR 2014
Schirn Kunsthalle Frankfurt 


Im Herbst 2013 präsentiert die SCHIRN die erste Einzelausstellung zu Théodore Géricault (1791–1824) in Deutschland. Sie rückt zwei der zentralen Themenkomplexe des bedeutenden französischen Malers der romantischen Schule in den Mittelpunkt: das physische Leiden des modernen Menschen, wie es eindrücklich in Stillleben von abgeschnittenen Köpfen und Gliedmaßen als das Ineinander von Leben und Tod zum Ausdruck kommt, sowie die psychische Qual, wie sie seine Porträts von Geisteskranken zeigen. Diese komplett neuartigen Darstellungen von existenziellen Situationen, von Wahnsinn und Krankheit, von Leiden und Tod stehen beispielhaft für Géricaults besondere Modernität, die solchen mit Abscheu und Ekel besetzten Sujets Bildwürdigkeit und eine verstörende Aktualität verleiht.

Abgetrennte Körperteile - Studie

Angesiedelt zwischen dem romantischen Geschmack an Horror und dem unsentimentalen Blick der Wissenschaft spielte Géricault mit seinen Bildern von Wahnsinn und Tod bei der Konstituierung und Sichtbarmachung des modernen Subjekts eine entscheidende Rolle. Im Dialog mit Arbeiten von Zeitgenossen wie Francisco de Goya, Johann Heinrich Füssli oder Adolph Menzel stellt die Schau das traditionelle Verständnis von Realismus und Romantik als zwei einander ausschließende Epochenstile in Frage.

Eine Ausstellung der Schirn Kunsthalle Frankfurt und des Museum voor Schone Kunsten, Gent



Théodore Géricault 
Möglicherweise ein Selbstporträt kurz vor seinem Tod 1924
oder eine Vorstudie für das Floß der Medusa

Steppenwolf - Für Herrn G.


Den Steppenwolf habe ich, wie viele meiner Generation, in der Oberschulzeit gelesen und war dann fest davon überzeugt, dass auch in mir ein Wolf zu finden sei, wenn ich nur intensiv genug nach ihm suchen würde. Es steppenwolfte gehörig in meinem Abiturjahrgang. Und manche haben auch geglasperlenspielt. Das Buch war mir allerdings schon damal zu mühselig.

Ich wage es nicht Steppenwolf heute nochmals zu lesen. Warum? Weil ich das Gefühl habe, es ist in meiner Pubertät gut aufgehoben gewesen, es braucht das kritische, mäklige Auge der lang schon Erwachsenen nicht? Oder möchte ich die leicht verschwommene und vielleicht auch verklärte Erinnerung, an die Zeit in meinem Leben, die man allgemeinhin Jugend nennt, nicht genauer überprüfen? 



GEDICHT VOM STEPPENWOLF

Ich Steppenwolf trabe und trabe,
Die Welt liegt voll Schnee,
Vom Birkenbaum flügelt der Rabe,
Aber nirgends ein Hase, nirgends ein Reh!

In die Rehe bin ich so verliebt,
Wenn ich doch eins fände!
Ich nähm’s in die Zähne, in die Hände,
Das ist das Schönste, was es gibt.

Ich wäre der Holden so von Herzen gut,
Fräße mich tief in ihre zärtlichen Keulen,
Tränke mich satt an ihrem hellroten Blut,
Um nachher die ganze Nacht einsam zu heulen.

Sogar mit einem Hasen wäre ich zufrieden,
Süß schmeckt sein warmes Fleisch in der Nacht -
Ach, ist denn alles von mir geschieden,
Was das Leben ein bißchen fröhlicher macht?

An meinem Schwanz ist das Haar schon grau,
Auch kann ich nicht mehr ganz deutlich sehen,
Schon vor Jahren starb meine liebe Frau.
Und nun trab ich und träume von Rehen,

Trabe und träume von Hasen,
Höre den Wind in der Winternacht blasen,
Tränke mit Schnee meine brennende Kehle,
Trage dem Teufel zu meine arme Seele.
 
„[…] es ist die Geschichte eines Menschen, welcher komischerweise darunter leidet, dass er zur Hälfte ein Mensch, zur Hälfte ein Wolf ist. Die eine Hälfte will fressen, saufen, morden und dergleichen einfache Dinge, die andere will denken, Mozart hören und so weiter, dadurch entstehen Störungen, und es geht dem Mann nicht gut, bis er entdeckt, dass es zwei Auswege aus seiner Lage gibt, entweder sich aufzuhängen oder aber, sich zum Humor zu bekehren.“
Hermann Hesse, aus einem Brief an Georg Reinhart, 18. August 1925
©  Gret Widmann, 1926

Fragen Sie Reich-Ranicki

Aus dem FAZ Feuilleton vom 25.9.2006

Warum zählen Sie Hesse in Ihrem Buch „Sieben Wegbereiter“ nicht zu den einflußreichsten Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts? Raban von Arnim, Bonn

Reich-Ranicki: In den „Sieben Wegbereitern“ habe ich über Schriftsteller geschrieben, die mich schon in ihrer Jugend, in den dreißiger Jahren, interessiert und auch fasziniert haben. Schnitzlers Novellen, die Romane Döblins und, vor allem, Thomas Manns, die frühe Prosa Musils, Kafkas Gleichnisse, Tucholskys Feuilletons und die Lyrik des jungen Brecht - das alles übte auf mich eine beinahe magische Anziehungskraft aus.
Zunächst hat das mit der außerordentlichen Qualität dieser Literatur zu tun. Hinzu kam noch ein aktueller Umstand: Es handelte sich um Autoren, die im „Dritten Reich“ verboten oder zumindest unwillkommen waren. Oder sie waren, wie Kafka und Schnitzler, schon tot, doch als Juden verfemt. Zur Attraktivität, die man immer verbotenen Früchten nachsagt, gesellte sich noch ein anderer, keineswegs schwächerer Reiz - jener der Modernität. Wahrscheinlich habe ich es damals eher gespürt und geahnt als tatsächlich begriffen, daß mit den frühen Büchern dieser Autoren eine neue Epoche der deutschen Literatur begonnen hatte. Aus diesen Wegbereitern wurden dann meine Wegbegleiter.
Das alles gilt für Hesse eben nicht. Seit dem Ersten Weltkrieg lebte er in der Schweiz, seit 1923 war er Schweizer Staatsangehöriger. Den Nazis stand er nie nahe. Er war ein Rebell und ein Anarchist, doch vor allem ein Poet. Sein Werk bietet eine Mischung aus deutschromantischer Tradition und moderner Psychologie, aus Idyllik und Zivilisationsverachtung. Mit der heftigen Kritik des bürgerlichen Lebens verbindet sich bei ihm die Sehnsucht nach einer soliden und stabilen, schließlich doch bürgerlichen Ordnung.
Hesse, vor allem Lyriker, Romancier und Novellist, war außerordentlich erfolgreich, viele seiner Bücher erreichen noch heute sehr hohe Auflagen. Er hatte den Ruf eines strengen Sehers mit zarter Stimme und zugleich eines jugendbewegten Klassikers der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts.
Zu den vielen, sehr vielen enthusiastischen Lesern Hesses gehörte ich nicht, vielleicht mit Ausnahme meiner frühen Gymnasialjahre. Für einen Wegbereiter der deutschen Literatur habe ich ihn nie gehalten. Daß ich aber sein Werk nicht unterschätze, davon konnte man sich unlängst überzeugen, als der von mir herausgegebene Kanon der deutschen Literatur veröffentlicht wurde: Hesse ist in vier der fünf Teile dieses Kanons vertreten.
In der Kassette mit Erzählungen gibt es zwei größere Arbeiten von Hesse: „Knulp“ und „Klein und Wagner“. Im essayistischen Teil finden sich Hesses Aufsätze „Deutsche Erzähler“ und „Notizen zum Thema Dichtung und Kritik“. In den Romanteil habe ich nicht etwa den „Steppenwolf“ aufgenommen. Als ich ihn in meiner Jugend zum ersten Mal las, war ich entzückt, nach der zweiten Lektüre enttäuscht und nach der dritten entsetzt. Daß der Leser aus Hamburg seinem literarischen Geschmack von ehedem mißtraut und daß er sich fürchtet, ihn zu überprüfen, mag nicht unverständlich sein, ist mir aber ziemlich fremd. Für den Romankanon schien mir „Unterm Rad“ geeigneter als der „Steppenwolf“...

 
Herman Hesse

Sonntag, 3. November 2013

Es werde Licht! - Rjukans Sonnenspiegel


"Besser ist es, Licht anzuzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen."

Zweimal bekam eine kleine norwegische Stadt, die ob ihrer Lage in einem von Bergen umgebenen Tal, dem Vestfjordalen, im Winter bei tiefstehender Sonne, für fast sechs Monate kaum Sonnenlicht kannte, Licht geschenkt. Das erste Mal, 1928, als die Firma Norsk Hydro dem Ort eine Seilbahn spendete, so dass die Einwohner immer mal wieder auf die Bergspitze fahren konnten, um die Sonne zu sehen und zu spüren. Und nun hat der norwegische Künstler Martin Andersen, mit Hilfe von öffentlichen Geldern und Sponsoren, drei riesige Spiegel auf einen Berg gebaut, die dem Sonnenlicht folgen, es einfangen und dann auf den Marktplatz von Rjukan senden. Die Einwohner begrüßten die Sonne mit Sonnenbrillen, Drinks und norwegischen Flaggen.
Es werde Licht!




Krossobanen ist der Name einer Luftseilbahn in der norwegischen Stadt Rjukan südlich des Nationalparks Hardangervidda. Die Pendelbahn ist die älteste Seilbahn Nordeuropas. Sie wurde 1928 von Adolf Bleichert & Co. aus Leipzig-Gohlis erbaut und war ein Geschenk der Firma Norsk Hydro an die Einwohner Rjukans. (Wiki)


"Macht doch den zweiten Fensterladen auf, damit mehr Licht hereinkomme." Johann Wolfgang von Goethe, letzte Worte, am 22. März 1832

http://www.spiegel.de/reise/aktuell/rjukan-in-norwegen-spiegel-bringen-sonne-im-winter-a-930901.html 

Die blaue Kabine der Krossobanen wird von den Einheimischen gern "Die Blaubeere" und die rote Kabine gern "Die Preiselbeere" genannt.



Noch als Splitter zum Thema:

Von Archimedes heißt es, er habe, als eine römische Flotte seine Heimatstadt Syrakus angriff, einen Riesenspiegel aus Silber und Bronze bauen lassen, der das Sonnenlicht bündelte und die Flotte in Flammen aufgehen ließ. Amerikanische Wissenschaftler haben versucht diese Waffe nachzubauen, aber außer einem ganz kleinen, leicht austretbaren Feuerchen ist nix passiert. Und das auch nur, als das Schiff auf 25 Meter an die Sonnenstrahlenwaffe herangekommen war.

Isaac Asimov hat eine merkwürdige Kurzgeschichte geschrieben:  
"Und Finsternis wird kommen ...". Auf einem Planeten, der stets Taglicht hat, da er immer von einer seiner sechs Sonnen beschienen wird, gibt es den Mythos, dass alle 2500 Jahre, das Licht für eine Nacht verschwindet, Dunkelheit herrscht und man die Sterne sehen kann. 
Der Mythos erweist sich als wahr. In dieser Nacht bricht der Wahnsinn aus, die Menschen legen Feuer, um der Finsternis und dem Anblick der Unendlichkeit des sternenerfüllten Universums zu entgehen. Die Zivilisation geht unter, um in den nächsten 2500 Jahren wieder erschaffen zu werden. 

Und noch ein Letztes via Burkhard Ritter:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/brennglas-effekt-hochhaus-in-london-schmilzt-jaguar-a-920447.html

 

Freitag, 1. November 2013

OSKAR KOKOSCHKA



OSKAR KOKOSCHKA


Marianne Maquis, 1942. Tate, London, 
© Fondation Oskar Kokoschka / VBK, Wien, 2008

1942 - Die sowjetische Armee bekämpft die Deutschen Invasoren im Osten. Die Regierungen von Großbritannien und den USA verzögern  die Eröffnung der 
Zweiten Front im Westen. Mit Marianne-Maquis kritisiert Kokoschka diese Verzögerungstaktik. Winston Churchill und General Montgomery trinken Tee 
im Café de Paris in Soho. Die zentrale Figur ist Marianne, die traditionelle 
Personifizierung Frankreichs, nun verbunden mit der ‘Maquis’, der 
Französischen Resistance.

 Die Tänzerin Bessie Bruce 1910 im Lungensanatorium in Montreux
© Fondation Oskar Kokoschka


Altenberg über Bessie Bruce, die Geliebte seines Freundes Adolf Loos: 
"My most most beloved and adorated girl-baby Bessie Bruce!"
  
Schwindsüchtige

Sie müssen ruh'n und wieder ruh'n,
Teils auf den patentierten Liegestühlen
Sieht man in Wolle sie und Wut sich wühlen,
Teils haben sie im Bette Kur zu tun.

Nur mittags hocken krötig sie bei Tisch
Und schlingen Speisen: fett und süß und zahlreich.
Auf einmal klingt ein Frauenlachen, qualreich,
Wie eine Aeolsharfe zauberisch.

Vielleicht, daß einer dann zum Gehn sich wendet,
– er ist am nächsten Tage nicht mehr da –
Und seine Stumpfheit mit dem Browning endet...

Ein andrer macht sich dick und rund und rot.
Die Ärzte wiehern stolz: Halleluja!
Er ward gesund! (und ward ein Halbidiot...)


Alfred Henschke
alias Klabund


Theater hat auch Autisten


Heute im Theater am Goetheplatz in Bremen Die Räuber von Friedrich Schiller.
Es sei hiermit im Vornherein zugegeben, dass ich, wie mancher andere auch, dem Abend nicht bis zum Ende beigewohnt habe.

Leere Bühne, ein nackter, gut aussehender Mann tritt auf und beklagt seine Häßlichkeit. Ah, es ist Franz Mohr. Wunderbar schnell und klar gesprochen, rast er durch Monologe und die erste Szene mit Vater Mohr. Die Spielweise ist klassisch, verstellte Stimme für den Vater, wiederholende Gesten, ironisches Denken, wenig Humor, nur ist er halt nackt. 
Vielleicht weil bei Schiller der Satz "Nun sollt ihr den nackten Franz sehen und euch entsetzen!" fällt? 

Amalia tritt auf, sie ist offensichtlich nicht glücklich, träumt sich in Musik fort, wird durch Franz, der nunmehr eine Trainingshose in dezentem hellgrau trägt, gestört und öffnet geschwind, zum Zeichen ihrer Abneigung, ihre blaue Sportjacke, unter der sie eine Bluse mit nervösem Muster und roter Bordüre zum blauen bodenlangen Rock trägt. 
Sie wird in jeder Szene eine andere Perücke und ein anderes, unkleidsames Outfit tragen. Warum? Sucht sie nach ihrer Rolle? Hat multiple Persönlichkeiten? Alle Frauen stecken in einer Frau?

Man waren die Kostüme häßlich! Ich überlege ernsthaft eine Petition, zwecks Durchsetzung eines allgemeinen Verbotes von Sportkleidung auf Bühnen deutscher Stadttheater, aufzusetzen. So viele gut gebaute Männer in solch, aussagefreien, sackartigen Schlabberhosen. Die theatrale Jogginghose ist heute, was der Militärmantel in den 90ern und die Kunstleder-Amöbenmuster-Perlon-Mode um die Jahrtausendwende war. Verhäßlichung um ihrer selbst willen ist noch keine Kunstaussage.

Auftritt des Bastards Hermann.  
Die im halbleeren Saal anwesenden Gymnasiasten verlieren jetzt wahrscheinlich endgültig den Faden. 
Hermann trägt eine mittelblaue Kordhose und kein Hemd, aber einen runden Bauch. Er darf sich nicht bewegen und nicht gestikulieren und muß ganz gerade und ohne Erregung sprechen, wohl damit er sich von den Mitgliedern der Familie Mohr, die alle eine Neigung zur Hysterie haben, absetzt.

Vater Mohr erzählt gern ausgiebig über Szenen aus Hollywood-Filmen. Amalia versucht, ein wirklich feiner Einfall, seine Hand zum Zittern zu zwingen, er soll so alt sein, wie sie ihn braucht. 
Karl kommt spät, und muß alle Räuber mitspielen und, durchgehend und zunehmend, sehr leidenschaftlich-verzweifelt-intensiv-außer sich sein.
Immer wieder und über lange Strecken Dröhnen unter dem Text, oder ist es Musik?

Die Schauspieler sind nahezu ausnahmelos erstklassig, aber sie werden in einen situationsfreien Raum ohne historische oder soziale Ortung geworfen und sollen ausschließlich durch Zuständlichkeiten, emotionale Druckkraft und allgemeine Erregtheit das erzählen, was sicher als Film im Kopf des Regisseurs von großartiger Tiefe und Bedeutsamkeit ist.
Das Publikum, obwohl ständig direkt von der Rampe aus angesprochen, dient nur als Objekt der Belehrung, nicht als Gesprächspartner. Ihr versteht nicht was wir tun, und das ist euer Problem, frei nach der Fishermen's Friend Werbung:
Sind wir zu stark, bist Du zu schwach!  

Das selbstreferentielle, geradezu manische Interesse der theaterschaffenden Mittelschicht, zu der ich übrigens auch gehöre, an den eigenen, ins Gigantische vergrößerten Nöten läßt hier scheinbar keinen Austausch zwischen Oben und Unten mehr zu.

Vor einem Jahr im Maxim-Gorki-Theater Die Räuber von Antú Romero Nunes inszeniert. Was für eine andere Theaterwelt.


Das abschließende Disney Schluß-Tableau habe ich verpasst.