Freitag, 8. November 2013

Steppenwolf - Für Herrn G.


Den Steppenwolf habe ich, wie viele meiner Generation, in der Oberschulzeit gelesen und war dann fest davon überzeugt, dass auch in mir ein Wolf zu finden sei, wenn ich nur intensiv genug nach ihm suchen würde. Es steppenwolfte gehörig in meinem Abiturjahrgang. Und manche haben auch geglasperlenspielt. Das Buch war mir allerdings schon damal zu mühselig.

Ich wage es nicht Steppenwolf heute nochmals zu lesen. Warum? Weil ich das Gefühl habe, es ist in meiner Pubertät gut aufgehoben gewesen, es braucht das kritische, mäklige Auge der lang schon Erwachsenen nicht? Oder möchte ich die leicht verschwommene und vielleicht auch verklärte Erinnerung, an die Zeit in meinem Leben, die man allgemeinhin Jugend nennt, nicht genauer überprüfen? 



GEDICHT VOM STEPPENWOLF

Ich Steppenwolf trabe und trabe,
Die Welt liegt voll Schnee,
Vom Birkenbaum flügelt der Rabe,
Aber nirgends ein Hase, nirgends ein Reh!

In die Rehe bin ich so verliebt,
Wenn ich doch eins fände!
Ich nähm’s in die Zähne, in die Hände,
Das ist das Schönste, was es gibt.

Ich wäre der Holden so von Herzen gut,
Fräße mich tief in ihre zärtlichen Keulen,
Tränke mich satt an ihrem hellroten Blut,
Um nachher die ganze Nacht einsam zu heulen.

Sogar mit einem Hasen wäre ich zufrieden,
Süß schmeckt sein warmes Fleisch in der Nacht -
Ach, ist denn alles von mir geschieden,
Was das Leben ein bißchen fröhlicher macht?

An meinem Schwanz ist das Haar schon grau,
Auch kann ich nicht mehr ganz deutlich sehen,
Schon vor Jahren starb meine liebe Frau.
Und nun trab ich und träume von Rehen,

Trabe und träume von Hasen,
Höre den Wind in der Winternacht blasen,
Tränke mit Schnee meine brennende Kehle,
Trage dem Teufel zu meine arme Seele.
 
„[…] es ist die Geschichte eines Menschen, welcher komischerweise darunter leidet, dass er zur Hälfte ein Mensch, zur Hälfte ein Wolf ist. Die eine Hälfte will fressen, saufen, morden und dergleichen einfache Dinge, die andere will denken, Mozart hören und so weiter, dadurch entstehen Störungen, und es geht dem Mann nicht gut, bis er entdeckt, dass es zwei Auswege aus seiner Lage gibt, entweder sich aufzuhängen oder aber, sich zum Humor zu bekehren.“
Hermann Hesse, aus einem Brief an Georg Reinhart, 18. August 1925
©  Gret Widmann, 1926

Fragen Sie Reich-Ranicki

Aus dem FAZ Feuilleton vom 25.9.2006

Warum zählen Sie Hesse in Ihrem Buch „Sieben Wegbereiter“ nicht zu den einflußreichsten Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts? Raban von Arnim, Bonn

Reich-Ranicki: In den „Sieben Wegbereitern“ habe ich über Schriftsteller geschrieben, die mich schon in ihrer Jugend, in den dreißiger Jahren, interessiert und auch fasziniert haben. Schnitzlers Novellen, die Romane Döblins und, vor allem, Thomas Manns, die frühe Prosa Musils, Kafkas Gleichnisse, Tucholskys Feuilletons und die Lyrik des jungen Brecht - das alles übte auf mich eine beinahe magische Anziehungskraft aus.
Zunächst hat das mit der außerordentlichen Qualität dieser Literatur zu tun. Hinzu kam noch ein aktueller Umstand: Es handelte sich um Autoren, die im „Dritten Reich“ verboten oder zumindest unwillkommen waren. Oder sie waren, wie Kafka und Schnitzler, schon tot, doch als Juden verfemt. Zur Attraktivität, die man immer verbotenen Früchten nachsagt, gesellte sich noch ein anderer, keineswegs schwächerer Reiz - jener der Modernität. Wahrscheinlich habe ich es damals eher gespürt und geahnt als tatsächlich begriffen, daß mit den frühen Büchern dieser Autoren eine neue Epoche der deutschen Literatur begonnen hatte. Aus diesen Wegbereitern wurden dann meine Wegbegleiter.
Das alles gilt für Hesse eben nicht. Seit dem Ersten Weltkrieg lebte er in der Schweiz, seit 1923 war er Schweizer Staatsangehöriger. Den Nazis stand er nie nahe. Er war ein Rebell und ein Anarchist, doch vor allem ein Poet. Sein Werk bietet eine Mischung aus deutschromantischer Tradition und moderner Psychologie, aus Idyllik und Zivilisationsverachtung. Mit der heftigen Kritik des bürgerlichen Lebens verbindet sich bei ihm die Sehnsucht nach einer soliden und stabilen, schließlich doch bürgerlichen Ordnung.
Hesse, vor allem Lyriker, Romancier und Novellist, war außerordentlich erfolgreich, viele seiner Bücher erreichen noch heute sehr hohe Auflagen. Er hatte den Ruf eines strengen Sehers mit zarter Stimme und zugleich eines jugendbewegten Klassikers der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts.
Zu den vielen, sehr vielen enthusiastischen Lesern Hesses gehörte ich nicht, vielleicht mit Ausnahme meiner frühen Gymnasialjahre. Für einen Wegbereiter der deutschen Literatur habe ich ihn nie gehalten. Daß ich aber sein Werk nicht unterschätze, davon konnte man sich unlängst überzeugen, als der von mir herausgegebene Kanon der deutschen Literatur veröffentlicht wurde: Hesse ist in vier der fünf Teile dieses Kanons vertreten.
In der Kassette mit Erzählungen gibt es zwei größere Arbeiten von Hesse: „Knulp“ und „Klein und Wagner“. Im essayistischen Teil finden sich Hesses Aufsätze „Deutsche Erzähler“ und „Notizen zum Thema Dichtung und Kritik“. In den Romanteil habe ich nicht etwa den „Steppenwolf“ aufgenommen. Als ich ihn in meiner Jugend zum ersten Mal las, war ich entzückt, nach der zweiten Lektüre enttäuscht und nach der dritten entsetzt. Daß der Leser aus Hamburg seinem literarischen Geschmack von ehedem mißtraut und daß er sich fürchtet, ihn zu überprüfen, mag nicht unverständlich sein, ist mir aber ziemlich fremd. Für den Romankanon schien mir „Unterm Rad“ geeigneter als der „Steppenwolf“...

 
Herman Hesse

1 Kommentar:

  1. Denke, dass ein Text, der in der Jugend zu literarischen Erweckungserlebnissen führt, ein bleibender Schatz ist.

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