Montag, 2. September 2013

Bürgerkrieg - Heinrich VI. - Aktueller geht es nicht.



Nach tagelanger Lektüre der neuesten und schrecklichen Nachrichten über die blutigen Auseinandersetzungen in Ägypten und Syrien und das mögliche, und von mir mit großer Skepsis betrachtete, Eingreifen der USA in den Bürgerkrieg der in Syrien tobt, fühle ich mich meinungslos und überfordert.
Wer hasst wen und warum? Wer hat Recht, eine fast absurde Frage? Wer verfolgt welche und wessen Interessen?
Und dann lese ich eine Szene bei Shakespeare in seinem "Historiendrama" Heinrich VI., und ich bin mir durchaus bewusst, dass dies absurd und abgehoben klingen mag, aber plötzlich fühle ich mich nicht mehr ganz so allein in meinem hilflosen Nichtbegreifen.

Das Folgende ist nur unwesentlich gekürzt, die Übersetzung stammt von Frank Günther:

DIE ROSENKRIEGE, 
Inbegriff jeden Bürgerkrieges, in Kurzform: der König klagt, die von ihm regierten bringen sich gegenseitig um:

Der Krieg Der Rosen 1908 Henry Payne
England war lang im Wahnsinn, schlug sich selbst:
Der Bruder, blind, vergoss des Bruders Blut;
Der Vater würgte rasch den eignen Sohn;
Der Sohn, gedrungen, ward des Vaters Schlächter...



KÖNIG HEINRICH:

Wollt, ich wär tot, wenn’s Gottes Wille wär!
Denn was nur bringt die Welt als Leiden und Beschwer?
O Gott! Mir ist, als wär es ein beglücktes Leben,
Nichts beßres als ein biedrer Hirt zu sein;
Auf Hügeln hinzusitzen wie jetzt ich,
Mir Sonnenuhrn zu schnitzen, Span um Span,
Dran die Minuten sehn, wie sie verrinnen -
Wieviel davon die Stunde voll wohl machen,
Wie viele Stunden einen Tag vollenden,
Wie viele Tage wohl ein Jahr beschließen,
Wie viele Jahr ein Mensch wohl leben mag.
Wenn das geklärt ist, dann die Zeit sich ordnen -
So viele Stunden muß ich Herden hüten;
So viele Stunden muß ich Ruhe halten;
So viele Stunden muß ich Andacht üben;
So viele Stunden muß ich mich vergnügen;
So viele Tage warn die Schafe trächtig;
So viele Wochen, bis die Närrchen lammen;
So viele Jahre, bis ich Wolle schere:
Minuten, Stunden, Tage, Wochen, Jahre,
Dahingebracht zum Zweck, drum sie bestehn,
Sie brächten so das Weißhaar still zu Grab.
Ach, welch ein Leben wär’s! Wie süß! Wie lieblich!

Ein SOHN, der seinen Vater erschlagen hat, tritt auf, mit der Leiche in den Armen.


SOHN:

Der Mann hier, den im Zweikampf ich erschlug,

Der mag so manches Goldstück bei sich tragen,
Und ich, der zufällig sie ihm nun nimmt,
Mag noch vor Nacht samt Leben sie verliern
An sonstwen, wie der Tote hier an mich.
Wer ist’s? O Gott! Mein Vater sieht mich an,
Den ich im Kampf erschlug und wußt es nicht.
O Leidenszeit, die solche Taten zeugt!
Vergib mir, Gott, ich wußt nicht, was ich tat;
Und Vater, du vergib, ich wußte nichts von dir.
Mit Tränen will ich ’s Blutmal von dir waschen,
Und nun kein Wort, bis sich verströmt ihr Fluß.

KÖNIG HEINRICH: 

O Jammerschauspiel! O blutnasse Zeiten!
Weine, schmerzweher Mann; Träne um Träne helf ich;
Daß Herz und Aug, wie ‘s Bürgerkriegsland, blind
Uns werd vor Tränen und am Leid zerbrech.

Ein VATER, der seinen Sohn erschlagen hat, tritt auf, mit der Leiche in den Armen.

VATER: 

Du, der du mir so stark hast widerstanden, 
Gib mir dein Gold, wenn du an Gold was hast,
Denn ich hab’s mir erkauft mit hundert Hieben.
Doch laß mich sehn: ist das ein Feindgesicht?
Ach, nein, nein, nein; es ist mein einzger Sohn!
O Gott, erbarm dich dieser Elendszeit!
Was doch für Mord so roh, so schlächterhaft,

Abartig, meuterisch und unnatürlich
Dies tödliche Zerwürfnis täglich zeugt!

KÖNIG HEINRICH:
Weh über Weh! Leid übers Leid hinaus!
Erbarm, erbarm dich, gütger Gott, Erbarmen!
Die Rosen rot und weiß stehn ihm im Antlitz,
Die Schicksalsfarben der entzweiten Häuser:
So welk doch eine, blüh die andre Rose!
Wenn ihr im Krieg seid, welken tausend Leben.

SOHN:
Wie wird nur Mutter um des Vaters Tod
Über mich herfalln und nie Ruh mehr finden!

VATER:
Wie wird nur meine Frau um Sohnesmord
Tränmeere weinen und nie Ruh mehr finden!

SOHN:
Hat je ein Sohn so Vaters Tod beklagt?

VATER:
Hat je ein Vater so den Sohn beweint?

KÖNIG HEINRICH:
Hat je ein König so ums Volk gelitten?
Euer Leid ist tief; doch zehnmal tiefer meins.
Herztrübe Männer, ganz zerbrochen schier,
Hier sitzt ein König, mehr gebeugt als ihr. 



Sonntag, 1. September 2013

ERMUTIGUNG


     Gestern war ich, während der Langen Nacht der Museen, zum ersten Mal im 
     ehemaligen geheimen Staatssicherheits - Untersuchungsgefängnis in Berlin
     Hohenschönhausen. 
     Erst Großküche der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, dann Speziallager
     Nr. 3 der Sowjetischen Armee, ab 1946/47 zentrales Untersuchungs-
     gefängnis der sowjetischen Besatzungsmacht für Deutschland, wurde es 
     1951 von der Staatssicherheit übernommen, zunächst noch unter
     sowjetischer Kontrolle, ab 1953 selbstverwaltet. 
     Ich muß, auch wenn es nur der Besuch einer Gedenkstätte war, das Wort
     Grauen benutzen, ja, man weiß das alles längst und hat Freunde berichten
     gehört und Bücher gelesen, doch der Körper hat eine eigene Art Erfahrungen
     zu machen.
     Nachdem wir einem Rundgang-Führer entflohen waren, der versuchte den
     Schrecken durch schnoddriges und ungenaues Gequatsche zu bannen, sind
     wir zwei Stunden mit einem anderen durch die Gebäude gegangen, der
     mit unpathetischer Genauigkeit und respektvoller Empathie über das 
     Unerträgliche sprach.
     Er kam immer wieder auf die "Inszenierung" der Demütigung zu sprechen.

     Die Staatssicherheit hat sehr viel mit theatralischen Mitteln gearbeitet, und
     ihre Mitarbeiter haben regelrecht szenischen Unterricht gehabt. Wer hat 
     die unterrichtet? Theater des Grauens bekommt hier ein anderes, häßliches 
     Gesicht.
     Sicher, ich weiß, dass Geheimdienste zu vielen Orten und Zeiten, solche
     Methoden angewendet haben. Aber dies hier, war da, wo ich wohnte, in der 
     Zeit, in der ich lebte, Menschen angetan, mit denen ich das Land teilte, 
     auch Freunden, Liebsten.



ERMUTIGUNG


Du, laß dich nicht verhärten
in dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen,
die allzu spitz sind, stechen
und brechen ab sogleich. 

Du, laß dich nicht verbittern
in dieser bittren Zeit.
Die Herrschenden erzittern
- sitzt du erst hinter Gittern -
doch nicht vor deinem Leid.

Du, laß dich nicht erschrecken
in dieser Schreckenszeit.
Das wolln sie doch bezwecken
daß wir die Waffen strecken
schon vor dem großen Streit.

Du, laß dich nicht verbrauchen,
gebrauche deine Zeit.
Du kannst nicht untertauchen,
du brauchst uns und wir brauchen
grad deine Heiterkeit.  

Wir wolln es nicht verschweigen
in dieser Schweigezeit.
Das Grün bricht aus den Zweigen,
wir wolln das allen zeigen,
dann wissen sie Bescheid

Wolf Biermann

Von der Website der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen über:
KURT MÜLLER 

Kurt Müller war einer der ranghöchsten kommunistischen Führer in Deutschland, die im Zuge der stalinistischen Säuberungen in der DDR in Haft kamen. 1903 in Berlin geboren, trat der gelernte Werkzeugmacher 1920 in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein, für deren Jugendverband er im In- und Ausland als hauptamtlicher Funktionär tätig war. 1932 wurde er als Mitglied einer angeblich "parteifeindlichen Gruppe" aller Funktionen enthoben und als Arbeiter in das sowjetische Autowerk Gorki verschickt. Nach seiner Rückkehr leitete er einige Monate die illegale Arbeit der KPD in Südwestdeutschland. 1934 wurde er durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) verhaftet und saß bis 1945 in verschiedenen Zuchthäusern und Konzentrationslagern ein, die letzten fünf Jahre im KZ Sachsenhausen. Nach seiner Freilassung wurde Müller stellvertretender Vorsitzender der KPD in Westdeutschland und kam 1949 in den ersten Deutschen Bundestag. Im März 1950 beorderte ihn die Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) nach Ost-Berlin und ließ ihn unter Missachtung seiner parlamentarischen Immunität vom DDR-Staatssicherheitsdienst verhaften. Er kam zunächst in die Untersuchungshaftanstalt in der Albrechtstraße in Berlin-Mitte, wo er zeitweise vom damaligen Staatssekretär im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Erich Mielke persönlich verhört wurde. Im August 1950 wurde er dem sowjetischen Ministerium für Staatssicherheit (MGB) übergeben und in deren zentrales Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen, das so genannte U-Boot, überführt. 1951 kam er schließlich in das neue sowjetische Zentralgefängnis in Berlin-Karlshorst. In monatelangen Verhören und unter Anwendung verschiedener Foltermethoden sollte Müller zu einem der Hauptangeklagten eines geplanten Schauprozesses in der DDR gemacht werden. Unter anderem sollte er zugeben, Agent der Gestapo gewesen zu sein und im Auftrag Trotzkis Terrorakte gegen Stalin und andere sowjetische Parteiführer vorbereitet zu haben. Außerdem sollte er erklären, Spionageaufträge Titos und des englischen und amerikanischen Geheimdienstes ausgeführt zu haben. Der Schauprozess wurde jedoch – unter anderem aufgrund von Stalins Tod – nicht durchgeführt. Ein Sondergericht in Moskau verurteilte Müller 1955 statt dessen per Fernurteil zu 25 Jahren Haft. Im Zusammenhang mit der Freilassung der letzten deutschen Kriegs- und Zivilgefangenen durch die Sowjetunion konnte Müller einige Zeit später in die Bundesrepublik zurückkehren. In einem offenen Brief an den damaligen DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl prangerte er 1956 die unmenschlichen Haftbedingungen in Berlin-Hohenschönhausen an und forderte vergeblich seine Rehabilitierung sowie die Bestrafung der Verantwortlichen. 1957 trat er der SPD bei und arbeitete bis ins hohe Alter als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Kurt Müller starb 1990 in Konstanz. 

Brief Kurt Müllers 1956 an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl

"Meine Verhaftung am 22. März 1950 in Berlin und die gegen mich durchgeführten Maßnahmen der „Untersuchung“, wie der Strafvollstreckung, stellen Verbrechen dar. Dieser Verbrechen haben sich Funktionäre des Staatsapparates und andere schuldig gemacht."





Samstag, 31. August 2013

Theater ist manchmal sehr eitel


Der Völker Herz ist wankelmütig, Fürstin,
Sie lieben die Veränderung, sie glauben
Durch eine neue Herrschaft zu gewinnen.
Der Lüge kecke Zuversicht reißt hin,
Das Wunderbare findet Gunst und Glauben.

Vor einiger Zeit habe ich im Deutschen Theater einen beglückenden Abend erlebt, Ödipus Stadt in der Regie von Stephan Kimmig. ( Blog vom 10.11.2012 ) Entsprechend frohgemut wanderte ich also heute gegen Sieben durch Berlin Mitte, um die Premiere des Doppelprojektes Hieron / Demetrius von Mario Salazar / Friedrich Schiller, erarbeitet von eben diesem Regisseur, zu besuchen, nur um drei Stunden und einige lange Minuten später, grummelnd und schlecht gelaunt wieder nach Hause zu stampfen. Mist. Schade. Mist.

Hieron ist einfach gestrickt, ein wenig orwellsches 1984, ein bisschen Wolfgang Engler Bürger, ohne Arbeit. Man hatte eine Bonmot und schrieb dann ein Stück dazu. Ich hab's verstanden. Glaube ich. Gut gespielt, aber zu schnell und zu mühelos zu durchschauen. Mehr Wörter als Gedanken und dazu ein bedeutsames, sich monoton bewegendes Bühnenbild und kommentierender Soundtrack knapp über der Hörgrenze.
Pause.
Dann Demetrius, ein Schiller-Fragment, das aus allen Nähten platzt, die Wörter stürmen den Figuren aus den Mündern, schlagen ein und erkalten. Groß und auch absurd, da jeder seine, meist völlig egoistischen, Intentionen in dieser hochpathetischen Sprache mitteilt und sie dadurch noch klarer und mieser erscheinen. Gegen Ende nur noch Fetzen von Handlung, aber immer noch nachvollziehbar. Herrlich.

Die Mehrheit?
Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn,
Verstand ist stets bei wen'gen nur gewesen.
Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat?
Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl?
Er muß dem Mächtigen, der ihn bezahlt,
Um Brot und Stiefel seine Stimm verkaufen.
Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen;
Der Staat muß untergehn, früh oder spät,
Wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.
Wenn dann nach Odowalsky & Ossolinsky gerufen wird, dreht es sich fast zur Boulevard Komödie.
Nur leider doch nicht, heute und hier ist es angestrengt, anstrengend und eigenartig stümperhaft. Schauspieler ziehen sich aus und an, und sind offenbar angewiesen, während sie dies tun, kein Wort zu sprechen. Pause. Ein Hemd anzuziehen spannend zu gestalten, verlangt schon Einiges. Umbauten finden statt, ohne Kunstfertigkeit und eine Darstellerin muß, ohne weiteren Anlaß als diesen Umbau, ein langes, nicht sonderlich schönes polnisches Lied verhunzen. Pause. Mittlerweile habe ich das Vorhergeschehene schon fast wieder vergessen. Der Umbau ist letztlich zu Ende, der nächste Kollege tritt endlich auf, die Sängerin geht ab und der Neue macht erstmal wieder eine lange Pause bevor er spricht. 
Ich sage mal, Pausen muß man sich verdienen. Einfach nur nix sagen, nenne ich eine Leere oder, gröber, ein Loch. Pausen heißen so, weil sie sprachlose Spannungen zwischen Gedanken sind, die Sprache muß sich erst den Weg bahnen, oder jemand ist sprachlos aus Erschütterung oder Erstaunen (da fehlen mir die Worte, es hat mir die Sprache verschlagen, etc.), oder was auch immer Sprechen unmöglich, unnötig oder hinderlich macht. Aber einfach nur schweigen und sich schön Zeit lassen, in dem Gefühl, dass die eigene Anwesenheit interessant genug sei, finde ich nichts anderes als eitel. Warum soll ich Vergnügen dabei empfinden, jemandem, in den ich nicht verliebt bin, minutenlang anzustarren? Warum? Weil es gut für mich ist? Mich zum Nachdenken zwingt? Ich möchte hier freundlich darum bitten, im Theater nicht wie ein zu belehrender Grundschüler behandelt zu werden. Packt mich, schüttelt mich, reizt mich, aber tut nicht so, als wärt ihr schlauer als ich. Und wenn ihr es seid, dann seid nicht so stolz darauf.





Wiki notiert: Demetrius ist ein Dramenfragment von Friedrich von Schiller, das am 15. Februar 1857 am Hoftheater in Weimar uraufgeführt wurde. Es beschreibt die historische Figur des Demetrius, der kurze Zeit 1605/06 russischer Zar war. 
Bei einer Rede im polnischen Reichstag erklärt Demetrius seinen Anspruch auf den Zarenthron. Er erhofft sich Hilfe von Polen. Er sei der Sohn Zar Iwans IV. und nicht als Kind 1591 ermordet worden, sondern in einem Kloster aufgewachsen und dann beim Fürsten von Sendomir in Dienst getreten. Er sei dieser Zar Demetrius. Durch eine beeindruckende Rede überzeugt er den Reichstag und den König. Obwohl ein Reichstagsbeschluss am Veto Fürst Sapiehas scheitert, zieht Polen gegen Moskau ins Feld. Die Polen wollen mit Demetrius den Emporkömmling Boris Godunow vom Thron stürzen. Treibende Kraft ist Demetrius’ Verlobte Marina, die Tochter Mnischeks. Marfa, Witwe Zar Iwans, von Godunow in ein Kloster verbannt, beweint seit Jahren den scheinbar ermordeten Sohn, als sie die Nachricht erhält, dass Demetrius lebt.
Den weiteren Verlauf der Handlung hat Schiller nur skizziert: Boris erhält Nachricht von den Erfolgen des Demetrius und tötet sich durch Gift. Der neue Zar ist so lange ein gütiger Herrscher, bis er erfährt, dass sein Thronanspruch nicht legitim ist: Er ist nicht Iwans Sohn, sondern wurde von der Fraktion der Godunow-Gegner als Werkzeug benutzt. Als er durch seine Mutter Marfa identifiziert werden sollte, erkennt diese ihn nicht. Trotz der fehlenden Legitimation bittet er sie, ihn als seinen Sohn anzuerkennen. Marfa folgt ihrem Gewissen und erkennt ihn nicht an.

Donnerstag, 29. August 2013

Ein Waffenstillstand mit dem Tod


 Die Einschläge kommen näher -
Für die Fast-Alten unter uns

Lebensfreude ist das subjektive Empfinden der Freude am eigenen Leben, 
sagt Wiki, ich sage, dass ich unbeschreiblich gern lebe oder, in den Worten von 
Groucho Marx:
Ich habe vor ewig zu leben, oder bei dem Versuch zu sterben.

I intend to live forever, or die trying.

Wie seltsam, dass wir meist nur im plötzlichen, erschreckenden 
Erleben der Endlichkeit, oder brutaler formuliert, wenn jemand stirbt, 
den wir lieb haben, über den durchaus zufälligen Fakt unseres
 "Immer-noch-am-leben-seins" nachdenken. 
Wieviele Kompromisse würden wir sonst nicht eingehen?
Wieviel mehr würden wir küssen?
Wieviele kleinliche Auseinandersetzungen würden wir überspringen? 
Wieviel mehr würden wir lachen, bzw. weinen? 
Wieviel mehr Liebe würden wir versprühen und wieviel konsequenter 
wären wir in unseren Entscheidungen gegen etwas? 

Wir wären dann vielleicht aber auch unmenschlich, denn unsere 
Ignoranz der eigenen Sterblichkeit gegenüber macht uns wohl 
überhaupt lebensfähig. In jedem Moment zu leben im Bewusstsein, 
dass es gleich, morgen oder übermorgen zu Ende sein könnte, 
verhinderte vielleicht all die herrlichen, hoffnungsvollen, 
wenn auch gegen jede Vernunft, und deshalb überraschenden 
Idiotien, die uns zu Menschen macht, oder? 
Eine Freundin, die ungehöriger und ungerechter Weise, 
ganz jung sterben musste, hat mich, schon sehr geschwächt, 
am Kragen gepackt und mir eingetrichtert: 
Wage es nicht, das Leben nicht zu geniessen. Wage es nicht! 
Das Lied weiter unten, gesungen von Nina Simone, war ihr Lieblingslied.

Le bonheur de vivre (The Joy of Life) 1905-06
Henri Matisse
© Barnes Foundation, Merion, PA  

HIER KOMMT DIE SONNE

Hier kommt die Sonne und ich sage:
Es ist gut.
Kleiner Liebling, es war ein langer und einsamer Winter.
Kleiner Liebling, es scheint Jahre her zu sein, seit sie hier war,
Hier kommt die Sonne und ich sage:

Es ist gut.
Kleiner Liebling, das Lächeln kehrt auf die Gesichter zurück.
Kleiner Liebling, es scheint Jahre her zu sein, seit es hier war,
Hier kommt die Sonne und ich sage:
Es ist gut.
 Kleiner Liebling, ich fühle, das Eis schmilzt langsam.
Kleiner Liebling, es scheint Jahre her zu sein, seit es hell war,
 

Hier kommt die Sonne und ich sage:
Es ist gut.
Hier kommt die Sonne und ich sage:
Es ist gut.
  Es ist gut.  

HERE COMES THE SUN

Here comes the sun (doo doo doo doo)
Here comes the sun, and I say
It's all right

Little darling, it's been a long cold lonely winter
Little darling, it feels like years since it's been here
Here comes the sun
Here comes the sun, and I say
It's all right

Little darling, the smiles returning to the faces
Little darling, it seems like years since it's been here
Here comes the sun
Here comes the sun, and I say
It's all right

Sun, sun, sun, here it comes
Sun, sun, sun, here it comes
Sun, sun, sun, here it comes
Sun, sun, sun, here it comes
Sun, sun, sun, here it comes

Little darling, I feel that ice is slowly melting
Little darling, it seems like years since it's been clear
Here comes the sun
Here comes the sun, and I say
It's all right

Here comes the sun
Here comes the sun, and I say
It's all right
It's all right


 George Harrison gestorben am 29. November 2001

Here Comes The Sun wurde zu der Zeit geschrieben, 
als die Arbeit bei Apple so wurde, als müssten wir 
wieder zur Schule gehen und Geschäftsleute sein; 
all diese Rechenschaftsberichte unterschreiben, 
unterschreibe dies‘ und ‚ unterschreibe das‘. 
Irgendwie scheint es, als ob der Winter in England 
niemals endet, wenn der Frühling kommt, 
hast du das wirklich verdient. 
Eines Tages beschloss ich, meine Arbeit bei Apple 
einfach zu ‚schwänzen‘ und ging zu Eric Claptons Haus: 
[…] Die Befreiung, all diese dämlichen Buchhalter 
nicht zu sehen, war wunderbar, 
und ich ging mit einer von Erics akustischen Gitarren 
durch den Garten und schrieb  
Here Comes The Sun.

George Harrison, 1980

Dienstag, 27. August 2013

Ich werde zerbrochene Dinge aufbewahren


ICH WERDE ZERBROCHENE DINGE BEWAHREN

Ich werde·Zerbrochene·Dinge aufbewahren:·Den großen Ton·Topf·Mit den erhöhten·Leguanen·Die eigenen·Schwänze·Jagend;·Zwei ihrer·Weisen·Köpfe·Abgeschnitten;·

Ich werde·Zerbrochene·Dinge aufbewahren:·Den alten·Sklaven·Markt·Korb·An meine·Tür·Gebracht·Durch Den Mississippi·Ein gezacktes·Loch·ausgemeißelt·In seiner· Kräftigen·Eichen·Wand.·

Ich werde·Zerbrochene·Dinge aufbewahren:·Die Erinnerung·An·Das·Lange·Köstliche·Nacht·Schwimmen·Mit·Dir;·


Ich werde·Zerbrochene·Dinge aufbewahren:·In meinem Haus·Da·Bleibt·Ein·Besonderes·Fach·In dem·Ich·Zerbrochene·Dinge·Aufbewahre
Ihre Schönheit·Ist·Dass Sie·Nie·Mals·"Repariert"·Werden·Müssen.
Ich·Werde·Dein·Wildes·Freies·Lachen·Bewahren·Obwohl·Jetzt·Seine·
Beruhigende·Und·Anmutige·Brüchigkeit·Fehlt.·
 Ich werde·Zerbrochene·Dinge aufbewahren:·
Ich danke·Dir so sehr·

Ich werde·Zerbrochene·Dinge aufbewahren.·
Ich werde dich·Bewahren·Pilger·Des Leids.·

Ich werde·Mich bewahren.·
--------------------------------

Dieses Fragment hat mein Vater gegen Ende des Krieges 
im zerbombten Magdeburg gefunden. Und es sieht aus wie
sein Kindergesicht.

  ---------------------------

I Will Keep Broken Things

I will keep
Broken
things:
The big clay
Pot
With raised
Iguanas
Chasing
Their
Tails;
Two
Of their
Wise
Heads
Sheared
Off;

I will keep
Broken
things:
The old
Slave
Market
Basket
Brought
To my
Door
By Mississippi
A jagged
Hole
Gouged
In its sturdy
Dark
Oak
Side.

I will keep
Broken
things:
The memory
Of
Those
Long
Delicious
Night
Swims
With
You;

                                        I will keep                                        
                                   Broken                                  
                                 things:                               
                           In my house                          
                                           There                                           
                                               Remains                                               
                                                     An                                                     

                                       Honored                                        
                                         Shelf                                         
On which
I will
Keep
Broken
   Things.  
Their beauty
Is
They 
Need
Not 
Ever 

Be
                                            “fixed.”                                           

I will keep
Your
Wild
Free
Laughter
Though
It is now
Missing
Its
Reassuring
And
Graceful
Hinge.

I will keep
Broken
Things:

Thank you
So much

I will keep
Broken
Things.

I will keep
You:
Pilgrim
Of
Sorrow.

I will keep
Myself.

by Alice Walker

Montag, 26. August 2013

Katja Paryla



K... K... K... Ka... Ka... Ka... kakerlak... Kanakke ...
Schlusstext aus der Kahlen Sängerin

Sie war eine Wucht.
Kräftig, laut, lustig, wild, manchmal bös, immer intensiv und doch ganz zart. Schlau war sie und malen konnte sie, ganz wunderbar und ein Clown war sie und eine Tragödin und eine schöne Frau und noch vieles, von dem ich gar nichts weiss.

Sie hat mir den alten Trick mit der kleinen Nuß im Arsch verraten, als ich vor lauter verschüchterter Panik, nicht wußte, wie ich auf die Bühne kommen sollte. 'Stell dir sie vor, halt sie schön fest und lauf los!'. Den Wiener Klang muß man im Ohr dazu imaginieren.

Ihre erste Inszenierung als Regisseurin war "Die Kahle Sängerin". Mitten in der 89er Umbruchzeit probierten wir dieses Wahnsinnswerk, eigentlich gedacht für das Foyer des Deutschen Theaters. Tolle Proben, aufregend, neu, anstrengend, glücklichmachend. Den ersten Durchlauf haben wir für die Kollegen der Bühnentechnik gespielt, und die haben dann durchgesetzt, dass wir auf die große Bühne kamen. Diesen Abend haben wir alle, wir waren sechs Spieler, sehr geliebt, so sehr, dass wir vor jeder Vorstellung, über 100 waren es, freiwillig eine Durchspreche gemacht haben. Trotzdem gab es dann eine Vorstellung, die Katja, nach längerer Abwesenheit sah, und nach der sie uns, zu Recht, zur Schnecke gemacht hat. Wir waren wohl ob des Erfolges zu selbstsicher geworden und mir klingt ihr Satz noch im Ohr: Du spielst Mrs. Martin und nicht Clara Zetkin! Aua! 
So viele Erinnerungen, Miss Marwood, Medea, Nana, Alice, Iphigenie und und ...





... und Titania, die von Oberon aus Zettels Traum gerissen, von diesem Traum nicht lassen will und, gewaltsam von dem schlafenden Mann mit Eselskopf weggezerrt werdend, verzweifelt schreit.

OBERON:Da liegt dein Freund.

TITANIA: Wie ist dies zugegangen?
O wie mir nun vor dieser Larve graut!


OBERON: Ein Weilchen still! – Puck, nimm den Kopf da weg.
Titania, du laß Musik beginnen
Und binde stärker aller fünfe Sinnen
Als durch gemeinen Schlaf.
 
TITANIA: Musik her! Schlafbeschwörende Musik!



Spuk im Hochhaus
 

Kritik zu „Heinrich VI.“ von Shakespeare am Deutschen Theater Berlin, Regie Katja Paryla

Ein Mensch - zum König verurteilt

Wabernder Londoner Nebel. Düsternis. Mit Glockengeläut und Dudelsack-Geschnarr wird König Heinrich V. von England zu Grabe getragen. Der Sohn, der scheue kleine Heinrich (Simone von Zglinicki), weiß gekleidet, mit roten Strümpfen und hölzernem Spielzeugschwert, künftiger König Heinrich VI., wird im Trauerzug mitgeschleppt. Ungehört fleht er um Lieb' und Freundschaft. Auf der Leiche Heinrich V. rangeln die Peers um Einfluß und Macht.
In kühnem Zugriff brachte Katja Paryla am Deutschen Theater in Berlin Shakespeares „Heinrich VI." heraus. Mit Hilfe ihres Dramaturgen Henrik Bien komprimierte sie drei Dramen zu einer Spielfassung für einen normalen Theaterabend. Entstanden ist ein schlüssiges theatrales Symbol. In einem neutralen gelben Kasten mit Gängen, Winkeln und Pforten für Haß und Kabale, für Mord und Totschlag (Bühnenbild Arno Breuers) wird eine endlose Kette von Verbrechen derer vorgeführt, die zwischen Volk und Regent die Macht verwalten.
Ist der König, wie dieser Heinrich VI., ein milder, auf Ausgleich, auf Frieden und Versöhnung bedachter Herrscher, mischt er nicht intrigant und mörderisch mit, so wälzt sich machtlüsterner Anspruch erbarmungslos über ihn hin. Seine Ohnmacht ist die Allmacht der besitz- und einflußgierigen, national überheblichen staatstragenden Schichten. Bedrückend die Erkenntnis: Offenbar nicht einmal so sehr soziale Ursachen bedingen die Untaten, vielmehr über Jahrhunderte nicht veränderbare menschliche Rach- und Herrschsucht.
Die englischen Rosenkriege zwischen den Häusern Lancester und York liefern Regisseurin Katja Paryla ein reiches Spielmaterial. Sie meidet die psychologische Geste, führt ihre Schauspieler stilbewußt zu expressivem Ausdruck, scharfer Diktion und mimischer Verve bis zur Grimasse. Die Mordszenen sind pantomimisch verzögert. Einzelne Aktionen werden in die Groteske getrieben. Etwa wenn die höfische Kamarilla sich über die Erbfolge echauffiert. Eine Szene von gespenstischer Dimension. Alle Vorgänge werden präzis behauptet, zugleich mit ironischer Distanz der Lächerlichkeit ausgeliefert.

Ausgenommen der inzwischen zum Mann gereifte Heinrich VI. Für den entwickelt sich fast Verständnis, fast Mitleid. Inmitten der höllischen Anfeindungen scheint er der einzige menschlich empfindende Mensch. Udo Kroschwald gibt ihn glatzköpfig, weichlich, dicklich, redlichen Gemüts, wie eingesperrt in seine königliche Kluft. Als Kind zum König verurteilt, für die Pflichten und Lasten der Macht weder geschaffen noch geübt, ist er dem Ränkespiel hilflos ausgeliefert, vor allem dem seiner Frau. Er stöhnt über das Hauen und Stechen um ihn her, meint, dies sei nicht sein Land. Zwei bajuwarische Förster verweigern sich ihm als Untertanen. Bevor er umgebracht wird, träumt er wie ein großer, naiver Junge von einem vermeintlich süßen, lieblichen Leben als schlichter Hirte. Er hat sich an der Rampe niedergesetzt, teilt seine innige Sehnsucht treuherzig mit.
Eva Weißenborn gibt die Königin Margareta als eine Teufelin der Heuchelei, scheinbar sanft und gütig, in Wahrheit hinterhältig böse. Aalglatt spinnt sie mit Graf Suffolk, ihrem Geliebten (Uwe Dag Berlin), intrigante Fäden, kalt und berechnend geht sie über Leichen. Die prominentesten: Herzogin Leonore (Johanna Schall) und Herzog von Gloster (Karl Kranzkowski).
Ein Ensemble von Spitzenkräften. Horst Lebinsky (als alter Mortimer), Mario Gericke (Herzog von York), Frank Lienert (Graf Warwick), Michael Walke (Graf Salisbury), Sven-Eric Just (Herzog von Somerset), Jürgen Huth (Eduard), Gabriele Heinz (Kardinal Winchester). Und Kay Schulze, der mit Bravour den triumphierenden Richard spielt, den vorläufigen Sieger des Mordens.  


Neues Deutschland, 7. Oktober 1991

KATJA PARYLA gestorben am 25. 08. 2013 in Wölsickendorf



Aus Der Kahlen Sängerin:


HAUPTMANN
wendet sich zum Ausgang, bleibt dann stehen:
Ah, dass ich es nicht vergesse: Was macht die Kahle Sängerin?
Allgemeines betretenes Schweigen.
MRS. SMITH: 
Sie trägt immer noch die gleiche Frisur!
HAUPTMANN:
Ah! Dann auf Wiedersehen, meine Damen und Herren.
MR. MARTIN:
Viel Glück und eine gute Feuersbrunst!
HAUPTMANN:
Hoffen wir es. Für alle! 

Sonntag, 25. August 2013

Horoskope und solcher Mist


Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich erträumen lässt. 
Aus: Hamlet von William Shakespeare

Das ist eines der schnell herbeigezerrten Zitate, die auch scheinbar vernünftige Menschen nutzen, bzw. mißbrauchen, um ihren irrationalen Glauben (wobei sie Glauben gern als den neuesten Stand der nur noch nicht akzeptierten "Wissenschaft" verbrämen) an Astrologie, chinesische Tierkreiszeichen, indianische Baumhoroskope, Haarwäschen in Abhängigkeit von der Mondphase, Tarotaussagen über den günstigsten Zeitpunkt für Hochzeiten oder das nächste Großreinemachen, Handlinieninformationen über die zu erwartende Anzahl des Nachwuchses und ähnlichen Mumpitz, zu untermauern.


Ich, und circa 580 000 000 andere Menschen (580 Millionen bei einer geschätzen Weltbevölkerungszahl von 7.000.000.000 = sieben Milliarden) sind nun also Jungfrauen, was nichts, aber auch gar nichts mit dem Zustand unseres Hymens, aber angeblich alles mit der Konstellation der Sterne zum Zeitpunkt unserer Geburt und ihrer jetzigen Aufstellung zu tun hat, die, so wird behauptet, unsere charakterliche Veranlagung, die Wahrscheinlichkeit unseres zufriedenen oder unzufriedenen Gemütszustandes in den nächsten vierzehn Tagen; und überhaupt unser Wesen in genauester Weise bestimmen soll. Quatsch. Quatsch. und noch ein drittes Quatsch.

Gewiss, der Mond hat Einfluss auf das Wasser auf unserem Planeten. Warum? Weil zwischen der Erde und dem Mond und übrigens auch zwischen der Sonne und der Erde Gravitationskräfte wirken, nachweisbare, wissenschaftlich untersuchbare Anziehungskräfte.
Hat der Mond also auch Einfluss auf Fruchtwasser und die Hirn-und Rückenmarksflüssigkeit? Möglicherweise, aber auch der wäre physikalisch zu untersuchen und wahrscheinlich zu vernachlässigen. Aber warum sich der Mühe unterziehen Ursachenforschung zu betreiben, wenn man es doch so leicht gemacht bekommt mit esoterischem Gewaber? So bin ich, ich kann nicht anders, frag die Sterne.
Ich gestehe ein, dass auch ich sinnlosen Aberglauben folge: Pfennige zu finden, versetzt mich in Glückszustände, sie werden dreimal bespuckt und dann über die linke Schulter für den nächsten glücklichen Finder weggeworfen, beim Stolpern mit dem linken Fuß, zwingt mich mein Kinderglauben zum Zurückgehen auf den Stolperpunkt. Aber, und dieses Aber ist wesentlich, ich weiss doch in jedem Moment, dass ich glaube, was nicht stimmt. Deshalb Aber - Glaube. Es ist Unsinn, ABER ich GLAUBE es. Oder? Es ist ein Spiel, dass ich mit mir selber spiele, und ist für niemanden unterhaltsam oder wichtig als für mich.

Es macht mich wütend, wenn ich halbgegarten mystischen Quark als Offenheit für die Wunder der Welt serviert bekomme. Es macht mich auch wütend, wenn Leute ihre Nationalität, Herkunft, Geschlechtszugehörigkeit, sexuellen Präferenz oder eben Sternenkonstellation, also ihre ihnen bei der Geburt mitgegebene, und also geschenkte Voreinstellung, als Beweis ihrer tieferen Empfindsamkeit, größeren Glaubhaftigkeit, wahreren Erdverbundenheit, kurz ihrer Überlegenheit benutzen. Nicht alle Frauen sind a priori  ... als alle Männer, nicht alle Schwulen sind ... als alle Heterosexuelle, nicht alle Indianer sind tiefer im Verbund mit Mutter Erde als alle Friseure in Cincinatti, nicht alle Jungfrauen sind ordnungsliebend und die meisten Zwilling sind auch keine Zwillinge, nichts ist immer und bei allen einfach besser. Die Wahrheit ist, lästigerweise, immer konkret! Wir sind verschieden, damit müssen wir uns abfinden, ob ein bestimmter Punkt in einem von uns besser oder schlechter ist, als in einem anderen, läßt sich nur in konkreten Situationen herausfinden.
Meine Hoffnung für den morgigen Tag und das, was ich tue, um sie wahr werden zu lassen, muß gegen gesellschaftliche Gegebenheiten, soziale Vorurteile und meine eigene Verfassung gewinnen, also laßt wenigstens die weitentfernten und zutiefst uninteressierten Sterne aus der Sache raus. Es ist hart genug wie es ist.

Dame auf dem Rücken liegend?

Stephen Fry hat, als er gefragt wurde, welches Sternzeichen er denn sein würde, wenn er sein eigenes Sternkreiszeichen wählen könnte, geantwortet:
Skepsis. Ich bin ein echter Skeptiker, geboren unter dem edlen Zeichen der Skepsis, dem Zeichen des Menschen, der absolut und ohne Einschränkungen weiß, dass Astrologie, der mistigste Mistes ist, den es je gab. Es ist eine sinnloser Irrglaube, der nicht einmal den Vorteil hat, ein harmloses Vergnügen  zu sein. Es ist schädliche Langeweile.  Schädlich für den menschlichen Geist, schädlich für die Würde und den Zauber des wirklichen Universums und die wirkliche Kraft des Geistes, selbst zu denken. Ich hasse Astrologie mit einer Intensität, die fast erschreckend ist. 

Apropos Mumpitz: Wiki schreibt:
Mit Mumpitz war ab dem 17. Jahrhundert eine Schreckgestalt oder auch Vogelscheuche gemeint. Das Wort leitet sich ursprünglich von „Mummelputz“ und „Mombotz“ ab und verbindet die beiden Wörter vermummen und (hessisch) Boz oder Butzemann (eine Kinderschreckfigur). Beim Mumpitz handelt es sich um eine Schreckgestalt für Toren.
Der Begriff erschien dann auf der Berliner Börse seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für „erschreckende Gerüchte“ oder „schwindelhaftes Gerede“.

Samstag, 24. August 2013

Mondnacht - Als Reiseproviant für S.



MONDNACHT

Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt'.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Joseph Freiherr von Eichendorff 1835

Caspar David Friedrich Greifswald im Mondlicht 1817

Leo Slezak singt "Die Mondnacht" von Robert Schumann

Zu Leo Slezak: Er hat eine wunderbare Autobiographie geschrieben, "Wann geht der nächste Schwan?" Der Titel bezieht sich auf ein Bühnenvorkommnis im  "Lohengrin", als ein Bühnentechniker den berühmten Schwan zu früh in Bewegung setzte, noch bevor Slezak/Lohengrin eingestiegen war, da hat er sich an das Publikum gewandt und gefragt: "Entschuldigen Sie, wann geht der nächste Schwan?" Und es gibt auch die Geschichte, wo eine Kollegin von sich behauptete, sie würde NIEMALS auf der Bühne lachen und Slezak, als Wotan im Rheingold, in der nächsten Vorstellung, seiner Erda zuflüsterte: „Welche Eier sind dir die liebsten?” und sie zur Antwort "Weiche, Wotan! weiche!" gluckste.

Freitag, 23. August 2013

THEATER 89 DROHT DIE SCHLIESSUNG!


Dem THEATER 89 droht die Schließung!


Auszug aus einem Artikel in der Morgenpost von heute, 23.08.2013 Von Stefan Kirschner:

Das ist ein ganz bitteres Geburtstagsgeschenk: Im kommenden Jahr wird das Theater 89 ein Vierteljahrhundert alt – und muss möglicherweise schließen. Denn die von der Senatskulturverwaltung eingesetzte dreiköpfige Jury hat in ihrem Gutachten zur "Evaluation bei der Neuvergabe der Konzeptförderung für die Jahre 2015-2018" empfohlen, die Förderung für das Theater 89 einzustellen. Es geht um 200.000 Euro. Gestrichen werden sollen auch die Zuschüsse für den Theaterdiscounter (150.000 Euro) und an die Gruppe Nico and the Navigators (100.000 Euro). Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) kündigte bei der Vorstellung des Gutachtens am Donnerstag an, dem Votum zu folgen.

Damit droht einem Theater das Aus, das wie keine zweite Off-Bühne politisches Theater macht und sich mittlerweile auch mit der gesamtdeutschen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts auseinandersetzt. Hans Joachim Frank, zu DDR-Zeiten Schauspieler am Berliner Ensemble, hat die Gruppe 1989 im damaligen Ost-Berlin gegründet. Einer der stärksten Inszenierungen der jüngeren Zeit war die Dramatisierung des Romans "Hafthaus", in dem ein Potsdamer Künstler seine Erfahrungen im Stasi-Knast reflektiert. Das Buch basiert auf einem realen Fall. Gespielt wurde im Hof des früheren Gefängnisses, also am historischen Ort in Potsdam, es war einer der ergreifendsten Theaterabende der letzten Jahre; die Produktion war auch für den Friedrich-Luft-Preis der Berliner Morgenpost nominiert......


http://www.morgenpost.de/kultur/berlin-kultur/article119309877/Theater-89-droht-nach-25-Jahren-die-Schliessung.html 

Und ein Artikel aus der Berliner Zeitung von heute:
http://www.berliner-zeitung.de/kultur/berliner-konzeptfoerderung-zwischen-pest-und-cholera,10809150,24088530.html

 Website des Theaters: http://www.theater89.de/uber-uns/

UMBRA VITAE - Assoziationskette durch Google


Eine Ahnung von Schrecken. 
Umbra ist das lateinische Wort für Schatten.

Egon Schiele –  Rufender
1911 © Lenbachhaus

Seid's gewesen, seid's gewesen!
 
Die letzte Erde
der Erde letzter Tag
die letzte Landschaft
die eines letzten Menschen Auge sieht
unerinnert
nicht weitergegeben
an nicht mehr Kommende
dieser Tag
ohne Namen ihn zu rufen
ohne Rufende

nicht grüner
nicht weißer
nicht blauer
als die Tage die wir sehn
oder schwarz
oder feuerfarben
er wird einen Abend haben
oder er wird keinen Abend haben
seine Helle sein Dunkel
unvergleichbar.

Die Sonne die leuchtet falls sie leuchtet
unbegrüßt
nach diesem Tag
wird es sich unter ihr öffnen?
Werden wir
als Staunende
wieder herausgegeben
unter einem währenden Licht?

Zünder der letzten Lunte
Maden der Ewigkeit?

Hilde Domin 
1912 in Köln


Ludwig Meidner - Apokalyptische Landschaft 
Nr. Halensee Bahnhof, 1913

http://de.wikipedia.org/wiki/1910er 
 
UMBRA VITAE

Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen
Und sehen auf die großen Himmelszeichen,
Wo die Kometen mit den Feuernasen
Um die gezackten Türme drohend schleichen 


Und alle Dächer sind voll Sternedeuter,
Die in den Himmel stecken große Röhren.
Und Zaubrer, wachsend aus den Bodenlöchern,
In Dunkel schräg, die einen Stern beschwören, 


Krankheit und Mißwachs durch die Tore kriechen
In schwarzen Tüchern. Und die Betten tragen
Das Wälzen und das Jammern vieler Siechen,
Und welche rennen mit den Totenschragen. 


Selbstmörder gehen nachts in großen Horden,
Die suchen vor sich ihr verlornes Wesen,
Gebückt in Süd und West, und Ost und Norden,
Den Staub zerlegend mit den Armen-Besen. 


Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile,
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen,
Sie springen, daß sie sterben nun in Eile,
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen. 


Noch manchmal zappelnd. Und der Felder Tiere
Stehn um sie blind, und stoßen mit dem Horne
In ihren Bauch. Sie strecken alle viere
Begraben unter Salbei und dem Dorne. 


Die Meere aber stocken. In den Wogen
Die Schiffe hängen modernd und verdrossen,
Zerstreut, und keine Strömung wird gezogen
Und aller Himmel Höfe sind verschlossen. 


Die Bäume wechseln nicht die Zeiten
Und bleiben ewig tot in ihrem Ende
Und über die verfallnen Wege spreiten
Sie hölzern ihre langen Finger-Hände. 


Wer stirbt, der setzt sich auf, sich zu erheben,
Und eben hat er noch ein Wort gesprochen.
Auf einmal ist er fort. Wo ist sein Leben?
Und seine Augen sind wie Glas zerbrochen. 


Schatten sind viele. Trübe und verborgen.
Und Träume, die an stummen Türen schleifen,
Und der erwacht, bedrückt von andern Morgen,
Muß schweren Schlaf von grauen Lidern streifen. 


Georg Heym
1911 

Ernst Ludwig Kirchner Holzschnitte zu dem Band Umbra Vitae 
1924 erschienen