Sonntag, 1. September 2013

ERMUTIGUNG


     Gestern war ich, während der Langen Nacht der Museen, zum ersten Mal im 
     ehemaligen geheimen Staatssicherheits - Untersuchungsgefängnis in Berlin
     Hohenschönhausen. 
     Erst Großküche der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, dann Speziallager
     Nr. 3 der Sowjetischen Armee, ab 1946/47 zentrales Untersuchungs-
     gefängnis der sowjetischen Besatzungsmacht für Deutschland, wurde es 
     1951 von der Staatssicherheit übernommen, zunächst noch unter
     sowjetischer Kontrolle, ab 1953 selbstverwaltet. 
     Ich muß, auch wenn es nur der Besuch einer Gedenkstätte war, das Wort
     Grauen benutzen, ja, man weiß das alles längst und hat Freunde berichten
     gehört und Bücher gelesen, doch der Körper hat eine eigene Art Erfahrungen
     zu machen.
     Nachdem wir einem Rundgang-Führer entflohen waren, der versuchte den
     Schrecken durch schnoddriges und ungenaues Gequatsche zu bannen, sind
     wir zwei Stunden mit einem anderen durch die Gebäude gegangen, der
     mit unpathetischer Genauigkeit und respektvoller Empathie über das 
     Unerträgliche sprach.
     Er kam immer wieder auf die "Inszenierung" der Demütigung zu sprechen.

     Die Staatssicherheit hat sehr viel mit theatralischen Mitteln gearbeitet, und
     ihre Mitarbeiter haben regelrecht szenischen Unterricht gehabt. Wer hat 
     die unterrichtet? Theater des Grauens bekommt hier ein anderes, häßliches 
     Gesicht.
     Sicher, ich weiß, dass Geheimdienste zu vielen Orten und Zeiten, solche
     Methoden angewendet haben. Aber dies hier, war da, wo ich wohnte, in der 
     Zeit, in der ich lebte, Menschen angetan, mit denen ich das Land teilte, 
     auch Freunden, Liebsten.



ERMUTIGUNG


Du, laß dich nicht verhärten
in dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen,
die allzu spitz sind, stechen
und brechen ab sogleich. 

Du, laß dich nicht verbittern
in dieser bittren Zeit.
Die Herrschenden erzittern
- sitzt du erst hinter Gittern -
doch nicht vor deinem Leid.

Du, laß dich nicht erschrecken
in dieser Schreckenszeit.
Das wolln sie doch bezwecken
daß wir die Waffen strecken
schon vor dem großen Streit.

Du, laß dich nicht verbrauchen,
gebrauche deine Zeit.
Du kannst nicht untertauchen,
du brauchst uns und wir brauchen
grad deine Heiterkeit.  

Wir wolln es nicht verschweigen
in dieser Schweigezeit.
Das Grün bricht aus den Zweigen,
wir wolln das allen zeigen,
dann wissen sie Bescheid

Wolf Biermann

Von der Website der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen über:
KURT MÜLLER 

Kurt Müller war einer der ranghöchsten kommunistischen Führer in Deutschland, die im Zuge der stalinistischen Säuberungen in der DDR in Haft kamen. 1903 in Berlin geboren, trat der gelernte Werkzeugmacher 1920 in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein, für deren Jugendverband er im In- und Ausland als hauptamtlicher Funktionär tätig war. 1932 wurde er als Mitglied einer angeblich "parteifeindlichen Gruppe" aller Funktionen enthoben und als Arbeiter in das sowjetische Autowerk Gorki verschickt. Nach seiner Rückkehr leitete er einige Monate die illegale Arbeit der KPD in Südwestdeutschland. 1934 wurde er durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) verhaftet und saß bis 1945 in verschiedenen Zuchthäusern und Konzentrationslagern ein, die letzten fünf Jahre im KZ Sachsenhausen. Nach seiner Freilassung wurde Müller stellvertretender Vorsitzender der KPD in Westdeutschland und kam 1949 in den ersten Deutschen Bundestag. Im März 1950 beorderte ihn die Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) nach Ost-Berlin und ließ ihn unter Missachtung seiner parlamentarischen Immunität vom DDR-Staatssicherheitsdienst verhaften. Er kam zunächst in die Untersuchungshaftanstalt in der Albrechtstraße in Berlin-Mitte, wo er zeitweise vom damaligen Staatssekretär im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Erich Mielke persönlich verhört wurde. Im August 1950 wurde er dem sowjetischen Ministerium für Staatssicherheit (MGB) übergeben und in deren zentrales Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen, das so genannte U-Boot, überführt. 1951 kam er schließlich in das neue sowjetische Zentralgefängnis in Berlin-Karlshorst. In monatelangen Verhören und unter Anwendung verschiedener Foltermethoden sollte Müller zu einem der Hauptangeklagten eines geplanten Schauprozesses in der DDR gemacht werden. Unter anderem sollte er zugeben, Agent der Gestapo gewesen zu sein und im Auftrag Trotzkis Terrorakte gegen Stalin und andere sowjetische Parteiführer vorbereitet zu haben. Außerdem sollte er erklären, Spionageaufträge Titos und des englischen und amerikanischen Geheimdienstes ausgeführt zu haben. Der Schauprozess wurde jedoch – unter anderem aufgrund von Stalins Tod – nicht durchgeführt. Ein Sondergericht in Moskau verurteilte Müller 1955 statt dessen per Fernurteil zu 25 Jahren Haft. Im Zusammenhang mit der Freilassung der letzten deutschen Kriegs- und Zivilgefangenen durch die Sowjetunion konnte Müller einige Zeit später in die Bundesrepublik zurückkehren. In einem offenen Brief an den damaligen DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl prangerte er 1956 die unmenschlichen Haftbedingungen in Berlin-Hohenschönhausen an und forderte vergeblich seine Rehabilitierung sowie die Bestrafung der Verantwortlichen. 1957 trat er der SPD bei und arbeitete bis ins hohe Alter als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Kurt Müller starb 1990 in Konstanz. 

Brief Kurt Müllers 1956 an den DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl

"Meine Verhaftung am 22. März 1950 in Berlin und die gegen mich durchgeführten Maßnahmen der „Untersuchung“, wie der Strafvollstreckung, stellen Verbrechen dar. Dieser Verbrechen haben sich Funktionäre des Staatsapparates und andere schuldig gemacht."





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