Ich gehe, neugierig und erwartungsfrei, in den Gropiusbau, um mir meine wöchentliche Dosis bildende Kunst zuzuführen. Zuerst Dennis Hopper, Photographien aus den 60er Jahren. Sind 1961 bis 1967 nun in den 60er oder 70er Jahre, bei den Jahrhunderten weiß ich es, immer eins nach oben, aber gilt das auch für die Jahrzehnte?
Erster Eindruck: Schwarz-Weiss und recht bieder, doch sind die photographierten Subjekte es nicht. Die Stillleben (3 l!!!) wirken ein bisschen banal, aber sobald er Menschen ablichtet, riecht es nach Aufbruch, Veränderung, neuer Coolness. Diese, meist jungen Amerikaner, schauen siegesgewiss, selbstsicher in die Kamera, noch Jahre entfernt vom Zynismus und der defensiven Arroganz der Aids-Katastrophe und Bush Jahre. Bilder aus einer Zeit, in der schmale Krawatten zu tragen, noch nicht die Zugehörigkeit zu einer hippen Werbeagentur bedeutete und Andy Warhol noch keine schlechtsitzenden Perücken trug.
Andy Warhol, Henry Geldzahler, David Hockney, and Jeff
Goodman
1963, © The Dennis Hopper Trust
1963, © The Dennis Hopper Trust
Bekiffte Hippies in rührender Kostümierung, Martin Luther King einen Traum träumend, Biker, die trotz Lederharnisch aussehen wie unschuldig-lüsterne Renaissance-Engel - noch war die versteinernde Rollenverteilung nicht vollzogen worden, noch wurde gespielt, ausprobiert.
Den Mythos Olympia und Bilder der Deutschen Fussball-Nationalmannschaft überspringe ich, aus nicht wirklich beschämendem Desinteresse am Sport und sitze dann in einem Video-Amphitheater, dreiviertelrund umgeben von dem Paradies-Teil der Trilogie der russischen Video-Künstler von AES+F.
Wiki sagt: Die Gruppe bildete sich 1987 unter dem Namen AES mit den Künstlern Tatiana Arzamasova, Lev Evzovich und Evgeny Svyatsky. Der Fotograf Vladimir Fridkes schloss sich 1995 der Gruppe an. Daraufhin wurde der Name der Gruppe in AES+F geändert. Die Gruppe lebt und arbeitet in Moskau
Das Satyricon, ein Roman, nur in Teilen erhalten, zu dem Das Gastmahl des Trimalchio gehört, schreibt Titus Petronius (14-66), auch Gaius Petronius Arbiter genannt, von Arbiter Elegantiae, d.h. Schiedsrichter des feinen Geschmacks, während der Regierungszeit des Kaisers Nero. Der freigelassene wohlhabende Sklave Trimalchio serviert seinen Gästen, die er unbedingt beeindrucken möchte, ein opulentes Gastmahl, das in der inszenierten Beerdigung des Gastgebers gipfelt.
The Feast of Trimalchio, Triptych #1, Panorama #3,
2010 Digital collage © AES+F
AES+F nutzen diese Geschichte als Assoziationsvorlage für ihre Visionen zum Paradies in Technicolor. Mit streng zugespitzter Farbauswahl, verfremdeten Zitaten aus der Barockmalerei, Posen sowjetischer Monumentalkunst und unter Verwendung der Werbe-Ästhetik, entsteht ein Monumentalgemälde der mechanisierten Dekadenz.
Weissgekleidete "Reiche" erreichen auf einem Ozeandampfer ein Eiland mit Palmenstrand, Parklandschaft und Skipiste und werden von Dienstpersonal in volkstümlicher Kostümierung umsorgt, gelegentlich kippt die Situation und Herren bedienen das Personal.
Video, Stoppbildcamera, Computeranimationen, Blue Box, Zeitlupe, Repetitionen - werden eingesetzt, um ein Gefühl von nervösem Stillstand zu erzeugen, das sich im Verlauf in Vorahnung von Katastrophe verwandelt.
Eigentlich sind es drei synchronisierte Bildfolgen (rechts,links,mittig), die nur einmal zu einem Gesichterpanorama zusammenschmelzen. Als Betrachter ist man durch die gigantischen Ausmaße und die Menge der wechselnden Szenen gezwungen, ständig den Kopf zu bewegen, immer im Wissen, dass man auf der anderen Seite möglicherweise etwas verpasst.
© AES+F
The Feast of Trimalchio 2010
Spannend. Neu. Anders. Die anderen beiden Teile der Trilogie haben mich nur wenig beeindruckt.