Freitag, 17. August 2012

Picasso ist weg - 1972 - letzte Bilder


Trinkt auf mich, trinkt auf meine Gesundheit, ihr wißt, dass ich nicht mehr trinken kann.
P.P. letzte Worte


Sein letztes Selbsportrait 1972



 Ebenfalls 1972: ein letztes Bild "Die Umarmung", danach zeichnete er 'nur' noch bis zu seinem Tode im April 1973.


Donnerstag, 16. August 2012

Weg! Aus dem Weg!


Im Wald, vor Jahren war man schon einmal hier, aber der Weg ist weg!

Und nun erkläre man einem, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, warum er einmal Weg mit langem e und weg mit kurzem e sagen soll. Unmöglich? Wunderbar.

Letztendlich unerklärbar, unerklärlich, aber da fängt eine Sprache an, Lust zu machen. Gibt's in anderen Sprachen auch: im Englischen ist der gefährliche Irre ein maniac, den spricht man ungefähr wie mäniak aus, das was er ist, nämlich maniacal, klingt aber wie mäneiikäl. Warum? Keine Ahnung. 
Warum sagen wir lieblich und nicht liebsam oder liebbar? Wunderlich ist nicht gleich wunderbar und auch nicht wie wundersam.
Sprache wächst, schrumpft, geht Umwege, lässt weg und fügt zu, sie lebt und kehrt sich einen Dreck um Logik und Regeln, sie wird nicht schlechter oder besser, nur neu und anders.
Für Sprache gilt: der Weg ist alles, das Ziel ist nix und weg ist weg, aber deswegen muß man sich keine Sorgen machen.

 

Entfremdung

 In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.
Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?

Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?

Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.  

Ingeborg Bachmann

Georges-Pierre Seurat Weg bei der Birke

Gesellschaft für deutsche Sprache - Sprachberatung

Warum dehnt man eigentlich das e im Substantiv Weg, während man es im Adverb weg kurz ausspricht? Die Wörter haben doch im Grunde dieselbe Form.
 
Dies ist eine interessante, wenngleich verzwickte Frage, denn die beiden Wörter haben nicht nur dieselbe Form, sieht man einmal von der Großschreibung des Substantivs ab, sondern auch dieselbe Wurzel. Sie gehen also auf das gleiche althochdeutsche Wort weg zurück, wenn auch zwischen ihrem erstmaligen Gebrauch in unterschiedlicher Bedeutung mehrere Jahrhunderte liegen.
Im Sinne von ›Geleise, Spur‹ war das althochdeutsche weg, später auch in der Form wec, bereits im 8. Jahrhundert gebräuchlich und geht auf dieselbe indogermanische Wurzel wie das Verb bewegen zurück. Doch erst im 12. Jahrhundert, also während der mittelhochdeutschen Sprachepoche, trat den Brüdern Grimm zufolge (Deutsches Wörterbuch, 13. Band, Leipzig 1922) das Adverb enwec als »abzweigung von dem vorhergehenden subst[antiv]« in Erscheinung, das im Althochdeutschen als Präpositionalgruppe in der Form in weg existiert hatte und die Bedeutung ›auf dem Weg, auf den Weg‹ trug. Hieraus ergibt sich die heutige Bedeutung ›(sich) entfernen‹ oder auch dessen Ergebnis. Obwohl enweg bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts vorkam, hatte sich aufgrund lautlicher Vereinfachung seit dem 14. Jahrhundert parallel auch die einsilbige Form weg herausgebildet, die sich schließlich durchsetzte.

Doch wie nun hat sich die unterschiedliche Aussprache der beiden Wörter entwickelt, wenn hier die gleiche Wortwurzel zugrunde liegt? Waren sie in ihrem Ursprung noch verschieden (weg vs. in weg bzw. wec vs. enwec), so haben sich die Wörter im Zuge des Sprachwandels in ihrer Form einander angepasst, sind dabei jedoch bedeutungsdifferent geblieben. Es ist also anzunehmen, dass der Unterschied in der Bedeutung und der Wortart eine Rolle für die ungleiche lautliche Entwicklung von Weg und weg spielt. Um diese historisch nachvollziehen zu können, greifen die Brüder Grimm vielfach auf zeitgenössische Dichtung zurück und schließen anhand von Reimen (etwa weg – Zweck, Weg – Steg etc.) auf die in der Sprachgeschichte jeweils gebräuchliche Aussprache von Substantiv und Adverb.
So war beim Substantiv Weg schon im 15. Jahrhundert ein Rückgang der Auslautverhärtung erkennbar, was sich auch in der Schrift niederschlug: Aus der Schreibung wec, wek oder weck entwickelte sich wegk, schließlich setzte sich überwiegend die Form Weg durch, was die Aussprache mit langem Vokal begünstigte. Obwohl das Substantiv vereinzelt auch mit einem kurzen Vokal vorkam (Reim: Weg – Zweck), war ein solcher weitaus häufiger beim Adverb weg. Besonders in süddeutschen Quellen (z. B. bei Grimmelshausen) wurde die Länge des Vokals oft und bis in die neuhochdeutsche Zeit durch ee angegeben; so findet sich das Substantiv in der Schreibung Weeg etwa in Schillers Die Räuber und in den Briefen und Tagebüchern Goethes. 

Im Gegensatz zu dieser Entwicklung blieben beim Adverb weg die Kürze des Vokals und die Auslautverhärtung erhalten. Der kurze Vokal ist durch zahlreiche Reime zu belegen (vor allem aus dem 16. und 17. Jh.), in denen weg zumeist in der Schreibung weck, auch wegk, vorkommt: Speck, keck – hinweg, schleck – wegck, wegk – Dreck etc (vgl. Deutsches Wörterbuch der Brüder Grimm). In einem Gedicht von Brentano finden sich folgende Zeilen: »Französische Nägel sind weich wie a Dreck – Kaum trifft sie der Schlegel, so ist der Kopf wegk« (Tiroler Wetter und Barometter beim Aufstand gegen die Franzosen, 1813). Obgleich die Schreibungen weck und wegk deutlicher auf die sich durchsetzende Aussprache mit kurzem Vokal schließen lassen, wurde auch für das Adverb schließlich weg die gewöhnliche Form. Hierzu mag beigetragen haben, dass Luther in seiner Bibelübersetzung durchgehend diese Form wählte. Zwar kamen weck und wegk noch bis ins 17. Jahrhundert vor, verschwanden dann jedoch allmählich. 

Die Aussprache von Weg mit langem Vokal und weg mit kurzem Vokal hat sich also bereits relativ früh entwickelt, und trotz einiger Umwege haben sie – plausibel oder nicht – schließlich auch im Schriftbild die gleiche Form erhalten. Diese lässt zwar auf ihren gemeinsamen Ursprung schließen, doch obwohl die Unterscheidung durch die Großschreibung des Substantivs und die Kleinschreibung des Adverbs erleichtert wird, können sich hier immer wieder Schwierigkeiten ergeben, etwa wenn Substantive mit dem Adverb weg zusammengesetzt sind: Weggang, Wegfall, Wegfahrsperre, Wegnahme, oder wenn Adjektive vom Substantiv Weg abzuleiten sind: weglos, wegkundig, wegsam, wegweisen. Derartige Stolpersteine und Verwirrungen fallen durch die verschiedene Aussprache von Substantiv und Adverb im lautlichen Bereich freilich »weg«.



Der Überzieher


Kennen Sie denn die Geschichte 
von dem Überzieher schon, 
den sich kaufte der Herr Fichte 
bei der Firma Stern und Sohn? 
Dieser Paletot war`n Prachtstück, 
und der Preis war garnicht stark: 
Neunundvierzig Mark und achtzig - 
nicht mal ganze fünfzig Mark. 
Der Herr Stern sprach:
"Sei`n Se froh! 
`s ist mein schönster Paletot. 
Geb`n Sie acht - auf die Pracht; 
`s wird gestohln - bei Tag und Nacht. 
Sind Se mal - im Lokal, 
häng`n Se`n vor sich auf im Saal. 
Schau`n Se `n dann - immer an, 
bleibt der Überzieher dran. 
Seh`n Se weg - von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg!"
 
Fichte ging ins Wirtshaus leider. 
Dort war`n Zettel angebracht: 
"`s gibt kein Raum für Überkleider, 
jeder Gast geb selber acht!" - 
Einen Haken fand Herr Fichte 
hinten nur - `s war ärgerlich. 
Darum dreht er sein Gesichte, 
hängt den Mantel hinter sich - 
Und nun saß er wie gebannt, 
schaute immer nach der Wand. 
"Ist er weg - ist er hier? 
Ja, da hängt der Überzieh`r. 
Ist er hier? Ist er weg? 
Nein, er hängt noch auf dem Fleck. 
Schau` ich stier - hinter mir, 
hab` ich meinen Überzieh`r. 
Seh ich weg von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg."
 
Fichte rief nun: "Kellner! Essen!" 
Der bracht`s Essen ihm und ging. 
Nun hat Fichte nicht vergessen, 
dass der Mantel hinten hing. 
Denn ihm schien - das war gefährlich - 
als ob alle Gäste hier 
schauten gierig und begehrlich 
nur nach seinem Überzieh`r. 
Darum kam es, als er aß, 
er den Mantel nicht vergaß. 
Essen hier - da das Bier 
und da hängt der Überzieh`r. 
Oben kaun - hier verdaun - 
und dabei nach hinten schaun. 
Schau ich stier - hinter mir, 
schmeckt kein Essen und kein Bier. 
Seh ich weg - von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg.
 
Nun mag sein, durch die Bewegung, 
durch das Drehen beim Souper 
kam sein Korpus in Erregung, 
und er kriegte Magenweh. 
"Gut" sagt er, "das geht vorüber," 
Wollt` zu der bewussten Tür, 
die ihm grade gegenüber - 
"Halt!" denkt er: "der Überzieh`r!" 
Setzt sich wieder hin ganz sacht 
Und hat kummervoll gedacht: 
"Wenn zur Tür - ich marschier, 
nimmt man mir den Überzieh`r. 
In der Eck - im Versteck - 
gehn die Magenschmerzen weg. 
Bleib ich hier - im Revier, 
bleib`n de Magenschmerzen mir. 
Geh ich weg von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg."
 
Ja, was gibt es da zu lachen, 
gab es sowas wohl schon früher? 
Musst man sich da Sorgen machen 
wegen einem Überziehr? 
Stundenlang konnt` man da sitzen 
hinter der bewussten Tür 
und braucht` keine Angst zu schwitzen 
wegen seinem Überziehr. 
Man ging raus, das ist doch klar, 
wenn Gefahr im Anzug war. 
Man saß froh - anderswo 
und da hing der Paletot. 
Kam zur Tür - man herfür, 
sah man seinen Überziehr. 
Spürt man heut innres Leid, 
denkt man erst ans Überkleid. 
Geht man weg - von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg.
 
So dacht Fichte - und blieb sitzen. 
Aber schließlich musst er raus. 
Plötzlich sprach er: Das wird nützen - 
trittst jetzt mit dem Mantel aus! 
Brauchst ihn ja nicht anzuziehen, 
das erschüttert dich zu sehr. 
Nimmst ihn übern Arm beim Fliehen 
und kommst nachher wieder her." 
Er stand auf und - setzt sich hin; 
Alles fuhr ihm durch den Sinn: 
"Essen, Bier - kriegt ich hier, 
hab noch nicht bezahlt dafür. 
Magenschmerz drückt mein Herz 
und der Kellner anderwärts. 
Wart ich prompt - bis er kommt, 
Weiß ich nicht ob mir`s bekommt. 
Geh ich weg von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg. 

Nehm ich mir - `n Überziehr 
übern Arm, schaut man nach mir. 
Denn der Raum, der mein Traum, 
ist zwei Schritt vom Ausgang kaum. 
Steh ich auf - und ich lauf 
mit dem Rock - hält man mich auf! 
"Nicht vom Fleck! - Der will keck 
mit `nem Überzieher weg." 
Alles schwirrt und kracht und klirrt, 
bis der Wirt gerufen wird. 
Schließlich irrt - auch der Wirt, 
Schimpft mit mir und wird verwirrt. 
`s kommt ein Gast - und der fasst 
meinen Mantel voller Hast. 
Mit Gespür hin zur Tür 
rennt durch den Gang herfür 
und ruft keck: Dieser Geck 
nahm mir `n Überzieher weg!
 
Will ich dann - zu dem ran, 
kommt der Kellner hinten an: 
"Bleibn Se hier! - Nicht zur Tür! 
Zahln Se erst die Zeche mir!" 
Bis ich zahl - voller Qual, 
ist der raus aus dem Lokal. 
Ich am Fleck - ohne Zweck 
und der Überzieher weg. 
Was ich tu: es ist verkehrt, 
alles bleibt mir so verwehrt! 
Bis ich näher - das erklär, 
dazu drängt die Zeit zu sehr. 
Das Malheur - kommt vorher: 
Hab` den Gang nicht nötig mehr. 
Wie ich`s mach - `s gibt `n Krach, 
ja da hilft kein Weh und Ach! 
Hab` den Schreck - und den Dreck 
und den Überzieher weg!

Otto Reuter 

Mittwoch, 15. August 2012

Die Sowjetunion ist weg - Sergei Krikaljow


Sergei Konstantinowitsch Krikaljow, "der letzte Bürger der UdSSR", verbrachte 310 Tage vom Mai 1991 bis zum März 1992, auf, oder besser, in der Raumstation Mir. Er startete in der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik und landete in der unabhängigen Kasachischen Republik, seine Heimatstadt Leningrad hieß mitlerweile Sankt Petersburg, die UdSSR war aufgelöst worden. Sein Kollege Alexander Volkow startete ebenfalls als Sowjetbürger und kam als Russe zurück.

Wiki sagt:
Am 11. März 1990 erklärte zunächst Litauen, am 9. April 1991 Georgien sowie am 20. und 21. August 1991 Estland und Lettland ihre Unabhängigkeit von der UdSSR. Es folgten am 24., 25., 27. und 31. August 1991 Belarus, Ukraine, Moldawien und Kirgisistan, am 1., 9. und 21. September 1991 Usbekistan, Tadschikistan und Armenien, am 18. und 27. Oktober 1991 Aserbaidschan und Turkmenistan sowie am 16. Dezember 1991 Kasachstan. Die Russische SFSR erklärte im Dezember 1991 formal ihre Souveränität, nicht aber die Unabhängigkeit von der Sowjetunion, was die Überleitung der Außenbeziehungen der alten Sowjetunion auf die neu entstandene Russische Föderation erleichterte. Boris Jelzin, der in der ersten demokratischen Präsidentschaftswahl des Landes am 12. Juni 1991 zum Präsidenten Russlands gewählt wurde, übernahm die Kontrolle über Medien und Schlüsselministerien. Schrittweise demontierte und entmachtete er Präsident Gorbatschow, der am 25. Dezember 1991 als Präsident der UdSSR zurücktrat und die Amtsgeschäfte an Jelzin als Präsidenten der Russischen Föderation übergab. Symbolträchtig wurde um 19:32 Uhr Moskauer Zeit die Flagge der Sowjetunion mit Hammer und Sichel eingeholt und die weiß-blau-rote Flagge Russlands aufgezogen. Schließlich vollzog der Oberste Sowjet am 26. Dezember 1991 per Beschluss die Auflösung der Sowjetunion als Völkerrechtssubjekt.


Vor dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre im Frühling 1992 wurde Krikaljow von einer russischen Filmcrew über Satellit interviewt.

Reporter: Als sie losflogen, existierte die Sowjetunion noch, nun ist es Russland. Gorbatschow war an der Macht, jetzt ist es Jelzin. ... Welche dieser Veränderungen hat Sie am meisten überrascht?

Krikaljow: Was mich am meisten überrascht? Dass die Erde zuerst dunkel war und jetzt ist sie weiß. Winter ist gekommen und davor war Sommer. Jetzt beginnt es wieder zu blühen. Das ist die beeindruckendste Veränderung die man aus dem Weltall beobachten kann.

Insgesamt verbrachte Krikaljow 803 Tage 9 Stunden und 41 Minuten im All, davon 41 Stunden und 46 Minuten außerhalb der Raumstation bei Außenbordeinsätzen.


Im April 1989 wurde ihm die Auszeichnung Held der Sowjetunion verliehen.

Im April 1992 wurde ihm die Auszeichnung Held der Russischen Föderation verliehen.

Seit dem Jahre 2009 ist er Leiter des inzwischen zivilen Juri-Gagarin-Kosmonautentrainingszentrums.

© NASA/SCIENCE PHOTO LIBRARY

Out of the Present - Dokumentarfilm zum Thema

"Die letzte Nachricht des Kosmonauten an die Frau die er einst in der früheren Sowjetunion liebte" ist ein Stück des Briten David Greig, dass auf Krikaljows Geschichte basiert, leider ist die Handlung in etwa so langwierig wie der Titel und noch weniger poetisch.

Montag, 13. August 2012

Die Mauer ist weg - Zur Erinnerung


Walter Ulbricht am 15. Juni 1961:
"Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten."


© picture-alliance/ dpa

51 Jahre sind es, seitdem eine Mauer quer durch Berlin und später durch das ganze vormals Deutschland genannte Land gebaut wurde.

Brief von Günter Grass an Anna Seghers

Berlin, am 14. August 1961

An die Vorsitzende
des Deutschen Schriftstellerverbandes in der DDR

Verehrte Frau Anna Seghers,

als mich gestern eine der uns deutschen so vertrauten und geläufigen plötzlichen Aktionen mit Panzernebengeräuschen, Rundfunkkommentaren und obligater Beethoven-Symphonie wach werden ließ, als ich nicht glauben wollte, was ein Radiogerät mir zum Frühstück servierte, fuhr ich zum Bahnhof Friedrichstraße, ging zum Brandenburger Tor und sah mich den unverkennbaren Attributen der nackten und dennoch nach Schweinsleder stinkenden Gewalt gegenüber. Ich habe, sobald ich mich in Gefahr befinde - oftmals überängstlich, wie alle gebrannten Kinder - die Neigung, um Hilfe zu schreien. Ich kramte im Kopf und im Herzen nach Namen, nach hilfeverheißenden Namen; und Ihr Name, verehrte Frau Anna Seghers, wurde mir zum Strohhalm, den zu fassen ich nicht ablassen will.

Sie waren es, die meine Generation oder jeden, der ein Ohr hatte, nach jenem nicht zu vergessenden Krieg unterrichtete, Recht und Unrecht zu unterscheiden; Ihr Buch, Das siebte Kreuz, hat mich geformt, hat meinen Blick geschärft und läßt mich heute die Globke und Schröder in jeder Verkleidung erkennen, sie mögen Humanisten, Christen oder Aktivisten heißen. Die Angst Ihres Georg Heisler hat sich mir unverkäuflich mitgeteilt; nur heißt der Kommandant des Konzentrationslagers heute nicht mehr Fahrenberg, er heißt Walter Ulbricht und steht Ihrem Staat vor. Ich bin nicht Klaus Mann, und Ihr Geist ist dem Geist des Faschisten Gottfried Benn gegengesetzt, trotzdem berufe ich mich mit der Anmaßung meiner Generation auf jenen Brief, den Klaus Mann am 9. Mai 1933 an Gottfried Benn richtete. Für Sie und für mich mache ich aus dem 9. Mai der beiden toten Männer einen lebendigen 14. August 1961: Es darf nicht sein, daß Sie, die Sie bis heute vielen Menschen der Begriff aller Auflehnung gegen die Gewalt sind, dem Irrationalismus eines Gottfried Benn verfallen und die Gewalttätigkeit einer Diktatur verkennen, die sich mit Ihrem Traum vom Sozialismus und Kommunismus, den ich nicht träume, aber wie jeden Traum respektiere, notdürftig und dennoch geschickt verkleidet hat.

Vertrösten Sie mich nicht auf die Zukunft, die, wie Sie als Schriftstellerin wissen, in der Vergangenheit stündlich Auferstehung feiert; bleiben wir beim Heute, beim 14. August 1961. Heute stehen Alpträume als Panzer an der Leipziger Straße, bedrücken jeden Schlaf und bedrohen Bürger, indem sie Bürger schützen wollen. Heute ist es gefährlich, in Ihrem Staat zu leben, ist es unmöglich, Ihren Staat zu verlassen. Heute - und Sie deuten mit Recht auf ihn - bastelt ein Innenminister Schröder an seinem Lieblingsspielzeug: am Notstandsgesetz. Heute - Der Spiegel unterrichtete uns - trifft man in Deggendorf, Niederbayern, Vorbereitungen zu katholisch-antisemitischen Feiertagen. Dieses Heute will ich zu unserem Tag machen: Sie mögen als schwache und starke Frau Ihre Stimme beladen und gegen die Panzer, gegen den gleichen, immer wieder in Deutschland hergestellten Stacheldraht anreden, der einst den Konzentrationslagern Stacheldrahtsicherheit gab; ich aber will nicht müde werden, in Richtung Westen zu sprechen: nach Deggendorf in Niederbayern will ich ziehen und in eine Kirche spucken, die den gemalten Antisemitismus zur Altar erhoben hat.

Dieser Brief, verehrte Frau Anna Seghers, muß ein "offener Brief" sein. Das Brieforiginal schicke ich Ihnen über den Schriftstellerverband in Ostberlin. Mit der Bitte um Veröffentlichung schicke ich einen Durchschlag an die Tageszeitung Neues Deutschland, einen zweiten Durchschlag an die Wochenzeitung Die Zeit.

Hilfesuchend grüßt Sie
Günter Grass

Quelle: Hans Werner Richter (Hg.), Die Mauer oder Der 13. August, Reinbek 1961, S. 62-64

Schießbefehl der Einsatzkompanie der Hauptabteilung I „NVA und Grenztruppen“ des MfS, Seite 2 1977

Sogleich strengt jeder Arm sich an,
die Mauer wird getheilt, die Stadt ist aufgethan.

Schiller Zerstörung von Troja

Sonntag, 12. August 2012

Alle Freunde weg


Heute morgen bin ich aufgewacht und hatte meine (facebook-) Freunde verloren, alle.
Ein Unbekannter in Hamburg hatte sich damit vergnügt meine facebook-Seite zu hacken und daraufhin hat facebook aka Herr Zuckerberg die Seite gesperrt. Nun bin nicht einmal ich eitel genug anzunehmen, meine Mitteilungen über Kinobesuche und Bilder von lustigen Tieren seien so interessant, dass sich der fremde Hacker die Mühe machen würde, nur um in den Besitz derselben zu gelangen. Will er wohl Herrn Zuckerberg ärgern! 
Nun habe ich einen neuen Account und sammle meine (facebook-) Freunde wieder zusammen, wie die verstreuten Schäfchen einer Herde. Nur dass eigentlich ich verstreut war.
Und nebenbei habe ich bemerkt, dass ich facebook und meine dortigen Freunde vermisst hätte. Ich höre viel Genörgel und gutgemeinte Warnungen über die Gefahren sozialer Netzwerke, manches mit Recht, vieles voll Panikmache und Unverstand, aber oft wird übersehen, dass es halt SOZIALE Netze sind. Man kann dort gut quatschen, rumalbern, Nebensächliches und Interessantes erfahren und selbst mitteilen. In Zeiten, in denen viele viel unterwegs sind, reichlich arbeiten und wenig Zeit haben, ist facebook ein guter Ort für das, was früher am örtlichen Brunnen, im Tante-Emma-Laden und auf der Post stattfand Das soziale Gefüge wird geölt mit Wortaustausch.

AGFA Werbung: Junge Leute am Dorfbrunnen


Freitag, 10. August 2012

Weltmäusetag - Der Gerechtigkeit halber


Von Mäusen und Menschen
 
1972 veröffentlichte Art Spiegelman, ein amerikanischer Cartoonist, im Magazin "Lustige Tiere" ("Funny Animals") einen dreiseitigen Comic-Strip über die beängstigenden Gutenachtgeschichten, die sein Vater Vladek, ein polnischer Jude und Überlebender der Hölle von Ausschwitz, ihm über das Leben in der alten Heimat während des Krieges erzählt hatte. Spiegelman zeichnete die Juden als Mäuse und die Deutschen als Katzen. Das später veröffentlichte erste Mausbuch hat den Titel: "Mein Vater kotzt Geschichte aus"
Gefangen: der Mann in der 'Maus' -Maske aus 'MetaMaus' © Art Spiegelman
“Micky Maus ist das schändlichste Vorbild, das je erfunden wurde … Das gesunde Empfinden sagt jedem denkenden Heranwachsenden und jedem rechtschaffenen Jüngling, dass dieses ekelhafte, schmutzige Ungeziefer, dieser größte Bakterienüberträger im ganzen Tierreich niemals ein vorbildliches Tier sein kann … Schluss mit der Verrohung der Völker durch die Juden! Nieder mit Micky Maus! Tragt das Hakenkreuz!” Zeitungsartikel, Pommern, Mitte der 30er Jahre.
 © Art Spiegelman
Bernhard und Bianca, die Maus aus der Sendung mit derselben, Disneys Mickey Mouse, Feivel der Mausewanderer, Tom und Jerry, Art Spiegelmans jüdische Mäuse und mein persönlicher Liebling: Speedy Gonzales, die schnellste Maus von Mexiko, die Zahl der kulturell einflußreichen Mäuse ist verblüffend, dabei sollten die Mäuse in Portemonnaie und auf der Bank nicht unerwähnt bleiben. Mausi ist ein beliebter Kosename, Mäuschen desgleichen. Andererseits ge- und mißbrauchen wir millionenfach Mäuse in Laboratorien zur Erforschung lebenswichtiger Medikamente und zum Testen alberner Lippenstifte.

Meine Katze Emma hat mir oft, als Zeichen ihrer Zuneigung, zauberhafte besonders kleine Feldmäuse zum Geschenk gemacht und aus mädchenhafter Zickerei habe ich ihre Gaben unter leichtem Kreischen immer wieder abgewiesen.

Und weil halt die MAUS keinen internationalen Feiertag bekommen hat, widme ich ihr diesen heutigen Blog.

Eine St. Andrews Strand Maus

Das folgende Gedicht ist die Quelle für Steinbeck's Romantitel "Von Mäusen und Menschen".

An eine Maus, die er mit ihrem Neste aufgepflügt hatte.

Klein, furchtsam Tierchen! welch ein Schrecken
Erfüllt dein Brüstchen, so durch Hecken
Und Furchen dich zum Lauf zu strecken?
Bleib! nicht so jach!
Nicht setz' ich mit dem Pflügerstecken
Grausam dir nach!

Der Mensch – betrübt gesteh' ich's ein! –
Brach der Natur geselligen Reih'n!
Mißtrauisch drum fliehst du feldein:
Voll Frucht, dir schade
Dein armer Mitgeschaffner – dem
Staubkamerade! *

Mag sein, du gehst auf Diebstahl aus;
Gut! mußt ja leben, kleine Maus!
Manchmal vom Schock ein Ährchen kraus
Ist klein Begehren!
Der Rest bringt Segen mir ins Haus –
Ich kann's entbehren!

Dein klein arm Häuschen auch zerstört!
Sein töricht Dach der Sturm durchfährt!
Und nirgend Grün mehr, neuen Herd
Dir zu begründen!
Da Christtag bald die Fluren kehrt
Mit eis'gen Winden!

Du sahst die Felder öde schier,
Den langen Winter vor der Tür,
Und sprachst: »Geschützt und kosig hier
Halt' ich es aus!«
Als, krach! die böse Pflugschar dir
Grad fuhr durchs Haus!

Von Laub und Stroh dein Nestchen klein,
Manch mühsam Knuspern trug's dir ein!
Und nun mußt du vertrieben sein
Für all' dein Müh'n,
Und mußt hinaus in nasses Schnei'n
Und Rauhfrost zieh'n!

* Doch, Mäuschen, mehr schon ist zerronnen
In nichts, was Vorsicht klug ersonnen!
Was Mäuse und Menschen fein gesponnen,
Geht scheitern oft,
Und läßt uns Gram nur statt der Wonnen,
Die wir gehofft!

Doch bist du glücklich gegen mich!
Die Gegenwart nur kümmert dich:
Doch, o! des Pfads, wenn rückwärts ich
Mein Auge schlage!
Und vor mir, türmt auch Dunkel sich,
Ahn' ich und zage!

Robert Burns
Übersetzung Ferdinand Freiligrath

* Fürwahr mich dauert des Menschen Herrschaft
die zerbrach die natürliche Gemeinschaft
und die bestätigt die üble Meinung
die dich erschrecken läßt
über mich, mein armer erdbürtiger Genosse
und Bruder im Tode.

Übersetzer unbekannt

Mittwoch, 8. August 2012

Weltkatzentag



Thomas Gainsborough zwischen 1763 und 1770 6 Katzenstudien 


KLEINE KATZEN

Kleine Katzen sind so drollig
und so wollig und so mollig,
daß man sie am liebsten küßt.
Aber auch die kleinen Katzen
haben Tatzen, welche kratzen.
Also Vorsicht! Daß ihr's wißt!

Kleine Katzen wollen tollen
und wie Wolleknäuel rollen.
Das sieht sehr possierlich aus.
Doch die kleinen Katzen wollen
bei dem Tollen und dem Rollen
fangen lernen eine Maus.

Kleine Katzen sind so niedlich
und so friedlich und gemütlich.
Aber schaut sie richtig an:
Jedes Sätzchen auf den Tätzchen
hilft, daß aus dem süßen Kätzchen
mal ein Raubtier werden kann.

James Krüss


Pablo Picasso 1939 Katze verschlingt Vogel

Pablo Picasso 1939 Verletzter Vogel und Katze


                                                 Katze und Maus in Gesellschaft

Eine Katze hatte Bekanntschaft mit einer Maus gemacht und ihr soviel von großer Liebe und Freundschaft vorgesagt, die sie zu ihr trüge, daß die Maus endlich einwilligte, mit ihr zusammen in einem Haus zu wohnen und gemeinschaftliche Wirtschaft zu führen. "Aber für den Winter müssen wir Vorsorge tragen, sonst leiden wir Hunger", sagte die Katze. "Du, Mäuschen, kannst dich nicht überallhin wagen und gerätst mir am Ende in eine Falle." Der gute Rat wurde also befolgt und ein Töpfchen mit Fett angekauft. Sie wußten aber nicht, wohin sie es stellen sollten. Endlich, nach langer Überlegung, sprach die Katze: "Ich weiß keinen Ort, wo es besser aufgehoben wäre, als die Kirche; da getraut sich niemand etwas wegzunehmen. Wir stellen es unter den Altar und rühren es nicht eher an, als bis wir es nötig haben." Das Töpfchen wurde also in Sicherheit gebracht. Aber es dauerte nicht lange, so trug die Katze Gelüste danach und sprach zur Maus: "Was ich dir sagen wollte, Mäuschen, ich bin von meiner Base zum Gevatter gebeten. Sie hat ein Söhnchen zur Welt gebracht, weiß mit braunen Flecken, das soll ich über die Taufe halten. Laß mich heute ausgehen und besorge du das Haus allein!"
"Ja, ja", antwortete die Maus, "geh in Gottes Namen! Wenn du was Gutes ißt, so denk an mich! Von dem süßen roten Festwein tränk ich auch gern ein Tröpfchen!"
Es war aber alles nicht wahr. Die Katze hatte keine Base und war nicht zum Gevatter gebeten. Sie ging geradewegs nach der Kirche, schlich zu dem Fettöpfchen und leckte die fette Haut ab. Dann machte sie einen Spaziergang auf den Dächern der Stadt, streckte sich hernach in der Sonne aus und wischte sich den Bart, sooft sie an das Fettöpfchen dachte. Erst als es Abend war, kam sie wieder nach Hause. "Nun, da bist du ja wieder!" sagte die Maus. "Du hast gewiß einen lustigen Tag gehabt."
"Es ging an", antwortete die Katze. "Was hat denn das Kind für einen Namen bekommen?" fragte die Maus.
"Hautab", sagte die Katze ganz trocken.
"Hautab", rief die Maus, "das ist ja ein seltsamer Name! Ist der in eurer Familie gebräuchlich?"
"Was ist da weiter!" sagte die Katze. "Er ist nicht schlechter als Bröseldieb, wie deine Paten heißen."
Nicht lange danach überkam die Katze wieder ein Gelüste. Sie sprach zur Maus: "Du mußt mir den Gefallen tun und nochmals das Hauswesen allein besorgen; ich bin zum zweitenmal zum Gevatter gebeten, und da das Kind einen weißen Ring um den Hals hat, so kann ich's nicht abschlagen." Die gute Maus willigte ein, die Katze aber schlich hinter der Stadtmauer zu der Kirche und fraß den Fettopf halb aus. "Es schmeckt nichts besser", sagte sie, "als was man selber ißt", und war mit ihrem Tagewerk ganz zufrieden.
Als sie heimkam, fragte die Maus: "Wie ist denn dieses Kind getauft worden?"
"Halbaus", antwortete die Katze.
"Halbaus! Was du sagst! Den Namen habe ich mein Lebtag noch nicht gehört. Ich wette, der steht nicht im Kalender."
Der Katze wässerte das Maul bald wieder nach der Leckerei. "Aller guten Dinge sind drei", sprach sie zu der Maus. "Ich soll wieder Gevatter stehen. Das Kind ist ganz schwarz und hat bloß weiße Pfoten, sonst kein weißes Haar am ganzen Leib. Das trifft sich alle paar Jahre nur einmal. Du lässest mich doch ausgehen?"
"Hautab, Halbaus", antwortete die Maus, "es sind seltsame Namen, die machen mich nachdenklich."
"Da sitzest du daheim in deinem dunkelgrauen Flausrock und deinem langen Haarzopf", sprach die Katze, "und fängst Grillen. Das kommt davon, wenn man bei Tag nicht ausgeht!"
Die Maus räumte während der Abwesenheit der Katze auf und brachte das Haus in Ordnung; die naschhafte Katze aber fraß den Fettopf rein aus. "Wenn erst alles aufgezehrt ist, so hat man Ruhe", sagte sie zu sich selbst und kam satt und dick erst in der Nacht nach Hause. Die Maus fragte gleich nach dem Namen, den das dritte Kind bekommen habe. "Er wird dir wohl auch nicht gefallen", sagte die Katze; "er heißt Ganzaus."
"Ganzaus!" rief die Maus. "Was soll das bedeuten?" Sie schüttelte den Kopf, rollte sich zusammen und legte sich schlafen.
Von nun an wollte niemand mehr die Katze zum Gevatter bitten. Als aber der Winter herangekommen und draußen nichts mehr zu finden war, gedachte die Maus ihres Vorrats und sprach: "Komm, Katze, wir wollen zu unserm Fettopf gehen, den wir uns aufgespart haben! Der wird uns schmecken."
"Jawohl", erwiderte die Katze, "der wird dir schmecken, als wenn du deine feine Zunge zum Fenster hinausstreckst."
Sie machten sich auf den Weg, und als sie anlangten, stand zwar der Fettopf noch an seinem Platz, war aber leer.
"Ach", sagte die Maus, "jetzt merke ich, was geschehen ist! jetzt kommt's an den Tag. Du bist mir eine wahre Freundin! Aufgefressen hast du alles, während du behauptetest, Gevatter zu stehen: erst Haut ab, dann halb aus, dann..."
"Willst du schweigen!" rief die Katze. "Noch ein Wort, und ich fresse dich auf!"
"Ganz aus", hatte die arme Maus schon auf der Zunge. Kaum war es heraus, tat die Katze einen Satz nach ihr, packte sie und schlang sie hinunter.

Aus den Märchen der Brüder Grimm 

Lasst uns über Bäume reden


Griechenland ist pleite und was tut es? Es unternimmt Razzien gegen illegale Einwanderer. Texas richtet einen geistig behinderten Mann hin und begründet es mit einer Figur aus dem Steinbeck-Roman "Von Mäusen und Menschen". Mitt Romney fährt nach Israel und schmaddert verbale Unterstützung für einen Erstschlag gegen Iran in den Äther. Der Mann, der in Colorado zwölf Kinobesucher niedergemetzelt hat, verkleidet sich dafür als waffenstarrende Comic-Figur, ein anderer Mann erschießt Sikhs, weil er sie für Muslims hält. Ein ehemaliger Geschäftsführer von Lehman Brothers verteidigt sein Jahresgehalt von 484 Millionen vor einem Kongressausschuss mit der Qualität seiner Arbeit.


"Wenn es hart auf hart kommt, diese ... zivilisierten Leute, fressen einander. Sieh, ich bin kein Monster, ich bin nur meiner Zeit voraus."
"When the chips are down, these... these civilized people, they'll eat each other. See, I'm not a monster. I'm just ahead of the curve." The Dark Knight 2008

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Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
B. Brecht "An die Nachgeborenen"

Was Sind das für Zeiten

Da ist ein Ort zwischen Reihen junger Bäume wo das Gras bergauf wächst.
und die alte Revolutions-Strasse in Schatten endet
nah einem Treffpunkt von den Verfolgten aufgegeben
die in jene Schatten verschwanden.

Dort bin ich Pilze sammeln gegangen am Abgrund der Angst, aber täuscht euch nicht
dies ist kein russsches Gedicht, dies ist nicht irgendwo anders, sondern hier,
unser Land sich der eigenen Wahrheit und Angst nähernd
der eigenen Art Menschen verschwinden zu lassen

Ich werde euch nicht sagen wo der Ort ist, das dunkle Netz der Bäume
das den unbezeichneten Streifen von Licht trifft-
Kreuzungen voller Gespenster, Paradies faulender Blätter:
Ich weiß schon, wer es kaufen, verkaufen, verschwinden lassen will.

Und ich werde euch nicht sagen wo es ist, also warum sage ich euch
überhaupt etwas? Weil ihr noch zuhört, weil man, damit ihr zuhört,
in Zeiten wie diesen, 
über Bäume reden muss.

Toter Baum 2007 (Carpinteria, CA)© All Rights Reserved

What Kind of Times Are These

There's a place between two stands of trees where the grass grows uphill
and the old revolutionary road breaks off into shadows
near a meeting-house abandoned by the persecuted
who disappeared into those shadows.


I've walked there picking mushrooms at the edge of dread, but don't be fooled
this isn't a Russian poem, this is not somewhere else but here,
our country moving closer to its own truth and dread,
its own ways of making people disappear.


I won't tell you where the place is, the dark mesh of the woods
meeting the unmarked strip of light—
ghost-ridden crossroads, leafmold paradise:
I know already who wants to buy it, sell it, make it disappear.


And I won't tell you where it is, so why do I tell you
anything? Because you still listen, because in times like these
to have you listen at all, it's necessary
to talk about trees. 

Adrienne Rich

Dienstag, 7. August 2012

Edward Burtynsky - Photograph


Da geht man durch eine vielgepriesene und vorbeschimpfte Ausstellung im C/O Berlin in der Oranienburger Strasse, Photographien von Larry Clark, Amerikaner aus Tulsa/Oklahoma, und man liest, dass er seit 50 Jahren Jugendliche abbildet, oft nackt, oft sich eine Spritze setzend, oft so wie man sich das vorstellt und die erwartete, vorangekündigte Provokation stellt sich nicht ein und man schwatzt und schweift nebensächlich über die teils riesenhaften Computerdrucke, deren matter Nichtglanz leider auch noch nahezu durch Verglasung aufgehoben wird und man will schon gehen und nörgelt vor sich hin und dann im zweiten Stock, rechts, hinten: Edward Burtynskys Bilder, und ich habe mir sagen lassen, dass Andreas Gurski der "Erfinder" dieser Art Bildlichkeit ist, aber da ich den nicht kenne, bin ich hier und jetzt überwältigt.

Schiffsverschrottung #23 (Bangladesch) aus der Schiffs-Serie © Edward Burtynsky

Wir haben Glück, unsere Augen zeigen uns meist überblickbare Ausschnitte von Welt, Schärfen werden gezogen, Dinge werden übersehen, Focus wird gewählt, sie konfrontieren uns nicht ständig mit der Masse unserer Umwelt, der puren Menge von Dingen, die uns umgeben. Burtynsky sucht danach, findet Orte der Ansammlung, des "Zuviel" und sieht deren schreckliche Schönheit.

VW - Parkplatz © Edward Burtynsky

Der Titel der Ausstellung ist Öl - wo es gebohrt und gefördert, wo es bearbeitet wird, wie Dinge daraus hergestellt werden, und wie diese Dinge verschrottet, in ihre Einzelteile zerlegt werden. Von der Geburt bis zum Tod, nur dass diese Leichen nicht so leicht zerfallen, wie unsere menschlichen es tun, mumifizierte einstige Zukunft.

Golf von Mexiko, Ölspill, 2010 © Edward Burtynsky

Wiki sagt: Die Ölpest im Golf von Mexiko 2010 wurde durch die Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon am 20. April 2010 ausgelöst. Die vom 20. April bis zum 16. Juli 2010 aus dem Bohrloch im Macando-Ölfeld in den Golf ausgetretene Ölmenge wird auf 800 Millionen Liter geschätzt.
Die Plattform wurde von Transocean im Auftrag von BP betrieben.
Aus internen Dokumenten des BP-Konzerns geht hervor, dass zur Abdichtung des Bohrlochs trotz Warnungen von Fachleuten bewusst eine kostengünstige Methode mit größerem Risiko von Gasaustritt gewählt wurde.


Die Erste Elegie

Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.
...

Rainer Maria Rilke aus den Duineser Elegien

 

Montag, 6. August 2012

Frauen - Merida - Olympia


Heute habe ich einen netten Zeichentrickfilm gesehen. Nennt man das noch so? Animationsfilm ist wohl besser. Jedenfalls war er verblüffend in der Bildlichkeit, die Heldin, ein wildes Mädchen, hatte rote ebenfalls wilde Haare, und die wirkten, obwohl computergeneriert, sehr lebendig.
Aber darum geht es gar nicht, der Film hat als erste Pixar-Produktion eine weibliche Heldin, die, wie es das Genre verlangt, Widerstand leistet, durch Krisen geht und gereift aus ihnen hervorkommt. Sie rebelliert gegen die Vorstellungen ihrer Mutter von Weiblichkeit im allgemeinen und speziell die, ihre Zukunft betreffend. Harmlos, dachte ich. 
Der Abspann lief, ich stand auf und ein kopftuchbedecktes Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt, ging an mir vorbei, strahlend, schaute mich an und schenkte mir ein einverständigendes freches Zwinkern. Für sie war es wohl nicht nur nett.
Ich mußte an die drei Frauen der saudiarabischen Olympiamannschaft denken, mit Kopftuch und langem weiten Kleid, eine von ihnen schickte mit zartem Lächeln das Victory-Zeichen in die fernsehschauende Welt.

„Olympische Spiele sind ein Ausbund männlicher Athletik, und der Beifall der Frauen sind deren Lohn“ 
Baron Pierre de Coubertin, Gründer des Internationalen Olympischen Komitees

Wojdan Ali Seraj Abdulrahim Shaherkani bei der Eröffnungs Zeremonie (Reuters)

"...erst in diesem Jahr wurde der Traum von der vollen Beteiligung von Frauen an den Olympischen Spielen wahr. Noch 1996 gab es 26 Ländermannschaften, bei denen keine einzige Frau dabei war. 2008 waren es nur noch drei Staaten: Brunei, Katar und Saudi-Arabien" Frankfurter Rundschau