Gestern ein Besuch der Gerhard Richter Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie.
Berlin im Mai, leichter Regen, Löwenzahn wuchert, lila Flieder beschießt überraschend mit Duftschwaden, die Stadt in ihren besten Farben - ein Frühsommertag wie er in keinem Buche steht - man darf wieder menschliche Körper sehen, anstatt klumpförmige Wintermantelträger, die meisten Beine sind noch bleichweiß, aber die Gesichter schon leicht angesommert. Ein paar ganz Wagemutige schlappen bereits in Flip Flops herum, die nannten wir früher Badelatschen und der Name beschreibt sie auch genauer. Die beliebteste Droge dieser Tage ist Eiscreme, alles schleckt. Männer in Anzügen sehen besonders rührend aus, wenn sie dem geschwinden Schmelzen hinterherlecken. Würde es wohl Aufsichtsratssitzungen oder hochpolitische Versammlungen verändern, wenn alle Beteiligten erst mal zusammen ein Eis in der Waffel lutschen, lecken müßten. Behauptete schwere Ernsthaftigkeit ist bei solchem Vorgang schwer aufrecht zu erhalten, oder?
Ein schöner Tag in meiner liebsten Stadt mit einer raren Freundin.
Sollt ich mich einzeln freuen,
Wenn auch der Frühling nah?
Doch kommen wir zu zweien,
Doch kommen wir zu zweien,
Gleich ist der Sommer da.
Goethe
Am Potsdamer Platz eine 20m x 20m große Werbetafel für ein 4,50 Euro billiges H&M Bikini. Dann mit dem schnellsten Aufzug Europas in zwanzig Sekunden hundert Meter in die Höhe zum Berliner "Panormapunkt", unpoetischer Name für einen Ort mit toller Aussicht. Von oben sieht Berlin groß, voll, grün und ungeteilt aus.
Später in der Brunnenstrasse in einer der ungefähr zwei Milliarden berlinischen Galerien, diese heißt "Lacke und Farben", eine kleine Ausstellung von Thomas Rauchfuss "Schweine vor New York". Er malt auch rote Bilder.
Abends im Rheingold in der Novalisstrasse, dem oberen Ende der Eichendorfstrasse, da wo auch Schlegel, Tieck und die anderen Romantiker ihre Strassen haben. Eine richtig gute Bar mit (!) perfekter Lüftung und Barkeepern, die noch mit grandiosen Ritualen und Sambaschüttlern ihre Drinks zusammentänzeln. Ich treffe eine Gleichaltrige, mit der ich vor 30 Jahren ein gute und widersprüchliche Zeit verbracht habe, sie in Erhoffung ihrer baldigen Ausreise, ich auch mal auf Westgastspiel mit dem Deutschen Theater, wir beide uns, in der wahrscheinlich einzigen Nachtdiscothek Ostberlins, bis in den Morgen in die glückliche Erschöpfung tanzend. Bei gutem Flirten gab einem der Bäcker vor der Ladenöffnung schon heiße Brötchen. Um 10 war Probe, na und.
Gerhard Richters Bilder haben mir nicht gefallen.