Dienstag, 17. April 2012

Anstand


Anstand. Ein nunmehr selten verwendetes Wort. (Ebenso wie nunmehr, ja, ebenso wie ebenso.)
Ein anständiges Bier trinken, ein Termin der anstand oder ein Mann, dem wir es anständig gezeigt haben, eine Anstandsdame auch und das Anstandsbuch und dann noch der Anstand des Jägers - da klingt das Wort ganz lässig und unscheinbar. 

Aber ein anständiger Mensch, "wie stolz das klingt", um Herrn Gorki falsch zu zitieren. Oder richtig? Ein anständiger Mensch, wie kann man den beschreiben?
Ist es einer, der sich an die Anstands-Regeln hält, nichts tut, was unzulässig, störend oder ungewöhnlich wäre? Oder ist es der, der sich anständig verhält, wenn es unanständig wäre, nichts zu tun, oder zu schweigen?  Der, der dir aus Anstand nicht auf die Hand tritt, wenn du gefallen bist, oder der, der dir anständig in den Hintern tritt, wenn du dich schlecht benimmst? Der, der sich anpasst, oder der, der, um des Anstands willen, weiter geht, als erlaubt?
"Gestatten sie mir ihnen zu widersprechen", würde so ein anständiger vielleicht Mensch sagen. oder, "ich möchte sie darauf hinweisen, dass hier Unrecht geschieht." 
Mit Anstand geht die Welt zu Grunde wird gesagt. Besser mit Anstand als ohne? 


Hochinteressanter Artikel zum Thema:
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2001/12/29/a0170

Hoechheim Israelit 20071881a.jpg (48534 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Juni 1881: "Bitte! Bezugnehmend auf das Ausschreiben der israelitischen Lehrerstelle in Höchheim fordere ich hiermit jeden edeldenkenden Lehrer auf, bei der Bewerbung um diese Stelle, von der Bewerbung um die Schechitah Anstand zu nehmen, da mit dieser Verbindung einer sehr unbemittelten Manne, der bisher dieses Geschäft innegehabt, ein großer Teil seiner Ernährquelle entzogen wird.
Ein guter Freund desselben."  

Der anständige Mensch als Idealtypus des Weltbildes der Aufklärung respektiert in Einstellung und Verhalten die Persönlichkeit des Anderen und achtet darauf, dass dieser nicht bloßgestellt, gedemütigt oder benachteiligt wird. Persönlicher Anstand kann erlernt, jedoch nicht reglementiert werden; wohl aber können auf Prinzipien des Anstands beruhende Regeln oder Gesetze festgelegt und zur Geltung gebracht werden. Dies geschieht grundlegend in der Erklärung der Menschenrechte. - sagt Wiki.

Mit Anstand verlieren - SPD © ???

Fortgehn

Plötzliches Fortgehn; Draußensein im Grauen

mit Augen, eingeschmolzen, heiß und weich,
und nun in das was ist hinauszuschauen - :

O nein, das alles ist ja ein Vergleich.


Der Strom ist so, damit er dich bedeute,

und diese Stadt stand auf weil du erschienst;
die Brücken gehn mit Anstand der dich freute
gelassen her und hin in deinem Dienst.


Und weil das alles ausgedacht ist nur:

dich zu bedeuten - : ist es wie die Erde;
die Gärten stehn in dunkelnder Gebärde,
die Fernen sind voll deutsamer Figur -.

Und doch trotzdem, nun kommt es trotzdem wieder:

der Schmerz, der Schmerz des ersten Augenblicks.
Noch war es da - : auf einmal ging es nieder
oder flog auf oder war aus wie Lieder - :
das war so voll unsäglichen Geschicks -.

Wie wenn...

                  (bin ichs zu sagen denn imstande?)
Sieh: diese Augen lagen da: Gewande,
ein Angesicht, ein Glanz ging in sie ein
als wären sie --- ja was ? --:
                                          der Canal Grande
in seiner großen Zeit und vor dem Brande -
------------------
und plötzlich hört Venedig auf zu sein.

Rainer Maria Rilke

Aus: Die Gedichte 1906-1910 (zuerst veröffentlicht: Paris, Juni 1906) 

Giovanni Antonio Canal (Canaletto) Rialto Brücke, Venedig 

"Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi." 
Gerhard Bronner bei der Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des KZ Gunskirchen, 7. Mai 2005

Montag, 16. April 2012

Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt.


"Das Gute, dieser Satz steht fest, ist stets das Böse, das man lässt." 

Gestern wäre Wilhelm Busch, Protestant, 180 Jahre alt geworden, 
heute wird Herr Ratzinger, oberster Denker aller Katholiken 85.

"Wie schad, daß ich kein Pfaffe bin.
Das wäre so mein Fach.
Ich bummelte durchs Leben hin
Und dächt nicht weiter nach."

"Die verschiedenen heute festzustellenden Auflösungstendenzen bezüglich der Ehe, wie uneheliche Lebensgemeinschaften und die »Ehe auf Probe«, bis hin zur Pseudo-Ehe zwischen Personen des gleichen Geschlechts sind hingegen Ausdruck einer anarchischen Freiheit, die sich zu Unrecht als wahre Befreiung des Menschen ausgibt." - Zur Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom zum Thema Familie in der Lateranbasilika in Rom am 6. Juni 2005 
Tipp, dieser Satz ist nicht von Wilhelm Busch

"Obgleich die Welt ja, sozusagen,
 wohl manchmal etwas mangelhaft, 
wird sie doch in den nächsten Tagen 
vermutlich noch nicht abgeschafft."  
An Josef Peter. 1907

"Das jüdische Schrifttum und die jüdische Geschichte erfüllten sich ausschließlich in der Gestalt von Jesus Christus." - Cardinal Ratzinger Divides Germans, New York Times, 15. April 2005
Tipp: dieser Satz ist auch nicht von Wilhelm Busch.

Aber dafür leider der:

Kurz die Hose, lang der Rock 
Krumm die Nase und der Stock 
Augen schwarz und Seele grau, 
Hut nach hinten, Miene schlau - 
So ist Schmulchen Schiefelbeiner 
(Schöner ist doch unsereiner!)

Aber das Folgende ist auch von Busch:

Der heilige Antonius – letzte Versuchung

Der heilige Antonius von Padua 58.png
Der heilige Antonius von Padua
Saß oftmals ganz alleinig da
Und las bei seinem Heilgenschein
Meistens bis tief in die Nacht hinein. –
Der heilige Antonius von Padua 59.png
Einst, als er wieder so sitzt und liest –
– Auf einmal, so räuspert sich was und niest;
Und wie er sich umschaut, der fromme Mann,
Schaut ihn ein hübsches Mädchen an. – –
– Der heilige Antonius von Padua
War aber ganz ruhig, als dies geschah.
Er sprach: „Schau du nur immer zu,
Du störst mich nicht in meiner christlichen Ruh!“
Der heilige Antonius von Padua 60.png
Als er nun wieder so ruhig saß
Und weiter in seinem Buche las –
Husch, husch! – so spürt er auf der Glatzen
Und hinterm Ohr ein Kribbelkratzen,
Daß ihm dabei ganz sonderbar,
Bald warm, bald kalt zumute war. –
Der heilige Antonius von Padua
War aber ganz ruhig, als dies geschah.
Er sprach: „So krabble du nur zu,
Du störst mich nicht in meiner christlichen Ruh!“
Der heilige Antonius von Padua 61.png
„Na! – – Na!“ – –
Der heilige Antonius von Padua 62.png
„Na, na! – sag’ ich!!!“ –
Der heilige Antonius von Padua 63.png
„Hm! hm! – – hm! hm!!!“
Der heilige Antonius von Padua 64.png
Auf einmal aber – er wußte nicht wie –
Setzt sich das Mädel ihm gar aufs Knie
Und gibt dem heiligen Antonius
Links und rechts einen herzhaften Kuß.
Der heilige Antonius von Padua 65.png
Der heilige Antonius von Padua
War aber nicht ruhig, als dies geschah.
Er sprang empor, von Zorn entbrannt;
Er nahm das Kreuz in seine Hand:
Der heilige Antonius von Padua 66.png
„Laß ab von mir, unsaubrer Geist!
Sei, wie du bist, wer du auch seist!!“
Der heilige Antonius von Padua 67.png
Puh!! – da sauste mit großem Rumor
Der Satanas durchs Ofenrohr.
Der heilige Antonius von Padua 68.png
Der heilige Antonius, ruhig und heiter,
Las aber in seinem Buche weiter! –

Oh, heil’ger Antonius von Padua,

Du kennst uns ja!
So laß uns denn auf dieser Erden
Auch solche fromme Heilge werden!


Klausnerleben und Himmelfahrt
Der heilige Antonius von Padua 69.png
Der heilige Antonius, so wird berichtet,
Hat endlich ganz auf die Welt verzichtet;
Ist tief, tief hinten im Wald gesessen,
Hat Tau getrunken und Moos gegessen,
Und sitzt und sitzt an diesem Ort
Und betet, bis er schier verdorrt
Und ihm zuletzt das wilde Kraut
Aus Nase und aus Ohren schaut.
Er sprach: „Von hier will ich nicht weichen,
Es käm’ mir denn ein glaubhaft Zeichen!“
Der heilige Antonius von Padua 70.png
Und siehe da! – Aus Waldes Mitten
Ein Wildschwein kommt dahergeschritten,
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Das wühlet emsig an der Stelle
Ein Brünnlein auf, gar rein und helle,
Und wühlt mit Schnauben und mit Schnüffeln
Dazu hervor ein Häuflein Trüffeln. –
Der heilige Antonius, voll Preis und Dank,
Setzte sich nieder, aß und trank
Und sprach gerührt: „Du gutes Schwein,
Du sollst nun ewig bei mir sein!“

So lebten die zwei in Einigkeit

Hienieden auf Erden noch lange Zeit,
Der heilige Antonius von Padua 72.png
Und starben endlich und starben zugleich
Und fuhren zusammen vors Himmelreich. –
„Au weih geschrien! Ein Schwein, ein Schwein!“
So huben die Juden an zu schrein;
Und auch die Türken kamen in Scharen
Und wollten sich gegen das Schwein verwahren. –
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Doch siehe! – Aus des Himmels Tor
Tritt unsre liebe Frau hervor.
Den blauen Mantel hält die Linke,
Die Rechte sieht man sanft erhoben,
Halb drohend, halb zum Gnadenwinke;
So steht sie da, von Glanz umwoben.
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„Willkommen! Gehet ein in Frieden!
Hier wird kein Freund vom Freund geschieden.
Es kommt so manches Schaf herein,
Warum nicht auch ein braves Schwein!!“
Da grunzte das Schwein, die Englein sangen.
So sind sie beide hineingegangen.


Sonntag, 15. April 2012

Ingeborg Bachmann - Das Spiel ist aus



 Anselm Kiefer Karfunkelfee
 
 
DAS SPIEL IST AUS 
 
Mein lieber Bruder, wann bauen wir uns ein Floß
und fahren den Himmel hinunter?
Mein lieber Bruder, bald ist die Fracht zu groß
und wir gehen unter.

Mein lieber Bruder, wir zeichnen aufs Papier
viele Länder und Schienen.
Gib acht, vor den schwarzen Linien hier
fliegst du hoch mit den Minen.

Mein lieber Bruder, dann will ich an den Pfahl
gebunden sein und schreien.
Doch du reitest schon aus dem Totental
und wir fliehen zu zweien.

Wach im Zigeunerlager und wach im Wüstenzelt,
es rinnt uns der Sand aus den Haaren,
dein und mein Alter und das Alter der Welt
mißt man nicht mit den Jahren.

Laß dich von listigen Raben, von klebriger Spinnenhand
und der Feder im Strauch nicht betrügen,
iß und trink auch nicht im Schlaraffenland,
es schäumt Schein in den Pfannen und Krügen.

Nur wer an der goldenen Brücke für die Karfunkelfee
das Wort noch weiß, hat gewonnen.
Ich muß dir sagen, es ist mit dem letzten Schnee
im Garten zerronnen.

Von vielen, vielen Steinen sind unsre Füße so wund.
Einer heilt. Mit dem wollen wir springen,
bis der Kinderkönig, mit dem Schlüssel zu seinem Reich
    im Mund
uns holt, und wir werden singen:

Es ist eine schöne Zeit, wenn der Dattelkern keimt!
Jeder, der fällt, hat Flügel.
Roter Fingerhut ist’s, der den Armen das Leichentuch
    säumt,
und dein Herzblatt sinkt auf mein Siegel.

Wir müssen schlafen gehn, Liebster, das Spiel ist aus.
Auf Zehenspitzen. Die weißen Hemden bauschen.
Vater und Mutter sagen, es geistert im Haus,
wenn wir den Atem tauschen.

Ingeborg Bachmann

 
© Piper Verlag GmbH, München 1978 
 
 

Freitag, 13. April 2012

Große und kleine Sprünge


Gestern abend um 11.
Meine Nichte hat Frühlingsferien und durfte mit zur Probe kommen. Es war ein langer Tag und sie hat gerade fünf Stunden den Studenten zugeschaut, mitgefiebert, immer dran, nie störend.
Wir gehen nach Hause.
Sie läuft vor uns her mit diesem leichten federnden Kinder-Hopsschritt. 
Sie hüpft. Nur so für sich. Entfernt sich von uns. Bleibt stehen. Kommt ein Stück zurück. Hüpft weiter.
Wann bin ich das letzte Mal gehüpft, nur so?

Skipping Rope by Lester Talkington of The Photo League, 1950 from Documentary Photography, copyright 1972 Time Inc.

Donnerstag, 12. April 2012

Aus der Bergpredigt


Matthäus 5, 3-12

Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm, Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.  
Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 
Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn das Himmelreich ist ihr. 
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, so sie daran lügen. 

Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel wohl belohnt werden. Denn also haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

 Fra Angelico Die Bergpredigt Fresco 1436-43

Lukas 6, 20-25 - Die Feldrede

Er richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.
Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, wenn sie euch beschimpfen und euch in Verruf bringen um des Menschensohnes willen.
Freut euch und jauchzt an jenem Tag; euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht.
Aber weh euch, die ihr reich seid; denn ihr habt keinen Trost mehr zu erwarten.
Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern. Weh euch, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen.
Weh euch, wenn euch alle Menschen loben; denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht. 

Monty Python aus "Das Leben des Brian"

Jesus:
Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land zu Besitz erhalten.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden.
Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen...
Mutter:
Lauter!
Brian:
Sei still, Mama. 
Mutter:
Was heißt still? Ich kann nichts hören. Laß uns zur Steinigung gehen.
Rübennase:
Pssst.
Brian:
Zu 'ner Steinigung kannst du jeden Tag gehen. 

Mittwoch, 11. April 2012

Caravaggio - David und Goliath mal drei



Caravaggio selbst war das Model für Goliath, il suo Caravaggino, Cecco de Caravaggio, sein eigner kleiner Caravaggio, das für David. Cecco war sein Assisstent der, wie berichtet wurde, bei ihm lag. Möglicherweise sind auch beide Köpfe Porträts Caravaggios, und der Jüngere hält das Haupt des Älteren. 1609/10

Die Bibel sagt in Samuel 1/17:

Da trat aus den Lagern der Philister ein Riese mit Namen Goliath von Gath, sechs Ellen und eine Handbreit hoch  ...  Und er stand und rief zu dem Heer Israels und sprach zu ihnen: Was seid ihr ausgezogen, euch zu rüsten in einen Streit? Bin ich nicht ein Philister und ihr Sauls Knechte? Erwählt einen unter euch, der zu mir herabkomme. Vermag er wider mich zu streiten und schlägt mich, so wollen wir eure Knechte sein; vermag ich aber wider ihn und schlage ihn, so sollt ihr unsre Knechte sein, daß ihr uns dient... 

...und (David) nahm seinen Stab in seine Hand und erwählte fünf glatte Steine aus dem Bach und tat sie in seine Hirtentasche, die er hatte, und in den Sack und nahm die Schleuder in seine Hand und machte sich zu dem Philister...

Da nun der Philister sah und schaute David an, verachtete er ihn; denn er war ein Knabe, bräunlich und schön....

Und David tat seine Hand in die Tasche und nahm einen Stein daraus und schleuderte und traf den Philister an seine Stirn, daß der Stein in seine Stirn fuhr und er zur Erde fiel auf sein Angesicht...

Da nun David wiederkam von der Schlacht des Philisters, nahm ihn Abner und brachte ihn vor Saul, und er hatte des Philisters Haupt in seiner Hand. Und Saul sprach zu ihm: Wes Sohn bist du, Knabe? David sprach: Ich bin ein Sohn deines Knechtes Isai, des Bethlehemiten.


Ein ganz anderer David,1607.

 
Diesen Riesen zu töten, war leicht für den mutigen Hirten,
  Welcher, im Schleudern geschickt, sicher versandte den Stein.
Schwerer fand er es schon, den Toten des Haupts zu berauben,
  Doch es gelang ihm zuletzt durch den verdoppelten Streich.
Aber dem letzten erliegt er, er soll es dem König ja bringen,
  Und nun schleppt er sich tot an der gewaltigen Last.

Friedrich Hebbel

Und der Moment davor, David kniet auf Goliaths Torso, und greift das abgetrennte Haupt, sehr konzentriert, sehr effizient. Auch Goliaths Gesicht wirkt, sehr ruhig, gar nicht tot, es scheint ein intimer Moment zwischen den beiden zu sein, nur die verkrampfte Hand links unten und die Stirnwunde erinnern an den vorangegangenen Kampf. 1599


Dienstag, 10. April 2012

Lisette Model - Photographin


Lisette, Selbstporträt

Die Kamera ist ein Instrument der Entdeckung. Wir photographieren nicht nur was wir kennen, sondern auch das was wir nicht kennen."

"The camera is an instrument of detection. We photograph not only what we know, but also what we don’t know" Lisette Model


Promenade des Anglais, Nizza 1934 © Lisette Model

Lisette Model geboren am 10.11.1901 in Wien als Elise Amelie Felicie Stern, 1903 änderte die Familie den Nachnamen in Seybert; gestorben am 30.3.1983 in New York, war Fotografin.
Sie studierte in Wien Gesang und Harmonielehre und Kontrapunkt, letztere bei Arnold Schönberg, den sie später als einen ihrer formendsten Lehrer beschrieb. 1930 gab sie, aus nicht bekannten Gründen, die Beschäftigung mit Musik auf und begann zu photographieren.

 Coney Island N.Y. Badende, liegend 1939/40 © Lisette Model

In Nizza lernte sie ihren Ehemann Evsa Model, einen Maler, kennen mit dem sie 1938 dann in die USA emigrierte. 1944 wurden ihr Bruder und ihre Schwägerin von Frankreich in ein deutschen Konzentrations- lager gebracht. Ihre Mutter starb in Nizza.

 New York, Reflektionen, 1939-45 © Lisette Model
Über ihre erste Zeit in New York schrieb sie:

"Anderthalb Jahre lang habe ich nicht photographiert. Ich war blind, weil alles so anders war."
"For a year and a half I took no pictures. I was blind because it was all too different." Lisette Model
 
 East Side New York City, Kleine Frau in Turnschuhen eine Tüte tragend, 1939-45 © Lisette Model

"Ich bin oft gefragt worden, was ich durch meine Photographien beweisen will. Die Antwort ist, ich will nichts beweisen. Sie beweisen mir, und ich bin die die lernt."
"I have often been asked what I wanted to prove by my photographs. The answer is, I don’t want to prove anything. They prove to me, and I am the one who gets the lesson." Lisette Model 

Zwei Sänger im Sammy's in der Bowery, New York 1940/44 © Lisette Model

 Modenschau Hotel Pierre New York 1940-46 © Lisette Model

Belmont Park, Rennbahn 1956, Fetter Mann © Lisette Model

Diane Arbus war von 1955 bis 57 eine Schülerin Models und wurde von ihr ermuntert, die kommerzielle Photographie zu Gunsten der künstlerischen aufzugeben. 

Sonntag, 8. April 2012

Winter ade!


Weil es gestern beim Osterfeuer geschneit und gehagelt hat!

Winter ade!

Winter ade! Scheiden tut weh.
Aber dein Scheiden macht,
dass mir das Herze lacht.
Winter ade! Scheiden tut weh.

Winter ade! Scheiden tut weh.
Gerne vergess' ich dein,
kannst immer ferne sein.
Winter ade! Scheiden tut weh.

Winter ade! Scheiden tut weh.
Gehst du nicht bald nach Haus,
lacht dich der Kuckuck aus.
Winter ade! Scheiden tut weh.
 
Musik: Volkslied
Text: Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)

© APA

Winter ade!

So hört doch, was die Lerche singt!
Hört, wie sie frohe Botschaft bringt!
Es kommt auf goldnem Sonnenstrahl
Der Frühling heim in unser Tal,
Er streuet bunte Blumen aus
Und bringet Freud' in jedes Haus.
Winter, ade!
Frühling, juchhe! 

Was uns die liebe Lerche singt,
In unsern Herzen wiederklingt.
Der Winter sagt: Ade! Ade!
Und hin ist Kälte, Reif und Schnee
Und Nebel hin und Dunkelheit
Willkommen, süße Frühlingszeit!
Winter, ade!
Frühling, juchhe!

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
(1798 - 1874) 


Theater hat fast nie Sex


Im Laufe der letzten Jahre habe ich sicherlich mehr als 100 Menschen getötet, auf der Bühne. 

Nicht durch mich persönlich, aber doch unter meiner Verantwortung, auch Regie genannt, wurde erschossen, gewürgt, erstochen, ertränkt, vergiftet, erschlagen, kurzum gemetzelt, wohl theatralisch überhöht, aber doch noch durchaus als Morden, respektive Sterben erkennbar. Mein persönlicher Rekord war wohl die Ausmerzung der gesamten Besetzung der "Räuber", inclusive des in die erträumte Märtyrerrolle fliehen wollenden Karl Mohr.

Aber Sex? Küsse, ja. Umarmungen, erotische Tötungen, sehr sinnliche Blicke und Dialoge, verklausulierte Ersatzhandlungen, mehr oder weniger deutliche Anspielungen, derbe Komik, aber kein Sex. Und auch in den Inszenierungen anderer kann ich mich nicht erinnern, dieser doch nicht unhäufigen Interaktion zwischen Menschen begegnet zu sein. Oder wenn, dann höchstens in ihrer Klamaukvariante: Sie, mit den gespreizten Beinen in der Luft, Er, wild rammelnd darübergebeugt oder ähnliche akrobatische Lustigkeiten. Oder als bedeutungsgeladenes Black. 
Aber Sex als intimer Kontakt zwischen Menschen? 
(Natürlich nicht naturalistisch nachgestellt oder -gelegt, aber in genaue und verstörende, berührende Bilder übersetzt.)  

Egon Schiele 1915,  Liebesakt Studie

Ich habe gelesen, dass es in Amerika weit einfacher ist trotz blutigster Brutalitäten eine "jugendfrei" Freigabe für einen Film durchzusetzen, als wenn eine Brust, zwei Brüste, ein Hintern oder, Gott verhüte, ein primäres Geschlechtsmerkmal durchs Bild wandeln. "The King's Speech", ein sehr empfehlenswerter Film, mußte die in den verzweifelten Sprechübungen des stotternden Königs auftauchenden "fucks" durch andere nicht sexuelle Flüche ersetzen, um die Freigabe ab 13 Jahren zu erlangen.

Vor Jahren habe ich eine Kurzgeschichte, ich glaube sie war von Peter Hacks, gelesen, in der ein junger Fremder eine ihm unbekannte Stadt besucht. Er betritt ein Haus, im Flur vögelt der Hausherr mit dem Dienstmädchen, auf dem leeren Tisch im Eßzimmer die Dame des Hauses mit dem Stallknecht. Die Tochter des Hauses bietet sich ihm unmißverständlich an. Er ist erstaunt, auch belustigt. Später aber, als er um eine Scheibe Brot bittet, reagieren alle Umstehenden mit tiefer Brüskiertheit. Gegessen wird hier heimlich, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, es ist tabu über die Nahrungsaufnahme zu reden. Verkehrte Welt?

 Egon Schiele Liebesakt

Nun arbeite ich am "Reigen" von Schnitzler und die Szenen werden von Irritierenden Strichellinien unerbrochen in denen, den Intentionen des Autors folgend, die Personen Sex miteinander haben, um anschließend ihren "unterbrochenen" Dialog weiterzuführen. Während des Aktes selbst wird nicht gesprochen. 
Und plötzlich stellt sich mir die Frage, warum wir so viel spielerischer und phantasievoller mit der Visualisierung unseres Gewaltpotentiales und unserer Sterblichkeit umgehen, als mit der Darstellung unserer Geschlechtlichkeit, die doch erst unsere Existenz ermöglicht - in der Fortpflanzung - und uns doch auch definiert, erfreut, ängstigt und lebendig hält.

Das Internet und die Nachtprogramme der Privatfernsehsender behaupten unseren "freien" und unverklemmten Umgang mit Sexualität, man könnte es auch den Übergang in die konsumierbare, marktwirtschaftlich verwertbare Form der Libido nennen. Aber das Theater, die alte Dame der darstellenden Künste, ziert sich.

Warum überlassen wir die Sexualität der Pornographie? Warum gestatten wir unserer Lust, Zärtlichkeit, Geilheit auf der Bühne nicht den gleichen Raum, den wir unserer Gewaltätigkeit einräumen?

Wiki sagt:
Sex erfüllt zahlreiche Funktionen: Er befriedigt die Libido, dient in Form des Geschlechtsverkehrs der Fortpflanzung und drückt in der Regel als wichtige Form der sozialen Interaktion Gefühle der Zärtlichkeit, Zuneigung und Liebe aus. Besonders in Liebesbeziehungen kann das Sexualleben eine zentrale Rolle als Ausdruck der Verbundenheit der Partner spielen. Er ist jedoch nicht ausschließlich an Liebesbeziehungen bzw. Partnerverbundenheit gekoppelt.


Samstag, 7. April 2012

William Butler Yeats - Die Wiederkunft

 

Alles anders, völlig anders / Eine schreckliche Schönheit wurde geboren

All changed, changed utterly / A terrible beauty is born

aus: Ostern 1916

Dann, 1919, der Erste Weltkrieg ist kaum vorüber, der Erste, wie einfach sich das schreibt, der Erste war er wohl nicht, traf auch nicht die ganze Welt und doch war er neu, anders, alle bekannten Vorstellungen erschütternd. Eine ganze Generation englischer Dichter, wie Wilfred Owen, Isaac Rosenberg, Robert Graves, Wilfried Sassoon, Edward Thomas wurde von ihm ins Schreiben gestossen, fielen in seinen Schlachten oder schleppten sein Gewicht den Rest ihres Lebens in ihre Arbeiten.

Yeats, 1919 bereits 54 Jahre alt, war nicht Soldat, aber der Krieg, der blutig niedergeschlagene Irische Aufstand 1916, wohl auch die Ereignisse in Russland weckten in ihm ein beunruhigtes und beunruhigendes Gefühl von unumkehrbarer Veränderung.

Das Tier, das aus dem Meer steigt (Off 13,1-18). Fresko von Giusto de Menabuoi (1320-1397) im Baptisterium von Padua (1376). 


William Butler Yeats

Das zweite Kommen

Drehend und drehend in immer weiteren Kreisen
Hört der Falke seinen Falkner nicht;
Alles zerfällt, die Mitte hält nicht mehr;
Und losgelassen nackte Anarchie,
Und losgelassen blutgetrübte Flut, und überall
ertränkt das strenge Spiel der Unschuld;
Die Besten haben keine Meinung mehr, die Schlimmsten
Sind von Kraft der Leidenschaft erfüllt.
Gewiß, eine Offenbarung steht bevor;
Gewiß, die Wiederkunft steht jetzt bevor.
Die Wiederkunft! Kaum ausgesprochen
Trübt groß eine Vision des Geists der Welt
Mir meine Sicht: Irgendwo im Wüstensand
Die Form eines Löwen mit dem Kopf eines Mannes,
Der Blick, wie die Sonne, leer und mitleidlos,
Bewegt seine Schenkel langsam, und rings umher
Schwirren die Schatten empörter Wüstenvögel.
Wieder bricht Dunkel herein - doch nun weiß ich,
Daß zwanzig Jahrhunderte seines steinernen Schlafes
Zum Albtraum erweckt worden sind vom Schaukeln einer Wiege:
Und welch rohes Tier, seine Zeit nun gekommen,
Kriecht auf Bethlehem zu,
um geboren zu werden?

Übersetzung
von Walter A. Aue, von mir bearbeitet 


The Second Coming

Turning and turning in the widening gyre
The falcon cannot hear the falconer;
Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,
The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
The ceremony of innocence is drowned;
The best lack all conviction, while the worst
Are full of passionate intensity.

Surely some revelation is at hand;
Surely the Second Coming is at hand.
The Second Coming! Hardly are those words out
When a vast image out of Spiritus Mundi
Troubles my sight; somewhere in sands of the desert
A shape with lion body and the head of a man,
A gaze blank and pitiless as the sun,
Is moving its slow thighs, while all about it
Reel shadows of indignant desert birds.
The darkness drops again; but now I know
That twenty centuries of stony sleep
Were vexed to nightmare by a rocking cradle,
And what rough beast, its hour come round at last,
Slouches towards Bethlehem to be born?



Die Offenbarung des Johannes Kapitel 13 - Die Zwei Tiere

Und ich trat an den Sand des Meeres und sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern Namen der Lästerung.  Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Parder und seine Füße wie Bärenfüße und sein Mund wie eines Löwen Mund. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Stuhl und große Macht. Und ich sah seiner Häupter eines, als wäre es tödlich wund; und seine tödliche Wunde ward heil. Und der ganze Erdboden verwunderte sich des Tieres  und sie beteten den Drachen an, der dem Tier die Macht gab, und beteten das Tier an und sprachen: Wer ist dem Tier gleich, und wer kann mit ihm kriegen?
Und es ward ihm gegeben ein Mund, zu reden große Dinge und Lästerungen, und ward ihm gegeben, dass es mit ihm währte zweiundvierzig Monate lang. Und es tat seinen Mund auf zur Lästerung gegen Gott, zu lästern seinen Namen und seine Hütte und die im Himmel wohnen. Und ward ihm gegeben, zu streiten mit den Heiligen und sie zu überwinden; und ward ihm gegeben Macht über alle Geschlechter und Sprachen und Heiden. Und alle, die auf Erden wohnen, beten es an, deren Namen nicht geschrieben sind in dem Lebensbuch des Lammes, das erwürgt ist, von Anfang der Welt.
Hat jemand Ohren, der höre!  So jemand in das Gefängnis führt, der wird in das Gefängnis gehen; so jemand mit dem Schwert tötet, der muss mit dem Schwert getötet werden. Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen.
Und ich sah ein anderes Tier aufsteigen aus der Erde; das hatte zwei Hörner gleichwie ein Lamm und redete wie ein Drache. Und es übt alle Macht des ersten Tiers vor ihm; und es macht, dass die Erde und die darauf wohnen, anbeten das erste Tier, dessen tödliche Wunde heil geworden war;  und tut große Zeichen, dass es auch macht Feuer vom Himmel fallen vor den Menschen; und verführt, die auf Erden wohnen, um der Zeichen willen, die ihm gegeben sind zu tun vor dem Tier; und sagt denen, die auf Erden wohnen, dass sie ein Bild machen sollen dem Tier, das die Wunde vom Schwert hatte und lebendig geworden war.
 Und es ward ihm gegeben, dass es dem Bilde des Tiers den Geist gab, dass des Tiers Bild redete und machte, dass alle, welche nicht des Tiers Bild anbeteten, getötet würden. Und es macht, dass die Kleinen und die Großen, die Reichen und die Armen, die Freien und die Knechte allesamt sich ein Malzeichen geben an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn, dass niemand kaufen oder verkaufen kann, er habe denn das Malzeichen, nämlich den Namen des Tiers oder die Zahl seines Namens.
Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tiers; denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.