Dienstag, 7. Februar 2012

Der geliebte Kuchen und andere Redewendungen



To eat one's cake and have it too. 

Eine wunderbare Redewendung. Man möchte seinen Kuchen essen, ihn aber auch haben oder behalten. Ihn Essen hieße, ihn dann nicht mehr zu haben und vice versa, der Stoff aus dem kleinere Tragödien entstehen. 
Die Franzosen sagen dafür: vouloir le beurre et l'argent du beurre, was man mit: die Butter und das Geld für die Butter wollen, übersetzen könnte und Italiener wünschten: avere la botte piena e la moglie ubriaca - das Fass voll zu haben und die Frau betrunken und Spanier: querer estar en misa y en procesión - gleichzeitig bei der Messe und in der Prozession seien zu können.
Wir selbst hätten: wasch' mir den Pelz, aber mach mich nicht naß! zu bieten oder annähernd, Er will (am liebsten) auf zwei Hochzeiten (gleichzeitig) tanzen.

Ach, wie oft es mir so geht, ach, wenn man zwei Kuchen hätte! Aber dann würde man zwei Kuchen essen und wäre fett und unglücklich darüber, dass man keinen Kuchen mehr hat.


 Dorothy Parker

 Age Before Beauty. Pearls Before Swine.

Mrs. Dorothy Parker traf am Eingang zu einer Party auf eine sehr junge Debütantin, die ihr die Tür mit den süßen Worten: Alter geht vor Schönheit!" offenhielt. Sie erwiderte: "Und Perlen vor Säue!" und trat ein.
September 16, 1938 in The Spectator, eine Londoner Wochenzeitschrift

It is recorded that Mrs. Parker and a snooty debutante were both going in to supper at a party: the debutante made elaborate way, saying sweetly “Age before beauty, Mrs. Parker.” “And pearls before swine,” said Mrs. Parker, sweeping in.

Matthew 7:6: Ihr sollt das Heiligtum nicht den Hunden geben, und eure Perlen nicht vor die Säue werfen, auf daß sie dieselben nicht zertreten mit ihren Füßen und sich wenden und euch zerreißen.

"Als das Telefon nicht klingelte, wusste ich, dass du es warst."

Mrs. Dorothy Parker, in Deutschland fast gänzlich unbekannt, war eine Dichterin großartiger "kleiner" Gedichte, eine Kurzgeschichtenschreiberin erster Güte, eine tolle aber grausame Theaterkritikerin und eine sehr unglückliche Frau mit einem schweren Alkohol- und Männerproblem und einer Zunge scharf wie ein Stilett.
Aus ihrem Nachruf, sie starb, viel zu spät (ihre Einschätzung), mit 73:
"Sie ist keine Emily Bronte oder Jane Austen, aber sie hat sich bemüht gut zu schreiben, und sie hat in das, was sie geschrieben hat, eine Stimme gelegt, einen Geisteszustand, eine Ära, einige Momente der menschlichen Erfahrung, die niemand sonst ausgedrückt hat." Edmund Wilson

"She is not Emily Bronte or Jane Austen, but she has been at some pains to write well, and she has put into what she has written a voice, a state of mind, an era, a few moments of human experience that nobody else has conveyed." Edmund Wilson


 Dorothy Parker


Hier habe ich noch ein paar feine Redewendungen bei Wiki gefunden:

∙ Aussehen wie ein Affe auf'm Schleifstein — unbequeme Fortbewegungsart, vor allem in  Verbindung mit Fahrrädern. Abgeleitet vom dressierten Affen eines Scherenschleifers. 
 
∙ Jemandem einen Bären aufbinden — Ihn anlügen oder ihm etwas vormachen. Vom altdeutschen Wort bar, was so viel wie Last oder Abgabe bedeutete. 

∙ Ei der Daus! 

∙ Der Drops ist noch nicht gelutscht

∙ Fisimatenten machen — Ausflüchte oder nichtige Einwände machen. Hierfür gibt es mehrere Entstehungsvarianten. — Die häufig erwähnte Ableitung von „visitez ma tente“, womit französische Soldaten einheimische Damen ermunterten, in ihre Zelte zu kommen, ist unbelegt, ebenso die angebliche Ausrede „j’ai visité ma tante“, d.h. ich habe meine Tante besucht. Möglicherweise richtig ist die Herkunft von „visae patentes“, d.i. geprüfte Patente, da zwischen Antrag und Bestätigung der Patente eine lange Zeitspanne verging.

∙ Unter aller Kanone — Die Zensurenskala in Lateinschulen nannte man „Canon“. Total verhauene Arbeiten wurden schlicht mit „sub omni canone“ (unterhalb des Maßstabs) gewertet, von den Schülern verballhornt.

∙ Der muss wohl mit dem Klammerbeutel gepudert sein! — Gemeint ist der Beutel im Mehlkasten einer Mühle, der durch eine klammerähnliche Vorrichtung geschüttelt wird, um die Kleie vom Mehl zu trennen. Wenn der Mehlkasten während des Mahlens geöffnet wird, stäubt das Mehl den Müller ein.

∙ Ach du grüne Neune! — Vermutlich zurückzuführen auf die Pik 9 im Kartenspiel, die beim Kartenlegen Unheil verhieß, klingt ähnlich wie Pittiplatschs "Ach du meine Nase!", nicht?

∙ Jemandem (nicht einmal) das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen

Da verließen sie ihn. Nach der Bibel Mt 26,56, wo es heißt: „da verließen ihn alle seine Jünger“
 

Sonntag, 5. Februar 2012

Kälte ist relativ


Vorgestern nacht in Augsburg, 17°-. Eine Freiluftveranstaltung. Wenige, aber hoch interessierte Zuschauer, Zuhörer, Diskutanten. Brechttexte werden gesprochen, gerufen, gesungen und mitgeteilt. Um 22.30 Uhr ist Schluss, aber eine halbe Stunde später stehen die Schauspieler immer noch um eine der aufgestellten Holzfeuer-Tonnen und reden, scheinbar unempfindlich für diese, für unsere Breiten, unübliche klirrende Kälte. Eine schöne kalte Nacht.

 
nele azevedo's 'melting men' on the steps of the concert hall in berlin's gendarmenmarkt squareimage © reuters

Im September 2009, in Berlin schuf Nele Azevedo mehr als eintausend Eis-Menschen für den WWFN (World Wide Fund for Nature), sie schmolzen innerhalb von 30 Minuten.
'melting men'
image courtesy of nele azevedo
  
Der Webersche drei-Schalen-Versuch

Drei Schalen vor mir auf dem Tisch, die rechte ist mit kaltem Wasser gefüllt, die linke mit heißem, in der Mitte eine etwas größere mit lauwarmem Wasser.

Wenn ich nun meine rechte Hand circa eine Minute in das kalte Wasser lege und meine linke gleichzeitig ebensolang in das heiße (Nicht zu heiß bittesehr!) und danach, ebenfalls gleichzeitig, beide in die mittlere, meldet die rechte Hand: Warm! und die linke: Kalt! Je größer die Temperaturdifferenz zwischen den beiden äußeren Schalen, desto intensiver ist auch der gefühlte Unterschied der beiden Hände in der mittleren, lauwarmen Schale.
Auch Temperaturempfindung ist relativ! Wir können nur Differenzen empfinden, keine Absolute.
Kältesensoren kommen in der Haut etwa 10 mal so häufig vor wie Wärmesensoren und arbeiten deutlich schneller. Denn Kälte ist dem Menschen gefährlicher als Wärme.

Ernst Heinrich Weber (1795-1878) gilt, gemeinsam mit Gustav Theodor Fechner, als der Begründer der Psychophysik, die die gesetzmäßigen Wechselbeziehungen zwischen subjektivem psychischen Erleben und quantitativ messbaren, also objektiven physikalischen Reizen untersucht. 

Apropos: Wir haben etwa 10-Mal mehr Kälterezeptoren als Wärmerezeptoren. Dazu kommt, dass die Kälterezeptoren schneller adaptieren, da die Kälte für den menschlichen Körper gefährlicher ist, als Wärme.




Der kleine Unterschied

Es sprach zum Mister Goodwill
ein deutscher Emigrant:
»Gewiß, es bleibt dasselbe,
sag ich nun land statt Land,
sag ich für Heimat homeland
und poem für Gedicht.
Gewiss, ich bin sehr happy:
Doch glücklich bin ich nicht.«

Mascha Kaléko


Das Webersche Gesetz


Die Abhängigkeit der Unterschiedsschwellen vom Ausgangsreiz ist in einem mittleren Gültigkeitsbereich konstant und wurde im Weberschen Gesetz festgehalten:
∆S / S = k
(∆S = Veränderung eines Stimulus, S = Ausgangsstimulus, k = Konstante)



'melting men'
image courtesy of nele azevedo

Tanz und Wetter am Meer




Jack Vettriano Der Singende Butler


Kurt Schwitters, "Kleines Gedicht für große Stotterer"

Ein Fischge, Fisch, ein Fefefefefischgerippe
Lag auf der auf, lag auf der Klippe.
Wie kam es, kam, wie kam, wie kam es
Dahin, dahin, dahin?

Das Meer hat Meer, das Meer, das hat es
Dahin, dahin, dahingespület,
Da llllliegt es, liegt, da llllliegt, llliegt es
Sehr gut, sogar sehr gut!

Da kam ein Fisch, ein Fefefefefisch, ein Fefefefefefe-Fefefefefefe-
(schriller Pfiff) feFe feFe feFe feFefischer,
Der frischte, fischte frische Fische.
Der nahm es, nahm, der nahm, der nahm es
Hinweg, der nahm es weg.

Nun llllliegt die, liegt, nun llliegt die Klippe
Ganz o o o ohne Fischge Fischgerippe
Im weiten, weit, im We Weltenmeere
So nackt, so fufu furchtbar nackt.

um 1934

1931, Tennis auf dem Eis
   Jack Vettriano wurde 1951 unter dem Namen Jack Hoggan in 
   einer Bergarbeitersiedlung in Fife, Schottland geboren.
   Er gilt als der erfolgreichste britische Maler der Gegenwart. 
   Sein bekanntestes Gemälde, der 1992 gemalte "singende Butler", 
   war noch von der Sommerausstellung der Royal Academy abgelehnt 
   worden. Der Scottish Arts Council, bei dem Vettriano das Bild 
   anschließend einreichte, hielt es noch nicht einmal für nötig zu 
   antworten. Daraufhin verkaufte Vettrianos Galerist an einen privaten 
   Sammler für 3.500 britische Pfund. Vier Jahre später wurde das Bild 
   für 5.000 Pfund weiter verkauft. Im Jahr 2004 erlöste der 
  "Singende Butler" bei einer Versteigerung einen Preis von 744.500 
   britischen Pfund. (Wiki)


Samstag, 4. Februar 2012

WINTER




WINTER

Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an
Und scheut nicht Süß noch Sauer.

Er zieht sein Hemd im Freien an
Und lässt’s vorher nicht wärmen,
Und spottet über Fluss im Zahn
Und Kolik in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang
Weiß er sich nichts zu machen,
Hasst warmen Drang und warmen Klang
Und alle warmen Sachen.
 
Doch wenn die Füchse bellen sehr,
Wenn's Holz im Ofen knittert,
Und an dem Ofen Knecht und Herr
Die Hände reibt und zittert;

Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
Und Teich und Seen krachen,
Das klingt ihm gut,  das hasst er nicht,
Dann will er sich totlachen.  –

Sein Schloss von Eis liegt ganz hinaus
Beim Nordpol an dem Strande;
Doch hat er auch ein Sommerhaus
Im lieben Schweizerlande.

Da ist er denn bald dort, bald hier,
Gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
Und sehn ihn an und frieren. 

Matthias Claudius



Kori no Suizokukan - Ein Gefrorenes Aquarium

2002 wurde in Kesennuma, Miyagi Präfektur direkt auf dem örtlichen Fischmarkt ein Gefrorenes Aquarium eröffnet. Besucher müssen schnell gucken, innerhalb des Aquariums herrschen -20° Celsius und trotz der Spezialanzüge, verspürt man nach kürzester Zeit, heftige Kälteschmerzen.

Donnerstag, 2. Februar 2012

Laura Battiferri


Laura Battiferri Ammannati, hat von 1523 bis 1589, und die meiste Zeit davon im Florenz des Cosimo Medici gelebt. Dichterin, glühende Katholikin und Unterstützerin der Gegenreformation, war sie, nach dem Tod ihres ersten Mannes, in zweiter Ehe mit dem Bildhauer Bartolomeo Ammannati verheiratet.

In Lauras Hand, die Sonette des Petrarca an seine 'Madonna Laura', von Lauras Fingern eingerahmt, das Zitat: "Lauras Persönlichkeit ist noch schwerer zu erfassen, als ihre äußere Erscheinung. Sie bleibt die Inkarnation der keuschen und edlen Schönheit."
Portrait der Laura Battiferri, Angelo Bronzino, 1555, Palazzo Vecchio, Florence, Italy 


Sonett Nr. 90


Es waren die Haare aus Gold in der Luft ausgebreitet,
die zu tausend süßen Knoten sie verstrickte,
und maßlos brannte das liebliche Licht
jener schönen Augen, die jetzt so wenig davon geben;

und das Gesicht nahm mitleidsvolle Farben an
- ich weiß nicht, ob echt oder falsch -, mir schien es [so]:
Ich, der ich den Liebesköder in der Brust hatte,
was wundert’s, wenn ich sofort entflammte?

Nicht war ihr Gang der einer Sterblichen,
sondern engelhafter Art, und die Worte
klangen anders als von bloß menschlicher Stimme;

ein himmlisches Wesen, eine lebendige Sonne
war das was ich sah, und wenn sie auch jetzt nicht [mehr] so wäre:
[Eine] Wunde heilt durch Lockerung des Bogens nicht!


Petrarca, Aus: Hans-Jürgen Schlütter: Sonett. Mit Beiträgen von Raimund Borgmeier und Heinz Willi Wittschier. Stuttgart 1979, S. 28.

Detail aus: Christus und die Frau aus Kanaan, Alessandro Allori, in Auftrag gegeben durch Bartolomeo Ammannati anläßlich des Begräbnisses seiner Frau, dargestellt als alte Frau mit Buch. Leider habe ich das vollständige Bild nirgends gefunden.

 

Mittwoch, 1. Februar 2012

Nofretete ein Artikel aus "Der Welt" - für Ö.

Das zweite geheime Gesicht der Nofretete
Welt online

Die über 3300 Jahre alte bunte Büste der Nofretete ist die größte Attraktion des Ägyptischen Museums in Berlin. Wissenschaftler des Imaging Science Centers an der Charité wollten wissen, in welchem Zustand sich die Skulptur befindet und schoben sie in eine Röntgenröhre. Dabei gewannen sie überraschend neue Erkenntnisse: Hinter der aus Gips modellierten Büste befindet sich ein zweites, nicht weniger fein gezeichnetes Gesicht aus Kalkstein.
Neue Entdeckung
Foto: dpa
Auch dieses bildet Nofretete ab, allerdings mit nicht ganz so grader Nase und Falten an den Mundwinkeln. „Als wir den Scan machten, war unbekannt, wie dick der Stuck im Gesicht ist und ob da überhaupt ein zweites Gesicht darunter ist“, sagt Alexander Huppertz, der als Direktor des Centers für den Computer-Tomographie-Scan verantwortlich ist. Man habe zwar gewusst, dass ein Rohling hinter dem aus Stuck geformten Gesicht sei. Aber dass das innere Steingesicht so detailliert und dem äußeren Gesicht so ähnlich sei, sei eine große Überraschung gewesen.

„Das Klischee ist, dass immer alles schöner gemacht wird“, sagt Huppertz. Das sei in diesem Fall aber nicht so. Im Vergleich der beiden Gesichter zeige sich, dass – aus heutiger Sicht – Veränderungen sowohl in positiver als auch in negativer Richtung gemacht worden seien. So seien am äußeren Gesicht an den Mundwinken Falten wegretuschiert, die Nase „begradigt oder geglättet“ worden, dafür aber am Auge Falten hinzugefügt worden. „Es wurde also personalisiert, aber nicht idealisiert."

Für zwei Minuten in der Röhre

Die Entstehung des altägyptischen Meisterwerks, dessen Wert von einer Versicherung auf 390 Millionen Dollar geschätzt wurde, müsse man sich folgendermaßen vorstellen, erzählt Huppertz: Nofretete saß beim königlichen Bildhauer Modell, der ihr Abbild in einen Stein meißelte. Dann hätten entweder die Königin selbst oder ihr Mann Echnathon das Kunstwerk inspiziert und Anweisungen für die ein oder andere Änderung erteilt. Das Ergebnis sei die über den Stein modellierte berühmte Nofretete-Büste.



Huppertz und sein Team schoben die 47 Zentimeter hohe Büste bereits im Jahr 2006 in eine Röhre, in der sonst Menschen geröntgt werden. „Wir haben ein spezielles Podest gebaut, wo sie sicher drauflag, und dann läuft sie einfach durch den Scanner durch. Das dauert maximal zwei Minuten“, sagt Huppertz. Danach habe man anderthalb Stunden mit der 3-D-Nachverarbeitung der Bildrechner zugebracht. „Da muss man sichergehen, dass der Datensatz perfekt ist.“ Die Forschung an den Datensätzen dauerte dann zwei Jahre.

British Museum begrüßt Forschungsansatz

Auch international erhält Huppertz Beifall für seine Arbeit. „Dieser neue Forschungsansatz ist sehr wichtig, weil er Informationen über den Entstehungsprozess und den Zustand im Inneren der Büste gibt, sagt John Taylor, Kurator der ägyptischen Abteilung im Londoner British Museum. Das sei wichtig, weil sie durch diese Erkenntnisse noch lange in gutem Zustand erhalten werden könne.

„Die Schöne vom Nil“ wurde bereits 1992 einmal geröntgt. Die Technologie von damals sei jedoch mit der modernen CT-Technik und ihrer extrem hohen Auflösung von heute überhaupt nicht vergleichbar, meint Huppertz. Damals habe man eine Schichtdicke von etwa 5 Millimetern benötigt, im CT seien es Bildpunkte mit Kantenlängen von 0,4 Millimetern in allen Ebenen. Nur dadurch habe man die Nachverarbeitungsmöglichkeiten, könne man die Bilder auch drehen.

Eine zerstörungsfreie Bestandsaufnahme

Der große Vorteil der CT sei, dass sie eine zerstörungsfreie Bestandsaufnahme ermögliche, sagt Huppertz, der auch als „normaler“ Radiologe arbeitet und Menschen röntgt. Die Bilder vom Inneren der Büste lösten aber nicht nur Begeisterung aus: „Wir waren erschrocken, wie schlecht die Anbindung der einzelnen Materialien ist, wie anfällig das Objekt ist“, sagt Huppertz. Saniert werden könne Nofretete nicht. Deswegen müsse man sie „extrem vorsichtig anfassen“. Dadurch, dass sie „sehr inhomogen ist, ist sie vibrations- und berührungsempfindlich“.

Diese Analyse dürfte der Bundesregierung im Streit mit Ägypten über ein Leihgeschäft in die Hand spielen. Zur für 2012 geplanten Eröffnung des neuen Ägyptischen Museums in Gizeh würden die Ägypter die Büste, die 1912 vom deutschen Archäologen Ludwig Borchardt in der Wüste von Amarna entdeckt und ein Jahr später nach Deutschland gebracht wurde, allzu gerne ausleihen. Die Bitte stieß im Bundestag bislang auf Ablehnung – mit Hinweis, aus konservatorischen Gründen müsse der Umgang mit der Kalksteinbüste äußerst sorgsam sein.

Derzeit ist Nofretete im Alten Museum auf der Museumsinsel zu sehen. Bald steht ihr jedoch ein Umzug bevor. Zur Eröffnung des nur rund 100 Meter entfernten Neuen Museums soll sie ab 16. Oktober hier für Glanz sorgen.

Ob die Forschungsergebnisse über das verborgene Gesicht dann auch präsentiert werden, ist noch offen. Für die Ausstellung werde derzeit noch das Konzept erstellt, sagt Huppertz. Aber Erkenntnise aus dem CT würden auf jeden Fall miteinfließen. Es werde auch diskutiert, anhand der CT-Bilder eine zweite Büste nachzumachen, die das verborgene, innere Gesicht darstellt.

Theater hat auch eine Konzeption - Das Wintermärchen



Das Wintermärchen von William Shakespeare - ab nächsten Montag ist es für sieben Wochen mein Land, mein Haus, mein Bett. 

Ein wildes, raues Stück, das Stück eines Mannes, der schon 20 Jahre für's Theater schreibt; Komödien, Tragödien, Historien, und nun sind ihm die Genres lästig geworden, wozu säuberlich trennen, was doch eh eins ist und er setzt sich an den Tisch oder stellt sich ans Schreibpult und beginnt. 1611.

Ein Mann, ein König, hat einen liebenswürdigen Sohn und eine schöne Frau, die ist schwanger, und er hat einen Freund aus Kindertagen, ebenfalls König, der ist nun schon 9 Monate zu Besuch. Aber es ist nicht genug, der Freund soll länger bleiben. Keine Überredung greift, der König bittet seine junge Frau um Hilfe und ihr gelingt, woran er scheiterte, der Freund willigt ein, noch ein wenig länger zu bleiben.


Zu heiß, zu heiß!
Herztremor hab ich, mein Herz hüpft, doch nicht
Aus Freude, nicht aus Freude. 


5 Seiten später dingt der König einen Mörder für den Freund; 6 Seiten, die Frau wird unter Anklage der Untreue und des Hochverrates ins Gefängnis geworfen; und nirgends ein netter Schurke wie z.B. Jago, dem man das Ganze in die Schuhe schieben könnte; 10 Seiten: das nunmehr neugeborene Kind soll wie Schneewittchen in der Wildnis ausgesetzt werden, der Freund ist geflohen, die Frau zum Tode verurteilt, die Frau stirbt an Kummer, der liebenswürdige Sohn begeht Selbstmord. Und dann beginnt der lustige Teil. 


Vielleicht.

Ist Flüstern nichts?
Wange an Wange legen? Nasenspiele?
Mit feuchten Lippen küssen? Sich mit Seufzen
Im Lachgalopp hart zügeln? – (untrügliches Zeichen
Wankender Treue!) flehn, daß die Uhren schneller gehn?
Stunden Minuten werden? Mittag Mittnacht? Ist das nichts?
Dann ist die Welt und alles in ihr nichts,
Der Himmel nichts, Böhmen nichts, nichts, meine
Frau
Nichts, und kein Nichts an all den Nichtsen,
Wenn all das nichts sein soll.


Was für ein Wahnsinn, wie beginnt man da!

Man liest und liest, gezielt und bauchgeführt, man spinnt und palavert, jedem der es hören will und manchem, der es nicht will, die Ohren voll. Jeder Film, den man sieht, jedes Bild, das man betrachtet, von Musik ganz zu schweigen, alles, alles weist irgendwie auf etwas hin, das man noch nicht benennen kann. Indizien sammeln, Störungen finden, Irritationen, zum Kern vorzudringen.
Das Stück hat ein Happy End, sagt man. Warum sagt man das? Die Frau war gar nicht tot, der König bereut, das ausgesetzte Kind wird gefunden und liebt den Sohn des Kinderfreundes. Alles gut. 
Alles gut? Die Frau ist alt geworden unterdessen, der Freund hatte seinen Sohn, den künftigen König, verflucht, als dieser, das Mädchen, von dem noch nicht bekannt war, dass es kein Bauernmädchen, sondern eine Prinzessin ist, heiraten wollte, und; und dies ist ein gewaltiges, ein schreckliches UND: der liebenswürdige Sohn, der den Hass des Vaters nicht ertragen konnte, ist wirklich tot. 




Regieanweisung 3. Akt, 1. Szene: Er rennt ab, verfolgt von einem Bären.
 
“Shakespeare wusste, dass die wichtigste Illusion der Romanze, die an die wir glauben wollen, die ist, dass die Toten nicht sterben. In der Tragödie, werden wir dieser Illusion beraubt und das schmerzt; in der Komödie, wird uns gezeigt, dass andere Illusionen wichtiger sind (der Tod kommt zu jedem, warum also nicht lachen, besonders über Ehe, Gier und Aufgeblasenheit?). Nur in der Romanze wird die Illusion, den Tod zu überwinden, mit dem ihr gebührenden Respekt anerkannt. Die Romanze gibt zu, dass die Tragödie Recht hat: es gibt keine Flucht vor dem Schicksal und der Biologie; aber sie zeigt, dass das nicht die ganze Wahrheit über uns ist. Die Notwendigkeit an das wahrhaftig Unmögliche zu glauben, (das Leben nach dem Tod) und Trost und sogar Vergnügen daraus zu ziehen, ist Teil unseres Menschseins.“ John Pitcher

Nur so





Dienstag, 31. Januar 2012

eia wasser regnet schlaf


eia wasser regnet schlaf

I

eia wasser regnet schlaf
eia abend schwimmt ins gras
wer zum wasser geht wird schlaf
wer zum abend kommt wird gras
weißes wasser grüner schlaf
großer abend kleines gras
es kommt es kommt
ein fremder

II

was sollen wir mit dem ertrunkenen matrosen tun?*
wir ziehen ihm die stiefel aus
wir ziehen ihm die weste aus
und legen ihn ins gras**
mein kind im fluß ists dunkel
mein kind im fluß ists naß
was sollen wir mit dem ertrunkenen matrosen tun?
wir ziehen ihm das wasser an
wir ziehen ihm den abend an
und tragen ihn zurück
mein kind du mußt nicht weinen
mein kind das ist nur schlaf
was sollen wir mit dem ertrunkenen matrosen tun?
wir singen ihm das wasserlied
wir sprechen ihm das grasgebet
dann will er gern zurück

III

es geht es geht
ein fremder
ins große gras den kleinen abend
im weißen schlaf das grüne naß
und geht zum gras und wird ein abend
und kommt zum schlaf und wird ein naß
eia schwimmt ins gras der abend
eia regnet's wasserschlaf


Elisabeth Borchers 1960

* "was sollen wir mit dem ertrunkenen matrosen tun", What shall we do with the drunken sailor, ist ein traditioneller Shanty der englischen Matrosen.
** "gras" - Leaves of gras - Grashalme ist der Titel einer Gedichtssammlung von Walt Whitman, 1855 im Selbstverlag veröffentlicht und Grund für seine Entlassung aus dem Staatsdienst.

 
Am 20.6.1960 erschien in der FAZ dieses Gedicht und löste einen Skandal aus. Wochenlang erhielt die FAZ-Redaktion empörte Leserbriefe. Heute ist es schwer vorstellbar, dass ein Gedicht so leidenschaftliche Reaktionen hervorrufen könnte.

How to draw sailors - a drawing lessons for kids in easy steps


Ein interessanter Artikel von Ulrich Greiner über die "Frankfurter Anthologie", eine Gedichtssammlung bestehend aus bisher circa 1600 Gedichten. Seit 1974 wird in jeder Samstagausgabe der FAZ ein Gedicht veöffentlicht. Die Anthologie wird von Marcel Reich-Ranicki betreut, der auch die jährlich erscheinde Buchausgabe herausgibt. (Wiki)

Montag, 30. Januar 2012

Ausschwitz - Zur Erinnerung - 27.1.1945 - Primo Levi


Ihr, die ihr gesichert lebet In behaglicher Wohnung; 
Ihr, die ihr abends beim Heimkehren 
Warme Speise findet und vertraute Gesichter: 
Denket, ob dies ein Mann sei, 
Der schuftet im Schlamm, 
Der Frieden nicht kennt, 
Der kämpft um ein halbes Brot, 
Der stirbt auf ein Ja oder Nein, 
Denket, ob dies eine Frau sei, 
Die kein Haar mehr hat und keinen Namen, 
Die zum Erinnern keine Kraft mehr hat. 
Leer die Augen und kalt ihr Schoß 
Wie im Winter die Kröte. 
Denket, daß solches gewesen, 
Es sollen sein diese Worte in euren Herzen. 
Ihr sollt über sie sinnen, wenn ihr sitzet 
In einem Hause, wenn ihr geht auf euren Wegen, 
Wenn ihr euch niederlegt und wenn ihr aufsteht; 
Ihr sollt sie einschärfen euern Kindern. Oder eure Wohnstatt soll zerbrechen, 
Krankheit soll euch niederringen, 
Eure Kinder sollen das Antlitz von euch wenden. 
Aus: Primo Levi "Ist das ein Mensch?"


Wikipedia schreibt:

Zwischen dem 17. Januar 1945 und dem 23. Januar wurden etwa 60.000 Häftlinge aus Ausschwitz evakuiert und in Todesmärschen nach Westen getrieben. In den Lagern und Außenstellen blieben etwa 7500 Häftlinge zurück, die zu schwach oder zu krank zum Marschieren waren. Mehr als 300 wurden erschossen; man nimmt an, dass eine geplante Vernichtungsaktion nur durch das rasche Vorrücken der Roten Armee verhindert wurde.
Zuerst wurde das Hauptlager Monowitz am Vormittag des 27. Januar 1945 durch die sowjetischen Truppen (322. Infanteriedivision der 60. Armee der I. Ukrainischen Front unter dem Oberbefehl von Generaloberst Kutotschkin) befreit. Von den dort zurückgelassenen Gefangenen — die Angaben reichen von 600 bis 850 Personen — starben trotz medizinischer Hilfe 200 in den Folgetagen an Entkräftung.
Das Stammlager und Auschwitz-Birkenau wurden – auch durch die Soldaten der 322. Division – schließlich am frühen Nachmittag des 27. Januar befreit. In Birkenau waren fast 5.800 entkräftete und kranke Häftlinge, darunter fast 4.000 Frauen, unversorgt zurückgeblieben. In den desinfizierten Baracken wurden Feldlazarette eingerichtet, in denen die an Unterernährung und Infektionen leidenden und traumatisierten Häftlinge versorgt wurden.
Einige Tage später wurde die Weltöffentlichkeit über die Gräueltaten informiert. Die Ermittler fanden über eine Million Kleider, ca. 45.000 Paar Schuhe und sieben Tonnen Menschenhaar, die von den KZ-Wächtern zurückgelassen wurden.
In den Jahren 1940 bis 1945 wurden in die Konzentrationslager Auschwitz mindestens 1,1 Millionen Juden, 140.000 Polen, 20.000 Sinti und Roma sowie mehr als 10.000 sowjetische Kriegsgefangene deportiert. Knapp über 400.000 Häftlinge wurden registriert. Von den registrierten Häftlingen sind mehr als die Hälfte aufgrund der Arbeitsbedingungen, Hunger, Krankheiten, medizinischen Versuchen und Exekutionen gestorben.
Die nicht registrierten 900.000 nach Birkenau Deportierten wurden kurz nach der Ankunft ermordet.
Als Obergrenze der Todesopfer im Konzentrationslager- und Vernichtungslagerkomplex Auschwitz wird die Zahl von 1,5 Millionen Opfern angegeben.


Ein Artikel aus der Zeitschrift "Die Zeit"

Mein Jahrhundertbuch (46)

Günter Kunert: "Ist das ein Mensch?" von Primo Levi 
(Originaltitel: Se questo è un uomo)


Ist das ein Mensch? So hieß das erste von Primo Levi in Deutschland veröffentlichte Buch. Die Aufmerksamkeit war, wie ich mich erinnere, nicht übermäßig groß. Das Thema behagte nicht so recht. Denn Levi berichtete über die Hölle, in der er selber gewesen war und die nun einen Namen trug: Auschwitz. Im Gegensatz zu anderen Berichten Überlebender macht Levis Buch, machen seine Bücher eine Ausnahme. Sie sind nicht nur stilistisch eindrucksvoll, weil dieser Mann ein Schriftsteller von hohen Graden gewesen ist, von einer bedeutenden sprachlichen Kraft, sondern weil seine Ausgangsposition eine gänzlich andere Basis als die anderer Geretteter besaß. Primo Levi war studierter Chemiker, ein wissenschaftlich gebildeter, analytischer Kopf, der seine Erfahrungen unter anderen als nur moralischen Gesichtspunkten protokollierte. Seine Biografie belegt den Zivilisationsbruch unseres Jahrhunderts auf besondere Weise.
Mit einer unerhörten und erschreckenden Akribie notiert Levi die Entmenschung der zum Tode verurteilten Juden Europas. Er selber gerät, fast durch Zufall, in die Ungeheuerlichkeit. Nachdem er sich in Italien einer Widerstandsgruppe, die von den Faschisten ausgehoben wird, angeschlossen hatte, erklärt er den Häschern, er sei nicht der Resistenzia wegen in die Berge gegangen, sondern weil er Jude sei. Damit, so meint er, habe er das kleinere Übel gewählt. Von Auschwitz wissen die italienischen Juden nichts, einem Ort irgendwo in der Ferne, der sich bald entpuppt, als was wir ihn kennen: die Stätte des unvorstellbarsten Massenmordes in der europäischen Geschichte. Levi hat "Glück" im Unglück. Er übersteht die Selektion, da er ein Fachmann ist, dessen Kenntnisse man verwerten kann. So gehört er zu den "Privilegierten", deren Sterben aufgeschoben wird.
Haben wir nicht durch die Vorgänge im Kosovo die Vergangenheit aufflackern sehen? Das Unheil lauert vor unserer Haustür, und noch halten wir uns für dagegen gefeit, bloß eine Garantie besitzen wir keineswegs.
Überleben ist Zufall, schreibt Levi. Eine eigene Leistung ist es keineswegs. Und wer überlebt hat, kann mitnichten aufatmen. Denn das Erlebte und Erlittene lässt sich nicht vergessen. Primo Levi ist diese Vergangenheit durch seine literarische "Erinnerungsarbeit" nie losgeworden. Die eintätowierte Nummer hat das Gedächtnis wie die Psyche stigmatisiert. Früher oder später erscheint dem Überlebenden sein Dasein, das Dasein überhaupt sinnlos. Die Schatten von gestern mehren sich, die Last des Gewesenen wird schwerer bis zur Unerträglichkeit. "Ich weiß auch, daß ich es immer gewußt habe", schrieb er rund 15 Jahre nach Auschwitz, im Dezember 1961, "ich bin wieder im Lager, nichts ist wirklich außer dem Lager, alles andere waren kurze Ferien oder Sinnestäuschung, Traum ..." Im Jahr 1986 nimmt sich Primo Levi das Leben.
Wer statt freundlicher Illusionen die Wahrheit über die Menschen zu ertragen vermag, der lese seine Bücher.

Primo Levi:Ist das ein Mensch? Ein autobiographischer Bericht; aus dem Italienischen von Heinz Riedt; Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1992 


Aus:
An die Nachgeborenen
von Bertolt Brecht



Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.


Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist,
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschliesst!
Der dort ruhig über die Strasse geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?


Ich wäre gerne auch weise,
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen.
Aber ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten.


Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Sassen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.


Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in grosser Ferne.
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.