Das zweite geheime Gesicht der Nofretete
Welt online
Die über 3300 Jahre alte bunte Büste der Nofretete ist die größte
Attraktion des Ägyptischen Museums in Berlin. Wissenschaftler des
Imaging Science Centers an der Charité wollten wissen, in welchem
Zustand sich die Skulptur befindet und schoben sie in eine Röntgenröhre.
Dabei gewannen sie überraschend neue Erkenntnisse: Hinter der aus Gips
modellierten Büste befindet sich ein zweites, nicht weniger fein
gezeichnetes Gesicht aus Kalkstein.
Auch dieses bildet Nofretete ab, allerdings
mit nicht ganz so grader Nase und Falten an den Mundwinkeln. „Als wir
den Scan machten, war unbekannt, wie dick der Stuck im Gesicht ist und
ob da überhaupt ein zweites Gesicht darunter ist“, sagt Alexander
Huppertz, der als Direktor des Centers für den Computer-Tomographie-Scan
verantwortlich ist. Man habe zwar gewusst, dass ein Rohling hinter dem
aus Stuck geformten Gesicht sei. Aber dass das innere Steingesicht so
detailliert und dem äußeren Gesicht so ähnlich sei, sei eine große
Überraschung gewesen.
„Das Klischee ist, dass immer alles schöner gemacht wird“, sagt
Huppertz. Das sei in diesem Fall aber nicht so. Im Vergleich der beiden
Gesichter zeige sich, dass – aus heutiger Sicht – Veränderungen sowohl
in positiver als auch in negativer Richtung gemacht worden seien. So
seien am äußeren Gesicht an den Mundwinken Falten wegretuschiert, die
Nase „begradigt oder geglättet“ worden, dafür aber am Auge Falten
hinzugefügt worden. „Es wurde also personalisiert, aber nicht
idealisiert."
Für zwei Minuten in der Röhre
Die Entstehung des altägyptischen
Meisterwerks, dessen Wert von einer Versicherung auf 390 Millionen
Dollar geschätzt wurde, müsse man sich folgendermaßen vorstellen,
erzählt Huppertz: Nofretete saß beim königlichen Bildhauer Modell, der
ihr Abbild in einen Stein meißelte. Dann hätten entweder die Königin
selbst oder ihr Mann Echnathon das Kunstwerk inspiziert und Anweisungen
für die ein oder andere Änderung erteilt. Das Ergebnis sei die über den
Stein modellierte berühmte Nofretete-Büste.
Huppertz und sein Team schoben die 47 Zentimeter
hohe Büste bereits im Jahr 2006 in eine Röhre, in der sonst Menschen
geröntgt werden. „Wir haben ein spezielles Podest gebaut, wo sie sicher
drauflag, und dann läuft sie einfach durch den Scanner durch. Das dauert
maximal zwei Minuten“, sagt Huppertz. Danach habe man anderthalb
Stunden mit der 3-D-Nachverarbeitung der Bildrechner zugebracht. „Da
muss man sichergehen, dass der Datensatz perfekt ist.“ Die Forschung an
den Datensätzen dauerte dann zwei Jahre.
British Museum begrüßt Forschungsansatz
Auch international erhält Huppertz Beifall
für seine Arbeit. „Dieser neue Forschungsansatz ist sehr wichtig, weil
er Informationen über den Entstehungsprozess und den Zustand im Inneren
der Büste gibt, sagt John Taylor, Kurator der ägyptischen Abteilung im
Londoner British Museum. Das sei wichtig, weil sie durch diese
Erkenntnisse noch lange in gutem Zustand erhalten werden könne.
„Die Schöne vom Nil“ wurde bereits 1992 einmal geröntgt. Die Technologie
von damals sei jedoch mit der modernen CT-Technik und ihrer extrem
hohen Auflösung von heute überhaupt nicht vergleichbar, meint Huppertz.
Damals habe man eine Schichtdicke von etwa 5 Millimetern benötigt, im CT
seien es Bildpunkte mit Kantenlängen von 0,4 Millimetern in allen
Ebenen. Nur dadurch habe man die Nachverarbeitungsmöglichkeiten, könne
man die Bilder auch drehen.
Eine zerstörungsfreie Bestandsaufnahme
Der große Vorteil der CT sei, dass sie eine
zerstörungsfreie Bestandsaufnahme ermögliche, sagt Huppertz, der auch
als „normaler“ Radiologe arbeitet und Menschen röntgt. Die Bilder vom
Inneren der Büste lösten aber nicht nur Begeisterung aus: „Wir waren
erschrocken, wie schlecht die Anbindung der einzelnen Materialien ist,
wie anfällig das Objekt ist“, sagt Huppertz. Saniert werden könne
Nofretete nicht. Deswegen müsse man sie „extrem vorsichtig anfassen“.
Dadurch, dass sie „sehr inhomogen ist, ist sie vibrations- und
berührungsempfindlich“.
Diese Analyse dürfte der Bundesregierung im
Streit mit Ägypten über ein Leihgeschäft in die Hand spielen. Zur für
2012 geplanten Eröffnung des neuen Ägyptischen Museums in Gizeh würden
die Ägypter die Büste, die 1912 vom deutschen Archäologen Ludwig
Borchardt in der Wüste von Amarna entdeckt und ein Jahr später nach
Deutschland gebracht wurde, allzu gerne ausleihen. Die Bitte stieß im
Bundestag bislang auf Ablehnung – mit Hinweis, aus konservatorischen
Gründen müsse der Umgang mit der Kalksteinbüste äußerst sorgsam sein.
Derzeit ist Nofretete im Alten Museum auf der Museumsinsel zu sehen.
Bald steht ihr jedoch ein Umzug bevor. Zur Eröffnung des nur rund 100
Meter entfernten Neuen Museums soll sie ab 16. Oktober hier für Glanz
sorgen.
Ob die Forschungsergebnisse über das
verborgene Gesicht dann auch präsentiert werden, ist noch offen. Für die
Ausstellung werde derzeit noch das Konzept erstellt, sagt Huppertz.
Aber Erkenntnise aus dem CT würden auf jeden Fall miteinfließen. Es
werde auch diskutiert, anhand der CT-Bilder eine zweite Büste
nachzumachen, die das verborgene, innere Gesicht darstellt.
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Mittwoch, 1. Februar 2012
Freitag, 8. April 2011
Die Darsteller-Industrie (von Heike-Melba Fendel)
Hochinteressanter Artikel, den Pierre Snoussi-Bliss auf facebook gepostet hat, erschienen im Tagesspiegel:
Mehr Roter Teppich als exzellenter Film. Aus Sicht einer Künstleragentur: Wie das Fernsehen die Schauspielkunst abgeschafft hat
Eine junge Frau tanzt zu Klängen, die nur sie selbst hört, auf einer Lichtung. Sonnenstrahlen brechen durch das Laub der Bäume, beflittern die Selbstvergessene mit gleißenden Lichtbröckchen. Aus gebotenem Abstand schaut ihr ein junger Mann mit fassungsloser Begeisterung zu. Eine Szene, vollkommen schön. Vollendet rätselhaft.
Die junge Frau ist Helga Anders, sie ist lange schon tot. Der junge Mann ist Fritz Wepper und schon lange nicht mehr jung. Aber immer noch ein großer Schauspieler. Wenn man ihn denn ließe, wie Zbynek Brynych es tat, 1969 in einer Folge von „Der Kommissar“ aus der diese Entrücktheit stammt. 28 Jahre später will das deutsche Fernsehen nicht entrücken, sondern auf die Pelle des zappenden Zuschauermonsters kriechen und sich dort festkeilen. Mit Krallen, die sich an der Evidenz schärfen: „What you see is what you get“ lautet das Gebot der Fernsehstunde. Jedes Bild zielt auf Eindeutigkeit, jede Darstellung hat sich dem unterzuordnen. Ob man mit Brynych, mit Bob Fosse oder mit Bernhard Wicki gedreht hat, wie dieser des Staunenmachens eigentlich immer noch mächtige Mime Wepper, ist Wurst. Gehärtet im Stahlbad der Quote liefert er nurmehr Stückwerk seines Potenzials.
Im Theater sowieso und, die längste Zeit, auch im deutschen Fernsehen, war der Schauspieler jemand, der manches, ja vieles konnte, das seinen Zuschauern abging. Er konnte jemand werden, der er nicht ist, er konnte dieses Konstrukt Rolle oder Figur beschwören, beseelen, in den Dienst stellen. In den Dienst einer Sehnsucht – vielleicht nur seines Regisseurs – vielleicht aber auch die seiner Zuschauer, die ihm glaubten, die ihm folgten, in eine Figur, eine Geschichte, einen Zusammenhang. Immer aber markierte er mit seiner Kunst einen Abstand zu den Verführten, zu den vielleicht sogar Übertölpelten, die ihm eine Fernsehfilmlänge lang glaubten, bereit waren, ihm alles abzukaufen, weil der Erlös nicht nur ihrer Zerstreuung, sondern auch ihrer Erkenntnis diente.
Heute werden Schauspieler gering geschätzt und Stars hoch geachtet. Der Schauspieler stiehlt uns die Show. Der Star, das sind wir, in besserer Form. Stars im deutschen Fernsehen, das sind heute ausnahmslos perfektere Varianten unserer selbst, ein bisschen hübscher in der Katastrophe, ein bisschen stärker in der Schwäche und sehr viel reicher geworden durch dies kleine Bisschen des Abstandes, den sie zu uns zu halten in der Lage sind.
Anders als im Sport, der zweiten starproduzierenden Branche des Fernsehens, wo die Exzellenz weiterhin jene Bewunderung weckt, die den Abstand zu uns breit bemisst – Das könnt’ ich nicht !!!– verehren wir „unsere Besten“ für eben jenes Beinahe, das sie mit uns verbindet. „Beinahe“ wäre Veronica Ferres auch nur eine etwas zu groß, etwas zu disproportional, etwas zu teilbegabte Jederfrau geworden, die sehen muss, wie sie klarkommt. Tatsächlich aber ist sie der größte Star, den das deutsche Fernsehen je hervorgebracht hat.
Man verehrt sie als große Schauspielerin, ob sie in Werbespots entschlossen nach Handys greift oder – tiefenüberzeugt – Falten wegbeschwört, in Talkshows die Mimin mimt oder in Filmen die Talkshow- und Werbespotdarstellerin ins Schauspielfach zieht. Ein so merkantiles wie merkantilisiertes Gesamtkunstwerk bedient das Primat der Tautologie: Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg.
Ein guter Schuh passt, ein guter Arzt heilt, eine gute Sekretärin wimmelt ab. Ein guter Schauspieler bringt Quote. Oder vielleicht wird zwischenzeitlich längst umgekehrt ein Schuh draus. Wer Quote bringt, ist ein guter Schauspieler. Wirkung und Ursache – wem wollte man das in erschütterten Zeiten verdenken – werden gerne verwechselt. Der Eindeutigkeit des Genre – hierzulande funktionieren ohnehin nur zwei reibungslos, der Krimi und der Liebesfilm – folgt die Eindeutigkeit der Darstellung. Ich weine, also bin ich traurig, ich lalle, also bin ich betrunken, mein Blick ist unstet, also bin ich verdächtig. Die Gegenläufigkeit: Wer betrunken ist, sucht klar, wer traurig ist, sucht glücklich zu scheinen und wer unschuldig ist, hat das schlechte Gewissen, sie findet keinen darstellerischen Raum in einem Medium, das, um mit dem Filmemacher Christian Petzold zu sprechen, in jeder Einstellung anschaffen geht.
Natürlich gibt es inszenatorische wie darstellerische Ausnahmen, allein, es ist egal. Denn längst ist nicht nur den Zuschauern, sondern auch der Kritik das Instrumentarium abhanden gekommen, schauspielerische Leistungen zu bewerten. Schauspieler sind einadjektivische Kreaturen geworden, eine Besetzung ist im Zweifels- wie im Regelfall „hochkarätig“, eine darstellerische Leistung ist (meist in Klammern gesetzt) wahlweise: „überzeugend“, „eindringlich“, „stark“, gegebenenfalls mal ein mutiges „unterfordert“. Schauspielerporträts beschäftigen sich mit der Wahl des Lokales, der Kleidung oder der Adoranzstufe, nicht mit dem, was eigentlich gespielt wird. Lieber zwei O-Töne aus einer Pressekonferenz oder einem Gruppeninterview als zwei Beobachtungen einer Anverwandlung. Falls diese noch stattfindet. Denn längst ist das Fachkräftereservoir durchsetzt von Protagonisten der Generation Soap. Seit den frühen 90ern legitimiert nicht die Bühne oder die etablierte Ausbildungsstätte erste Gehversuch in der Primetime, sondern gerne der Kollateralruhm, den man sich als Moderatorin, Model, „Freundin von“ oder Schulhofentdeckung erworben hat. Addiert man hierzu die Produktionsbedingungen des gemeinen Fernsehfilmes, bleibt kein Schauspielerauge trocken. Klamme Budgets verhindern Probentage – oftmals treffen sich Regie und Schauspieler erst am ersten gemeinsamen Drehtag – wie das Durchfilmen einer ganzen Szene in den sogenannten Master-Einstellungen. Stattdessen wird in Schuss-Gegenschuss-Auflösung portionierte Emotion durchgerockt, der Restanspruch wird wahlweise im Schnitt oder der Vermarktung zur Ausstrahlung erledigt. Erfolgreiche Schauspieler haben ohnehin in der Mediengesellschaft eierlegende Wollmilchfrauen und -männer zu sein. Rote Teppiche wollen souverän beschritten, Talkshows jovial bestritten und Modestrecken mit schmalgehungertem Bauch absolviert sein. Die Rolle Schauspieler hat sukzessive das Spielen von Rollen überlagert. „Unsere Besten“ sind längst unsere besten Schauspielerdarsteller geworden. Der Deutsche Fernsehpreis hat im Handstreich in der Kategorie „Bester Schauspieler Nebenrolle“ Männer und Frauen zusammengefasst, um mehr Platz für Köche und Klums zu haben. So richtig scheint das niemanden gestört zu haben.
Wer sich nicht wehrt, spielt verkehrt. Wer sich wehrt, spielt im Zweifel: Gar nicht. Oder in randständigen Formaten wie denen des kleinen Fernsehspiels, des Independent-Kinos oder eben des Theaters. Dort sammelt er Bonuspunkte, die er im Primetime-Fernsehen nur allzu selten einlösen kann. Oder er heißt Götz George.
So hat es sich gefügt und also fügt man sich. Man sehnt sich nach den Ausnahmerollen bei den Ausnahmeregisseuren, den Stephan Wagners, Dominik Grafs und Matti Geschonneks dieser Fernsehwelt. Man blickt ein wenig hämisch auf die Affirmationsmodelle der Darstellerindustrie, die Furtwänglers, Neubauers und Neldels und will deren Macht, bezahlt allerdings in anderer Münze, als der von Kochbüchern, Ehemännern und Vorabendserien. Man will diese Liebe, denn nicht anders übersetzt sich Erfolg für Schauspieler, aber zu einem anderem Preis – dem des Gutseins. Die schlechte Nachricht ist: Qualität ist im Kontext der Fernsehindustrie kein Garant für Erfolg, sie unterläuft ihm allenfalls. Die gute Nachricht ist, dass es keine gibt. Das Medium Fernsehen hat sich der Schauspielkunst weitestgehend entledigt, es bedient sich ihrer nurmehr als ungeschützte Behauptung. Es braucht sie nicht, um zu funktionieren, dieses Medium, das nichts mehr und nichts anderes will, als funktionieren. Aber vielleicht gilt das Gleiche ja auch umgekehrt, und das wäre dann doch eine tröstliche Erkenntnis. Vielleicht braucht ja auch die Schauspielkunst das Fernsehen gar nicht, hat es in Wahrheit nie gebraucht. Ein Missverständnis wäre endlich gelöst.
Heike-Melba Fendel ist Inhaberin von Barbarella Entertainment, einer Agentur, die Schauspieler wie Matthias Brandt, Vadim Glowna und Esther Schweins betreut.
Eine junge Frau tanzt zu Klängen, die nur sie selbst hört, auf einer Lichtung. Sonnenstrahlen brechen durch das Laub der Bäume, beflittern die Selbstvergessene mit gleißenden Lichtbröckchen. Aus gebotenem Abstand schaut ihr ein junger Mann mit fassungsloser Begeisterung zu. Eine Szene, vollkommen schön. Vollendet rätselhaft.
Die junge Frau ist Helga Anders, sie ist lange schon tot. Der junge Mann ist Fritz Wepper und schon lange nicht mehr jung. Aber immer noch ein großer Schauspieler. Wenn man ihn denn ließe, wie Zbynek Brynych es tat, 1969 in einer Folge von „Der Kommissar“ aus der diese Entrücktheit stammt. 28 Jahre später will das deutsche Fernsehen nicht entrücken, sondern auf die Pelle des zappenden Zuschauermonsters kriechen und sich dort festkeilen. Mit Krallen, die sich an der Evidenz schärfen: „What you see is what you get“ lautet das Gebot der Fernsehstunde. Jedes Bild zielt auf Eindeutigkeit, jede Darstellung hat sich dem unterzuordnen. Ob man mit Brynych, mit Bob Fosse oder mit Bernhard Wicki gedreht hat, wie dieser des Staunenmachens eigentlich immer noch mächtige Mime Wepper, ist Wurst. Gehärtet im Stahlbad der Quote liefert er nurmehr Stückwerk seines Potenzials.
Im Theater sowieso und, die längste Zeit, auch im deutschen Fernsehen, war der Schauspieler jemand, der manches, ja vieles konnte, das seinen Zuschauern abging. Er konnte jemand werden, der er nicht ist, er konnte dieses Konstrukt Rolle oder Figur beschwören, beseelen, in den Dienst stellen. In den Dienst einer Sehnsucht – vielleicht nur seines Regisseurs – vielleicht aber auch die seiner Zuschauer, die ihm glaubten, die ihm folgten, in eine Figur, eine Geschichte, einen Zusammenhang. Immer aber markierte er mit seiner Kunst einen Abstand zu den Verführten, zu den vielleicht sogar Übertölpelten, die ihm eine Fernsehfilmlänge lang glaubten, bereit waren, ihm alles abzukaufen, weil der Erlös nicht nur ihrer Zerstreuung, sondern auch ihrer Erkenntnis diente.
Heute werden Schauspieler gering geschätzt und Stars hoch geachtet. Der Schauspieler stiehlt uns die Show. Der Star, das sind wir, in besserer Form. Stars im deutschen Fernsehen, das sind heute ausnahmslos perfektere Varianten unserer selbst, ein bisschen hübscher in der Katastrophe, ein bisschen stärker in der Schwäche und sehr viel reicher geworden durch dies kleine Bisschen des Abstandes, den sie zu uns zu halten in der Lage sind.
Anders als im Sport, der zweiten starproduzierenden Branche des Fernsehens, wo die Exzellenz weiterhin jene Bewunderung weckt, die den Abstand zu uns breit bemisst – Das könnt’ ich nicht !!!– verehren wir „unsere Besten“ für eben jenes Beinahe, das sie mit uns verbindet. „Beinahe“ wäre Veronica Ferres auch nur eine etwas zu groß, etwas zu disproportional, etwas zu teilbegabte Jederfrau geworden, die sehen muss, wie sie klarkommt. Tatsächlich aber ist sie der größte Star, den das deutsche Fernsehen je hervorgebracht hat.
Man verehrt sie als große Schauspielerin, ob sie in Werbespots entschlossen nach Handys greift oder – tiefenüberzeugt – Falten wegbeschwört, in Talkshows die Mimin mimt oder in Filmen die Talkshow- und Werbespotdarstellerin ins Schauspielfach zieht. Ein so merkantiles wie merkantilisiertes Gesamtkunstwerk bedient das Primat der Tautologie: Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg.
Ein guter Schuh passt, ein guter Arzt heilt, eine gute Sekretärin wimmelt ab. Ein guter Schauspieler bringt Quote. Oder vielleicht wird zwischenzeitlich längst umgekehrt ein Schuh draus. Wer Quote bringt, ist ein guter Schauspieler. Wirkung und Ursache – wem wollte man das in erschütterten Zeiten verdenken – werden gerne verwechselt. Der Eindeutigkeit des Genre – hierzulande funktionieren ohnehin nur zwei reibungslos, der Krimi und der Liebesfilm – folgt die Eindeutigkeit der Darstellung. Ich weine, also bin ich traurig, ich lalle, also bin ich betrunken, mein Blick ist unstet, also bin ich verdächtig. Die Gegenläufigkeit: Wer betrunken ist, sucht klar, wer traurig ist, sucht glücklich zu scheinen und wer unschuldig ist, hat das schlechte Gewissen, sie findet keinen darstellerischen Raum in einem Medium, das, um mit dem Filmemacher Christian Petzold zu sprechen, in jeder Einstellung anschaffen geht.
Natürlich gibt es inszenatorische wie darstellerische Ausnahmen, allein, es ist egal. Denn längst ist nicht nur den Zuschauern, sondern auch der Kritik das Instrumentarium abhanden gekommen, schauspielerische Leistungen zu bewerten. Schauspieler sind einadjektivische Kreaturen geworden, eine Besetzung ist im Zweifels- wie im Regelfall „hochkarätig“, eine darstellerische Leistung ist (meist in Klammern gesetzt) wahlweise: „überzeugend“, „eindringlich“, „stark“, gegebenenfalls mal ein mutiges „unterfordert“. Schauspielerporträts beschäftigen sich mit der Wahl des Lokales, der Kleidung oder der Adoranzstufe, nicht mit dem, was eigentlich gespielt wird. Lieber zwei O-Töne aus einer Pressekonferenz oder einem Gruppeninterview als zwei Beobachtungen einer Anverwandlung. Falls diese noch stattfindet. Denn längst ist das Fachkräftereservoir durchsetzt von Protagonisten der Generation Soap. Seit den frühen 90ern legitimiert nicht die Bühne oder die etablierte Ausbildungsstätte erste Gehversuch in der Primetime, sondern gerne der Kollateralruhm, den man sich als Moderatorin, Model, „Freundin von“ oder Schulhofentdeckung erworben hat. Addiert man hierzu die Produktionsbedingungen des gemeinen Fernsehfilmes, bleibt kein Schauspielerauge trocken. Klamme Budgets verhindern Probentage – oftmals treffen sich Regie und Schauspieler erst am ersten gemeinsamen Drehtag – wie das Durchfilmen einer ganzen Szene in den sogenannten Master-Einstellungen. Stattdessen wird in Schuss-Gegenschuss-Auflösung portionierte Emotion durchgerockt, der Restanspruch wird wahlweise im Schnitt oder der Vermarktung zur Ausstrahlung erledigt. Erfolgreiche Schauspieler haben ohnehin in der Mediengesellschaft eierlegende Wollmilchfrauen und -männer zu sein. Rote Teppiche wollen souverän beschritten, Talkshows jovial bestritten und Modestrecken mit schmalgehungertem Bauch absolviert sein. Die Rolle Schauspieler hat sukzessive das Spielen von Rollen überlagert. „Unsere Besten“ sind längst unsere besten Schauspielerdarsteller geworden. Der Deutsche Fernsehpreis hat im Handstreich in der Kategorie „Bester Schauspieler Nebenrolle“ Männer und Frauen zusammengefasst, um mehr Platz für Köche und Klums zu haben. So richtig scheint das niemanden gestört zu haben.
Wer sich nicht wehrt, spielt verkehrt. Wer sich wehrt, spielt im Zweifel: Gar nicht. Oder in randständigen Formaten wie denen des kleinen Fernsehspiels, des Independent-Kinos oder eben des Theaters. Dort sammelt er Bonuspunkte, die er im Primetime-Fernsehen nur allzu selten einlösen kann. Oder er heißt Götz George.
So hat es sich gefügt und also fügt man sich. Man sehnt sich nach den Ausnahmerollen bei den Ausnahmeregisseuren, den Stephan Wagners, Dominik Grafs und Matti Geschonneks dieser Fernsehwelt. Man blickt ein wenig hämisch auf die Affirmationsmodelle der Darstellerindustrie, die Furtwänglers, Neubauers und Neldels und will deren Macht, bezahlt allerdings in anderer Münze, als der von Kochbüchern, Ehemännern und Vorabendserien. Man will diese Liebe, denn nicht anders übersetzt sich Erfolg für Schauspieler, aber zu einem anderem Preis – dem des Gutseins. Die schlechte Nachricht ist: Qualität ist im Kontext der Fernsehindustrie kein Garant für Erfolg, sie unterläuft ihm allenfalls. Die gute Nachricht ist, dass es keine gibt. Das Medium Fernsehen hat sich der Schauspielkunst weitestgehend entledigt, es bedient sich ihrer nurmehr als ungeschützte Behauptung. Es braucht sie nicht, um zu funktionieren, dieses Medium, das nichts mehr und nichts anderes will, als funktionieren. Aber vielleicht gilt das Gleiche ja auch umgekehrt, und das wäre dann doch eine tröstliche Erkenntnis. Vielleicht braucht ja auch die Schauspielkunst das Fernsehen gar nicht, hat es in Wahrheit nie gebraucht. Ein Missverständnis wäre endlich gelöst.
Heike-Melba Fendel ist Inhaberin von Barbarella Entertainment, einer Agentur, die Schauspieler wie Matthias Brandt, Vadim Glowna und Esther Schweins betreut.
Montag, 14. Februar 2011
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