Samstag, 31. Dezember 2011

2011 / 2012 - Wenn ich mir was wünschen dürfte



Ich wünschte, ich könnte so geheimnisvoll schreiben wie eine Katze.
Edgar Allen Poe


Ich wünschte, jeder spürte den Schmerz, den er einem anderen zufügt.
Ich wünschte, Kettenrauchen wäre gut für die Gesundheit.
Ich wünschte, Zähne wüchsen immer wieder nach.
Ich wünschte, Zellulitis würde durch unmäßiges Essen von Schokolade verschwinden.
Ich wünsche nicht nochmal 20 zu sein. Ganz sicher nicht.
Ich wünschte, Theater wäre hilfreicher. 
Ich wünschte, Theater wäre unterhaltsamer. 
Ich wünschte, Theaterkritiker hätten mehr Humor und wenigstens ein wenig Enthusiasmus.
Ich wünschte, deutsche Menschen hätten mehr Humor und wenigstens ein wenig Enthusiasmus. 
Ich wünschte, alle, die gesund seien wollen, wären es auch.
Ich wünschte, ich wünschte nicht so manchem die Pest an den Hals.
Ich wünschte, ich wäre cool, wenigstens gelegentlich.  
Ich wünschte, drei mal drei wäre manchmal sieben, nur so.
Ich wünschte, ich könnte beim Fleischer "ein bisschen Frieden" verlangen und er fragte mich: "Kann's ein bisschen mehr sein?"
Ich wünschte, jemand würde mir mal wieder Blumen schenken.
Ich wünschte, daß uns endlich Aliens besuchen kämen.
Ich wünschte, die Nachwelt würde den Mimen Kränze flechten. Nicht allen.
  Ich wünschte, gute Bücher hätten keine letzte Seite.
Ich wünschte, ich könnte Berlin überall mithinnehmen.
Ich wünschte, ich wäre noch da, um solch eine Wunschliste für 2080 zu schreiben. 
 
Wenn ich mir was wünschen dürfte

Man hat uns nicht gefragt,
als wir noch kein Gesicht,
ob wir leben wollen,
oder lieber nicht.

Jetzt gehe ich ganz allein,

durch eine große Stadt,
und ich weiß nicht einmal,
ob diese Stadt mich lieb hat?

Dann schau ich in die Stuben,

durch Tür und Fensterglas,
und ich höre, warte,
auf etwas, (aber was)

Wenn ich mir was wünschen dürfte,

käm ich in Verlegenheit,
was ich mir denn wünschen sollte,
eine schlimme, oder gute Zeit?

Wenn ich mir was wünschen dürfte,

möchte ich etwas glücklich sein,
denn sobald ich gar zu glücklich wär,
hät ich Heimweh nach dem Traurigsein.

Menschenskind,

warum glaubst du bloß,
gerade dein Leid, dein Schmerz,
währen riesengroß,

Wünsch dir nichts!
Dummes Menschenkind,
Wünsche sind nur schön,
solang sie unerfüllbar sind.

Friedrich Hollaender 1931 


Eine der letzten Tonaufnahmen von Marlene Dietrich:

Und circa 50 Jahre früher:


Freitag, 30. Dezember 2011

Der vorletzte Dodo


Der Vorletze. Die Vorletzte. Das Vorletzte. 
Der, die, das direkt vor dem Letzten einer Reihe oder Gruppe. Die Letzten werden die Ersten sein, sagt man. Und die Vorletzten die Zweiten? Oder werden sie einfach nur dem Vergessen anheimfallen, nicht mal schwach genug oder arm dran genug, um es auf den letzten Platz zu schaffen?
Den Letzten ist eine gewisse Tragik eigen, 'der letzte seiner Art', der letzte Tag des Jahres, der, der als Letzter die Ziellinie erreicht oder wenigstens nehmen sie eine extreme Position ein, z.B. die von, "das ist ja das Letze". Das Hinterletze wäre auch noch was, aber das Vorletzte?
Als der vorletzte Dodo starb, war immerhin noch einer übrig, nicht mehr in der Lage sich fortzupflanzen und darum ein tragischer Fall. Einsam und dem Untergang geweiht. Aber niemand fragt nach dem Vorletzten. Niemand. Zu früh Gekommene oder, in diesem Fall, Gegangene, bestraft das Leben wohl auch.

Der Dodo

Der Dodo

Um 1590. Der Dodo lebt auf den Inseln Mauritius und Reunion im Indischen Ozean und hat keine natürlichen Feinde, er kann nicht fliegen und ist, da er nie Aggression erlebt hat, äußerst zutraulich. Er nistet zu ebener Erde und lebt, groß und bis zu 20 Kilo schwer, so vor sich hin. 
Dann kamen die Europäer und, mit ihren Schiffen, die Ratten und Haustiere. Die aßen gern Eier. Und obwohl sein Fleisch nicht sehr wohlschmeckend war, eignete es sich doch gut als Frischfleisch für Seefahrten.
100 Jahre später starb, erst der vorletzte und dann der letzte Dodo. Und niemand bemerkte es, bis Lewis Caroll 1865 in Alice im Wunderland ein Proporzwettrennen erfand, in dem Dodo und Brachvogel und andere Tier mit Alice einen Proporzwettlauf veranstalten.
BRACHVOGEL:        
Unter diesen Konditionen votiere ich für umgehenden Rekurs auf effizientere
Maßnahmen. Nur durch energische Initiative kann eine derart prekäre Situation ‑ 
DODO:                       
Sprich deutsch!

BRACHVOGEL:        
Ich wollte sagen, daß das beste Mittel zum Trockenwerden ein Proporz‑ Wettlauf wäre. 
ALICE:                       
Proporz‑Wettlauf?

BRACHVOGEL:      

Man kann es am besten erklären, indem man es macht.

ELSTER:                  
Man legt zuerst die Rennbahn fest, eine Art Kreis... 
BRACHVOGEL:        
Auf die genaue Form kommt es nicht an. 
ELSTER:                    
... die Mitspieler müssen sich auf der Bahn aufstellen.                                   

BRACHVOGEL:        
Irgendwo, wie es sich gerade trifft.                                  

DODO:                        
Es gibt kein Eins ‑ zwei ‑ drei ‑los!",

BRACHVOGEL:        
- sondern jeder beginnt zu laufen, wann er will

SCHILDKRÖTE:        
- und hört auf, wie es ihm einfällt.

ELSTER:                    
So daß gar nicht leicht zu entscheiden ist,
DODO:                        
- wann der Wettlauf zu Ende ist.
BRACHVOGEL:        
Ende des Wettlaufs! 
ALLE:                         
Wer ist Sieger?

BRACHVOGEL:       
Alle sind Sieger. Jeder muß einen Preis bekommen.
ALLE:                          
Wer soll die Preise stiften?
BRACHVOGEL:        
Du natürlich.
ALLE:
Preise! Preise! 
Erhebt das Glas auf die unzähligen Vorletzten und vielleicht auch auf die Zweiten.  
"Alle sind Sieger. Jeder muß einen Preis bekommen."

Donnerstag, 29. Dezember 2011

100 000 in Worten einhunderttausend Klicks


Ich weiss, es ist albern, aber ich freue mich trotzdem!
Es macht immer noch Spaß und scheinbar nicht nur mir.

Yeppee!!!

Drive - ein Film mit Ryan Gosling


Heute war ich im Kino, Sneakpreview, 3,50 €, man kauft eine billige Katze im sprichwörtlichen Sack, manchmal klappt es, manchmal...

Erste Einstellung, Auto, die Kamera blickt in den Rückspiegel, ein Augenpaar - Ryan Gosling, Hurra! Seit ich morgens um 3 im kanadischen Fernsehen zufällig auf den "Believer" gestoßen bin, der es leider nie in die deutschen Kinos geschafft hat, laufe ich sklavisch in jeden seiner Filme. 

Ach, hätte ich diesen doch ausgelassen! Ambitionierter Mulch, der zur Mitte hin in exzessive Gewaltphantasien kippt und derartig stolz auf seine künstlerische Langsamkeit und Bedeutungsschwere ist, dass man sich wünscht, dem Regisseur, einem Herrn Nicolas Winding Refn, ganz direkt und persönlich ins Gesicht gähnen zu können. Tolle Schauspieler blicken einander voller tiefer Hintergedanken sehr, sehr lange an, entäußern hier und da ein Lächeln, das von Carey Mulligan ist übrigens ganz bezaubernd, und nach gefühlten 10 Minuten murmeln sie dann ein leises "ok". Och. Nö.

Aber: Ryan Gosling ist nichtsdestotrotz ein außerordentlicher Schauspieler!

Aber: Für Freunde des gehobenen Kitsches: The Notebook alias "Wie ein einziger Tag"

Aber: Wenn auch nicht in Deutsch erhältlich: The Believer, die Geschichte eines orthodox erzogenen Juden, der aus Überzeugung einer Nazi-Organisation beitritt. Das Drehbuch basiert auf der Lebensgeschichte von Dan Burrow, einem amerikanischen Juden, der nach Verlassen der Amerikanischen Nazipartei, dann in den Klu-Klux-Clan eintrat und Selbstmord beging, als ein Reporter seine Geschichte in der New York Times veröffentlichte. Ein hochkomplizierter und sehr verstörender Film, der provozierende Gedanken durchspielt bis zu ihrem schrecklichen Ende, ohne sich jedoch eitel in der Provokation zu wälzen.

Aber: Für die, die einen guten Thriller schätzen: Murder bei Numbers oder "Mord nach Plan" mit einer tollen Sandra Bullock.

Aber: Blue Valentine, ein kleiner großer Film über das Versterben der Liebe.

Aber: Singen kann der Mann auch. Er hat mit einem Freund (Zach Shields) eine Band "Dead Man's Bones", selbstkomponierte, manuelle Musik mit Kinderchören. Fein, wirklich!


Aber: Gut aussehen tut auch. (Und er ist Kanadier!)


Mittwoch, 28. Dezember 2011

Schüttle Dich oder ich freß Dich


Der Schüttelreim ist eine Reimform, bei der die Anfangskonsonanten der letzten beiden betonten Silben miteinander vertauscht werden. Er stellt eine Sonderform des Doppelreims dar.

Er klapperten die Klapperschlangen, 
Bis ihre Klappern schlapper klangen.

Wenn im Theater Recken schrein, 
dann geh' ich nur mit Schrecken rein!

Sprach der Leibesriese auf der Liebesreise:
'Reib es, liebe Liese - und sie rieb es leise.

Das Kind schlief in der Krippe ein, 
ihr werft da keine Kippen rein

Leg niemals deine weiße Hand
auf eines Ofens heiße Wand!

Nicht selten sich Talente recken, 
wenn sie das Blut der Rente lecken.
 
Die Boxer in der Meisterklasse
schlagen sich zu Kleistermasse.
Und aus dem ganzen Massenkleister
steigt empor der Klassenmeister. 

Wer andern eine Zange leiht,
vermißt sie dann für lange Zeit.

Hans Sachs, als er beim Streiten sang,
verletzte sich den Seitenstrang.

Zum raschen Trocknen in die Heckenrosen
hängt Kunigunde ihres Recken Hosen.
Als sie sich wollt' nach trocknen Hosen recken,
zerstachen gräßlich sie die Rosenhecken.

Die Aktien nach dem Kriege sanken
Man kann halt auch am Siege kranken.

Am Waldrand, dem schönen, bei den nickenden Fichten, 
dort hört man das Stöhnen der fickenden Nichten.

Heut essen wir den Suppenhahn,
den gestern wir noch huppen sahn

Alle obigen sind traditionell, also von talentierten, aber anonymen Poeten erfunden.

Erich Mühsam:
1878 in Lübeck geboren, 1934 im KZ Oranienburg ermordet.

Da sitz ich nun und webe Leinen. 
Im Traume kann ich Fleisch im Leibe wähnen,
im Traum kann ich an einem Weibe lehnen.
Doch wach muß ich, solang ich lebe, weinen

aus Der arme Weber 1913

Man wollte sie zu zwanzig Dingen
in einem Haus in Danzig zwingen. 

Höxter: So lebten wir (1929), S. 11

Sie würden mir eine große Freude bereiten,
wenn Sie meinen Hund von der Räude befreiten.
Viktor Mann: Wir waren fünf (1949), S. 427

Juchhe!" rief Karl, "juchhe, der Falter!
Er sitzt auf meinem Federhalter.

Fröhliche Kunst, 1 (1) Juni 1902, S. 83

Mein kleines Mädchen reibt sich leise
Das Aug', wenn ich nach Leipzig reise.
Fröhliche Kunst, 1 (2) Juli 1902, S. 180

Futuristischer Schleifenschüttelreim:
Der Nitter splackt.
Das Splatter nickt,
wenn splitternackt
die Natter splickt.
Postkarte an Erich Ebstein, 19. Mai 1913 

Wenn mein Hund zu bellen droht
geb ich ihm Sardellenbrot.
Postkarte an Erich Ebstein, 15. November 1915

Eisenbahnroman:
Sie brauchten nirgends umzusteigen.
Drum gab sie sich ihm stumm zu eigen.
Doch weil verkehrt die Weichen lagen,
fuhr man sie heim im Leichenwagen.
Postkarte an Erich Ebstein, 2. Juli 1913 

Mühsam's Geschütteltes - Schüttelreime und Schüttelgedichte von Erich Mühsam. Zusammengestellt und mit einem Reimregister versehen von Reiner Scholz. Mit einem Vorwort von Alfred Estermann.


Nicht ganz, aber schön:

Wie hilflos der Spatz auf der Straße liegt.
Er hat soeben was abgekriegt.
Da hebt das den Kopf, was erledigt erschien.
Könnten Spatzen schreien, der hätte geschrien.
Der hätte gebettelt: Erlöse mich.
Der Erlöser wäre im Zweifelsfall ich.
Ist sonst niemand da, die Straße ist leer,
der Wind weht leicht und der Spatz macht's mir schwer.
Wen leiden zu sehn, ist nicht angenehm.
Wenn er sterben will, ist das sein Problem.
So red ich mir zu und geh rasch voran.
Ein Glück, dass ein Spatz nicht schreien kann.

Robert Gernhardt

 

Dienstag, 27. Dezember 2011

"unersättlich da capo rufend" - Van Gogh - Nietzsche


Ewigkeit, Plural: Ewigkeiten, es gibt mehr als eine? Eine reichte doch, wenn ich denn eine hätte.
"Ewig das Gleiche", Ich habe Dich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen", "ewig und drei Tage", "verewigen". Nur nicht aufhören.
Mein sind die Jahre nicht, die mir die Zeit genommen.
Mein sind die Jahre nicht, die etwa mögen kommen.
Der Augenblick ist mein, und nehm ich den in Acht,
so ist der mein, der Zeit und Ewigkeit gemacht.
Andreas Gryphius

An der Schwelle zur Ewigkeit Vincent van Gogh 1890 (Das Jahr seines Todes)

O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief -,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh -,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit-,
- will tiefe, tiefe Ewigkeit!"


Friedrich Nietzsche

Montag, 26. Dezember 2011

Nochmal Luzifer oder Lucifer

1. Buch Mose 6

Zu der Zeit und auch später noch, als die Gottessöhne zu den Töchtern der Menschen eingingen und sie ihnen Kinder gebaren, wurden daraus die Riesen auf Erden. Das sind die Helden der Vorzeit, die hochberühmten.
Da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten.
Daniel Chester "Da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren" 1918/23

Lucifer

Am Tage des jüngsten Gerichtes war es,
Am letzten Tage des letzten Jahres;
Mit weithin hörbarem Donnerknall
Zersprang der morsche Erdenball.

Alle, die dort vorhanden waren,
Sind sofort gen Himmel gefahren;
Sie scharten sich um Gottes Thron,
Strafe erharrend oder Lohn.

Die Frommen, die ganz vorne standen,
Zu ihrer Entrüstung plötzlich fanden,
Daß auch Satan bei ihnen sei;
Das war ihnen gar nicht einerlei.

Ließen darum bei dem Herren fragen,
Was er eigentlich täte sagen
Zu dieser Frechheit sonder Maß,
Die sich herausnähme Satanas.

Der Herr sprach ohne viel Federlesen:
"Auf mein Geheiß ist er Satan gewesen;
Hätte die Sünde gehabt nicht Platz,
Wo wäre geblieben der Gegensatz?

"Wäre kein Satan zur Erde gekommen,
Gäb's keine Schächer, gäb's keine Frommen.
Ihr Erzengel, öffnet eure Reih'n:
Fortan soll er wieder Lucifer sein!

Hermann Löns 1866 - 1914

Luzifer
»Ich will mein Licht vor eurem Licht verschließen
ich will euch nicht, ihr sollt mich nicht genießen,
bevor ich nicht ein Eigenlicht geworden. 

So bring ich wohl das Böse zur Erscheinung,
als Geist der Sonderheit und der Verneinung,
doch neue Welt erschafft mein Geisterorden.

Aus Widerspruch zum unbeirrten Wesen,

aus Irr-tum soll ein Götterstamm genesen,
der sich aus sich – und nicht aus euch – entscheidet.

Der nicht von Anbeginn in Wahrheit wandelt,

der sich die Wahrheit leidend erst erhandelt,
der sich die Wahrheit handelnd erst erleidet.«
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 11, Basel 1971–1973, S. 53-54.
 

Sonntag, 25. Dezember 2011

Luzifer - Morgenstern


Sein Name ist Luzifer, der Morgenstern, der Lichtbringer, in der griechischen Mythologie reitet er dem Sonnenwagen voran, sein Pferd wechselt dabei die Farbe von grau, zu rose und rot, und er bringt die Morgendämmerung mit sich. Auch in der Bibel taucht der Morgenstern als Hoffnungszeichen auf, Jesus bezeichnet sich sogar selbst als solchen. Noch im 4. Jahrhundert gab es einen italienischen Bischof namens Luzifer.
  
Aber immer mehr gerät der Name in Verruf, mehr und mehr Bibelstellen werden auf ihn umgemünzt, in der Genesis, wird er zur Schlange, in Jesaja, wird er zum König von Babylon, und in Hesekiel, König von Tyrus. Er wird zum Satan, zum Teufel, zum gefallenen, eigentlich gestürzten Engel, der es aber immerhin geschafft hat, dass ein Drittel aller Engel auf seiner Seite stehen und also auch sein Schicksal teilen müssen.

Was muss das für eine Revolte gewesen sein! 
Bei John Milton im "Verlorenen Paradies" klingt das dann so:
Der Höllendrache, Jener, dessen List

Von Rach' und Neid erregt, der Menschen Mutter

Zu einer Zeit betrog, als ihn sein Stolz

Herab vom Himmel stürzte sammt der ganzen

Rebellischen Engelschaar, mit deren Hülfe

Er glorreich seines Gleichen zu beherrschen

Und Gott sich gleich zu stellen trachtete,

Da er durch Widerstand und ehrsuchtvoll

Verruchten Krieg im Himmel gegen Gottes

Alleinherrschaft erhob, und stolzen Kampf,

Der fruchtlos blieb. Des Allerhöchsten Macht

Stieß häuptlings ihn aus den äther'schen Höh'n

Furchtbaren Sturzes glutumflammt hinab

Zum bodenlosen Abgrund, dort zu wohnen

In Demantketten und in Feuerpein...

Und dann bei Hiob, sitzen Gott und Satan (der Ankläger) nebeneinander am Tisch und schließen eine Wette über die Qualität von Hiobs Gottesliebe ab. 

Da stimmt doch was nicht.
Brauchte Gott vielleicht das Böse? In Jesaja Kapitel 45 sagt ER:
Ich bin der HERR, und keiner mehr; der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe das Übel. Ich bin der HERR, der solches alles tut.

Kriegt LuziferSatanTeufel also bloß den Scheißjob desjenigen übergeholfen, der Gottes schmutzige Arbeit erledigen muß? So wie Judas für Jesus. Immer muß ein Prügelknabe her, der Schuld ist. Und Gott sitzt auf seinem Thron mit weißer Weste und sauberen Händen. Oder brauchen die Menschen das Böse, in Personifikation, weil ein dialektischer Gott zu angsteinflößend wäre? 
Und nun haben wir Heiligen Geist, Gott, Maria, Jesus und Luzifer. Lauter Spezialisten mit eigenem Aufgabengebiet, alles ordentlich getrennt und verteilt. Schwarz, weiß, hierarchisch und unwahr.

Hesekiel Kap. 28

Und des HERRN Wort geschah zu mir und sprach: Du Menschenkind, mache eine Wehklage über den König zu Tyrus und sprich von Ihm: So spricht der Herr, HERR: Du bist ein reinliches Siegel, voller Weisheit und aus der Maßen schön. Du bist im Lustgarten Gottes und mit allerlei Edelsteinen geschmückt: mit Sarder, Topas, Demant, Türkis, Onyx, Jaspis, Saphir, Amethyst, Smaragd und Gold. Am Tage, da du geschaffen wurdest, mußten da bereitet sein bei dir deine Pauken und Pfeifen. Du bist wie ein Cherub, der sich weit ausbreitet und decket; und ich habe dich auf den heiligen Berg Gottes gesetzt, daß du unter den feurigen Steinen wandelst. Du warst ohne Tadel in deinem Tun von dem Tage an, da du geschaffen wurdest, bis sich deine Missetat gefunden hat. Denn du bist inwendig voll Frevels geworden vor deiner großen Hantierung und hast dich versündigt. Darum will ich dich entheiligen von dem Berge Gottes und will dich ausgebreiteten Cherub aus den feurigen Steinen verstoßen. Und weil sich dein Herz erhebt, weil du so schön bist, und hast dich deine Klugheit lassen betrügen in deiner Pracht, darum will ich dich zu Boden stürzen und ein Schauspiel aus dir machen vor den Königen.

Jesaja Kap. 14:

Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie bist du zur Erde gefällt, der du die Heiden schwächtest! ... Gedachtest du doch in deinem Herzen: "Ich will in den Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen; ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht; ich will über die hohen Wolken fahren und gleich sein dem Allerhöchsten."

Hiob Kap. 1:

Es begab sich aber auf einen Tag, da die Kinder Gottes kamen und vor den HERRN traten, kam der Satan auch unter ihnen. Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her? Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe das Land umher durchzogen. Der HERR sprach zu Satan: Hast du nicht achtgehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht im Lande, schlecht und recht, gottesfürchtig und meidet das Böse. Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, daß Hiob umsonst Gott fürchtet? Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher verwahrt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Gut hat sich ausgebreitet im Lande. Aber recke deine Hand aus und taste an alles, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen? Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht. Da ging der Satan aus von dem HERRN.

Offenbarung Kap. 12:

Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen; und der Drache stritt und seine Engel, und siegten nicht, auch ward ihre Stätte nicht mehr gefunden im Himmel. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführt, und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen. 
...Darum freuet euch, ihr Himmel und die darin wohnen! Weh denen, die auf Erden wohnen und auf dem Meer! denn der Teufel kommt zu euch hinab und hat einen großen Zorn und weiß, daß er wenig Zeit hat. 

Giotto, Jüngstes Gericht - Ausschnitt, Arena Kapelle in Padua, 1304/05


Giovanni da Modena, Inferno - Ausschnitt, San Petronio, Bologna (c. 1410)


Michael Pacher, Der Heilige Wolfgang und der Teufel, Teil des Kirchenväteraltars ca.1483, Alte Pinakothek München


Luca Signorelli Das Jüngste Gericht um 1500 Fresco in der Kathedrale von Orvieto in Italien


Franz von Stuck Luzifer, Stich, ca.1890


Guillaume Geefs, Luzifer, in der Kathedrale Saint-Paul in Liège, Belgien, 1848

Samstag, 24. Dezember 2011

24.12. - Die Gute Nachricht

Das Wort Evangelium stammt aus dem Griechischen (εὐαγγέλιον eu-angelion), und heißt so viel wie „Lohn für das Überbringen einer guten Nachricht“. Es gibt Tage, an denen man einen Boten mit einer guten Nachricht wahrlich belohnen möchte, so sehr bedarf man ihrer. Gute Nachrichten für den 24.12. zu finden war schwierig, erschreckend schwierig.

0000
Irgendwann um das Jahr 0 unserer Zeitrechnung, vielleicht
Ein Kind wird in einem Stall geboren. Viele freuen sich.

1818 
Joseph Mohr, Hilfspfarrer der Kirche St. Nikola in Oberndorf bei Salzburg überreicht dem Dorflehrer und Organisten Franz Xaver Gruber am 24.12. ein Gedicht mit der Bitte, dazu eine Melodie zu verfassen. Noch in derselben Nacht wird "Stille Nacht, Heilige Nacht" in der Christmette zum ersten Mal gesungen.
Tom Waits singt es hier:

1906
Reginald Fessenden strahlt die erste Rundfunksendung in einer Funkstation in Brand Rock, Masschusetts aus. Er verliest die Gute Nachricht von der Geburt eines Knaben in Bethlehem.
http://www.youtube.com/watch?v=hursvj69An8

1914 
Der Weihnachtsfrieden war eine von der Befehlsebene nicht autorisierte Waffenruhe während des Ersten Weltkrieges am 24. Dezember und den folgenden Tagen. Sie fand an einigen Abschnitten der Westfront statt, wo es vor allem zwischen Deutschen und Briten in Flandern zu spontanen Verbrüderungen kam. Etwa 100 000 Soldaten legten ihre Waffen nieder. Auch an Teilen der Ostfront gab es in diesem Zeitraum keine Schusswechsel.
Dokumentation zum Weihnachtsfrieden:

1952
Glücklicher Vorgang

Das Kind kommt gelaufen
Mutter, binde mir die Schürze!
Die Schürze wird gebunden.

Bertolt Brecht
1968:
Mit Apollo 8 umkreist erstmals eine menschliche Besatzung den Mond. William Anders fotografiert am 24.12. den Erdaufgang. Die beiden anderen Astronauten hießen Frank Borman und James Arthur Lovell. 
Die Erde geht auf! Der Mann im Mond wird sentimental.
"Jeder hat in sich ein Stück einer guten Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass du nicht weißt wie großartig du seien kannst! Wie sehr du lieben kannst! Was du erreichen kannst! Welche Möglichkeiten in dir stecken."

“Everyone has inside of him a piece of good news. The good news is that you don't know how great you can be! How much you can love! What you can accomplish! And what your potential is!”

Anne Frank 

 

2011

Ein merkwürdiges Jahr geht zu Ende. Ein trauriges und doch eins voll von Freude. Ich bin immer noch hoffnungsvoll.

 

 


 

Freitag, 23. Dezember 2011

Vorletzte Post der Weihnachtsoffensive!

Hans Christian Andersen

Das Unglaublichste


Derjenige, welcher das Unglaublichste tun konnte, sollte die Tochter des Königs und das halbe Reich haben. Die jungen Leute, ja selbst die Alten auch, strengten alle ihre Gedanken, Sehnen und Muskeln an. Einer aß so viel, daß er starb; zwei richteten sich durch Trinken zugrunde, um nach ihrem Geschmack das Unglaublichste zu leisten, aber nicht auf solche Weise sollte das geschehen.
Kleine Straßenjungen übten sich darauf, sich selber auf den Rücken zu spucken; das sahen sie für das Unglaublichste an.
An einem festgesetzten Tage sollte gezeigt werden, was ein jeder als das Unglaublichste leisten könne. Als Richter waren Knaben von drei Jahren bis zu Männern von neunzig Jahre bestellt. Es fand eine ganze Ausstellung der unglaublichsten Dinge statt, aber alle waren bald darüber einig, daß das Unglaublichste eine große Stubenuhr in einem Futteral sei, welche im Äußeren und Inneren merkwürdig ausgedacht war. Bei jedem Stundenschlage kamen lebendige Bilder zum Vorschein, welche die Zeit anzeigten, Es waren zwölf ganze Vorstellung mit beweglichen Figuren, mit Gesang und Rede. Das war das Unglaublichste, sagte das Volk.
Es schlug ein Uhr, und Moses stand am Berge und schrieb auf die Tafel des Gesetzes den ersten Glaubenssatz: "Es ist nur Ein einziger und wahrer Gott."
Es schlug zwei Uhr, da zeigte sich der Garten des Paradieses, wo Adam und Eva sich fanden, glücklich beide, ohne auch nur einmal einen Kleiderschrank zu besitzen - aber den brauchten sie auch nicht.
Mit dem Schlage drei erschienen die Heiligen Drei Könige, der eine kohlschwarz, aber dafür konnte er nichts, die Sonne hatte ihn geschwärzt. Sie kamen mit Räucherwerk und Kostbarkeiten.
Mit dem Schlage vier kamen die Jahreszeiten; der Frühling mit einem Kuckuck auf einem grünen Buchenzweige, der Sommer mit einem Grashüpfer auf einer reifen Kornähre, der Herbst mit einem leeren Storchenneste, der Winter mit einer alten Krähe, welche Geschichten im Winkel hinter dem Ofen erzählen konnte, alte Sagen.

Wenn es fünf Schlug, zeigten sich die fünf Sinne, das Gesicht als Brillenmacher, das Gehör als Kupferschmied, dem Geruche folgten Veilchen und Waldmeister, der Geschmack war ein Koch und das Gefühl ein Leichenbitter mit einem Trauerflor, welcher bis auf die Hacke herunterreichte.

Die Uhr schlug sechs, da saß ein Spieler, er warf den Würfel, und der fiel so, daß sechs oben stand.
Dann kamen die sieben Wochentage oder die sieben Todsünden - darüber waren die Leute sich nicht ganz einig. Sie gehörten zusammen und waren nicht leicht zu unterscheiden.
Dann kam ein Chor Mönche und sang den Achtuhrsang.
Dem Schlage neun folgten die neun Musen: eine war bei der Astronomie angestellt, eine bei dem historischen Archiv, die übrigen gehörten zum Theater.
Mit dem Schlage zehn trat Moses wieder auf mit den zehn Gesetztafeln. Alle Gebote Gottes standen darauf, und deren waren zehn.
Die Uhr schlug wieder, da hüpften und sprangen kleine Jungen und kleine Mädchen, welche ein Spiel spielten und dazu sangen: "Bro, bre, brille, Uhr hat elf geschlagen!" Und das hatte sie geschlagen.
Jetzt schlug es zwölf, und der Nachtwächter mit Mantel und Morgenstern trat vor und sang den Vers des alten Nachtwächterliedes:
"Es war um die Stunde der Mitternacht
da ward der Erlöser geboren."
Und während er sang, wuchsen Rosen, und die wurden Engelsköpfe, welche von regenbogenfarbigen Flügeln getragen wurden.
Das war lieblich zu hören, schön zu sehen. Das Ganze war ein unvergleichliches Kunstwerk, das Unglaublichste, sagten alle Menschen.
Der Künstler war ein junger Mann, er war herzensgut, fröhlich wie ein Kind, seinen armen Eltern hilfreich, er verdiente die Prinzessin und das halbe Reich.
Der Tag der Entscheidung war gekommen, die ganze Stadt war im Festkleide, und die Prinzessin saß auf dem Throne des Landes, welcher neu gepolstert, aber dadurch doch nicht bequemer und behaglicher geworden war. Die Richter ringsumher blickten pfiffig auf den mutmaßlichen Sieger, welcher froh und freudig dastand, hatte er doch das Unglaublichste geleistet. 
 
"Nein, das will ich jetzt tun!" rief in eben diesem Augenblick ein langer starkknochiger kräftiger Mann. "Ich bin der Mann für das Unglaublichste!" Und damit schwang er eine große Axt gegen das Kunstwerk.
Krick, krack, krick! Da lag das ganze. Räder und Federn flogen ringsumher, alles war zertrümmert.
"Das konnte ich tun", sagte der Mann, "mein Tun hat sein Werk geschlagen und euch alle geschlagen. Ich habe das Unglaublichste getan!"
"Ja, solch ein Kunstwerk zertrümmern!" sagten die Richter. "Ja, das ist das Unglaublichste!" Das ganze Volk sagte dasselbe, und so sollte er denn die Prinzessin und das halbe Reich haben, denn ein Wort ist ein Wort, wenn es auch das Unglaublichste ist.
Nun wurde von den Mauern und allen Türmen der Stadt geblasen: "Die Hochzeitsfeier beginnt!" Die Prinzessin war durchaus nicht erfreut darüber, aber lieblich anzuschauen war sie und kostbar gekleidet. Die Kirche erglänzte von Lichtern, spät am Abend, das nimmt sich am besten aus. Die adligen Jungfrauen der Stadt sangen und führten die Prinzessin, die Ritter sangen und führten den Bräutigam, der sich blähte und stolzierte, als wenn er gar nicht abbrechen könnte. Jetzt verstummte der Gesang. Es ward so stille, daß man hätte eine Nadel zur Erde fallen hören können, aber plötzlich flog mit Lärm und Krachen die große Kirchentür auf, und bum! bum! da marschierte das ganze Uhrwerk herein in den Kirchengang und stellte sich zwischen Braut und Bräutigam auf. Tote Menschen können nicht wieder gehen, das wissen wir recht gut, aber ein Kunstwerk kann wieder gehen, der Körper war zertrümmert, aber nicht der Geist; der Kunstgeist spukte, und das war kein Spaß.
Leibhaftig stand das Kunstwerk da, als wäre es ganz und unberührt. Die Stunden schlugen, eine nach der andern, bis zur zwölften Stunde, und da wimmelten die Gestalten hervor, zuerst Moses, auf dessen Stirn eine Flamme glänzte; er warf die schweren steinernen Gesetztafeln dem Bräutigam auf die Füße, welche er an den Fußboden der Kirche fesselte.
"Ich kann sie nicht wieder aufheben!" sagte Moses. "aufheben!" sagte Moses. "Du hast mir den Arm abgeschlagen. Stehe denn, wo du stehst!"
Jetzt kamen Adam und Eva, die Weisen vom Morgenlande und die vier Jahreszeiten, jeder sagte ihm unangenehme Wahrheiten: "Schäme dich!" Aber er schämte sich nicht.
Alle die Gestalten, welche jeder Glockenschlag aufzuzeigen hatte, traten aus dem Uhrwerk heraus, und alle wuchsen zu einer bedenklichen Größe, es war fast, als wenn für wirkliche Menschen kein Platz übrigbleibe. Und als mit dem zwölften Schlage der Wächter hervortrat mit Mantel und Morgenstern, entstand eine eigentümliche Unruhe: der Wächter ging gerade auf den Bräutigam zu und schlug ihn mit dem Morgenstern vor die Stirn.
"Liege da!" sagte er, "Leiche für Leiche. Wir sind gerächt und unser Meister mit uns! Wir verschwinden!"
Und das ganze Kunstwerk verschwand, aber die Lichter rings in der Kirche wurden zu großen Lichtblumen, und die vergoldeten Sterne dort unter der Wölbung sandten lange Strahlen herab. Die Orgel klang von selber. Alle Menschen sagten, das sei das Unglaublichste, was sie je erlebt hätten.
"Wollen Sie dann den Rechten rufen?" sagte die Prinzessin. "Er, der das Kunstwerk gemacht hat, soll mein Ehegatte und Herr sein!"
Und er stand in der Kirche, und sein Gefolge war das ganze Volk! Alle freuten sich, alle segneten ihn. Nicht ein Neider war da - ja, das war das Unglaublichste! 

Die Petshop haben dazu ein Ballet geschrieben.