Sonntag, 9. Oktober 2011

The Debt - Eine offene Rechnung - Helen Mirren

John Madden, Regisseur von "Shakespeare in Love", ok., aber auch von "Corellis Mandoline" einem unsäglich sentimentalen Machwerk, dass Nicolas Cage nahezu pausenlos mit tränenfeuchten Augen und zitternder Unterlippe durchleidet, hat einen neuen Film gedreht, der mich überrascht hat. Ein Agententhriller dachte ich, kenne ich, weiss ich wie es geht. Ansehen und vergessen, aber doch ansehen, weil Helen Mirren mitspielt. 

Und dann sehe ich einen klassischen Thriller, aber auch noch etwas anderes, aber was genau? 

Einen Film über drei Mossad-Agenten, die in den 60er Jahren einen in der DDR untergetauchten KZ-Arzt aufstöbern und nach Israel vor Gericht bringen sollen. Sie finden und kidnappen ihn, er entkommt unter psychologisch höchst komplizierten Umständen und... Und sie beschliessen, zu lügen. Um des eigenen Ansehens willen, und auch zum Wohle des Staates, dem sie dienen, melden sie bei ihrer Rückkehr den Tod des Gefangenen.

Zeitsprung. Die drei sind nun, als Helden verehrt, alt und erfolgreich geworden, und plötzlich wird der damals Entflohene und mittlerweile gut Verdrängte von einem Journalisten in einem russischen Krankenhaus wiedergefunden und wird zur Gefahr für die lang gelebte Lüge.

Es ist ncht wirklich ein guter Film, aber auch kein schlechter - weil die Schauspieler besser sind, als die Dramaturgie, und weil, in zwei Szenen, Dinge, den Holocaust betreffend, zur Sprache kommen, die meist unbefragt bleiben und weil Heldentum einmal nicht als ungebrochener, glorifizierter Zustand beschrieben wird. 

Und weil Helen Mirren mitspielt! Und hier mal ein paar ältere Photos, jetzt ist sie anders genauso schön.

Helen Mirren
Helen Mirren
Helen Mirren

Samstag, 8. Oktober 2011

Mascha Kaleko - Sozusagen grundlos vergnügt



Sozusagen grundlos vergnügt

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen
und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
- Dass Amseln flöten und das Immen summen,
Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.
Dass rote Luftballons ins Blaue steigen.
Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.

Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht
und dass die Sonne täglich neu aufgeht.
Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freu mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem. Dass ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter;
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
- weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!
Ich freue mich, dass ich… Dass ich mich freu.

Mascha Kaléko ("in meinen Träumen läuft es Sturm", dtv)


Das Mohnfeld bei Vetheuil von Claude Monet um 1880

Manchmal ist man fröhlich, auch wenn vieles dagegen spricht. Manchmal geht es einem einfach ungehörig gut. Ist das nicht herrlich? Wie öde wäre das Leben, wenn alles immer einen Sinn ergäbe. Demnächst bin ich wieder traurig ohne Anlaß.

Schwächen
Du hattest keine
Ich hatte eine:
Ich liebte.
Bertolt Brecht

Donnerstag, 6. Oktober 2011

The Rest is Noise - das 20. Jahrhundert hören von Alex Ross


Das Wenige, was ich über klassische Musik weiß, löst sich leider mit dem Beginn des letzten Jahrhunderts vollends in Verwirrung auf, 12-Ton Musik, atonale Musik - Begriffe und oft auch Töne, die mich verstört und hilflos zurücklassen. 
Und nun dieses Buch, Alex Ross ist Musik-Kritiker beim New Yorker, einer altehrwürdigen Wochenzeitschrift, berühmt für ihre Cartoons und Kunst/Theater/Musik-Beiträge und die beinah unglaubwürdig lange Liste ihrer berühmten Artikellieferanten, unter anderen: Roald Dahl, Sallinger, Phillip Roth, Nabokov, John Updike und Kurt Vonnegut 
Alex Ross kann schreiben, Kreuz- und Querverbindungen aufzeigen, und so Musik und Musiker in die politischen, künstlerischen und zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen, manchmal Grabenkämpfe, ihrer Zeit einordnen. 

Er kann Musik beschreiben, sinnlich und poetisch, und lustmachend aufs Anhören.

Er setzt einen Anfang: Richard Strauss, Gustav Mahler und den Fin de Siècle, um den Leser dann über fast 600 Seiten durch die vielfältigen und widersprüchlichen Verzweigungen des folgenden "musikalischen" Jahrhunderts zu führen. Er schreibt über musikalische Revolutionen und Revolten, Konterrevolutionen, Restaurationsversuche, Außenseiter, Trendsetter, Haßlieben und Freundschaften. Dabei legt er zwar ein besonderes Gewicht auf die amerikanischen Komponisten, aber nicht so, dass es unverhältnismäßig wirkt. Und die Kapitel über Nazi-Deutschland und die stalinistische Sowjetunion sind hochspannend und sehr ausführlich.

Ich höre jetzt vorsichtig aber neugierig klassische Musik des 20. Jahrhunderts. Nicht leicht, weiß Gott nicht, aber das Buch hat mir geholfen die gigantische Schwellenangst des totalen Laien zu überwinden. Zum Beispiel Arvo Pärt's Variationen zur Gesundung von Arinuschka haben mich sehr berührt.

 
Es gibt zum Buch eine Website mit vielen Musikbeispielen, eine weitere herrliche Möglichkeit des digitalen Zeitalters, oder?

Aus dem Englischen hat es Ingo Herzke übersetzt. 


Mittwoch, 5. Oktober 2011

Basel - Kunstmuseum - Schiele - Erich Lederer

Egon Schiele, Porträt Erich Lederer

Dieses Bild hängt im Kunstmuseum Basel, ist der schön, oder wie? Was das wohl für rote Dreiecke seien mögen?
 
Egon Schiele verstarb, erst 28 Jahre alt, am 31. Oktober 1918.

"Im Herbst 1912 machte Egon Schiele durch die Vermittlung seines Mentors Gustav Klimt die Bekanntschaft des Industriellen August Lederer, der als einer der führenden Spirituosenhersteller der Monarchie mit Fabriken in Ungarn und Böhmen zu Reichtum gelangt war. Gemeinsam mit seiner Frau Serena hatte Lederer eine bedeutende Kunstsammlung, insbesondere von Werken Klimts, angelegt. Auf Einladung Lederers traf Schiele am 21. Dezember 1912 auf dessen Anwesen im ungarischen Raab (heute Györ) ein, wo er mit der Familie des Gastgebers die Weihnachtsfeiertage verbrachte und ein Porträt des fünfzehnjährigen Sohnes Erich malte. Dazu entstanden um den Jahreswechsel 1912/13 zahlreiche vorbereitende Skizzen in verschiedenen Techniken und Ausführungszuständen, die das Modell in unterschiedlichen Haltungen wiedergeben. Mit Erich Lederer, der selbst künstlerische Ambitionen hegte, blieb Schiele zeitlebens in Kontakt, gab ihm Zeichenunterricht und porträtierte ihn in späteren Jahren noch mehrmals.








Basel - Helvetia - Nachträglich zum Tag der Einheit

Das ist "Helvetia", die weibliche Personifizierung der Schweiz, bzw. der Helvetier (ein gallischer Stamm, der das Schweizer Gebiet vor der römischen Eroberung bewohnte). Bettina Eichin hat die Skulptur geschaffen, die 1980 in Basel aufgestellt wurde.
Gefällt mir sehr. 
Sie hat ihre Symbole, den Speer und den Schild abgelegt, wahrscheinlich erschöpft von einer Reise durch die Schweiz, daher wohl der Koffer, und schaut nachdenklich rheinabwärts.
Nun stelle man sich die Goldelse oder Marianne oder die Freiheitsstatue oder auch unseren Reichsadler mal nachdenklich vor, innehaltend!
Als über die Nationalhymne der neuzugründenden DDR diskutiert wurde, soll Brecht, außer der später abgelehnten  "Kinderhymne", vorgeschlagen haben, die Hymne mit der Zeile: "Mir san ein Scheißvolk" zu beginnen. Vielleicht hätte das was genützt?


Montag, 3. Oktober 2011

Nick Hornby - Juliet Naked

Wie groß muß Erfolg sein, um Erfolg zu sein? Wie klein ist Glück, wenn es kein Glück mehr ist?

Nick Hornby - seine Romane wurden oft verfilmt - "High Fidelity" mit John Cusack als Plattenladenbesitzer, der die Urgründe von Liebe und Kunst in unterschiedlichsten Listen obskurer Langspielplatten unter noch obskureren Gesichtspunkten, zu ergründen sucht.
Oder "About a Boy", wo Hugh Grant einen nahezu erfolgreichen Windmühlenkampf gegen
die Verstrickung in menschliche Beziehungen kämpft. 
Immer geht es um Musik, immer um intensiv ignorierte Einsamkeit, immer um Verweigerung des eigenen Anspruches auf Verzweiflung oder Jubel. Die Figuren erlauben sich nicht, wirklich unglücklich zu sein, sie verspotten sich für ihre Erwartung von außergewöhnlichem Glück und beschreiben ihren Zustand von üblichem Elend mit Witz und Selbstironie und Unmengen musikalischer Zitate.

Wenn ich diese Bücher, kleine Bücher nenne, meine ich das keineswegs abwertend, weil Hornby selbst, wahrscheinlich, den Anspruch große literarische "Werke" zu schreiben, mit peinlich berührtem Gesicht und einigen bittersüßen Bonmots abwehren würde, um dann zu gehen und ein weiteres kleines, wahres Buch über Menschen, die er (und ich) kennen, zu schreiben.



Basel - Surrealismus in Paris

Basel - Foundation Beyeler - eine Austellung von 200 Meisterwerken des Surrealismus von Dali, Margritte, Miro, Man Ray etc., gesammelt, unter anderem, von Peggy Guggenheim und Andre Bretons erster Frau Simone Collinet. 
Man geht, in ehrender Referenz zur Internationalen Surrealismus Ausstellung 1938 in der Galerie Beaux-Arts in Paris, durch Ausstellungsräume mit Namen wie Rue Cerise, Rue d'une Perle, Rue de tous les Diables, was heißt, die Strasse sämtlicher Teufel oder Rue Nicolas-Flamel.*
Wie unterschiedlich diese Künstler gearbeitet haben! Hochindividuell haben sie sich, für eine Zeit, unter einem Konzept zusammengefunden, wie unter einem sehr großen Schirm.
Lautréamont in den "Gesängen des Maldoror" beschreibt die Schönheit eines Jünglings mittels einer Metapher die von den Surrealisten aufgegriffen wurde: „Er ist schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch!“  So ging es mir mit dieser Ausstellung.

Man Ray, Seziertisch, Regenschirm, Nähmaschine
Apropos Lautréamont oder eigentlich Isidore Lucien Ducasse und Die Gesänge des Maldoror, ein Wahnsinnstext, 1874 erschienen und von wilder, dunkler Schönheit. Breton sagte dazu: Alles noch so Kühne, das man in den kommenden Jahrhunderten denken und unternehmen wird, es ist hier in seinem magischen Gesetz im voraus formuliert worden.

 "Ich bin der Sohn von Mann und Frau, wie man mir gesagt hat. Das erstaunt mich ... Ich glaubte, mehr zu sein. Außerdem, was kümmert's mich, wo ich herkomme? Ich, wenn es von meinem Willen abhinge, ich würde lieber der Sohn des Haifischweibchens sein, dessen Hunger Freund der Stürme ist, und des Tigers, mit seiner anerkannten Grausamkeit: dann wäre ich nicht so bösartig. Ihr, die ihr mich anseht, entfernt euch von mir, denn mein Atem strömt einen vergifteten Hauch aus. Niemand hat noch die grünen Furchen meiner Stirn gesehen; auch nicht die aus meinem mageren Gesicht herausspringenden Knochen, die den Graten irgendeines großen Fisches gleichen, oder den Felsen an den Ufern des Meeres, oder den jähen Alpenbergen, die ich oft durcheilte, als die Haare meines Hauptes von anderer Farbe waren. Und wenn ich um die Wohnungen der Menschen streife, in den stürmischen Nächten, mit heißen Augen, mit vom Sturmwind gepeitschten Haaren, allein wie ein Stein inmitten des Weges, dann bedecke ich mein gebrandmarktes Gesicht mit einem Stück Sammet, schwarz wie der Ruß, der das Innere der Schornsteine bedeckt: es ist nicht nötig, das die Augen die Häßlichkeit schauen, die der Erhabene mir mit einem haßerfüllten Lächeln auferlegt hat. Jeden Morgen, wenn für die anderen die Sonne aufgeht und dabei Freude und heilsame Wärme in der Natur verbreitet, während meine Züge unbeweglich bleiben und ich starr den nebelerfüllten Raum betrachte, im Grunde meiner geliebten Höhle zusammengekauert, in einer Verzweiflung, die mich trunken macht wie der Wein, dann zerdrücke ich mit meinen gewaltigen Händen meine zerfetzte Brust. Dennoch fühle ich, daß ich nicht von Wut besessen bin! Dennoch fühle ich, daß ich nicht der einzige bin, der leidet! Dennoch fühle ich, daß ich atme! Wie ein Verurteilter, der über sein Schicksal nachdenkend seine Muskeln prüft, bevor er das Schafott besteigt, so wende ich, auf meinem Strohlager stehend, mit geschlossenen Augen, langsam meinen Hals von rechts nach links, von links nach rechts, stundenlang. Ich falle nicht tot um. Von Zeit zu Zeit, wenn mein Hals sich nicht mehr in gleicher Richtung weiterbewegen kann, wenn er stillsteht, um in entgegengesetzter Richtung neu zu beginnen, betrachte ich plötzlich den Horizont durch die wenigen Zwischenraume im dichten Nebel, der den Eingang verdeckt: ich sehe nichts! Nichts... es seien denn die Gefilde, die mit den Bäumen und den langen, die Luft durchstreifenden Vogelzügen tanzend umherwirbeln. Das beunruhigt mein Blut und mein Hirn... Wer schlägt denn mit Eisenstangen auf mein Haupt, wie ein Hammer, der den Amboß trifft?
Aus: Lautréamont Die Gesänge des Maldoror (1869) Gesang I, Strophe 8
Max Ernst 
Der König spielt mit seiner Königin , 1944
René Margritte, La Belle de Nuit, c.1932
Francis Picabia Der Tier-Dresseur
*Flamel war Sohn zum Katholizismus konvertierter Juden und Alchimist. Er soll mit Hilfe des "Buches von Abraham dem Juden" den Stein der Weisen gefunden haben und so unsterblich geworden sein. Breton bezieht sich auf ihn im ersten surrealistischen Manifest.

Dali, dieses Bild habe ich nur zufällig gefunden zum obigen Zitat, es war nicht in der Ausstellung
 

Sonntag, 2. Oktober 2011

Basel - Die Götter weinen von Dennis Kelly im Theater

Ein Autor von dem ich nie vorher gehört hatte , ein Stück, das, nach Aussage von Kennern, ganz und gar anders ist, als die Stücke, die er gewöhnlich schreibt.
"Kelly wuchs in Barnet in einer irischen Familie auf und wurde katholisch erzogen. Sein Vater war Busschaffner und hatte insgesamt fünf Kinder. Kelly verließ mit 16 Jahren die Schule." Diese Information und ein Liste aufgeführter Stücke findet man auf Wikipedia. Nicht viel.
Das Stück gestern abend hat sich in mein Hirn geha(c)kt. Ursprünglich wohl mit 5 Stunden Spieldauer, gestern immer noch mit dreien, und damit noch mindestens 30 Minuten zu lang, ist es ein überraschendes, wagemutiges Ding. Nicht kleinteilig, nicht privatflüchtig, nicht randgruppenexotisch, erzählt es den Untergang einer Wirtschaftsdynastie nach dem Muster von König Lear. Und es spielt in überraschender Weise mit altbekannten dramatischen Formen und unseren Erwartunggewohnheiten hinsichtlich Dramaturgie und Sprache.
Ich habe gestern nur eine Strichfassung gesehen und muß das Original erst lesen, aber auch in der gestrigen, etwas unentschiedenen und sich letztendlich in den Naturalismus flüchtenden Form, hatte es einen großen Sog und eine geradezu unerbittliche Logik des Geschehens, die trotzdem, thrillerartig, unerwartete Wendungen zuließ. Spannend und analytisch und, welch Seltenheit, ja Peinlichkeit heutzutage, ganz offen politisch, ohne Zuflucht zu allegorischen Pappfiguren und Symbolismen zu nehmen. Ob es wohl daran liegt, dass er in Deutschland wenig gespielt wird?

Freitag, 30. September 2011

Das Neue alte Museum

David Alan Chipperfield, er lebe: Hoch! Hoch! Hoch!

Er hat zwar dieses Jahr schon, zusammen mit Julian Harrap, den Deutschen Architekturpreis für den Wiederaufbau des Neuen Museums erhalten, aber das ist einfach nicht genug. Und das Museum selbst hat auch jede Menge Preise für seine wieder- und neuerschaffene Schönheit verliehen bekommen, den Mies-Van-Der-Rohe-Preis der EU für die gelungene Kombination von „zeitgenössischer Architektur, Restaurierung und Kunst“ und den Architekturpreis "Große Nike" und und und, aber auch das reicht nicht. Die Restaurierung dieses 1855 eröffneten, im Zweiten Weltkrieg zertrümmerten, und dann fast 50 Jahre als ruinierter Restehaufen vor sich hinsiechenden Gebäudes ist ein Kunstwerk und ein höflicher Liebesakt und fast ein Wunder. Mein Gott, ist das schön und frech und witzig und herrlich.

Da baut der Kerl in die Eingangshalle eine riesige Betontreppe mit Terrazzostufen und einem Treppengeländer, das man nicht wieder loslassen möchte, ganz weich und mit einer abgerundeten Griffrinne für die Finger. Und ich war erst mal schockiert, natürlich, das will er. Denn in diesem Haus ist immer klar, was alt ist und was neu hinzugebaut wurde. War der ursprüngliche Boden aus Marmor, ist er dort, wo er kaputt war, durch eben Terrazzo ersetzt worden. Aber es entsteht nicht der Eindruck von Abweisung oder Distanzierung, sondern von zärtlichem Unterstützen, wobei die neuen Teile durchaus selbstbewußt daherkommen. War noch Putz da, blieb er, und die übrige Wand ist jetzt unverputzt gemauert oder zurückhaltend gestrichen.

Zum Beispiel das Treppenhaus:

Damals


Heute


Foto: Wolfgang Bittner, Landesdenkmalamt Berlin
Und in einigen Sälen gibt es gußeiserne verzierte 'Bogensehnenträger', die sind original und wirken fast wie aus einem Industriebau des 19. Jahrhunderts und geben ihren Räumen etwas ganz Leichtes, Durchsichtiges, als ob sie die Schwere der Decke aufheben.

Der Niobidensaal
Tausende Details und ein beglückender Gesamteindruck, und dann kann man sich noch Frau Nofretete ansehen, die perfekte Version einsam in einem Rundsaal, und eine zweite, nun mit Gatten Echnaton, grau und leicht angeschlagen, aber fast noch schöner einen Saal weiter.

Irgendwie hat das Gebäude für mich etwas sehr weibliches und der alten Dame wird ihre Würde nicht genommen, sie wurde als so schön angesehen, dass es keiner verlogenen Maske bedurfte. Bitte hingehen.

Ausschnitt aus einem Interview mit David Chipperfield in Designline Living, einem Online Magazin für Produkt- und Interiordesign 
Autor: Norman Kietzmann

Welchen Eindruck hatten Sie, als Sie das Neue Museum 1994 zum ersten Mal betreten haben?

Ich war beeindruckt von der Kraft, die das Gebäude als Ruine ausstrahlte. Ruinen haben diese seltsame physische Intensität, die manchmal stärker sein kann als die eines fertigen Gebäudes. Vor allem moderne Architektur tendiert dazu, einen Teil ihrer physischen Wirkung durch ihre Ganzheit zu verlieren. Im Neuen Museum gab es diesen sehr starken Sinn für Textur und Materialität. Eine Qualität, die ich bei der Restaurierung nicht verlieren wollte. Doch darin lag zugleich der Anstoß für die Kritik: Viele dachten, dass wir die Zerstörung konservieren würden. Dabei haben wir versucht, das Gegenteil zu tun. Wir wollten den Schaden reparieren, ohne die vorhandene Substanz zu zerstören. Das bedeutet aber auch, dass man einen Bruch zwischen Altem und Neuem akzeptieren muss. Wollte man diese Trennlinie aufheben, müsste man das Alte zerstören. Wir haben versucht, das Alte und Neue zusammenzubringen, es zur selben Zeit aber auch aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Was auffällt, ist die Zurückhaltung, mit der Sie die neuen Elemente entworfen haben. Wie würden Sie das Zusammenspiel mit der historischen Substanz beschreiben?

Das Neue folgt einer sehr ruhigen, modernen Sprache, um den Reichtum des Alten hervorzuheben. Ähnlich dem Verfahren, mit dem auch antike Vasen restauriert werden. Die einzelnen Scherben für sich bleiben kaum mehr als unverständliche Fragmente. Dennoch lässt sich aus ihnen wieder die originale Form herstellen. Anstatt die zerstörten Dekore zu imitieren, wird für sie ein passives Material verwendet. Es unterstützt die originalen Teile und gibt ihnen ihre Bedeutung wieder zurück. Ohne dieses passive Material würden sie jedoch nicht mehr verständlich sein. Diese Technik der sanften Reparatur wird in der Archäologie sehr gut verstanden, ebenso in der Malerei. In der Architektur ist sie immer noch ein Novum. Ich denke, dass die Leute das Projekt vielleicht aber auch gerade deswegen mögen: Weil wir auf der einen Seite Respekt vor der Geschichte zeigen, sie auf der anderen Seite aber nicht wortwörtlich kopieren. Ich mag die Idee, dass die Menschen Architektur verstehen. Architektur bedeutet für mich nicht, etwas betont Cleveres zu machen, das erst noch jemand erklären muss.

Was macht gute Architektur für Sie aus?

Dass sie eine bestimmte Intensität in ihrer Idee hat. Dass sie etwas bedeutet und nicht leer ist. Ich glaube, wenn ich ein Gebäude entwerfe, bin ich recht konservativ in meinen Meinungen über bestimmte Dinge. Räume sind mir sehr wichtig. Ich denke, wir produzieren in unserer modernen Gesellschaft zu viele Räume, die unverständlich und entfremdend sind. Sie geben uns nicht das Wohlbefinden, das wir als Individuen brauchen. Dabei sollte die Architektur genau dieses wieder einräumen. Ähnlich dem alten Renaissance-Gedanken, das Individuum in den Mittelpunkt zu stellen. Ich frage mich bei neuen Räumen immer, wie es wäre, dort zu sein. Wie fühlen sie sich an? Mein Ideal ist ein Wohlbefinden, das dem Einzelnen eine Position, einen Status gibt – und ihn nicht auf etwas Unbedeutendes reduziert. Wenn man dann einen Raum entwirft, geht es um Entscheidungen, die im Grunde recht einfach sind. Man darf nur nicht zu kompliziert werden.

Was unterscheidet einen komfortablen Raum von denen, die es nicht sind?

Proportionen haben für mich viel mit dem Gefühl in einem Raum zu tun. Historisch gesehen ist Architektur sehr stark auf uns selbst ausgerichtet. Sie wurde gemacht, um darin zu leben. Die Dimensionen von Fenstern, Türen oder Raumhöhen folgen menschlichen Maßen. Gebäude waren also sehr eng mit den Menschen selbst verbunden. Doch in der modernen Welt gibt es keinen Grund mehr, an diesem Verhältnis festzuhalten. Es ist technisch möglich, sämtliche Dimensionen frei zu wählen. Kulturell gibt es dadurch aber ein Problem, über das wir intellektuell viel stärker nachdenken sollten. Es geht darum, wie man das Verhältnis zwischen dem Individuum und der gebauten Umgebung wieder herstellen kann. Denn wenn technisch alles möglich ist, muss die allererste Frage lauten: Was wollen wir nicht tun?




Unschuld von Dea Loher am DT

Thalheimer. Altmann. Wrede. Von Düffel. Dass heißt: Es wird schnell und deutlich gesprochen und die Arrangements sind brilliant. Die Bühne ist ein monumentaler Einheitsraum von kühler Schönheit. Viele Szenen sind mit einem repetierenden Musikthema unterlegt. Die Geschichte ist klar und stringent erzählt.
Sentimental aber mitgefühlslos, das ist es, was mir als Erstes in den Kopf kommt. Es stimmt alles. Ich begreife alles. Ich stimme auch irgendwie allem zu. Aber es ist mir wurscht. 

»... so ein schöner, fester, grauer Himmel, man könnte Lust bekommen, einen Kloben hineinzuschlagen und sich dran zu hängen, nur wegen des Gedankenstrichels zwischen Ja und Nein und wieder Ja – und Nein. Ja und Nein? Ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld?« (Georg Büchner - Woyzeck)
Zwei "alte" DT-Spielerinnen - Gabriele Heinz und Barbara Schnitzler  - die machen den Gedankenstrich - Aber sicher halten sie die hohe Form, natürlich meißeln sie die Sprache glasklar in den Raum, scheinbar mühelos sezieren sie psychologische Verformungen, aber sie toppen diese Kunstfertigkeit, indem sie ihren Figuren Menschlichkeit schenken. Und um nicht mißverstanden zu werden, ich meine nicht allgemeines Menscheln, sondern präzises Denken hinsichtlich sozialer Ortung und überraschender menschlicher Unlogik.

Gabriele Heinz

Barbara Schnitzler