Montag, 3. Oktober 2011

Basel - Surrealismus in Paris

Basel - Foundation Beyeler - eine Austellung von 200 Meisterwerken des Surrealismus von Dali, Margritte, Miro, Man Ray etc., gesammelt, unter anderem, von Peggy Guggenheim und Andre Bretons erster Frau Simone Collinet. 
Man geht, in ehrender Referenz zur Internationalen Surrealismus Ausstellung 1938 in der Galerie Beaux-Arts in Paris, durch Ausstellungsräume mit Namen wie Rue Cerise, Rue d'une Perle, Rue de tous les Diables, was heißt, die Strasse sämtlicher Teufel oder Rue Nicolas-Flamel.*
Wie unterschiedlich diese Künstler gearbeitet haben! Hochindividuell haben sie sich, für eine Zeit, unter einem Konzept zusammengefunden, wie unter einem sehr großen Schirm.
Lautréamont in den "Gesängen des Maldoror" beschreibt die Schönheit eines Jünglings mittels einer Metapher die von den Surrealisten aufgegriffen wurde: „Er ist schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch!“  So ging es mir mit dieser Ausstellung.

Man Ray, Seziertisch, Regenschirm, Nähmaschine
Apropos Lautréamont oder eigentlich Isidore Lucien Ducasse und Die Gesänge des Maldoror, ein Wahnsinnstext, 1874 erschienen und von wilder, dunkler Schönheit. Breton sagte dazu: Alles noch so Kühne, das man in den kommenden Jahrhunderten denken und unternehmen wird, es ist hier in seinem magischen Gesetz im voraus formuliert worden.

 "Ich bin der Sohn von Mann und Frau, wie man mir gesagt hat. Das erstaunt mich ... Ich glaubte, mehr zu sein. Außerdem, was kümmert's mich, wo ich herkomme? Ich, wenn es von meinem Willen abhinge, ich würde lieber der Sohn des Haifischweibchens sein, dessen Hunger Freund der Stürme ist, und des Tigers, mit seiner anerkannten Grausamkeit: dann wäre ich nicht so bösartig. Ihr, die ihr mich anseht, entfernt euch von mir, denn mein Atem strömt einen vergifteten Hauch aus. Niemand hat noch die grünen Furchen meiner Stirn gesehen; auch nicht die aus meinem mageren Gesicht herausspringenden Knochen, die den Graten irgendeines großen Fisches gleichen, oder den Felsen an den Ufern des Meeres, oder den jähen Alpenbergen, die ich oft durcheilte, als die Haare meines Hauptes von anderer Farbe waren. Und wenn ich um die Wohnungen der Menschen streife, in den stürmischen Nächten, mit heißen Augen, mit vom Sturmwind gepeitschten Haaren, allein wie ein Stein inmitten des Weges, dann bedecke ich mein gebrandmarktes Gesicht mit einem Stück Sammet, schwarz wie der Ruß, der das Innere der Schornsteine bedeckt: es ist nicht nötig, das die Augen die Häßlichkeit schauen, die der Erhabene mir mit einem haßerfüllten Lächeln auferlegt hat. Jeden Morgen, wenn für die anderen die Sonne aufgeht und dabei Freude und heilsame Wärme in der Natur verbreitet, während meine Züge unbeweglich bleiben und ich starr den nebelerfüllten Raum betrachte, im Grunde meiner geliebten Höhle zusammengekauert, in einer Verzweiflung, die mich trunken macht wie der Wein, dann zerdrücke ich mit meinen gewaltigen Händen meine zerfetzte Brust. Dennoch fühle ich, daß ich nicht von Wut besessen bin! Dennoch fühle ich, daß ich nicht der einzige bin, der leidet! Dennoch fühle ich, daß ich atme! Wie ein Verurteilter, der über sein Schicksal nachdenkend seine Muskeln prüft, bevor er das Schafott besteigt, so wende ich, auf meinem Strohlager stehend, mit geschlossenen Augen, langsam meinen Hals von rechts nach links, von links nach rechts, stundenlang. Ich falle nicht tot um. Von Zeit zu Zeit, wenn mein Hals sich nicht mehr in gleicher Richtung weiterbewegen kann, wenn er stillsteht, um in entgegengesetzter Richtung neu zu beginnen, betrachte ich plötzlich den Horizont durch die wenigen Zwischenraume im dichten Nebel, der den Eingang verdeckt: ich sehe nichts! Nichts... es seien denn die Gefilde, die mit den Bäumen und den langen, die Luft durchstreifenden Vogelzügen tanzend umherwirbeln. Das beunruhigt mein Blut und mein Hirn... Wer schlägt denn mit Eisenstangen auf mein Haupt, wie ein Hammer, der den Amboß trifft?
Aus: Lautréamont Die Gesänge des Maldoror (1869) Gesang I, Strophe 8
Max Ernst 
Der König spielt mit seiner Königin , 1944
René Margritte, La Belle de Nuit, c.1932
Francis Picabia Der Tier-Dresseur
*Flamel war Sohn zum Katholizismus konvertierter Juden und Alchimist. Er soll mit Hilfe des "Buches von Abraham dem Juden" den Stein der Weisen gefunden haben und so unsterblich geworden sein. Breton bezieht sich auf ihn im ersten surrealistischen Manifest.

Dali, dieses Bild habe ich nur zufällig gefunden zum obigen Zitat, es war nicht in der Ausstellung
 

Sonntag, 2. Oktober 2011

Basel - Die Götter weinen von Dennis Kelly im Theater

Ein Autor von dem ich nie vorher gehört hatte , ein Stück, das, nach Aussage von Kennern, ganz und gar anders ist, als die Stücke, die er gewöhnlich schreibt.
"Kelly wuchs in Barnet in einer irischen Familie auf und wurde katholisch erzogen. Sein Vater war Busschaffner und hatte insgesamt fünf Kinder. Kelly verließ mit 16 Jahren die Schule." Diese Information und ein Liste aufgeführter Stücke findet man auf Wikipedia. Nicht viel.
Das Stück gestern abend hat sich in mein Hirn geha(c)kt. Ursprünglich wohl mit 5 Stunden Spieldauer, gestern immer noch mit dreien, und damit noch mindestens 30 Minuten zu lang, ist es ein überraschendes, wagemutiges Ding. Nicht kleinteilig, nicht privatflüchtig, nicht randgruppenexotisch, erzählt es den Untergang einer Wirtschaftsdynastie nach dem Muster von König Lear. Und es spielt in überraschender Weise mit altbekannten dramatischen Formen und unseren Erwartunggewohnheiten hinsichtlich Dramaturgie und Sprache.
Ich habe gestern nur eine Strichfassung gesehen und muß das Original erst lesen, aber auch in der gestrigen, etwas unentschiedenen und sich letztendlich in den Naturalismus flüchtenden Form, hatte es einen großen Sog und eine geradezu unerbittliche Logik des Geschehens, die trotzdem, thrillerartig, unerwartete Wendungen zuließ. Spannend und analytisch und, welch Seltenheit, ja Peinlichkeit heutzutage, ganz offen politisch, ohne Zuflucht zu allegorischen Pappfiguren und Symbolismen zu nehmen. Ob es wohl daran liegt, dass er in Deutschland wenig gespielt wird?

Freitag, 30. September 2011

Das Neue alte Museum

David Alan Chipperfield, er lebe: Hoch! Hoch! Hoch!

Er hat zwar dieses Jahr schon, zusammen mit Julian Harrap, den Deutschen Architekturpreis für den Wiederaufbau des Neuen Museums erhalten, aber das ist einfach nicht genug. Und das Museum selbst hat auch jede Menge Preise für seine wieder- und neuerschaffene Schönheit verliehen bekommen, den Mies-Van-Der-Rohe-Preis der EU für die gelungene Kombination von „zeitgenössischer Architektur, Restaurierung und Kunst“ und den Architekturpreis "Große Nike" und und und, aber auch das reicht nicht. Die Restaurierung dieses 1855 eröffneten, im Zweiten Weltkrieg zertrümmerten, und dann fast 50 Jahre als ruinierter Restehaufen vor sich hinsiechenden Gebäudes ist ein Kunstwerk und ein höflicher Liebesakt und fast ein Wunder. Mein Gott, ist das schön und frech und witzig und herrlich.

Da baut der Kerl in die Eingangshalle eine riesige Betontreppe mit Terrazzostufen und einem Treppengeländer, das man nicht wieder loslassen möchte, ganz weich und mit einer abgerundeten Griffrinne für die Finger. Und ich war erst mal schockiert, natürlich, das will er. Denn in diesem Haus ist immer klar, was alt ist und was neu hinzugebaut wurde. War der ursprüngliche Boden aus Marmor, ist er dort, wo er kaputt war, durch eben Terrazzo ersetzt worden. Aber es entsteht nicht der Eindruck von Abweisung oder Distanzierung, sondern von zärtlichem Unterstützen, wobei die neuen Teile durchaus selbstbewußt daherkommen. War noch Putz da, blieb er, und die übrige Wand ist jetzt unverputzt gemauert oder zurückhaltend gestrichen.

Zum Beispiel das Treppenhaus:

Damals


Heute


Foto: Wolfgang Bittner, Landesdenkmalamt Berlin
Und in einigen Sälen gibt es gußeiserne verzierte 'Bogensehnenträger', die sind original und wirken fast wie aus einem Industriebau des 19. Jahrhunderts und geben ihren Räumen etwas ganz Leichtes, Durchsichtiges, als ob sie die Schwere der Decke aufheben.

Der Niobidensaal
Tausende Details und ein beglückender Gesamteindruck, und dann kann man sich noch Frau Nofretete ansehen, die perfekte Version einsam in einem Rundsaal, und eine zweite, nun mit Gatten Echnaton, grau und leicht angeschlagen, aber fast noch schöner einen Saal weiter.

Irgendwie hat das Gebäude für mich etwas sehr weibliches und der alten Dame wird ihre Würde nicht genommen, sie wurde als so schön angesehen, dass es keiner verlogenen Maske bedurfte. Bitte hingehen.

Ausschnitt aus einem Interview mit David Chipperfield in Designline Living, einem Online Magazin für Produkt- und Interiordesign 
Autor: Norman Kietzmann

Welchen Eindruck hatten Sie, als Sie das Neue Museum 1994 zum ersten Mal betreten haben?

Ich war beeindruckt von der Kraft, die das Gebäude als Ruine ausstrahlte. Ruinen haben diese seltsame physische Intensität, die manchmal stärker sein kann als die eines fertigen Gebäudes. Vor allem moderne Architektur tendiert dazu, einen Teil ihrer physischen Wirkung durch ihre Ganzheit zu verlieren. Im Neuen Museum gab es diesen sehr starken Sinn für Textur und Materialität. Eine Qualität, die ich bei der Restaurierung nicht verlieren wollte. Doch darin lag zugleich der Anstoß für die Kritik: Viele dachten, dass wir die Zerstörung konservieren würden. Dabei haben wir versucht, das Gegenteil zu tun. Wir wollten den Schaden reparieren, ohne die vorhandene Substanz zu zerstören. Das bedeutet aber auch, dass man einen Bruch zwischen Altem und Neuem akzeptieren muss. Wollte man diese Trennlinie aufheben, müsste man das Alte zerstören. Wir haben versucht, das Alte und Neue zusammenzubringen, es zur selben Zeit aber auch aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Was auffällt, ist die Zurückhaltung, mit der Sie die neuen Elemente entworfen haben. Wie würden Sie das Zusammenspiel mit der historischen Substanz beschreiben?

Das Neue folgt einer sehr ruhigen, modernen Sprache, um den Reichtum des Alten hervorzuheben. Ähnlich dem Verfahren, mit dem auch antike Vasen restauriert werden. Die einzelnen Scherben für sich bleiben kaum mehr als unverständliche Fragmente. Dennoch lässt sich aus ihnen wieder die originale Form herstellen. Anstatt die zerstörten Dekore zu imitieren, wird für sie ein passives Material verwendet. Es unterstützt die originalen Teile und gibt ihnen ihre Bedeutung wieder zurück. Ohne dieses passive Material würden sie jedoch nicht mehr verständlich sein. Diese Technik der sanften Reparatur wird in der Archäologie sehr gut verstanden, ebenso in der Malerei. In der Architektur ist sie immer noch ein Novum. Ich denke, dass die Leute das Projekt vielleicht aber auch gerade deswegen mögen: Weil wir auf der einen Seite Respekt vor der Geschichte zeigen, sie auf der anderen Seite aber nicht wortwörtlich kopieren. Ich mag die Idee, dass die Menschen Architektur verstehen. Architektur bedeutet für mich nicht, etwas betont Cleveres zu machen, das erst noch jemand erklären muss.

Was macht gute Architektur für Sie aus?

Dass sie eine bestimmte Intensität in ihrer Idee hat. Dass sie etwas bedeutet und nicht leer ist. Ich glaube, wenn ich ein Gebäude entwerfe, bin ich recht konservativ in meinen Meinungen über bestimmte Dinge. Räume sind mir sehr wichtig. Ich denke, wir produzieren in unserer modernen Gesellschaft zu viele Räume, die unverständlich und entfremdend sind. Sie geben uns nicht das Wohlbefinden, das wir als Individuen brauchen. Dabei sollte die Architektur genau dieses wieder einräumen. Ähnlich dem alten Renaissance-Gedanken, das Individuum in den Mittelpunkt zu stellen. Ich frage mich bei neuen Räumen immer, wie es wäre, dort zu sein. Wie fühlen sie sich an? Mein Ideal ist ein Wohlbefinden, das dem Einzelnen eine Position, einen Status gibt – und ihn nicht auf etwas Unbedeutendes reduziert. Wenn man dann einen Raum entwirft, geht es um Entscheidungen, die im Grunde recht einfach sind. Man darf nur nicht zu kompliziert werden.

Was unterscheidet einen komfortablen Raum von denen, die es nicht sind?

Proportionen haben für mich viel mit dem Gefühl in einem Raum zu tun. Historisch gesehen ist Architektur sehr stark auf uns selbst ausgerichtet. Sie wurde gemacht, um darin zu leben. Die Dimensionen von Fenstern, Türen oder Raumhöhen folgen menschlichen Maßen. Gebäude waren also sehr eng mit den Menschen selbst verbunden. Doch in der modernen Welt gibt es keinen Grund mehr, an diesem Verhältnis festzuhalten. Es ist technisch möglich, sämtliche Dimensionen frei zu wählen. Kulturell gibt es dadurch aber ein Problem, über das wir intellektuell viel stärker nachdenken sollten. Es geht darum, wie man das Verhältnis zwischen dem Individuum und der gebauten Umgebung wieder herstellen kann. Denn wenn technisch alles möglich ist, muss die allererste Frage lauten: Was wollen wir nicht tun?




Unschuld von Dea Loher am DT

Thalheimer. Altmann. Wrede. Von Düffel. Dass heißt: Es wird schnell und deutlich gesprochen und die Arrangements sind brilliant. Die Bühne ist ein monumentaler Einheitsraum von kühler Schönheit. Viele Szenen sind mit einem repetierenden Musikthema unterlegt. Die Geschichte ist klar und stringent erzählt.
Sentimental aber mitgefühlslos, das ist es, was mir als Erstes in den Kopf kommt. Es stimmt alles. Ich begreife alles. Ich stimme auch irgendwie allem zu. Aber es ist mir wurscht. 

»... so ein schöner, fester, grauer Himmel, man könnte Lust bekommen, einen Kloben hineinzuschlagen und sich dran zu hängen, nur wegen des Gedankenstrichels zwischen Ja und Nein und wieder Ja – und Nein. Ja und Nein? Ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld?« (Georg Büchner - Woyzeck)
Zwei "alte" DT-Spielerinnen - Gabriele Heinz und Barbara Schnitzler  - die machen den Gedankenstrich - Aber sicher halten sie die hohe Form, natürlich meißeln sie die Sprache glasklar in den Raum, scheinbar mühelos sezieren sie psychologische Verformungen, aber sie toppen diese Kunstfertigkeit, indem sie ihren Figuren Menschlichkeit schenken. Und um nicht mißverstanden zu werden, ich meine nicht allgemeines Menscheln, sondern präzises Denken hinsichtlich sozialer Ortung und überraschender menschlicher Unlogik.

Gabriele Heinz

Barbara Schnitzler

Preisverleihung


Gestern hat mich eine Bekannte zu einer Preisverleihungsveranstaltung mitgenommen - 600 geladene Gäste im Hamburger Bahnhof inmitten einer Installation names "Cloud Cities" von Tomás Saraceno. Kugeln unterschiedlicher Größe, aus durchsichtigem Plastik, gefüllt oder behangen mit Pflanzen, teils begehbar, hängen, schweben, liegen in einem riesigen Saal. Eine phantastische Planetenkonstellation. Nun verlangen aber die physikalischen Gesetze der Erde, dass diese Sphären verankert seien müssen, also steigt man über oder biegt sich unter schwarze Seile, die spinnenwebartig den Raum durchschneiden. 
Und da fing der Spaß an. Mädchen, in modischen superhohen Stöckelschühchen und ihre meist älteren, seriösen, oder als gestandene Künstler gekleideten Begleiter bewegten sich durch den Saal, wie über eine Hindernisbahn unter versuchter Erhaltung von Würde und Sexappeal. Allerdings fand meine schadensvorfreudige Hoffnung auf kleinere unelegante Unfälle keine Erfüllung, aber wenigstens sah es richtig doof aus. Und die jungen Einlassdamen waren auch massiv preußisch und unhöflich. So weit so gut.
Dann Reden (alle öde, außer die von Christina Weiss), Standardbeifall, Preisverleihung - einen, den "Preis der Nationalgalerie für junge Kunst" an Cyprien Gaillard für eine Videoinstallation zu Babylon/Bagdad - lohnt sich unbedingt anzusehen - und einen zweiten, den "Preis für junge Filmkunst", in Kooperation mit der Deutschen Filmakademie, erstmals verliehen, an Theo Solvik mit "Anna Pavlova Lebt In Berlin". Der Film ist täglich im Hamburger Bahnhof zu sehen. Ich habe ihn nicht gesehen.
Dann kam das Buffet! Kinder, der alte Song von Rainhard Mey über die Schlacht am kalten Buffet in einer Variation für trendige Yuppies (young urban professionals) und mindestens ebenso trendige Kunstliebhaber. Ich habe auch gegessen, ich gebe es zu. Oben, bei der Ausstellung der nominierten Werke, war es recht leer. Schade.
Aber jetzt die wirklich brennend wichtigen Fragen: Wer macht die Mode, die zu solchen Anlässen, besonders von Damen meines Alter und darüber getragen wird? Warum existieren goldfarbene Kostüme überhaupt? Warum sagt niemand etwas, wenn jemand über 80 Kilogramm und unter Geburtsjahr 1980, sich entschließt einen winzigen Minirock zu tragen? Warum gibt es scheinbar keine guten Schönheitschirurgen, oder bemerkt man deren Arbeit einfach nicht? Kann man sich den Beugewinkel des Dauerlächelns im Katalog aussuchen? Wer trägt noch und warum hochtoupierte gelbgeblondete Haare? Oder ebensolche in Einheitsschwarz? Warum kaufen sich wohlhabende Männer ihre Anzüge immer eine Nummer zu klein? Und glauben ältere Herren, die mit 20jährigen ausgehen, wirklich dass sie witzig und intelligent sind, wenn ihre Begleiterin unauhörlich kichert? 
Und dies alles, während Schweinebraten mit Kraut von auf den Knien balancierten Tellern gegessen wurde und für die Kosten einer Stadttheateroperninszenierung!


Gemurmel dröhnt drohend wie Trommelklang, gleich stürzt eine ganze Armee,
die Treppe herauf, und die Flure entlang, dort steht das kalte Buffet.
Zunacht regiert noch die Hinterlist, doch bald schon brutale Gewalt,
da spießt man, was aufzuspießen ist, die Faust um die Gabel geballt.
Mit feurigem Blick und mit Schaum vor dem Mund kämpft jeder für sich allein,
und schiebt sich in seinen gefräßigen Schlund, was immer hineinpaßt, hinein.

Bei der heißen Schlacht am kalten Buffet, da zählt der Mann noch als Mann,
und Aug' in Auge, Aspik und Gelee, hier zeigt sich, wer kämpfen kann, hurra!
Hier zeigt sich wer kämpfen kann.

Da blitzen die Messer, da prallt das Geschirr mit elementarer Wucht.
auf Köpfe und Leiber, und aus dem Gewirr, versucht ein Kellner die Flucht.
Ein paar Veteranen im Hintergrund tragen Narben auf Stirn und Gesicht,
quer aber die Nase und rings um den Mund, wohin halt die Gabel sticht.
Ein tosendes Schmatzen erfüllet den Raum, es rülpst und es grunzt und es quiekt.
Fast hört man des Kellners Hilferuf kaum, der machtlos am Boden liegt.

Bei der heißen Schlacht...

Da braust es noch einmal wie ein Orkan, ein Recke mit Übergewicht
wirft sich auf's Buffet im Größenwahn, worauf es dann donnernd zerbricht.
Nur leises Verdauen dringt noch an das Ohr, das Schlachtfeld wird nach und nach still.

Aus Trümmern sieht angstvoll ein Kellner hervor, der längst nicht mehr fliehen will.
Eine Dame träumt lächelnd vom Heldentod, gebettet in Kaviar und Sekt,
derweil sie, was übrigzubleiben droht, blitzschnell in die Handtasche steckt.

Das war die Schlacht am kalten Buffet, von fern tönt das Rückzugssignal.
Viel Feind, viel Ehr' und viel Frikassee, Na denn: "Prost" bis zum nächsten Mal, hurra!
Na denn: "Prost" bis zum nächsten Mal!

Das war die Schlacht am kalten Buffet, und von dem vereinnahmten Geld
gehn zehn Prozent, welch noble Idee, als Spende an "Brot für die Welt", hurra !
Als Spende an "Brot für die Welt".


Mittwoch, 28. September 2011

Grün - ja grün sind alle meine ...


Als Kind dachte ich, das Weihnachtslied hieße "O Hannebaum, o Hannebaum,
wie grün sind Deine Blätter..."
Das denke ich jetzt nicht mehr. Schade.
Grün ist eine komische Farbe. Klar, Natur ist oft grün, aber ich zum Beispiel mag
Herbstblätter in rot und gelb lieber.
Grün waren die Polizeiuniformen und die der NVA. Ein häßliches Grün.
Freunde mußten in diesem gräßlichen Zeug gute Lebenszeit vergeuden.
Grün vor Neid mag ich nicht sein. Grün im Gesicht schon gar nicht.
Grün hinter den Ohren bin ich schon lang nicht mehr.
Aber, aber, wenn im März die ersten Sprößlinge sprießen, dann bin auch
ich ekstatisch und hoffe und erwarte und ahne.
Das ist so ein schüchternes Grün, ein Versuch von Grün, ein kleiner Frost
könnte es vernichten, aber es traut sich doch. 
"Es grünt so grün, wenn..."
Olivenbäume haben ein schönes Grün, ganz staubig und verdeckt. Und wenn
sie ganz alt sind, sehen sie aus, wie Greise in uralten, zerfaserten  Lodenmänteln.
Schimmel kann manchmal ein anheimelndes Graugrün haben.
Ich bin dem Grün nicht ganz grün. 
Aber ich besitze einen grünen Sessel.

Der Mai macht alles grün,  
Nur meine Hoffnung nicht.  
Er macht die Rosen blühn,  
Wie euer Angesicht,  
Und läßt die Sonne glühn,  
Wie euer Freudenlicht.
Der Mai macht alles grün,
Nur meine Hoffnung nicht. 
 
Der Mai macht alles grün,
Auch meiner Kinder Grab.

Mit seinem Thaue sprühn

Die Thränen mir hinab,

Und seine Lüfte mühn

Sich mit den Seufzern ab.

Der Mai macht alles grün,

Auch meiner Kinder Grab.

Friedrich Rückert

Gustav Klimt Bauerngarten mit Blumen
 

Du gibst Grün für mein Blau

du trägst

die verschriebenen 

worte

unter das fenster

leer geworden

erblassen sie

bis zur erinnerung

wir tauschen

du gibst grün

für mein blau

Hermann Josef Schmitz



Über das Frühjahr

Lange bevor
Wir uns stürzten auf Erdöl, Eisen und Ammoniak
Gab es in jedem Jahr
Die Zeit der unaufhaltsam und heftig grünenden Bäume
Wir alle erinnern uns
Verlängerter Tage
Helleren Himmels
Änderungen der Luft
Des gewiß kommenden Frühjahrs.
Noch lesen wir in Büchern
Von dieser gefeierten Jahreszeit
Und noch sind schon lange
Nicht mehr gesichtet worden über unseren Städten
Die berühmten Schwärme der Vögel.
Am ehesten noch sitzend in Eisenbahnen
Fällt dem Volk das Frühjahr auf.
Die Ebenen zeigen es
In aller Deutlichkeit.
In großer Höhe freilich
Scheinen Stürme zu gehen:
Sie berühren nur mehr
Unsere Antennen.

Bertolt Brecht 1928


Die wüsten Straßen fließen lichterloh
Durch den erloschnen Kopf. Und tun mir weh.
Ich fühle deutlich, daß ich bald vergeh –
Dornrosen meines Fleisches, stecht nicht so.
Die Nacht verschimmelt. Giftlaternenschein
Hat, kriechend, sie mit grünem Dreck beschmiert.
Das Herz ist wie ein Sack. Das Blut erfriert.
Die Welt fällt um. Die Augen stürzen ein.

Alfred Lichtenstein


Dienstag, 27. September 2011

Gelb - Kunze - Liliencron - Heym - Yeats


Warum sind Löwenzahnblüten gelb?


Warum sind Löwenzahnblüten gelb?
Das weiß jedes Kind.
Weil Löwenzahnblüten
Briefkästen sind.

Wer hat die Briefkästen aufgestellt?
Die grasgrüne Wiese.
Sie steckt in die Briefkästen
all ihre Grüße.

Wem werden die Grüße zugestellt?
Das weiß jedes Kind.
Briefträger sind
Biene und Wind.
Reiner Kunze


Rothko Orange und Gelb


Die gelbe Blume Eifersucht

Was war das, drückt er ihr leise die Hand,
Als gestern Abend er neben ihr stand,
Der Hund, der Hund!
Heut sah sie den ganzen Tag hinaus:
Wann wird er kommen.
Und als er um die Ecke bog,
Das Rot ihr in die Schläfen flog.
Das soll dir nicht frommen,
Du Hund, du Hund!

Heut Abend, ich lauschte, in heimlicher Stund'
Er küsste sie zärtlich auf Augen und Mund,
Der Hund, der Hund!
Nun lauer' und schleich ich im Säulengang
Auf Katzenpfoten.
Meinen Dolch betast' ich wohl hundertmal,
In die Brust ihn dir brech' ich für alle die Qual,
Als Liebesboten,
Du Hund, du Hund!

Detlev von Liliencron



Vincent van Gogh Selbstporträt, 1888

Die Irren

Der Mond tritt aus der gelben Wolkenwand.
Die Irren hängen an den Gitterstäben,
Wie große Spinnen, die an Mauern kleben.
Entlang den Gartenzaun fährt ihre Hand.

In offnen Sälen sieht man Tänzer schweben.
Der Ball der Irren ist es. Plötzlich schreit
Der Wahnsinn auf. Das Brüllen pflanzt sich weit,
Daß alle Mauern von dem Lärme beben.

Mit dem er eben über Hume gesprochen,
Den Arzt ergreift ein Irrer mit Gewalt.
Er liegt im Blut. Sein Schädel ist zerbrochen.

Der Haufen Irre schaut vergnügt. Doch bald
Enthuschen sie, da fern die Peitsche knallt,
Den Mäusen gleich, die in die Erde krochen.

Georg Heym


Eine enorme magnetische Schleife von heißen Gasen bildet einen leuchtenden Griff an der Sonne. Die Protuberanz vom 9.6.2002 wurde durch explosive Instabilitäten des magnetischen Feldes der Sonne ausgelöst.

For Anne Gregory

'NEVER shall a young man,
Thrown into despair
By those great honey-coloured
Ramparts at your ear,
Love you for yourself alone
And not your yellow hair.'

'But I can get a hair-dye
And set such colour there,
Brown, or black, or carrot,
That young men in despair
May love me for myself alone
And not my yellow hair.'

'I heard an old religious man
But yesternight declare
That he had found a text to prove
That only God, my dear,
Could love you for yourself alone
And not your yellow hair.'

William Butler Yeats

Blau - Rilke - Picasso - Benn


BLAUE HORTENSIE

So wie das letzte Grün in Farbentiegeln
sind diese Blätter, trocken, stumpf und rauh,
hinter den Blütendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;

Verwaschenes wie an einer Kinderschürze,
Nichtmehrgetragenes, dem nichts mehr geschieht:
wie fühlt man eines kleinen Lebens Kürze.

Doch plötzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein rührend Blaues sich vor Grünem freuen.

Rilke

Pablo Picasso Das blaue Zimmer 1901



Blau. Blaumachen, jemandem etwas einbläuen, jemanden grün und blau schlagen, blau anlaufen, ins Blaue fahren, blau wie eine Raderhacke sein, aber Franzosen sagen: être gris.I am blue. Widerliches FDJ-Blau, europafahnenblau, Westerwelles gelb/blau. Bluecollared jobs sind Jobs in der Fabrik, aber blaues Blut fließt nur in Aristokraten, manchmal macht man blau. Kleine Jungs tragen blau, aber erst seitdem Uniformen blau sind, früher trugen sie rot und rosa. Blaustrümpfe, Blauwale und Blaubeeren. Himmelblau, eisblau, Marias Kleid ist oft blau und der Davidstern in der Flagge auch, Blaulicht kann retten, Blauhelme versuchen es. Der Blaue Reiter und Yves Klein, Die Farbe Blau und die blaue Blume der Romantik. Was ist das für eine Farbe?



 Blaue Stunde

I
Ich trete in die dunkelblaue Stunde -
da ist der Flur, die Kette schließt sich zu
und nun im Raum ein Rot auf einem Munde
und eine Schale später Rosen – Du!

Wir wissen beide, jene Worte,
die jeder oft zu anderen sprach und trug,
sind zwischen uns wie nichts und fehl am Orte:
dies ist das Ganze und der letzte Zug.

Das Schweigende ist so weit fortgeschritten
und füllt den Raum und denkt sich selber zu
die Stunde – nichts gehofft und nichts gelitten –
mit ihrer Schale später Rosen – Du.

II
Dein Haupt verfließt, ist weiß und will sich hüten,
indessen sammelt sich auf deinem Mund
die ganze Lust, der Purpur und die Blüten
aus deinem angestammten Ahnengrund.

Du bist so weiß, man denkt, du wirst zerfallen
vor lauter Schnee, vor lauter Blütenlos,
totweiße Rosen, Glied für Glied – Korallen
nur auf den Lippen, schwer und wundengroß.

Du bist so weich, du gibst von etwas Kunde,
von einem Glück aus Sinken und Gefahr
in einer blauen, dunkelblauen Stunde
und wenn sie ging, weiß keiner, ob sie war.

III
Ich frage dich, du bist doch eines andern,
was trägst du mir die späten Rosen zu?
Du sagst, die Träume gehn, die Stunden wandern,
was ist das alles: er und ich und du?

«Was sich erhebt, das will auch wieder enden,
was sich erlebt – wer weiß denn das genau,
die Kette schließt, man schweigt in diesen Wänden
und dort die Weite, hoch und dunkelblau.

Benn


Montag, 26. September 2011

ROT - Schiele - Goethe

Wally in roter Bluse mit erobenen Knien 1913
Rote Bluse, rötliche Spitzenhöschen, Strümpfe und Schuhe, erhobene Knie mit übereinandergeschlagenen Füßen und dieser Blick! Müde Einladung, lässige Resignation oder Provokation mit angedrohter Verweigerung? Was wird da gleich geschehen?


Sah ein Knab' ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden,
war so jung und morgenschön,
lief er schnell, es nah zu sehn,
sah's mit vielen Freuden.

Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.

Knabe sprach: „Ich breche dich,
Röslein auf der Heiden!“
Röslein sprach: „Ich steche dich,
dass du ewig denkst an mich,
und ich will's nicht leiden.“

Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.

Und der wilde Knabe brach
's Röslein auf der Heiden;
Röslein wehrte sich und stach,
half ihm doch kein Weh und Ach,
musst' es eben leiden.

Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.

Johann Wolfgang von Goethe

Postkarte von Albrecht & Meister, Aktiengesellschaft Berlin-Reinickendorf-Ost. Nr. 1 handkoloriert

Hochrot

Du innig Rot,

Bis an den Tod
Soll meine Liebe Dir gleichen,
Soll nimmer bleichen,
Bis an den Tod,
Du glühend Rot,
Soll sie Dir gleichen.

Karoline von Günderode

Sonntag, 25. September 2011

Altweibersommer - Der Herbst wird trocken


Weil eine Freundin heute gesagt hat, dass ihr die sonnigen Herbsttage am besten gefallen, denn "im Sommer ist ja sowieso Sommer, auch wenn's regnet".

Der Name Altweibersommer leitet sich von Spinnfäden her, mit denen junge Baldachinspinnen im Herbst durch die Luft segeln. Mit „weiben“ wurde im Althochdeutschen das Knüpfen der Spinnweben bezeichnet.

An September-Tagen mit sonnigem Wetter kühlt es sich in den klaren Nächten stark ab, so dass in den Morgenstunden durch den Tau die Spinnweben deutlich zu erkennen sind. Die seltsam glänzenden Fäden (oder "Herbstfäden") glitzern im Sonnenlicht wie lange, silbergraue Haare. Früher glaubten die Leute, so erzählen es alte Sagen, daß alte Weiber (damals war das noch kein Schimpfwort für alte Damen) diese "Haare" beim Kämmen verloren hätten und daß dies das Wirken der "Nornen", der alten Schicksalsgöttinnen, die die Lebensfäden der Menschen spinnen, war. Alten Menschen, an denen solche Spinnfäden hängen bleiben, sollten sie Glück bringen.
Spätere - im Christentum entstandene- Legenden wiederum wissen zu berichten, daß die Silberfäden des Altweibersommers aus dem Mantel Marias stammen, den sie bei ihrer Himmelfahrt trug. Im Volksmund heißen deshalb diese Spinnfäden auch "Marienfäden", "Marienseide", "Marienhaar" oder "Unserer Lieben Frauen Gespinnst".
Aus dem Gartenkalender - Kalenderblütter durch die Jahreszeiten

Altweibersommer

Septembergold und neuer Wein.
Ich hab gewollt es war aus Stein,
mein Herz aus Gold.
Oktoberrot und Hasenjagd.
Die Liebe tot.
Die Leiche fragt nach Lippenrot.
Novembergrau, die Toten ruhn.
Mein Haar wird grau, ich färb es nun:
Altweiberblau.

Ingrid Noll

Die Männchen der Baldachinspinne sind zur Paarungszeit im September oft in der Nähe oder sogar im Netz der Weibchen zu finden. Sie weben meist keine eigenen Netze. Bei der mehrere Stunden andauernden Paarung sitzt das Männchen bauchoben auf dem Weibchen. Auch nach der Paarung lebt das Männchen noch einige Zeit im Netz des Weibchens.


Der September
 
Das ist ein Abschied mit Standarten
aus Pflaumenblau und Apfelgrün.
Goldlack und Astern flaggt der Garten,
und tausend Königskerzen glühn.
Das ist ein Abschied mit Posaunen,
mit Erntedank und Bauernball.
Kuhglockenläutend zieh'n die braunen
und bunten Herden in den Stall.
Das ist ein Abschied mit Gerüchen
aus einer fast vergessnen Welt.
Mus und Gelee kocht in den Küchen.
Kartoffelfeuer qualmt im Feld.
Das ist ein Abschied mit Getümmel,
mit Huhn am Spieß und Bier im Krug.
Luftschaukeln möchten in den Himmel.
Doch sind sie wohl nicht fromm genug.
Die Stare gehen auf die Reise.
Altweibersommer weht im Wind.
Das ist ein Abschied laut und leise.
Die Karussels dreh'n sich im Kreise.
Und was vorüber schien, beginnt.

Erich Kästner

www.anwaltseiten24.de
Dienstag, 19. Dezember 2006

Der „Altweibersommer“ ist nicht frauenfeindlich

Eine 78-jährige Frau hatte gegen die Bundesrepublik Deutschland geklagt. In den Wetterberichten des Deutschen Wetterdienstes solle zukünftig der Begriff „Altweibersommer“ nicht mehr verwendet werden. Sie fühlte sich durch diese Bezeichnung wegen des Wortes „Weib“ im Hinblick auf ihr Geschlecht diskriminiert, weil dieses Wort „seit altersher“ abfällig gebraucht werde. Noch schlimmer sei die Bezeichnung „altes Weib“, weil dadurch „zum Ausdruck gebracht werde, dass die Betreffende keine richtige Frau mehr sei.“ Der Begriff „Altweibersommer“ verletze sie daher in ihren Persönlichkeitsrechten.
Das Landgericht Darmstadt wies die Klage ab. Die Klägerin sei im Hinblick auf die Bezeichnung „Altweibersommer“ in Wetterberichten nicht „beleidigungsfähig“. Zum einen setze eine Beleidigung einen Angriff auf die Ehre dadurch voraus, dass jemand seine Missachtung über eine Person gegenüber dem Betroffenen oder einem Dritten äußere. Derartiges liege bezüglich der Klägerin bei den Meldungen des Deutschen Wetterdienstes unzweifelhaft nicht vor. Zum anderen liege auch keine Herabwürdigung einer bestimmten Gruppe, hier der „alten Frauen“, vor. Eine solche Beleidigung setze voraus, dass der betroffene Personenkreis zahlenmäßig überschaubar ist, damit sich das einzelne Gruppenmitglied angesprochen fühlen muss. Das sei angesichts der unbestimmten Zahl älterer Frauen ebenfalls nicht gegeben.
Das Landgericht hatte offenbar Humor: Es verkündete das Urteil am 02. Februar – „Altweiberfastnacht“. 

Und dies noch, weil es so schön ist.

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll.
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: "Junge, wiste 'ne Beer?"
Und kam ein Mädel, so rief er: "Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn".

So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: "Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab."
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Bündner mit Feiergesicht
Sangen "Jesus meine Zuversicht".
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
"He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?"

So klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtrauen gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was er damals tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.

Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: "Wiste 'ne Beer?"
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: "Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn."

So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

Theodor Fontane