Mittwoch, 8. März 2017

Für S. - Barockmusik ist nicht blöd

Liebe Silvia, lass mich mit der Barockmusik beginnen. Hochartifiziell, riesige, überwältigende Gefühl strengst in komplizierte Kompositionen gefasst, die Sänger müssen all ihr Können einsetzen, um nicht aus der Form zu fallen. Und diese Anstrengung, der Kampf zwischen Emotion und Form, kann mich sehr tief berühren. Hier ist nichts pur, echt oder realistisch. Die echte Welt ist zu klein, um all das Leiden, Lieben fassen zu können.

Die Periode der Barockmusik in der abendländischen Kunstmusik, auch bezeichnet als Generalbasszeitalter, schließt sich an die Renaissance an und erstreckt sich vom Beginn des 17. bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie zählt heute zur sogenannten Alten Musik. So beschreibt es Wiki.


Meine Eltern hatten eine Menge Schallplatten, Freddie Quinn, Schlagermedleys, The Best of the Seventies, Ernst Busch, Originalaufnahmen von Hitlerreden für den "Arturo Ui" meines Vaters, Blues der frühen Zwanziger und eben Barockmusik. Klassische Musik kam sonst nicht vor. Ich kämpfe darum bis heute. Ein spannender Kampf. Aber Barockmusik, Bach, Purcell, Vivaldi und Händel haben mich überraschend erwischt. Heute denke ich, es war die Anspannung, der hörbare Prozess, wie Leidenschaft in Kunst umgeformt wurde. 

Ein paar meiner persönlichen Leckerbissen:

"The Cold Song" von Henry Purcell

Für den Tod im Eis gibt es einen Soundtrack, den wird man nicht mehr los, ist man ihm einmal begegnet, den hört man, wenn man in Radevormwald oder sonst wo des Nachts auf dem Bahnsteig steht, einsam und verlassen von Bahn-Mitarbeitern und im Schneegestöber dem Absterben seiner Füße nachspürt. Und der geht so: Arktische Akkorde marschieren unbarmherzig und bibbernd heran. Kommen immer näher, holen aus, weichen zurück. Eine vor Unterkühlung zitternde, bebende Stimme fängt an zu flehen, verliert sich, bricht, stottert, stirbt. Eine Stimme, so alt wie der Permafrost, die sich aufgegeben hat und fleht - obwohl sie eigentlich gerade von der Liebe erlöst werden soll - darum, in den frostigen Frieden des Todes entlassen zu werden. Weswegen der "Cold Song" aus der Frostszene von Henry Purcells Semi-Oper "King Arthur" eigentlich auch eine Bassarie ist. Nur kann man sich die Stimme, die den Eistod stirbt, seit gut dreißig Jahren nicht mehr recht als Bass und mit langem, weißem Bart vorstellen. Sondern nur als Altus, weiß geschminktes Gesicht, blutrote, fast dreieckige Lippen, nach hinten gegelte Haare, futuristisches Dreiecksgewand, riesige Fliege. Einem Eishauch gleich glitterte Anfang der Achtziger der deutsche New-Wave-Star Klaus Nomi mit eckigen Bewegungen durch die Clubkeller von New York bis Paris. "Cold Song" war seine Trapeznummer. Ein Countertenor, bevor noch jemand in Deutschland das Wort ernsthaft buchstabieren konnte. Die große Zeit der hohen Herrenstimmen hat Klaus Nomi nicht mehr erlebt. Er starb 1983, kaum älter geworden als Purcell - einer der ersten Aidstoten.
Aus einem Artikel in der WELT 

Klaus Nomi
https://www.youtube.com/watch?v=wQrqgSK8-XU

Andreas Scholl
https://www.youtube.com/watch?v=O5lRq0IcDzw

Und so singen, wenn es denn welche gäbe, glaube ich, die Engel.

Philippe Jaroussky "Ombra ma fui" von Georg Friedrich Händelhttps://www.youtube.com/watch?v=q5v1PuhZ2zY 

Vivaldis Vier Jahreszeiten in zwei von vielen, ungeheuer vielen Versionen, zuerst der von Antonio Vivaldi und Max Richter.

https://www.youtube.com/watch?v=zy-B9MNtkyg

https://www.youtube.com/watch?v=EcsM4HUEwVw

Und jetzt Nigel Kennedy, der Punk der Barockszene

https://www.youtube.com/watch?v=DYvkVqpLX_E

 

5 Kommentare:

  1. Liebe Johanna,

    nach einer offline-Zeit wg. Ferien "arbeite" ich gerade gerne Deine Blogartikel ab - und stosse auf diesen Beitrag.

    Meinst Du mit C mich?
    Wer hat gesagt, dass Barockmusik blöd ist? Ich bestimmt nicht.

    Das "Ombra ma fui" ist ein Highlight, da hast Du recht.
    Ich mag auch die Regelmaessigkeit von Bach's Fugen, die dennoch Überraschungen bieten.

    Im Theaterkontext erinnere ich mich auch gut an die englische elisabetahnische Barockmusik in Stein's "Shakespeare's Memory".

    Oder in der Berliner Volksbuehne, da gab es vor ein paar Jahren ein Stueck, welches englische barocke Choere (Kinderchoere?) sehr schon nutzte, was war das noch?

    Ansonsten ist mir Musik so vielseitig wie moeglich lieb...

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  2. Vorher: "Für C. - Liebe Claudia".
    Nun: "Für S. - Liebe Claudia"?!

    Ich jedenfalls mag Barock.

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  3. Ich hatte mich verschrieben. C statt S. Es tut mir leid. Einen Schusselfehler nannte man das früher, in der Schule.

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  4. Jetzt ist alles klar, no problem.
    Schön, dass mein Name so in Deinen Gedanken ist.

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