Wir werden diese verfluchte Zeit, diese zwölf Jahre währenden tausend Jahre, einfach nicht los. "Der Gnade der späten Geburt" oder des "Es muß genug sein mit dem schlechten Gewissen" und auch allen anderen Vermeidungsstrategien zum Trotz. Vergangenheitsaufarbeitung ist harte, unerträglich harte Arbeit.
Vierzig Jahre Ost-Zone benötigen ungleich viel mehr Jahre erhöhter Aufmerksamkeit für unsere Anfälligkeit für zukunftslügende Ideologien und zwölf Jahre Unmenschlichkeit lassen sich eben nicht einfach mal so weg quatschen. Der Dreck in unseren Köpfen, bzw. der ererbte Dreck aus den Köpfen unserer Eltern und Großeltern, zeigt sein schmutziges Gesicht immer wieder, sobald wir nicht achtsam bleiben. Dresdener Bürger vergessen die Vorgeschichte der schrecklichen Bombardierung ihrer Stadt sehr gern und zeigen wenig Mitgefühl mit den Bewohnern von Coventry oder London. "Es muß doch mal genug sein" ist ein schrecklicher Satz, wenn wir damit 50 Millionen Tote dem Vergessen überantworten wollen. Israelis entschuldigen ihr grausames Verhalten ihren palästinensischen Mitbürgern gegenüber mit ihren eigenen unfaßbaren Opfern nur wenige Jahre vorher und verbitten sich jeden Vergleich. Und wir guten Deutschen denken, wir hätten unsere Opfer doch nun reichlich ausbezahlt.
Wiedergutmachung ist nicht möglich. Tot ist tot. Gemordet bleibt gemordet. Ich hätte eine weitgefächerte Familie und habe sie nicht. Wie gut bin ich davongekommen, nicht allzu zu tief in die Verbrechen meines Jahrhunderts eingebunden zu sein.
Deutsche Biographien, die die Jahre 1933 bis 45 einschließen, sind, wenn nicht furchterregend, ignorant oder verächtlich, oft sehr verzwickt. Ricarda Huch hat eine solche. Bibliothekarin, Lehrerin, Historikerin, Dichterin, Feministin war sie eigenartig geschützt während der bitteren Zeit des Dritten Reiches. Die Italiener verehrten sie für ihre Arbeit über das Risorgimento, sie stand unter der Protektion des nationalsozialistischen Reichsjustizministers, zu ihrem 80. Geburtstag erhält sie persönliche Glückwunschtelegramme von Goebbels und Hitler, obwohl in den Zeitungen
ihr Jahrestag nicht erwähnt wird.
ABER. Aber sie tritt 1933 protestierend aus der Preußischen Akademie der Künste aus, mehrere ihrer Bücher erscheinen nur unter großen Schwierigkeiten oder gar nicht und ihr Haus in Jena ist Treffpunkt kritischer Köpfe während einer Zeit in der ein offenes Gespräch, oft schnell zum Tode führen konnte.
Innere Emigration, was für ein Begriff. Innen bin ich woanders, in der Fremde.
Gewollte Schizophrenie als Überlebensstrategie. Welcher Preis ist dafür zu zahlen?
Nicht alle Schmerzen sind heilbar
Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
Sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,
Und während Tage und Jahre verstreichen,
Werden sie Stein.
Sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,
Und während Tage und Jahre verstreichen,
Werden sie Stein.
Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
Sie scheinen zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere
Bis in den Traum.
Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
Die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
Da blüht nichts mehr.
Ricarda Huch 1867-1947
https://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/frauenarchiv/ausstellungen/europa/huch/
http://www.berliner-zeitung.de/leidenschaft-und-wohlergehen-sind-zweierlei--die-liebesgeschichte-von-ricarda-und-richard-huch-dem-meister-verse-geigend-16490854
Sie scheinen zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere
Bis in den Traum.
Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
Die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
Da blüht nichts mehr.
Ricarda Huch 1867-1947
1944, unmittelbar nach dem mißlungenen Attentat am 20. Juli, als zahlreiche
Freunde und Bekannte von ihr verhaftet und hingerichtet wurden, plant sie ein Buch über den deutschen Widerstand, zu schreiben. Sie entwirft
biographische Skizzen, um jene, die "im Kampf gegen das Böse
fielen", zu ehren. 1947 umfaßt die Arbeit am Buch über die Widerstandskämpfer 40 Biographien; sie muß sich eingestehen, daß sie das Projekt
nicht alleine würde durchführen können und übergibt ihr Material an den Autor Günther Weisenborn, der es 1953 als
"Der lautlose Aufstand" herausgibt. Am 17. November stirbt Ricarda Huch im
Alter von 83 an den Folgen einer Lungenentzündung. (Wiki)
Ricarda Huch & Richard Huch |
Ricarda Huch - Ihr Leben, Lieben, Büßen: eine Geschichte über starke Gefühle
Im Jahre 1879, Ricarda
ist 15 Jahre alt, heiratet ihre fünf Jahre ältere Schwester Lilly den
29-jährigen Richard Huch, ihrer beider Cousin - eine stürmische
Liebesheirat. "Was so heiß beginnt, hält nicht an", prophezeit eine
skeptische Stimme und soll damit Recht behalten. Spätestens nach der
Geburt des dritten Kindes ist die Leidenschaft ehelichem Alltagstrott
unterlegen. Zur Statthalterin von Richards Leidenschaft avanciert
Schwägerin Ricarda - und wird es jahre-, jahrzehntelang bleiben. ...
Als Ricarda und Richard ins Gerede kommen - sie mehr als er -, ist es bereits zu spät.
Verstoßen aus der
Braunschweiger guten Gesellschaft, bleibt der jungen Ricarda kaum
anderes übrig, als zum Studium nach Zürich zu gehen und so auf den einen
Skandal noch einen zweiten zu setzen.
Dabei lebt sie zwar unbürgerlich, sie fühlt sich aber nicht so. Verlobt
fühlt sie sich und klammert sich hartnäckig an die Hoffnung auf eine
zukünftige Ehe mit Richard. Da die große Liebe komprimiert ist auf
wenige Wochen im Jahr, auf heimliche gemeinsame Reisen, kann Ricarda für
den Rest des Jahres ungehemmt-nüchtern ihre ehrgeizigen Ziele
verfolgen. So hat die Hingabe an die große Unerreichbarkeit durchaus
ihre praktischen Seiten...
Was hat diese kluge, genau wahrnehmende Frau an einer für Außenstehende
doch erkennbar aussichtslosen Liebe so lange und unbeirrbar festhalten
lassen? So unbelehrbar schließlich, dass sie um Richards willen ihren
späteren Mann Ermanno Ceconi, den Vater ihrer Tochter, verließ? Die
späte Ehe mit Richard scheiterte, musste ja scheitern: "Was so heiß
beginnt ..." War auch das Scheitern noch "wesentlich"?
Anne Gabrisch: "In den Abgrund werf ich meine Seele"
Die Liebesgeschichte von Ricarda und Richard Huch
Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2000
Aus einem Artikel in DIE ZEIT
Mit 43 Jahren heiratet Ricarda Huch schließlich Richard Huch,
der inzwischen von ihrer Schwester geschieden ist. Sie ziehen nach Braunschweig. Eine "allmähliche
innere Entfremdung" mündet 1910 in die Scheidung. Ihren ersten Mann Ermano Ceconi wiederum verließ sie, weil er ein Verhältnis mit ihrer Nichte einging.
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